Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 288 Randnummer 4

Stellungsnahme: Wer in dem Wirrwarr von Meinungen Stellung beziehen will, stößt nach sorgfältiger Sondierung des Für und Wider letztendlich auf folgende Frage: Soll den Parteien, die über die Folgen ihres Tuns hinreichend aufgeklärt sind (§ 139!), eine offene Disposition über die Sachverhältsprämisse („Wir wissen nicht, ob A oder Nicht-A. Es soll auf der Grundlage von A entschieden werden" oder „Wir wissen, daß Nicht-A, wollen aber, daß auf der Grundlage von A entschieden wird") gestattet sein, wenn die Entscheidung Drittinteressen nicht berührt, nicht gegen den ordre public verstößt und das Vollstreckungsergebnis auch freiwillig herbeigeführt werden könnte, ohne daß die Rechtsordnung die Rückgängigmachung anordnete? - Einer der engagiertesten Vertreter der Wahrheitspflicht scheint die Frage zu bejahen (F. v. Hippel S. 64). Das Nein fällt darum nicht leicht. Immerhin lassen sich Fallkonstellationen denken, in denen das prozessuale Verfügungspotential (Anerkenntnis, Verzicht, Vergleich) dem Interesse der Parteien an der Entscheidung einer bestimmten Frage, die gerade den Konflikt der Parteien ausmacht, nicht gerecht wird (vgl. Würthwein S. 40 ff.; Brehm S: 32 ff.). Dem Hinweis der einen, die Bewährung der Rechtsordnung sei nur auf der Grundlage der Wahrheit denkbar (Bernhardt JZ 1963, 245 ff.), läßt sich da leicht mit dem Argument begegnen, daß nur auf der Grundlage der Unwahrheit die Bereinigung des konkreten Konflikts erfolgen könne, der zum Rechtsstreit Anlaß gegeben habe (Würthwein S. 52 f.). Und soweit hier noch ein offener Konflikt besteht, verfängt auch kaum der Hinweis, daß die Einrichtung des Justizapparates zu teuer sei, um fiktiven Streitigkeiten Raum zu geben (Weyers in FS Esser 1975 S. 202). Ausschlaggebend für das Nein ist am Ende einerseits die Schwierigkeit, in einem konkreten Fall die vielfältigen Voraussetzungen, die in der Frage anklingen, mit hinreichender Sicherheit festzustellen, andererseits die Möglichkeit, das Schiedsgerichtsverfahren zu wählen, wenn die Parteien von den staatlichen Gerichten eine Antwort auf ihren Konflikt nicht bekommen können, weil nach dem, was wirklich geschehen ist, ein Konflikt aus Rechtsgründen verneint wird (Verweis auf das Schiedsgerichtsverfahren schon bei Pollak Gerichtliches Geständnis im Zivilprozeß, 1893 S. 82).


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