I. Ungesteuerte Verfälschungen
Ungesteuerte Verfälschungen eines Ereignisses in der Bekundung eines Zeugen beruhen in erster Linie auf Wahrnehmungs- und Gedächtnisfehlleistungen . Bei den Wahrnehmungsfehlleistungen wird von vornherein ein verfälschtes Bild vom realen außenweltlichen Ereignis aufgenommen. Bei den Gedächtnisfehlleistungen verändert sich das abrufbare Bild im Zuge weiterer intrapersonaler Verarbeitung. Aufnahme und Abruf eines Ereignisses sind Leistungen des zentralen Nervensystems. Die Arbeitsweisen und Funktionen des zentralen Nervensystems werden von Neurobiologen und -physiologen untersucht. Da liegt es nahe, gerade diese Wissenschaften für die uns interessierende Frage nach Wahrnehmungs- und Gedächtnisfehlleistungen zu konsultieren. Der Ausflug in die genannten Disziplinen führt zu faszinierenden Einblicken in eine dem Juristen im allgemeinen fremde Forschungswelt (vgl. die nicht für den Fachwissenschaftler geschriebenen Bücher von Vester, Popper und Eccles und Gehirn und Nervensystem). Er nötigt auch zu mancherlei Korrekturen an überkommenen Vorstellungen. Jedoch bringt er nicht den Ertrag, den man von ihm erhoffen möchte: eine praktikable Systematisierung und Kriteriologie der Wahrnehmungs- und Gedächtnisfehlleistungen für den juristischen Alltagsgebrauch. So bleibt dem Juristen letztlich gar nichts anderes, als seine Hoffnungen von den Erforschungen im Mikrobereich des Nervensystems vorerst auf die im experimentellen Makrobereich arbeitende Wahrnehmungs- und Gedächtnispsychlogie zu verlagern. Sollte er auch hier enttäuscht werden, steht ihm allein noch der Rückgriff auf die Alltagserfahrung offen. Im folgenden wollen wir versuchen, den physiologischen und psychologischen Forschungsstand zu den Wahrnehmungs- und Gedächtnis(fehl)leistungen wenigstens in Stichworten anzudeuten.
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