Drittschadensliquidation

Allgemeiner Teil

mit Erläuterungen für Anfangssemester versehen

Gericht: BGH

bulletDatum: 10. Juli 1963
bulletAktenzeichen: VIII ZR 204/61
bulletNR: ZPO § 551 Nr 1, GG Art 101 Abs 1 S 2, GVG § 10, GVG § 63, BGB § 249, BGB § 463

Titelzeile:

Geschäftsverteilung und gesetzlicher Richter; Drittschadensliquidation

Leitsatz

bullet1. Zur Frage der Zulässigkeit der Verteilung der Geschäfte nach dem zeitlichen Eingang der Sachen bei Gericht.
bullet2. Ein Käufer kann grundsätzlich nicht den seinem Abnehmer entstandenen Schaden zum Gegenstand eines eigenen Ersatzanspruchs gegen seinen Verkäufer machen.

Fundstelle:

bulletBGHZ 40, 91-108 (Leitsatz 1-2 und Gründe)
bulletDRiZ 1963, 357-358 (Leitsatz 1 und Gründe)
bulletNJW 1963, 2071-2076 (Leitsatz 1-2 und Gründe)
bulletJVBl 1963, 196-198 (Leitsatz 1 und Gründe)
bulletMDR 1963, 1005-1007 (Leitsatz 1-2 und Gründe)
bulletAP Nr 4 zu § 551 ZPO (Leitsatz 1 und Gründe)
bulletBB 1963, 994-995 (red. Leitsatz und Gründe)  
bulletLM Nr 6 zu § 249 (D) BGB (Leitsatz 1-2)
bulletLM Nr 41 zu § 551 Ziff 1 ZPO (Leitsatz 1)

Diese Entscheidung wird zitiert von

bulletVergleiche OLG Köln Urteil vom 16. März 1978 18 U 145/77
Voraussetzungen der Drittschadensliquidation bei Beschädigung von Transportgütern
Voraussetzungen der Drittschadensliquidation bei Beschädigung von Transportgütern
bulletVergleiche BVerwG 8. Senat Beschluß vom 17. Dezember 1982 8 CB 83/80
Schlüssigkeit einer Besetzungsrüge
bulletAnschluß BVerwG 9. Senat Urteil vom 8. Februar 1983 9 CB 698/82
Zu den Anforderungen des Grundsatzes des gesetzlichen Richters bei der Geschäftsverteilung nach zeitlicher Reihenfolge der Eingänge
bulletVergleiche BFH 4. Senat Beschluß vom 6. Oktober 1988 IV R 11/87
bulletAnschluß BGH 1. Strafsenat Beschluß vom 2. November 1989 1 StR 354/89
Geschäftsverteilung nach "rollierendem System"

Tatbestand

Die Klägerin betreibt eine Gürtelfabrik. Die Beklagte vertreibt Leder. Die Parteien stehen seit längerer Zeit in Geschäftsverbindung. Die Klägerin kaufte von der Beklagten drei Dutzend grünes Wildvelourleder zum Gesamtpreis von 581,93 DM. Die Beklagte hatte das Leder von der Firma H. bezogen. Die Klägerin verarbeitete das Leder zu Gürteln für Damenkleider. Die Gürtel lieferte sie zum überwiegenden Teil an die Firma K.-F* . Diese zog die Gürtel auf beigefarbene Damenkleider auf und lieferte diese Kleider an ein Versandhaus. Dort wurde festgestellt, daß eine große Anzahl der Kleider an der Stelle, an der die Gürtel mit dem Stoff in Berührung gekommen waren, gelbliche Verfärbungen aufweisen. Die Firma K.-F. hat 395 verfärbte Kleider zurückgenommen.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche geltend. Sie behauptet, die Entstehung der Flecken auf den Kleidern sei dadurch verursacht worden, daß das von der Beklagten gelieferte Leder mangelhaft gefärbt gewesen sei. Der Firma K.-F. sie durch den Verderb der Kleider ein Schaden von 10.375,50 DM entstanden. Unstreitig hat die Firma K.-F. die Klägerin nicht auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Klägerin trägt auch nicht vor, daß sie zum Schadensersatz verpflichtet sei. Sie ist aber der Auffassung, daß sie berechtigt sei, den Schaden, den ihre Abnehmerin erlitten habe, als einen für sie selbst aus dem Vertragsverhältnis mit der Beklagten entstandenen Anspruch geltend zu machen.

Das Landgericht hat durch Grundurteil die Beklagte für verpflichtet erklärt, den der Firma K.-F. entstandenen Schaden zu ersetzen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg.

Schaubild zum Tatbestand:

Entscheidungsgründe

A. I. ...

Unter A.I. beschäftigt sich der Senat mit der Frage, ob eine Verteilung der Sachen auf die einzelnen Spruchkörper eines Gerichts nach der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters vereinbar ist. Zu dieser Frage sind mittlerweile neuere Entscheidungen ergangen, weswegen vorliegend auf eine Publikation dieser umfangreichen Passagen verzichtet wird. 

...

B. I. 

Dass Berufungsgericht hatte im vorliegenden Fall entschieden, dass die Klägerin berechtigt sei, den Schaden der K.-F. im Rahmen eines eigenen Anspruchs geltend zu machen und somit einen Fall der Drittschadensliquidation bejaht. Der Senat beschäftigt sich als Revisionsgericht nunmehr mit der Frage, ob diese Rechtsansicht des Berufungsgerichts zutreffend war.

Die Revision ist dagegen begründet, soweit sie sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichts wendet, die Klägerin sei berechtigt, den ihren Abnehmern erwachsenen Schaden zum Gegenstand eines eigenen Ersatzanspruches geltend zu machen.

Das Berufungsgericht führt aus, es sei anzunehmen, daß die Parteien bei Abschluß des Kaufvertrages stillschweigend vereinbart hätten, die Klägerin solle berechtigt sein, einen ihren Abnehmern erwachsenen Schaden geltend zu machen ohne Rücksicht darauf, ob sie ihnen zum Schadensersatz verpflichtet sei oder nicht.

II. 1. Schon der Ausgangspunkt dieser Erwägungen gibt zu Bedenken Anlaß. Unter einer stillschweigenden Erklärung wird ein Verhalten verstanden, das äußerlich für sich betrachtet keine Erklärung darstellt, aber auf Grund des Zusammenhanges mit anderen Umständen als Kundgabe eines auf bestimmte Rechtswirkungen gerichteten Willens gewertet wird. Die stillschweigende Erklärung ist daher eine echte Willenserklärung. Daß im vorliegenden Fall die Parteien übereinstimmend gewollt hätten, die Klägerin solle berechtigt sein, den Ersatz des ausschließlich ihren Abnehmern entstandenen Schadens mit einem eigenen Anspruch geltend zu machen, und daß sie diesen Willen durch schlüssiges Verhalten, hier also durch Schweigen, zum Ausdruck gebracht hätten, haben die Parteien selbst nicht behauptet; das Berufungsgericht hat hierfür auch keine Tatsachen angeführt. Wenn es von stillschweigender Vereinbarung spricht, meint es offenbar nur, daß im Wege ergänzender Vertragsauslegung der Klägerin das genannte Recht einzuräumen sei.

2. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. 

Im folgenden stellt der Senat unter a-c die anerkannten Fallgruppen der Drittschadensliquidation dar, um dann unter 3. festzustellen, dass keine dieser Fallgruppen vorliegend eingreift.

Rechtsprechung und Schrifttum billigen allerdings in Abweichung von dem Grundsatz, daß Schadensersatz nur beanspruchen kann, wer Schaden erlitten hat, unter bestimmten Umständen einer Vertragspartei das Recht zu, den Schaden eines Dritten als eigenen Schaden geltend zu machen, sogenannte Schadensliquidation im Drittinteresse (im Schrifttum vgl. Reinhardt, Der Ersatz des Drittschadens; Tägert, Die Geltendmachung des Drittschadens). Die Fälle, in denen ein solches Recht besteht, weisen zwar eine verschiedene Gestaltung auf, ihnen ist aber gemeinsam, daß der aus dem Vertrage Berechtigte und der Träger des durch den Vertrag geschützten Interesses verschiedene Personen sind. Der durch eine Vertragsverletzung verursachte Schaden tritt deshalb nicht bei dem Vertragsberechtigten, sondern bei dem Dritten ein. Im Schrifttum ist dieser Zustand als eine Interessenverlagerung (Reimer Schmidt bei Soergel/Sieberg, BGB 9. Aufl § 249 bis 253 Nr 87) oder Schadensverlagerung (Esser, Schuldrecht 2. Aufl § 50, 6 und 7; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 5. Aufl Band I § 14 IV) bezeichnet worden, aus der der Schädiger keinen Vorteil ziehen dürfe.

a) Es handelt sich einmal um die Fälle mittelbarer Stellvertretung. Eine Partei schließt einen Vertrag im eigenen Namen, aber im Auftrage und für Rechnung eines Dritten ab. Daß der Beauftragte den dem Auftraggeber entstandenen Schaden geltend machen kann, haben das Reichsgericht und der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ohne nähere rechtliche Begründung als festen Grundsatz angesehen (RGZ 90, 240, 246; 113, 250, 254; 115, 419, 425; BGH 25, 250, 258).

b) Eine weitere Fallgestaltung ist die "Gefahrentlastung" (so Tägert aaO S 38). Der einem Dritten zu Lieferung einer Sache Verpflichtete wird von seiner Verpflichtung durch den von einem anderen schuldhaft verursachten Untergang der Sache befreit, so etwa wenn er dem Dritten verpflichtet ist, die verkaufte Sache nach einem anderen Ort als dem Erfüllungsort zu übersenden und die Sache an den Frachtführer oder die Bahn ausgeliefert hat. Damit ist die Gefahr nach § 447 BGB auf den Dritten übergegangen, der zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet bleibt. Allein geschädigt ist der Dritte. Der Verkäufer soll berechtigt sein, diesen Schaden gegen den Schädiger geltend zu machen (RGZ 62, 331). Das gleiche trifft für die Vernichtung einer vermachten Sache vor der Übereignung an den Vermächtnisnehmer zu. Der Erbe ist nach § 275 BGB befreit. Er kann den Schaden des Vermächtnisnehmers gegen den Schädiger geltend machen (Tägert, aaO S 38, Reimer Schmidt aaO Nr 84).

c) Schließlich gehören zum Gebiet der Schadensliquidation im Drittinteresse die Fälle der Obhut für eine fremde Sache. Eine vom Vertragsgegner nach dem Vertrage geschuldete Fürsorge und Obhutspflicht erstreckt sich auf eine von der Vertragspartei zur Verfügung gestellte, aber nicht dieser, sondern einem Dritten gehörende Sache. Durch eine vom Vertragsgegner begangene Verletzung dieser Pflicht wird der Eigentümer geschädigt, insbesondere etwa, wenn der Schädiger gegenüber einer Klage des Eigentümers aus unerlaubter Handlung sich nach § 831 BGB entlasten kann. Die Rechtsprechung gibt der Vertragspartei das Recht, einen vertraglichen Anspruch auf Ersatz des dem Eigentümer entstandenen Schadens geltend zu machen. Das Reichsgericht (RGZ 93, 39) verweist zur Begründung auf die Rechtsprechung über die Haftung bei mittelbarer Stellvertretung und stellt es sodann auf die auch hier vorliegende Verknüpfung der Interessen des dritten Eigentümers und der Vertragspartei ab.

Zu einer anderen Begründung der Liquidation des Drittschadens gelangt das Reichsgericht in dem Urteil RGZ 170, 246. Dort hat es im Weg ergänzender Vertragsauslegung angenommen, ein Werkunternehmer, der an einem städtischen Kühlhaus eine Reparatur vorzunehmen hatte, habe der Bestellerin, der Stadtgemeinde, das Recht eingeräumt, einen etwaigen Schaden geltend zu machen, der infolge unsorgfältiger Reparaturarbeiten den Fleischern, die im Kühlhaus Fleisch eingelagert hatten, entstehe. Auf diese Entscheidung stützt sich auch der Bundesgerichtshof in dem BGHZ 15,224, 227. In dem dort entschiedenen Fall verschuldete ein Spediteur, der einen Fuhrunternehmer mit einem Transport beauftragt hatte, daß die sowjetzonale Verwaltung einen Lastkraftwagen einzog, der der Ehefrau des Fuhrunternehmers gehörte. In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. Januar 1958 - II ZR 266/56 - (LM HGB § 510 Nr 3), bei der es sich darum handelte, daß bei der Übernahme von Kesselwasser auf einen gecharterten Dampfer an diesem Schaden entstanden war, ist schließlich der Charterfirma ein Schadensersatzanspruch wegen des dem Schiffseigentümer entstandenen Schadens gewährt worden, weil dem Wasserlieferanten Sorgfaltspflichten hinsichtlich des Schiffes oblägen. Zur Begründung verweist der Bundesgerichtshof auf die Entscheidung RGZ 93, 39 und BGHZ 15, 224.

3. Der Versuch, das Recht zur Drittschadensliquidation mit der Vertragsauslegung zu begründen, hat im Schrifttum weitgehend Widerspruch unter Berufung darauf gefunden, daß mit der Annahme eines so gearteten hypothetischen Willens dem wahren Willen der Parteien Gewalt angetan werde (Esser aaO; Reimer Schmidt aaO Nr 88 und § 157 Nr 94; Werner bei Staudinger, BGB 11. Aufl, Vorb vor § 249 Nr 98, S 63; ähnlich Gernhuber, Zur Lehre von den Verträgen mit Schutzwirkung für Dritte, Festschrift für Nikisch, S 248, 265). Eines Eingehens hierauf bedarf es aber nicht, weil der hier zu beurteilende Sachverhalt zu keiner der genannten Fallgruppen gehört. Die Klägerin hat unstreitig das Leder von der Beklagten nicht im Auftrag und für Rechnung ihrer Abnehmer gekauft. Es liegt auch keine Interessenverknüpfung im Sinne der Entscheidungen über die Obhutspflicht für eine fremde Sache vor. Mag die Klägerin auch nach der Feststellung des Berufungsgerichts ein Interesse daran gehabt haben, daß ihre Geschäftsbeziehungen zu ihren Abnehmern gepflegt wurden, so erfüllt dieser Umstand doch nicht die in den genannten Urteilen verlangte Voraussetzung der Interessenverknüpfung. Eine Pflicht des Verkäufers, für eine gedeihliche Entwicklung der Geschäftsbeziehungen des Käufers zu seinen Abnehmern zu besorgen, besteht grundsätzlich nicht.

Nunmehr setzt sich der Senat mit der Frage auseinander, ob eine ergänzende Vertragsauslegung des Vertrages Klägerin/K.-F. ergibt, dass die Klägerin berechtigt sein sollte, Schäden der K.-F. gegenüber Dritten geltend zu machen, unabhängig davon, ob diese die Klägerin in Anspruch nehmen. 

Das Vorbringen der Parteien rechtfertigt überhaupt nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, auf Grund ergänzender Vertragsauslegung sei als Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages die Abrede anzusehen, daß die Klägerin berechtigt sei, den ihren Abnehmern entstandenen Schaden geltend zu machen, unabhängig davon, ob diese die Klägerin in Anspruch nehmen könnten oder nicht.

Einmal fehlt es nämlich an einer durch Auslegung auszufüllender Vertragslücke. Nicht alles, worüber in einem Vertrage eine Regelung fehlt, stellt schon eine Vertragslücke dar. Von ihr kann nach feststehender Rechtsprechung nur gesprochen werden, wenn ein Vertrag innerhalb des tatsächlich gegebenen Rahmens oder innerhalb der wirklich gewollten Vereinbarungen der Parteien eine ersichtliche Lücke aufweist. Die richterliche Vertragsergänzung darf aber nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen. Soweit die Vertragsparteien bei Vertragsschluß keine vom Gesetz abweichende Regelung treffen, überlassen sie die Ausgestaltung den Gesetzesvorschriften (BGHZ 9, 273, 277; Urteile des erkennenden Senats vom 11. Juli 1958 - VIII ZR 114/57 - und vom 8. März 1960 - VIII ZR 49/59 -). Kaufverträge, in denen eine Bestimmung darüber fehlt, ob der Käufer berechtigt sei, einen seinem Abnehmer durch Mängel der Sache entstehenden Schaden mit einem eigenen Anspruch geltend zu machen, werden täglich in unübersehbarer Zahl geschlossen. Sie sind nicht alle lückenhaft; vielmehr legen die Parteien zugrunde, daß die gesetzliche Regelung gelten solle. Das Gesetz geht aber von dem Grundsatz aus, daß, abgesehen von den Ausnahmefällen der §§ 618 Abs 3, 1298 BGB, nur der Schaden auszugleichen ist, der der Vertragspartei selbst aus der Vertragsverletzung entsteht. Wieweit in dem hier nicht vorliegenden Sonderfall einer sich aus dem Vertrage ergebenden Obhutspflicht eine Vertragslücke entsteht, kann dahingestellt bleiben.

Das Berufungsgericht läßt es aber auch an der Begründung für die Annahme fehlen, die Parteien hätten, wenn sie daran gedacht hätten, daß durch Farbunechtheit des gelieferten Leders Schäden an Waren der Abnehmer der Klägerin eintreten könnten, unter Berücksichtigung der Pflichten redlicher Kaufleute vereinbart, die Beklagte solle der Klägerin für diese Schäden auch dann einstehen, wenn die Abnehmer die Klägerin nicht in Anspruch nehmen könnten oder nähmen. Handel und Industrie suchen sich unter Billigung der Rechtsprechung vielmehr erfahrungsgemäß durch Freizeichnungsklauseln weitgehend vor Schadensersatzansprüchen zu schützen, die in ihren Auswirkungen unübersehbar sind, sich einer wirtschaftlich vertretbaren Risikodeckung durch entsprechende Gestaltung des Kaufpreises oder Abschluß von Versicherungsverträgen entziehen und, wie hier, in der Höhe weit über den Wert der Kaufsache hinausgehen können.

Schließlich fehlt es an der weiteren Voraussetzung, daß eine Lücke, wenn sie bestände, im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung ausfüllbar wäre. Die ergänzende Vertragsauslegung muß sich als zwingend selbstverständliche Folge aus dem ganzen Zusammenhange des Vereinbarten ergeben, so daß ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch mit dem nach dem Inhalt des Vertrages tatsächlich Vereinbarten stehen würde (BGHZ 12, 337, 343; 26, 107, 110). Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, aus welchen Gründen die Abnehmer der Klägerin davon absehen, die Klägerin in Anspruch zu nehmen. Möglicherweise haben sie es unterlassen, sich von der Klägerin eine Zusicherung über die Farbechtheit der Gürtel geben zu lassen, oder sie sind der Überzeugung, daß die Klägerin nicht der Vorwurf einer zum Schadensersatz verpflichtenden schuldhaften positiven Vertragsverletzung treffe. Die Beschränkung der Schadensersatzansprüche wegen Mängel der Kaufsache hat aber der Gesetzgeber aus guten Gründen geschaffen. Die Auffassung des Berufungsgerichts läuft darauf hinaus, wegen einer von der Beklagten gegenüber der Klägerin begangenen positiven Vertragsverletzung den Abkäufern der Klägerin einen Schadenausgleich auch dann zu gewähren, wenn ihnen das Gesetz einen solchen nach Kaufrecht gerade versagt. Sie sollen, folgt man den Gedanken des Berufungsgerichts, so gestellt werden, als habe die Beklagte sich nicht der Klägerin, sondern deren Abnehmer gegenüber einer positiven Vertragsverletzung schuldig gemacht. Daß eine solche Regelung erforderlich sei, um den gesamten Vertragszweck nicht zu gefährden oder der Klägerin einen ungebührlichen Nachteil zu ersparen, ist nicht einzusehen.

Der erkennende Senat hat allerdings im Urteil vom 7. August 1959 (- VIII ZR 113/58 - Betrieb 1959, 1083) einen Käufer, der mit der gekauften Ware ihm zur Bearbeitung übergebene Sachen eines Dritten in Verbindung gebracht hatte, für berechtigt angesehen, den seinem Auftraggeber durch einen Mangel der Ware entstandenen Schaden mit einem eigenen Anspruch geltend zu machen. Mit dieser Entscheidung hat der Senat aber nicht grundsätzlich die Drittschadensliquidation innerhalb einer Käuferkette für zulässig erklärt. Der Senat hat dort ausdrücklich hervorgehoben, es komme entscheidend darauf an, wie die vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Schädiger und seinem Vertragsgegner auszulegen seien. Stelle sich dabei heraus, daß das Drittinteresse nach dem Sinn und Zweck des Vertrags geschützt werden solle, so sei derjenige, dessen Vertragsrechte verletzt worden sind, auch für berechtigt zu erachten, den Drittschaden geltend zu machen. Der jener Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt wies die Besonderheit auf, daß nach der bindenden Auslegung des Berufungsgerichts die Verkäuferin der Käuferin zugesichert hatte, sie übernehme auch das Risiko der Käuferin gegenüber deren Auftraggebern, und daß sie sich verpflichtet hatte, auch für Schäden Dritter einzustehen, die auf den Gebrauch der verkauften Ware zurückzuführen seien. Die Folgerungen, die Erman (BGB 3. Aufl § 249 Anm 11c, bb) aus der Entscheidung zieht, gehen also zu weit. Im vorliegenden Fall kann von einer Verpflichtung der Beklagten, für Schäden zu haften, die den Käufern der Klägerin und weiteren Abnehmern entständen, auch nach den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Rede sein.

4. 

Nachdem der Senat zum Ergebnis gekommen ist, dass eine ergänzende Vertragsauslegung nicht in Betracht kommt, verneint er im Folgenden noch die Frage, ob sich eine Drittschadensliquidation außerhalb der bisher anerkannten Fallgruppen im vorliegenden Fall aufgrund einer typisierbaren Schadensverlagerung rechtfertigen ließe.

Auch für die von Rechtsprechung und Schrifttum außerhalb der ergänzenden Vertragsauslegung angestellten Erwägungen zur Schadensliquidation im Drittinteresse ist kein Raum.

Die Liquidation des Drittschadens setzt eine Sachlage voraus, die bewirkt, daß das schädigende Verhalten des Verpflichteten einen Schaden nicht in der Person des Anspruchsberechtigten, sondern nur in der eines Dritten hervorrufen kann. Es darf nur ein Schaden entstanden sein, der, wenn der Anspruchsberechtigte auch der Träger des geschützten Rechtsguts wäre, in dessen Person erwachsen wäre. Der Dritte tritt als Geschädigter statt des Anspruchsberechtigten auf (Larenz aaO S 164; Esser aaO: "Mit dem Fehlen seiner Haftung" - gemeint ist: des rechtlich Geschätzten gegenüber dem Geschädigten - scheidet er auch aus der Kette der denkbaren Ansprüche aus"; Werner bei Staudinger BGB 11. Aufl Vorbem vor § 249 Nr 95). So erleidet bei den von Rechtsprechung und Schrifttum herausgestellten Fallgruppen den in Frage stehenden Schaden nur der im Innenverhältnis Vertretene, nicht der mittelbare Vertreter, nur derjenige, auf den die Gefahr übergegangen ist, nicht der Entlastete, nur der Eigentümer der Sache, nicht derjenige, der sie im Rahmen eines Vertrages der Obhut des Verpflichteten anvertraut. Es genügt daher zur Liquidation des Drittschadens nicht, daß außer dem Anspruchsberechtigten auch ein Dritter einen Schaden erlitten hat. Das Recht zur Liquidation des Drittschadens darf nicht zu einer Vermehrung der vom Verletzer zu befriedigenden Geschädigten und damit zu einer Erweiterung der nach Gesetz oder Vertrag begründeten Schadensersatzpflicht führen. Diesen entscheidenden Gesichtspunkt hebt auch das Reichsgericht im Urteil RGZ 170, 246 hervor. Es stellt darauf ab, daß der Schaden ein- und derselbe bleibe, wer auch der Ersatzberechtigte (Stadt oder Fleischer) sei. Der Schaden bestand nur in dem Verderb der Fleischwaren. Durch Zubilligung des Rechtes, den den Fleischern entstandenen Schaden geltend zu machen, trat also, wie das Reichsgericht ausführt, keine "Vervielfältigung" des Schadens ein.

Veräußert ein Käufer die gekaufte Sache weiter und erleidet der zweite Käufer durch Mängel einen Schaden, so liegt, da die Möglichkeit auch eines eigenen Schadens des ersten Käufers gegeben ist, eine Schadens- oder Interessenverlagerung in diesem Sinne nicht vor. Mit Recht lehnt daher Tägert (aaO s 52) eine zusätzliche vertragliche Haftung des Verkäufers auch für Sachmängelschäden der Nacherwerber bei einer Veräußerungskette ab. Gegen eine Anwendung des Grundsatzes der Schadensliquidation im Drittinteresse spricht auch die weitere Erwägung, daß bei einer Käuferkette eine Vertragshaftung des ersten Verkäufers für die durch seine Vertragsverletzung bei den jeweiligen weiteren Käufern entstehenden Schäden zu einer dem Grundgedanken des Vertragsrechts fremden und unerträglichen Schadenshäufungen führen würde (Tägert aaO; Larenz aaO S 164). Die gleiche Auffassung liegt offenbar auch dem Urteil des Reichsgerichts HRR 1941, 225 = DR 1941, 637 zugrunde. Das Reichsgericht billigt dem Erstkäufer das Recht, den seinem Abkäufer entstandenen Schaden als eigenen Anspruch geltend zu machen, ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt zu, daß er die Kaufsache im eigenen Namen für Rechnung des Auftraggebers gekauft habe. Das Reichsgericht hat also unter dem Gesichtspunkt der sogenannten mittelbaren Stellvertretung entschieden. Dieser Begründung hätte es nicht bedurft, wenn das Reichsgericht einen Käufer schlechthin zur Geltendmachung eines seinem Abkäufer entstehenden Schadens für berechtigt gehalten hätte.

Auch auf den allgemeinen Gedanken der Wahrung von Treu und Glauben allein läßt die Haftung des Erstverkäufers sich nicht stützen. Es widerspricht nicht der Billigkeit, daß sich die Ansprüche des weiteren Käufers nach dem zwischen ihm und seinem Verkäufer geschlossenen Vertrage regeln. Steht ihm nach den Vertragsbestimmungen ein Schadensersatzanspruch nicht zu, so ist auch aus Billigkeitsgründen kein zwingender Anlaß gegeben, ihm über seinen Verkäufer Ersatz auf Kosten des Erstverkäufers nur deshalb zu verschaffen, weil der Erstverkäufer dem Erstkäufer auf Schadensersatz haftet. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, daß der Schädiger keinen Vorteil davon haben dürfe, daß sein Gläubiger keinen Schaden erleide, besteht nicht. Mindestens insoweit weist Werner (bei Staudinger, BGB 11. Aufl Vorbem vor § 249 Nr 99 S 65) mit Recht darauf hin, daß das Prinzip des Schadensersatzes nur Ersatz des dem Berechtigten tatsächlich entstandenen Schadens, aber nicht eine von dem Schädiger zu leistende Sühne verlange.

Ob etwa unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes dort eine andere Beurteilung geboten wäre, wo eine Herstellerfirma durch Werbung mit den Vorzügen ihres Erzeugnisses den Endverbraucher anspricht, die Ware durch eine "anonyme" Verteilerkette geht und der Endverbraucher sich in der Hauptsache auf die Angaben der Herstellerfirma verläßt, kann dahingestellt bleiben. Eine solche Sachgestaltung liegt hier nicht vor.