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BGHZ 66, 51: Gemüseblattfall (Sorgfaltspflichten in der Vertragsanbahnung
mit Schutzwirkung für Dritte)
Urteil vom 28. Januar 1976, VIII ZR 246/74 Leitsatz:Begleitet ein Kind seine Mutter zum Einkauf in einen Selbstbedienungsladen, so können ihm, wenn es dort zu Fall kommt, unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluß zustehen. Sachverhalt: Am 2. November 1963 begab sich die damals 14 Jahre alte Klägerin mit ihrer Mutter in die Filiale dem Beklagten in Sch. , einen kleineren Selbstbedienungsladen. Während die Mutter nach Aussuchen der Waren noch an der Kasse stand, ging die Klägerin um die Kasse herum zur Packablage, um ihrer Mutter beim Einpacken behilflich zu sein. Dabei fiel sie zu Boden und zog sich einen schmerzhaften Gelenkbluterguß am rechten Knie zu, der eine längere ärztliche Behandlung erforderlich machte. Mit der Behauptung, sie sei auf einem Gemüseblatt ausgerutscht, hat die Klägerin die Beklagte aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch genommen und mit ihrer am 5. März 1970 erhobenen Klage u. a. Ersatz des durch den Unfall in Höhe von 701,51 DM entstandenen und des künftig noch entstehenden Vermögensschadens verlangt. Die Beklagte hat bestritten, daß die Klägerin auf einem Gemüseblatt ausgerutscht sei, hilfsweise ihr Verschulden an dem Unfall in Abrede gestellt und sich überdies auf Verjährung berufen. Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr - und zwar unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin zu - in Höhe von 497,11 DM stattgegeben und außerdem die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz von 54 des der Klägerin künftig noch erwachsenden Schadens festgestellt. Die zugelassene Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht sieht als erwiesen an, daß die Klägerin in der Nähe der Packablage auf einem am Boden liegenden Gemüseblatt ausgerutscht ist und sich dabei Verletzungen zugezogen hat, die die geltendgemachten Aufwendungen erforderlich gemacht haben und einen Zukunftsschaden nicht ausschließen. Diese Feststellungen lassen einen Rechtsfehler nicht erkennen. II. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte den ihr obliegenden Nachweis, daß sie hinsichtlich der Verkehrssicherheit in ihrem Ladenlokal alle ihr zuzumutende Sorgfalt beachtet habe und der Unfall nur darauf zurückzuführen sei, daß ein anderer Kunde kurz zuvor ein Gemüseblatt habe zu Boden fallen lassen, nicht geführt. Auch diese Ausführungen sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Sie entsprechen hinsichtlich der Verkehrssicherungspflicht eines Warenhausinhabers und der insoweit aus § 282 BGB hergeleiteten Umkehr der Beweislast bei Schadensersatzansprüchen aus Verschulden bei Vertragsschluß, auf die das Berufungsgericht seine Entscheidung stützt, der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH Urteil vom 26. September 1961 - VI ZR 92/61 = NJW 1962,31 = LM BGB § 276 (Fa) Nr.. 13; vgl. auch RGZ 78,239). III. Die Beklagte hafte daher - so führt das Berufungsgericht weiter aus - unter Berücksichtigung des Mitverschuldens der Klägerin auf 3/4 des eingetretenen und künftig noch zu erwartenden Schadens, - und zwar nicht nur aus unerlaubter Handlung, sondern auch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß, weil sie die mit Eröffnung des Selbstbedienungsladens der Klägerin selbst gegenüber übernommene vertragliche Schutz- und Fürsorgepflicht verletzt habe. Überdies ergebe sich auch unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ein Schadensersatzanspruch der Klägerin, weil deren Mutter während des Unfalls in Vertragsverhandlungen mit der Beklagten gestanden habe und die Klägerin als Hilfsperson in den Schutzbereich dieses vertragsähnlichen Schuldverhältnisses einbezogen gewesen sei. Für Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluß gelte aber die dreißigjährige Verjährungsfrist, so daß die Verjährung insoweit durch die Klageerhebung rechtzeitig unterbrochen sei. IV. Diese Ausführungen halten - jedenfalls im Ergebnis - einer rechtlichen Nachprüfung stand. Allerdings bestehen gegen die Haupterwägung des Berufungsgerichts Bedenken, die Beklagte hafte, auch ohne daß es der Heranziehung des Gesichtspunktes eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bedürfe, der Klägerin unmittelbar aus Verschulden bei Vertragsschluß (culpa in contrahendo). Die Haftung aus culpa in contrahendo, die den Geschädigten in Fällen wie dem vorliegenden gegenüber der allgemeinen deliktischen Haftung aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht - etwa im Hinblick auf die verschärfte Gehilfenhaftung (§ 278 BGB gegenüber § 831 BGB), die längere Verjährungsfrist (§ 195 BGB gegenüber § 852 BGB) und die Umkehr der Beweislast (§ 282 BGB) - wesentlich günstiger stellt, beruht auf einem in Ergänzung des geschriebenen Rechtes geschaffenen gesetzlichen Schuldverhältnis, das aus der Aufnahme von Vertragsverhandlungen entspringt und vom tatsächlichen Zustandekommen eines Vertrages und seiner Wirksamkeit weitgehend unabhängig ist (BGHZ 6,330,333; ständige Rechtsprechung; vgl. Larenz Schuldrecht, 11. Aufl. Bd. I S. 94,96f mit weiteren Nachweisen). Die aus diesem Schuldverhältnis hergeleitete Haftung für die Verletzung von Schutz- und Obhutspflichten findet bei Fällen der vorliegenden Art ihre Rechtfertigung darin, daß der Geschädigte sich zum Zwecke der Vertragsverhandlungen in den Einflußbereich des anderen Teiles begeben hat und damit redlicherweise auf eine gesteigerte Sorgfalt seines Verhandlungspartners vertrauen kann (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 5. Januar 1960 - VIII ZR 1/59 = NJW 1960,720 = WM 1960,582; Larenz aaO sowie MDR 1954,515; Nirk in Festschrift für Möhring 1965, S. 385 ff, 392). Das bestätigt gerade der vorliegende Fall, in dem die Mutter der Klägerin zum Zwecke des Kaufabschlusses die Verkaufsräume der Beklagten aufsuchen und sich damit einer Gefährdung, wie sie erfahrungsgemäß der verstärkte Publikumsverkehr vor allem in der Kassenzone eines Selbstbedienungsladens mit sich bringt, aussetzen mußte. Voraussetzung für eine Haftung aus culpa in contrahendo ist bei derartigen Kaufverträgen aber stets, daß der Geschädigte sich mit dem Ziel des Vertragsabschlusses oder doch der Anbahnung »geschäftlicher Kontakte« (so Larenz, Schuldrecht aaO 5.94 ff und MDR 1954,515) - also als zumindest möglicher Kunde, wenn auch vielleicht noch ohne feste Kaufabsicht - in die Verkaufsräume begeben hat (vgl. BGH Urteil vom 26. September 1961 - VI ZR 92/61 aaO; Nirk aaO S. 392). Dabei mag dahinstehen, ob es angesichts der Besonderheiten des Kaufes in einem Selbstbedienungsladen bereits ausreicht, wenn der Kunde beim Betreten der Verkaufsräume zunächst lediglich die Absicht hat, sich einen Überblick über das Warenangebot zu verschaffen und sich dadurch möglicherweise zum Kauf anregen zu lassen, oder wenn er vorerst nur einen vorbereitenden Preisvergleich mit Konkurrenzunternehmen vornehmen will. Jedenfalls fehlt es für eine über die deliktische Haftung hinausgehende vertragliche Haftung aus culpa in contrahendo dann an einer hinreichenden Rechtfertigung, wenn die den Selbstbedienungsladen betretende Person von vornherein gar keine Kaufabsicht hatte, - etwa weil sie, abgesehen von dem vom Berufungsgericht erwähnten Fall des Ladendiebes, die Geschäftsräume ausschließlich als Schutz vor Witterungseinflüssen aufsuchen oder als Durchgang zu einer anderen Straße oder überhaupt nur als Treffpunkt mit anderen Personen benutzen wollte. Die Abgrenzung mag im Einzelfall vor allem deswegen schwierig sein, weil sie auf eine innere und somit nur schwer beweisbare Willensrichtung abstellt. Im vorliegenden Fall ist jedoch unstreitig, daß die Klägerin von vorneherein nicht die Absicht hatte, selbst einen Kaufvertrag mit der Beklagten abzuschließen, vielmehr lediglich ihre Mutter begleitete und diese bei ihrem Kauf unterstützen wollte. Eine unmittelbare Anwendung der Haftung aus Verschulden der Beklagten bei Vertragsschluß der Klägerin gegenüber scheidet mithin aus. V. Gleichwohl erweist sich das Berufungsurteil im Ergebnis als richtig, weil die Hilfserwägung des Berufungsgerichts die Entscheidung trägt. 1. Wäre die Mutter der Klägerin auf dieselbe Weise wie ihre Tochter zu
Schaden gekommen, so bestünden gegen die Haftung der Beklagten aus culpa in
contrahendo - davon geht ersichtlich auch die Revision aus - keine Bedenken.
Dabei bedarf es keiner Stellungnahme zu der im Schrifttum umstrittenen Frage, ob
in einem Selbstbedienungsladen der Kaufvertrag dadurch zustandekommt, daß der
Käufer das ihm mit der Aufstellung der Waren gemachte Angebot durch Vorweisen
der aus gesuchten Ware an der Kasse - sich bis zu diesem Zeitpunkt eine
endgültige Entscheidung vorbehaltend - annimmt, oder ob in dem Aufstellen der
Ware lediglich die Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes liegt, das der Kunde
seinerseits mit dem Vorweisen gegenüber der Kassiererin abgibt und das letztere
durch Registrieren für den Selbstbedienungsladen annimmt (vgl. zum Meinungsstand
Mezger in BGB-RGRK, 12. Aufl. vor § 433 Rdn. 55 mit weiteren Nachweisen).
Jedenfalls läßt der Zusammenhang der Urteilsgründe, wenn es auch an einer
ausdrücklichen Feststellung des Berufungsgerichts in diese? Richtung fehlt,
erkennen, daß im Unfallzeitpunkt zwischen der Beklagten und der Mutter der
Klägerin, die die zum Kauf vorgesehenen Waren bereits endgültig ausgewählt
hatte, bereits ein die Haftung aus culpa in contrahendo rechtfertigendes
gesetzliches Schuldverhältnis (BGHZ 6,330,333) bestand. 3. Allerdings erfordert die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines
Vertrages - soll die vom Gesetzgeber getroffene unterschiedliche Ausgestaltung
von Vertrags- und deliktischer Haftung nicht aufgegeben oder verwischt werden -
eine Beschränkung auf eng begrenzte Fälle (BGH, Urteil vom 25. April 1956 - VI
ZR 34/55 = NJW 1956,1193 mit Anmerkung von Larenz; Senatsurteil vom 9. Oktober
1968 - VIII ZR 173/66 = WM 1968,1354 = NJW 1969,41; BGH Urteil vom 30. September
1969 - VI ZR 254/67 = WM 1969,1358 = NJW 1970,38; BGHZ 51,91,96 und 61,227,234).
Ob insoweit der bloße Umstand, daß der Kunde sich bei der Anbahnung und
Abwicklung des Kaufvertrages in einem Selbstbedienungsladen eines Dritten
bedient, für die Annahme einer Schutzwirkung ausreichen würde, kann
dahingestellt bleiben; denn im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß die Mutter der
Klägerin im Innenverhältnis »für Wohl und Wehe« ihrer Tochter verantwortlich war
(BGHZ 51,91,96) und damit - auch für die Beklagte erkennbar - allein schon aus
diesem Grunde redlicherweise davon ausgehen durfte, daß die sie begleitende
Tochter denselben Schutz genießen würde wie sie selbst. In einem derartigen
engen familienrechtlichen Band hat die Rechtsprechung von ) eher eine
Rechtfertigung für die Erstreckung der vertraglichen Schutzwirkung gesehen (BGH
Urteil vom 8. Mai 1965 - VI ZR 58/55 = LM BGB § 254 [E] Nr. 2; Senatsurteil vom
16. Oktober 1963 - VIII ZR 28/62 = WM 1963,1327 = NJW 1964,33; BGHZ 61,227,234).
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