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"Unbestellte Ware"Sachverhalt:Eines Tages erhält der viel beschäftigte K zu seiner Verwunderung eine Warensendung der V Verlag AG. Sie enthielt ein Buch und ein Schreiben folgenden Wortlautes: "Sehr geehrter Herr K! Sicher sind Sie überrascht, wenn Sie heute den neuesten Bestseller des Autor Andersen zugeschickt bekommen. Mit diesem neuen Service wollen wir viel beschäftigten Menschen wie Ihnen den Weg in die Buchhandlung ersparen. Sollten Sie an dem Buch kein Interesse haben, dann möchten wir Sie bitten, es innerhalb der nächsten vierzehn Tage unfrei in dem beiliegenden Umschlag zurückzusenden. Sollten Sie das Buch dagegen gerne erwerben wollen, dann brauchen Sie gar nichts zu tun. Wir senden Ihnen dann einfach nach Ablauf der 14 Tage eine Rechnung über 28,00 EUR zu. Mit freundlichen Grüßen, Ihr V-Verlag". K empfindet diese unerbetene Warenzusendung als eine "Unverschämtheit". Da er überdies der Auffassung ist, man könne ihm nicht einfach einen Vertrag "aufzwingen", entschließt er sich, das Buch zur Seite zu legen und nicht zu reagieren. Als er in der darauf folgenden Nacht stundenlang nicht einschlafen kann, greift er in seiner Verzweiflung zu dem Buch. Er reißt die Schutzfolie, in die das Buch eingeschweißt ist, auf und beginnt darin zu lesen. Da ihm einige Textstellen besonders gut gefallen, greift er zu einem Textmarker und streicht diese Stellen an. Als er nach Ablauf der 14 Tage die Rechnung des V Verlages bekommt, schreibt K dem V Verlag, dass seiner Meinung nach kein Kaufvertrag zwischen der V Verlag AG und ihm bestehe. Folglich sei er nicht verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen. Mit Recht? Lösung:Die V Verlag AG könnte einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gegen K aus Kaufvertrag (§ 433 Abs. 1 BGB) haben, wenn zwischen ihr und dem K ein Kaufvertrag zustande gekommen ist. Ein Vertrag kommt durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, regelmäßig durch Angebot und Annahme, zustande. a) Das Schreiben des V-Verlages in Verbindung mit dem dem K zugesandten Buch könnte einen Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrages darstellen. Ein Angebot ist eine Willenserklärung, die inhaltlich so beschaffen ist, dass der Adressat der Erklärung zum Zustandekommen des Vertrages nur noch vorbehaltlos zustimmen muss. Das Schreiben des V Verlages in Verbindung mit dem zugesandten Buch bestimmt Kaufgegenstand und Kaufpreis eindeutig und lässt zweifelsfrei den Willen des V-Verlages erkennen, durch Zustimmung des K einen Vertragsschluss herbeizuführen. Es ist demnach unproblematisch ein Angebot. b) K müsste dieses Angebot angenommen haben. Annahme ist die Erklärung, mit der der Adressat des Antrages seine vorbehaltlose Zustimmung zum Angebot erklärt. aa) Eine Annahme könnte man zunächst darin sehen, dass K das Buch nicht innerhalb von 14 Tagen zurückgeschickt hat. Dies setzt voraus, dass man das Verhalten des K (Schweigen in der vom V Verlag festgelegten 14-Tagesfrist) nach §§ 133, 157 BGB als rechtlich bindende Zustimmung des zum Angebot des V-Verlages auslegen kann. Stellt man gemäß § 133 BGB darauf ab, welchen Willen das Verhalten des K zum Ausdruck brachte, so könnte man meinen, dass auf Grund der vorherigen einseitigen Festlegung seitens der V-Verlags AG das Schweigen des K auf seinen Willen zur Annahme des Vertrages schließen ließ. Allerdings sind bei der Auslegung von Willenserklärungen nach dem Empfängerhorizont gemäß § 157 BGB auch Treu und Glauben und die Verkehrssitte zu berücksichtigen. Es könnte Treu und Glauben widersprechen, wenn man vorliegend das Schweigen als Annahme verstehen will. Dies könnte sich daraus ergeben, dass sonst die Abschlussfreiheit des K, die als Teil der Privatautonomie über Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistet ist, verletzt wird. Dafür spricht, dass der V-Verlag den K bei einer Wertung des Schweigens als Annahmeerklärung gegen seinen Willen mit der Obliegenheit belasten würde, auf sein Angebot zu reagieren. Das Schweigen des K, also ein bloßes Unterlassen, würde dann schon zum Zustandekommen eines Vertrages ausreichen, ohne dass K sich mit dieser einseitigen Festlegung seines Verhaltens einverstanden erklärt hätte. Ein solches Aufdrängen eines Vertrages ohne Mitwirkung des K wäre mit der Abschlussfreiheit als Teil der Privatautonomie nicht mehr vereinbar. Allerdings wäre diese grundrechtliche Beeinträchtigung nur dann anzunehmen, wenn Art. 2 Abs. 1 GG hier überhaupt zwischen den beiden Privatrechtssubjekten K und V Verlag AG anwendbar ist. Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat sind aber grundsätzlich nur im Verhältnis Staat Bürger anwendbar. Es ist allerdings anerkannt, dass sie auch bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln des Zivilrechts, insbesondere bei "Treu und Glauben", zu berücksichtigen sind (sogen. "mittelbare Drittwirkung"). Somit kann die aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitete Abschlussfreiheit bei der Auslegung nach Treu und Glauben (§ 157 BGB) berücksichtigt werden. Das Schweigen des K kann demnach nur dann nach Treu und Glauben als Zustimmung gewertet werden, wenn den K die Obliegenheit traf, auf das Angebot zu reagieren. Dies ist aber nur anzunehmen, wenn zwischen den Parteien ein Rechtsverhältnis (vorherige Vereinbarung, langjährige Geschäftsverbindung etc.) bestand, aus dem diese Obliegenheit folgt. Das ist nicht der Fall. Das Schweigen des K kann nicht als Annahmeerklärung ausgelegt werden. bb) Allerdings könnte man darin eine konkludente Annahme sehen, dass K das Buch aus der Einschweißfolie genommen, gelesen und mit dem Textmarker bearbeitet hat. K ist mit dem Buch wie ein Eigentümer (vgl. § 904 BGB) verfahren. Nach dem Willen des Verlages sollte er auch ohne weiteres Eigentum an dem Buch erwerben können, wenn er dem Angebot des V-Verlages auf Abschluss eines Kaufvertrages zustimmt. Diese Verknüpfung des Einigungsangebotes mit der aufschiebenden Bedingung "Abschluss des Kaufvertrages" war auch für K bei lebensnaher Betrachtung unproblematisch erkennbar (vgl. § 133, 157 BGB). Die Aneignungs- und Gebrauchshandlungen des K hätten damit den objektiven Erklärungswert, dass K das Angebot des V-Verlages annehmen will. Sein Verhalten könnte als Annahme gewertet werden. Fraglich ist, ob dieses Ergebnis vor dem Hintergrund des § 241a Abs. 1 BGB Bestand haben kann. Danach wird "durch die Lieferung unbestellter Sachen durch einen Unternehmer an einen Verbraucher ein Anspruch gegen diesen nicht begründet". Da K ohne weiteres Verbraucher (§ 13 BGB) und V Unternehmerin ist (§ 14 BGB) und K das Buch nicht bestellt hatte, ist § 241a Abs. 1 BGB vorliegend einschlägig. Dies bedeutet aber, dass die Lieferung keinerlei Ansprüche der V gegen den K (etwa auf Herausgabe nach § 985 BGB) begründet hat. Daraus leitet die herrschende Meinung in (sehr) weiter Auslegung mit Rücksicht auf den Willen des Gesetzgebers her, dass K infolge der Lieferung überhaupt keinen Ansprüchen der V ausgesetzt sein darf, selbst wenn er die Sache nach seinem Belieben gebraucht, verbraucht oder gar vorsätzlich zerstört (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 241a Rdnr. 7). Aus diesen Rechtsfolgen des § 241a Abs. 1 BGB wird zum Teil pauschal geschlussfolgert, der Zueignungs- und Gebrauchshandlungen würden im Anwendungsbereich des § 241a Abs. 1 BGB "abweichend von § 151 BGB" keine Annahme darstellen (Palandt/Heinrichs, 65. Aufl. 2006, § 241a Rdnr. 6; Schwarz, NJW 2001, 1449, 1451). Andere halten eine konkludente Annahme durch Aneignungs- und Gebrauchshandlungen auch im Anwendungsbereich des § 241a Abs. 1 BGB für möglich, da diese Vorschrift lediglich eine Anspruchsbegründung "durch die Lieferung" ausschließe, nicht aber durch eine sich an die Lieferung anschließende Willenserklärung des Empfängers der Waren. Allerdings werde es dem Verbraucher regelmäßig an einem entsprechenden Annahmewillen (subjektiver Tatbestand der Willenserklärung) fehlen, da er gemäß § 241a BGB die Sache ja wirtschaftlich gesehen "geschenkt" bekomme (Lorenz, JuS 2000, 833, 841). Lorenz ist dabei zuzugeben, dass § 241a Abs. 1 BGB nur an die "Lieferung" anknüpft und daher nicht ausschließt, ein der Lieferung nachfolgendes Verhalten des Verbrauchers als Annahme zu werten. Daher ist auch anerkannt, dass der Verbraucher im Falle der Zusendung unbestellter Ware das Angebot des Unternehmers auf Abschluss eines Kaufvertrages ausdrücklich annehmen kann. Allerdings setzt Lorenz zu spät an, wenn er einen Vertragsschluss durch Aneignungs- und Gebrauchshandlungen des Verbrauchers deshalb für den Normalfall verneint, weil es dem Verbraucher vor dem Hintergrund des § 241a Abs. 1 BGB regelmäßig an einem Rechtsbindungswillen fehle. Denn dies setzt voraus, dass der Verbraucher sich über die Rechtsfolgen des § 241a Abs. 1 BGB im Klaren ist. Dies ist aber von Verbraucher zu Verbraucher unterschiedlich. Dogmatisch klarer ist es wohl, einen Schritt früher anzusetzen, nämlich am objektiven Tatbestand der Willenserklärung. Denn dieser setzt voraus, dass der Unternehmer als "Empfänger" (vgl. § 151 BGB) der Annahmeerklärung die Aneignungs- und Gebrauchshandlungen des Verbrauchers bei einer normativen Auslegung nach dem Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB so verstehen muss, dass sie eine Zustimmung zu seinem Vertragsangebot enthalten. Für den Regelfall entgeltlich angebotener Waren und Leistungen wird man dies nach den obigen Ausführungen ohne weiteres bejahen können. Nicht aber im Anwendungsbereich des § 241a Abs. 1 BGB, dessen Regelungsgehalt Versandhändlern, die weiterhin unbestellt Waren zusenden, bestens bekannt ist. Sie können aber in Kenntnis der Rechtsfolgen des § 241a Abs. 1 BGB Gebrauchshandlungen nicht mehr zwingend entnehmen, dass der Kunde mit ihnen den Vertragsschluss herbeiführen will. Daher haben Aneignungs- und Gebrauchshandlungen im Anwendungsbereich des § 241a Abs. 1 BGB nicht den objektiven Erklärungswert einer Vertragsannahme. Das Öffnen, Lesen und Markieren des Buches erfüllt also nicht den objektiven Tatbestand einer Annahme. Da K das Angebot der V auf Abschluss eines Kaufvertrages nicht angenommen hat, ist zwischen V und K kein Kaufvertrag zustande gekommen. Ergebnis: V hat keinen Anspruch gegen K auf Kaufpreiszahlung aus § 433 Abs. 2 BGB. |
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