Prof. Dr. Helmut Rüßmann

Die “ergänzende Auslegung” Allgemeiner Geschäftsbedingungen*

*Erstveröffentlichung in Betriebsberater 1987, 843 bis 848


Der 8. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in zwei Entscheidungen Lücken in Allgemeinen Geschäftsbedingungen mithilfe des Instituts der ergänzenden Vertragsauslegung gefüllt [1]. Der 6. und der 7. Zivilsenat zeigen sich zurückhaltender, sehen in den bisher entschiedenen Fällen von der ergänzenden Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ab, ohne sich indessen vom 8. Zivilsenat zu distanzieren und die grundsätzliche Möglichkeit der ergänzenden Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu verwerfen [2]. In Sonderheit die Tagespreisklauselentscheidung des 8. Senats hat lebhafte Reaktionen hervorgerufen, die von beißender Ablehnung [3] über distanzierte Kritik [4] bis zur allgemeinen Zustimmung [5] reichen. Schon vor Erlaß der Entscheidung war die literarische Welt gespalten [6]. Die Diskussion leidet hauptsächlich unter zwei Mängeln [7]. Zum einen gibt es ganz unterschiedliche Auffassungen darüber, was man unter einer ergänzenden Vertragsauslegung zu verstehen habe. Zum anderen übernimmt man vielfach Argumentationsfiguren aus dem Bereich ausgehandelter Vertragswerke, ohne zu fragen, ob das für den Bereich einseitig gestellter Bedingungswerke gerechtfertigt ist. Ich möchte im folgenden versuchen, den Mängeln durch eine Besinnung auf die Struktur von Auslegungsfragen und die Rechtfertigungsmöglichkeiten von Auslegungshypothesen abzuhelfen. Das Ergebnis ist ein Plädoyer für Methodenehrlichkeit und wider die Scheinlegitimation von Rechtsfortbildungen durch Etikettenschwindel.

I. Die Grundstruktur der Auslegung

Obwohl oder vielleicht auch gerade weil die Auslegung von Texten zu den alltäglichen Aufgaben eines Juristen zählt, herrschen häufig wenig klare Vorstellungen über die Struktur der sich dabei stellenden Probleme. Für die meisten Juristen scheint es darum zu gehen, die Lebenswirklichkeit unter Normen zu subsumieren (Perspektive des Rechtsanwenders) oder den Gehalt von Normen zu explizieren (Perspektive des Rechtsdogmatikers). Während der Rechtsdogmatiker in der Welt der Sprache verharrt, weil er über Sprachregeln sprachliche Gebilde miteinander verknüpft, scheint der Rechtsanwender den Sprung in die außersprachliche Welt tun zu müssen. Bei genauerem Hinsehen schwindet indessen die Differenz. Auslegungsfragen bewegen sich immer und ausschließlich in der Welt der Sprache [8]. Sachverhalte, bei denen wir uns fragen, ob sie von einer Norm erfaßt werden oder nicht, begegnen uns nicht als Lebenswirklichkeit, sondern als sprachliche Ausgrenzungen von Teilen dieser Wirklichkeit oder unserer Phantasie. Das Nämliche gilt für Verhalten, das wir für normgemäß oder normwidrig erklären sollen. Selbst wenn der Rechtsanwender des Streitverhältnisses ansichtig wird, das fragliche Verhalten beobachtet, sind Ausgangspunkte und Ergebnisse der Auslegung sprachliche Gebilde: Sätze. Die Totalität der Lebenswirklichkeit entzieht sich der Subsumtion. Nur ausgegrenzte Teile können subsumiert werden. Die Ausgrenzung erfolgt sprachlich und wird spätestens bei der Entscheidungsbegründung explizit gemacht. Das Hinschauen dient allenfalls der Bestätigung einer sprachlichen Schilderung als wahr. Dafür tut man den Sprung in die außersprachliche Welt. Die Auslegung einer Norm im Hinblick auf eine Sachverhalts- oder Verhaltensschilderung braucht sich um die Wahrheit der Schilderung nicht zu kümmern. Auch der den Inhalt einer Norm explizierende Dogmatiker tut dies im Hinblick auf gedachte oder erlebte Sachverhalte, präziser: auf erdachte oder wahre Sachverhaltsschilderungen.

An der Grundstruktur der Auslegungsaufgabe, Sätze über Sachverhalte und Sätze über Normen miteinander zu verknüpfen, ändert sich nichts, wenn die auszulegenden Normen unterschiedlichen Quellen entstammen. Formelle Gesetze, Sätze des Gewohnheits- und Richterrechts, Regelungen in einseitig gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen, individuell ausgehandelte Vertragsordnungen werden gleichermaßen darauf befragt, ob sie auf eine Sachverhaltsbeschreibung passen oder nicht. Lediglich die Kriterien für die Annehmbarkeit einer Auslegungshypothese mögen wechseln. Wegen der Strukturgleichheit der Aufgabe aber könnte es sich lohnen, die Ideen, die von einer analytischen Begründungslehre für die Auslegung von Gesetzestexten entwickelt worden sind [9], an die Auslegung von Vertragsordnungen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen heranzutragen [10].

II. Das deduktive Grundschema

Wenn in einem Fall eine konkrete Rechtsfolgeanordnung aufgrund einer individuell ausgehandelten Vertragsbedingung oder einer einseitig gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingung angeordnet werden soll, so müssen die Fallschilderung und die Bedingung mit oder ohne Zusatzannahmen die logische Folgerung auf die Rechtsfolge erlauben (Deduktivitätspostulat [11]). Das ist ohne Zusatzannahmen in der Prämissenmenge nur möglich, wenn zur Fallschilderung genau die Begriffe bedeutungsgleich verwendet werden, mit denen die Bedingung formuliert ist - eine mögliche, aber seltene Gestaltung. Sonst sind Zusatzannahmen erforderlich, um die “logische Kluft” zwischen Fallschilderung und Bedingung zu überwinden. Bei diesen Zusatzannahmen handelt es sich um Auslegungshypothesen.

III. Richtigkeitskriterien für Auslegungshypothesen

Auslegungshypothesen sind begründungsbedürftig. Die Kriterien für die Akzeptabilität einer Auslegung können sich ändern je nachdem, ob es um staatlich gesetzte, privat gestellte oder privat ausgehandelte Bedingungswerke geht. Rechtsstaat, verfassungsrechtliche Funktionenordnung und das Bindungsgebot dienen der Kriterienentwicklung für den Bereich der Gesetzesauslegung und der Rechtsfortbildung [12]. Vornehmlich Handlungs- und Gestaltungsfreiheit der Privatrechtssubjekte stützen die Kriterienentwicklung für den Bereich der Auslegung ausgehandelter Vertragsordnungen und der Vertragsfortbildung. Die Kriterien für die Auslegung und Fortbildung einseitig privat gestellter Bedingungswerke sind dagegen offen. Schlichten Anleihen aus der Diskussion der ausgehandelten Bedingungswerke sollte man angesichts des Paradigmawechsels vom zweiseitig ausgehandelten zum einseitig gestellten Bedingungswerk mit Skepsis begegnen. Es mag sich aber als nützlich erweisen, der Diskussion um die gestellten Bedingungswerke eine Skizze der Kriterien für die ausgehandelten Bedingungswerke voranzustellen.

1. Kriterien für die Auslegung ausgehandelter Bedingungswerke

a) Privatsprache und Verkehrssprache

Den Geltungsgrund für ausgehandelte Bedingungswerke, welche Pflichten und Risiken allein für die Verhandlungsbeteiligten festlegen, geben das Selbstbestimmungsrecht und die Erklärungsverantwortung der Parteien her. Das Ziel der Auslegung ist es, das Selbstbestimmungsrecht unter Wahrung der Erklärungsverantwortung zu verwirklichen. Es bestimmt die Kriterien für die Richtigkeit einer Auslegungshypothese und die Rangfolge unter konkurrierenden Auslegungshypothesen. An der Spitze der Rangordnung steht deshalb das von den Parteien übereinstimmend Gemeinte. Das kann durchaus vom herkömmlichen Sprachgebrauch abweichen. Es beendet das Auslegungsverfahren, wenn nach dem von den Parteien übereinstimmend Gemeinten ein Sachverhalt von der Vereinbarung eindeutig erfaßt oder eindeutig ausgeschlossen wird. Erst wenn es keinen übereinstimmenden Sprachgebrauch der Vertragsbeteiligten gibt, kommt es auf den allgemeinen (objektivierten) Sprachgebrauch an. Die Objektivierung wird dadurch bewirkt, daß der Kreis der für die Bestimmung der Sprachkonventionen maßgeblichen Sprechergemeinschaft über die Vertragsbeteiligten hinaus erweitert wird. Das geschieht im Hinblick auf die Erklärungsverantwortung, die man mit der Teilnahme am Marktgeschehen übernimmt. Wer am Rechts- und Geschäftsverkehr teilnimmt, muß sich, wenn er mit seinem Gegenüber keinen Privatsprachgebrauch normiert, an den Normierungen des Sprachgebrauchs festhalten lassen, die für alle in diesem Verkehrskreis Tätigen gelten. Richtig ist dann die Auslegungshypothese, die den für diesen Verkehrsbereich geltenden allgemeinen Sprachgebrauch [13] wiedergibt.

b) Semantische Spielräume

Der Sprachgebrauch versagt als Richtigkeitskriterium für eine Auslegungshypothese, wenn die fragliche Sachverhaltsschilderung in einen semantischen Spielraum fällt. Damit kennzeichnet die analytische Begründungslehre den Bereich sprachlicher Unsicherheiten, der nach der Ermittlung des maßgeblichen Sprachgebrauchs verbleibt [14]. Eine Auslegungshypothese, die versucht, einen solchen Spielraum auszufüllen, kann sich nicht auf Feststellungen zum maßgeblichen Sprachgebrauch stützen, sondern legt den Sprachgebrauch ihrerseits erst fest. Was wir mithin benötigen, sind Kriterien für die Richtigkeit solcher sprachnormierender Festlegungen. Prominente Vertreter solcher Kriterien für den Bereich staatlich gesetzter Bedingungswerke sind die Zwecke, die die setzende Instanz oder die anwendende Instanz mit dem Bedingungswerk verfolgt (subjektiv-teleologische und objektiv-teleologische Auslegung [15]). Sie legitimieren die Auslegungshypothese, die notwendige Bedingung für die Verwirklichung der entsprechenden Zwecke ist oder doch mindestens etwas zur Zweckverwirklichung beiträgt [16].

Auch für die Ausfüllung semantischer Spielräume in ausgehandelten Bedingungswerken kommen Zwecke als Richtigkeitskriterien in Betracht. Es sind dies zuvörderst die von den Vertragsbeteiligten gemeinsam getragenen Zwecke, ihr Regelungsplan (Parallele zur subjektiv-teleologischen Auslegung) [17]. Erst wenn die nicht festgestellt werden können oder die festgestellten gemeinsamen Zwecke für die fraglichen Auslegungshypothesen nichts hergeben, müssen andere Wege gegangen werden. Es werden dann Zweck- und Risikoverteilungsvorstellungen bemüht, die keinen Rückhalt im Selbstbestimmungsrecht der Parteien finden, sondern nach anderer Legitimation suchen. Für sie bietet das dispositive Recht den ersten Ansatzpunkt. Wo dieses allerdings schweigt, kommt der Richter nicht umhin, den Interessenausgleich selbst herbeizuführen. Dazu ist er dann auch befugt.

c) Vertragsergänzungen jenseits des möglichen Wortsinns

Alle zur Ausfüllung semantischer Spielräume in ausgehandelten Bedingungswerken angestellten Überlegungen bewegen sich im Bereich des möglichen Wortsinns, der nach den Vorstellungen, die Larenz für die Auslegung und Fortbildung von Gesetzen entwickelt hat, zugleich den Auslegungsbereich absteckt [18]. Ob man schon in ihm von ergänzender Vertragsauslegung sprechen sollte oder aber erst dann, wenn Regelungen festgelegt werden, die den Rahmen des möglichen Wortsinns sprengen, ist eine Frage der terminologischen Festlegung, für die man in den bisherigen Diskussionen keine Hilfe findet, weil dort die hier vorgeschlagenen Differenzierungen nicht beachtet werden. Im Hinblick auf die Freiheit des Richters von dem, was die Vertragsparteien gesagt und gewollt haben, spricht vieles dafür, schon im Bereich des noch möglichen Wortsinns von ergänzender Vertragsauslegung zu reden, wenn die Ausfüllung des Bedeutungsspielraums nach Zwecken und Risikoverteilungsvorstellungen erfolgt, die nicht auf gemeinsame Parteivorstellungen zurückgeführt werden können [19]. Mehr noch: man sollte nur in diesem Bereich von ergänzender Vertragsauslegung sprechen.

Angesichts starker Beharrungstendenzen von Rechtsprechung und Dogmatik mit der Vorliebe, einmal geprägte Formulierungen und Floskeln immer wieder zu verwenden [20], mache ich mir wenig Hoffnung, mit einem Vorschlag zur Neugestaltung der Terminologie auf breite Gegenliebe zu stoßen. Dennoch will ich der besseren Verständigung wegen von Auslegung immer und nur dann sprechen, wenn es um die beschriebenen Operationen im Bereich des möglichen Wortsinns geht. Jenseits des möglichen Wortsinns gibt es keine Auslegung mehr. Hier beginnen Operationen, die sich im Anschluß an den aus der Gesetzesanwendung bekannten Sprachgebrauch am besten als Vertragsfortbildung kennzeichnen lassen.

Wie bei der Rechtsfortbildung so geht es auch bei der Vertragsfortbildung um ein Kompetenzproblem. Unter welchen Umständen ist die an sich zur Exekution eines von anderen festgelegten Ordnungsgefüges berufene Rechtsprechung befugt, das Ordnungsgefüge über den Rahmen des möglichen Wortsinns hinaus zu ändern und zu ergänzen? Eine erste Antwort ist leicht. Die Befugnis reicht jedenfalls so weit, wie die Vertragsfortbildung zur Verwirklichung gemeinsamer Zielvorstellungen der Parteien erforderlich oder doch wenigstens den gemeinsamen Zielen förderlich ist, ohne andere Ziele zu beeinträchtigen. Eine solche Vertragsfortbildung bindet sich an das Selbstbestimmungsrecht der Vertragsparteien und hilft ihnen, ihre im Vertragsgefüge unvollkommen verwirklichten Pläne zu realisieren. Andere Vertragsfortbildungen zu legitimieren, fällt dagegen überaus schwer. Änderungen jenseits der jedes Vertragswerk erfassenden Inhaltskontrollen geraten mit dem Grundsatz: pacta sunt servanda in Konflikt und kommen deshalb nur bei unerträglichen Verschiebungen des Äquivalenzgefüges in Betracht. Ergänzungen jenseits der Realisierung von Parteiplänen sind im dispositiven Recht zu suchen. Wenn auch dieses keine Regelung bereithält, dann mag man an eine Vertragsfortbildung durch richterlichen Interessenausgleich denken. Wann aber sollte das der Fall sein? Nur sehr restriktive Auffassungen über den Bereich des dispositiven Rechts können hier schnell zur Notwendigkeit von Vertragsfortbildungen kommen. Wer jedoch auch das durch Rechtsfortbildung über den möglichen Wortsinn gesetzlicher Normen geschaffene Recht zum dispositiven Recht zählt, für den gibt es keine Notwendigkeit, einen Bereich der Vertragsfortbildung über den der Realisierung von Parteiplänen hinaus anzuerkennen. Er siedelt das Problem da an, wo es systematisch hingehört: bei der richterlichen Fortbildung des dispositiven Rechts [21]. Es geht ganz einfach nicht mehr um die Ausgestaltung individueller Rechtsbeziehungen nach einem von diesen Individuen gefaßten Plan, sondern um die Entwicklung von Regeln, die unabhängig von individuellen Parteivorstellungen immer dann greifen sollen, wenn es an einem solchen Plan mangelt [22]. Diese Regeln bereitzuhalten, ist die Funktion des dispositiven Rechts. Will der Richter andere Regeln als die des dispositiven Gesetzesrechts einsetzen, dann muß er solche Regeln zur Ergänzung des dispositiven Rechts entwickeln. Seine Kompetenz zur Fortbildung des dispositiven Rechts und nichts anderes steht zur Diskussion.

2. Kriterien für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen

a) Verkehrssprache

Für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen scheidet der vom üblichen Sprachgebrauch abweichende gemeinsame Sprachgebrauch der an einem einzelnen Geschäft beteiligten Parteien als Richtigkeitskriterium aus. Das Bedingungswerk richtet sich an eine Vielzahl von Geschäftspartnern. Es wird in seiner inhaltlichen Ausgestaltung nicht von einem gemeinsamen Willen getragen, sondern allein vom Willen des Verwenders. Ihn trifft die Erklärungsverantwortung. Deren erster Ausfluß ist die Maßgeblichkeit des Sprachgebrauchs der Verkehrskreise, an die sich der Verwender des Bedingungswerks richtet. Allein für den Fall, daß über eine Bedingung und deren Bedeutung ausdrücklich gesprochen worden sein sollte, kommt eine Abweichung von diesem Sprachgebrauch in Betracht, sei es, weil diese Bedingung in den Rang einer Individualabrede gehoben worden ist, für die ohnehin andere Auslegungsgrundsätze gelten, sei es, daß die Erklärungsverantwortung auf den konkreten Gesprächspartner spezifiziert wird [23].

b) Semantische Spielräume

Für den Bereich semantischer Spielräume [24] kommt es weder in Anlehnung an subjektiv-teleologische Interpretationen zur Ausfüllung der Spielräume bei der Auslegung gesetzlicher oder vertraglich ausgehandelter Bedingungswerke zu einer Bedeutungsfestsetzung im Hinblick auf die vom Verwender verfolgten Zwecke, noch in Anlehnung an objektiv-teleologische Interpretationen aus den anderen Auslegungsbereichen zu einem Interessenausgleich im Lichte der vom Richter für angemessen erachteten Ziele und Risikoverteilungen [25].

Für subjektiv-teleologische Bedeutungsfestsetzungen fehlt es schon im Grundsatz an der Rechtssetzungsslegitimation des Verwenders. Sie ist für den parlamentarischen Gesetzgeber staatstheoretisch abgesichert und folgt für ausgehandelte Bedingungswerke aus dem Selbstbestimmungsrecht der Beteiligten. Für privat gestellte Bedingungswerke kann weder das eine noch das andere in Anspruch genommen werden. Allein dort, wo im ausgehandelten Teil eines Geschäfts gemeinsam getragene Zwecke ausgemacht werden können, gibt es einen tragfähigen Grund, Bedeutungsspielräume im gestellten Bedingungswerk so auszufüllen, daß den gemeinsam getragenen Zwecken Rechnung getragen wird.

Gegen objektiv-teleologische Bedeutungsfestsetzungen im Sinne eines richterlichen Interessenausgleichs wird man nicht mit derselben Überzeugungskraft grundsätzliche Erwägungen ins Feld führen können. Doch hat der Gesetzgeber des ABG-Gesetzes gegen sie votiert. § 5 AGBG ordnet in den Fällen sprachlich unklarer Allgemeiner Geschäftsbedingungen an, die dem Gegenüber des Verwenders günstigste Auslegungshypothese zu wählen [26]. Das ist ein weiterer Ausfluß der Erklärungsverantwortung des Verwenders.

c) Ergänzungen jenseits des möglichen Wortsinns

Verlassen wir den Bereich semantischer Spielräume im einseitig gestellten Bedingungswerk, kommen wir zu der Frage, ob es Fortbildungen des Bedingungswerks gegen den festgestellten Wortsinn oder doch über den festgestellten Wortsinn hinaus geben kann. Die Antwort lautet: “Grundsätzlich nein!” Das kann nach unseren Bemerkungen zur Vertragsfortbildung bei ausgehandelten Bedingungswerken nicht mehr überraschen. Schon dort war ja der Vertragsfortbildung über die Realisierung der Parteipläne hinaus die Legitimation abgesprochen worden. Hinter ihrem Schleier lugt die Fortbildung des dispositiven Rechts hervor. Die Kompetenz der Rechtsprechung zur Fortbildung des dispositiven Rechts bildet damit den eigentlichen Problemschwerpunkt. Man könnte allenfalls fragen, ob nicht der Gedanke der Realisierung der Parteipläne Raum auch für eine Fortbildung des Bedingungswerks fordert. Wo gemeinsam getragene, mithin nur aus dem Aushandlungsbereich zu gewinnende, Parteizwecke festgestellt werden können, hat man in der Tat eine Legitimationsbasis für eine Vertragsfortbildung. Sie mag in den Bereich des gestellten Bedingungswerks hineinreichen, stellt sich aber bei Licht besehen doch nicht als Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der richterlichen Ergänzung des Bedingungswerks dar, sondern lediglich als Ausprägung des Grundsatzes vom Vorrang der Individualabrede. Darüber hinaus sind Fortbildungen Allgemeiner Geschäftsbedingungen jenseits des vom angesprochenen Verkehrskreis bestimmten möglichen Wortsinns nur gerechtfertigt, wenn es um Regelungen zugunsten des Verwendungsgegners geht, die den Zwecksetzungen des Verwenders entsprechen [27]. Für sie bietet das Selbstbestimmungs- und Selbstbindungsrecht des Verwenders die Grundlage. Der Paradigmawechsel vom zweiseitig ausgehandelten zum einseitig gestellten Bedingungswerk verbietet nur die Belastung dessen, der nicht über die inhaltliche Gestaltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bestimmt. Der Verwender hingegen kann sich durch erkennbare Zwecksetzungen über das von ihm Gesagte hinaus selbst binden.

d) Ergebnisse

Zusammenfassend können wir folgende Merkmale der Inhaltsbestimmung eines durch Allgemeine Geschäftsbedingungen geregelten Schuldverhältnisses festhalten:

  1. Der Inhalt der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendeten Klauseln wird durch den Sprachgebrauch bestimmt, der in dem betreffenden Geschäftsbereich für den durchschnittlichen Adressaten gilt.
  2. Ein besonderer Sprachgebrauch für den individuellen Geschäftspartner kommt nur dann in Betracht, wenn die Klausel in den Rang einer Individualvereinbarung gerückt oder in ihrer Bedeutung für den individuellen Vertragspartner eigens erläutert worden ist.
  3. Durch semantische Spielräume bedingte Regelungslücken werden so ausgefüllt, daß die dem Gegenüber des Verwenders günstigste Alternative gewählt wird.
  4. Jenseits des möglichen Wortsinns einer Regelung darf der Richter die Regelung zulasten des Verwendungsgegners nur dann ergänzen, wenn die Ergänzung durch gemeinsam geteilte Zwecke der Vertragsbeteiligten legitimiert ist. Für eine Belastung des Verwenders reichen dessen einseitig gesetzten Zwecke.
  5. Sollten sich darüber hinaus Regelungslücken zeigen, tritt das dispositive Recht in Funktion. Es umfaßt das dispositive Gesetzesrecht wie das durch Rechtsfortbildung entwickelte dispositive Richterrecht.
  6. Das Problem der ergänzenden Vertragsauslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in Wirklichkeit ein Problem der richterrechtlichen Ergänzung des dispositiven Rechts und damit ein Problem der Kompetenzverteilung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung.

IV. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

1. BGHZ 90, 69 - “Tagespreisklausel”

Die Tagespreisklausel in den beim Bundeskartellamt als Konditionenempfehlung ordnungsgemäß angemeldeten Neuwagenverkaufsbedingungen lautete:

“Preisänderungen sind nur zulässig, wenn zwischen Vertragsabschluß und vereinbartem Liefertermin mehr als vier Monate liegen; dann gilt der am Tage der Lieferung gültige Preis des Verkäufers.”

Sie hatte der Bundesgerichtshof in einem Verbandsklageverfahren für unwirksam erklärt [28]. Den schon bald folgenden Rückforderungsklagen von Kunden, die nach Erlaß der Entscheidung im Verbandsklageverfahren den zur Zeit der Lieferung geltenden Listenpreis nur unter Vorbehalt gezahlt hatten, schob der Bundesgerichtshof - nun im Individualklageverfahren - einen Riegel vor [29]. Die Leitsätze der Leitentscheidung lauten:

a) Die Lücke in einem Vertrag, die durch die Unwirksamkeit einer Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen entsteht, kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden, wenn konkrete gesetzliche Regelungen zur Ausfüllung der Lücke nicht zur Verfügung stehen und die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel nicht zu einer angemessenen, den typischen Interessen des Klausel-Verwenders und des Kunden Rechnung tragenden Lösung führt.

b) Die unwirksame Tagespreisklausel in Nr. II 2 der im Kraftfahrzeughandel verwendeten Neufahrzeug-Verkaufsbedingungen ist danach durch eine Regelung zu ersetzen, die den Käufer zwar grundsätzlich zur Zahlung des bei Auslieferung gültigen Listenpreises verpflichtet, soweit dieser Preis einer nach billigem Ermessen zu treffenden Leistungsbestimmung durch den Verkäufer entspricht, die ihm aber andererseits ein Rücktrittsrecht einräumt, wenn die Preiserhöhung den Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten in der Zeit zwischen Bestellung und Auslieferung nicht unerheblich übersteigt.

a) Die Regelungslücke

Schon im ersten Leitsatz ist von einer Lücke im Vertrag die Rede. Diese Wendung nehmen die Entscheidungsgründe auf: “Infolge der Unwirksamkeit der Tagespreisklausel ist in dem Vertrag eine Lücke entstanden, die den Regelungsplan der Parteien vervollständigungsbedürftig macht” (S. 74). Hier tritt uns einmal eine Ambiguität des Lückenbegriffs entgegen. Zum anderen wird zur Bestimmung der Lücke unter Rückgriff auf den Regelungsplan der Parteien auf eine Kategorie zurückgegriffen, die wir in unserer Analyse für ausgehandelte Vertragsteile reserviert hatten.

Die Ambiguität des Lückenbegriffs liegt darin begründet, daß man von Regelungslücken sowohl in dem Zusammenhang spricht, in dem - von einer bestimmten Fallgestaltung aus betrachtet - ein Regelwerk für die betreffende Fallgestaltung keine Regel bereithält, als auch in dem Zusammenhang, in dem - von einem Plan des Regelsetzers aus betrachtet - ein Regelwerk sich als unvollständig erweist. In unserer Analyse des Auslegungs- und Ergänzungsproblems war nur von Lücken der ersten Art die Rede. Sie gab es in dem vom BGH entschiedenen Fall nicht. Mit dem Wegfall der Tagespreisklausel entfiel nur die Änderungsmöglichkeit des im Vertrage festgelegten Kaufpreises. Der festgelegte Preis blieb. Eine Anwendungslücke war nicht vorhanden. Der BGH bezieht sich deshalb auf eine Lücke der zweiten Art. Mit ihr will er die Unangemessenheit des anwendungsfähigen Regelwerks nahe- und die Aufgabe der Rechtsprechung zur Korrektur darlegen. Dazu braucht man indessen den Lückenbegriff gar nicht. Mit ihm werden weder Kompetenz- noch Begründungsfragen entschieden [30]. Die Kompetenz zur Ergänzung des Regelwerks nach dem Regelungsplan der Vertragsparteien ergibt sich schlicht aus der Aufgabe der Rechtsprechung, das von den Vertragsparteien Gewollte zu exekutieren. Der Regelungsplan liefert zugleich die Begründung für die plangerechte Änderung des Regelwerks. Nur gilt das alles nicht, wenn wir gar keinen gemeinsam getragenen Regelungsplan feststellen können. Und genau das ist der Fall, wenn wir uns in einem Bereich bewegen, in dem die Preisänderungsmöglichkeit vom Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen einseitig gesetzt wird [31]. Bei einseitiger Gestaltung der Vertragsbedingungen werden nur gelungene Pläne exekutiert. Das sind solche Pläne, die in ein Regelwerk gemündet sind, das äußerlich vollständig ist und zudem der Inhaltskontrolle standgehalten hat. Planwidrige Unvollständigkeiten aus der Sicht des Verwenders lassen das (Rest-)Regelwerk unberührt.

Die Notwendigkeit, das Regelwerk aus dem dispositiven Recht zu ergänzen, bestünde nur für den Fall, daß es sich für die konkrete Fallgestaltung als nicht anwendungsfähig erwiese (1. Variante des Lückenbegriffs). Das ist vom äußeren Regelungsgehalt her betrachtet nicht der Fall. Es steht ja ein Preis in der Vereinbarung [32]. Will man dennoch zu einer Ergänzung des Regelwerks kommen, muß man ein Unwerturteil über die Preisvereinbarung fällen. Das geht nur bei Äquivalenzstörungen, die das Festhalten des Vertragspartners an dem vereinbarten Preis unzumutbar machen. Auf den Einzelfall bezogen wäre eine solche Annahme in den Tagespreisklauselfällen schlicht abwegig. Allein in der Summe vieler Rückabwicklungsfälle hätte es zu spürbaren Belastungen der Automobilbranche kommen können. Ob sie die Grenze der Zumutbarkeit erreicht hätten, wissen wir nicht [33]. Der BGH erörtert die Frage in den offiziellen Entscheidungsgründen nicht. Im praktischen Ergebnis berücksichtigt er Massenphänomene in der Weise, daß nicht das einzelne Unternehmen, sondern die Masse seiner Kunden die Kosten einer unternehmerischen Fehlplanung zu tragen haben.

Der BGH überprüft das dispositive Gesetzesrecht darauf, ob es für seine Fallgestaltung eine Regelung bereithält. Nach unserer Auffassung ist das schon im Ansatz verfehlt, weil das Regelwerk der Parteien wegen der Preisvereinbarung keine Anwendungslücke enthält. Der BGH sieht das wohl anders. Die Preisvereinbarung habe sich auf den Preis “zur Zeit” (gemeint ist wohl zur Zeit des Vertragsschlusses) bezogen und deshalb den endgültigen Preis offen gelassen (S. 74). Diese Annahme steht allerdings im Widerspruch zu der Begründung, mit der eine Seite vorher die Anwendung des § 316 BGB verneint wird: “Wie der Senat in seinem Urteil vom 18. Mai 1983 ... näher begründet hat, ermöglicht die Verwendung der Worte Listenpreis nicht die Auslegung, die Parteien hätten auf eine Preisbestimmung bei Vertragsschluß verzichtet; vielmehr folgt aus dem Wortsinn ihrer Erklärungen und den Geschäftsbedingungen der Beklagten unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessenlage, daß sie einen bereits bei Vertragsschluß bestimmten Preis - unter dem (allerdings unwirksamen) Vorbehalt der späteren Änderung - vereinbart haben” (S. 73).

b) Dispositives Recht für ein essentiale negotii?

Bahnt man sich dennoch - etwas gewaltsam - den Weg zur Prüfung des dispositiven Rechts, so sollte man sich eigentlich nicht wundern, wenn man dort keine Antwort findet. Es geht bei der Festlegung und gegebenenfalls Änderung des Preises um ein essentiale des Geschäfts. Auf das muß man sich einigen, wenn das Geschäft überhaupt zustande kommen und wirksam sein soll [34]. Wie sollte da das für Regelungslücken in wirksamen Rechtsgeschäften gedachte dispositive Recht Regelungen bereithalten? [35] Lediglich der Münchhausentrick, die ergänzende Vertragsauslegung als Teil des dispositiven Rechts, der gesetzlichen Vorschriften im Sinne des § 6 Abs. 2 AGBG, anzusehen (S. 75 f.), bringt den BGH über diese Klippe hinweg. Für ihn beruft er sich auf die Gesetzesmaterialien. Dort findet sich indessen nichts darüber, daß der Inhalt der für den Vertrag notwendigen Hauptleistung durch ergänzende Vertragsauslegung geändert werden könne, sondern man trifft auf eine Bemerkung darüber, daß eine Regelung auch nach der Natur des Vertrages ergänzt werden könne [36]. Dabei geht es um Verträge, deren Wirksamkeit außer Frage steht, für deren Ausgestaltung in Einzelfragen indessen das dispositive Gesetzesrecht keine Antwort enthält, weil der Vertragstyp nicht zu den gesetzlich geregelten Vertragstypen zählt. Hier ist die Rechtsprechung wohl gehalten, das dispositive Recht ihrerseits erst noch zu entwickeln und dabei auf die Natur des Vertrages Bedacht zu nehmen. Für die Festlegung einer Entgeltvereinbarung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gibt das alles nichts her.

2. BGHZ 92, 363 - “Schönheitsreparaturen”

In der Schönheitsreparaturenentscheidung ging es nicht um die Ausfüllung einer Lücke, die durch die Unwirksamkeit einer Klausel in das einem Mietverhältnis zugrunde gelegte AGB-Werk gerissen worden wäre. Im Gegenteil: der Bundesgerichtshof hält die formularmäßige Abwälzung der Schönheitsreparaturen auf den Mieter für mit dem AGB-Gesetz vereinbar (S. 367 ff.). Vor diesem Hintergrund hatte ihm das Kammergericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt:

“Steht dem Vermieter preisgebundenen Altbauwohnraums bei Beendigung des Mietverhältnisses ein auf Geld gerichteter Ersatzanspruch gegen den vertraglich zur Tragung der Schönheitsreparaturen verpflichteten Mieter zu, wenn und soweit er den Anspruch auf Erfüllung der Verpflichtung zur Ausführung an sich fälliger Schönheitsreparaturen nach Treu und Glauben nicht geltend machen kann, weil er beabsichtigt, die Wohnung grundlegend zu modernisieren und umzubauen, und weil dadurch zwischenzeitlich vorgenommene Schönheitsreparaturen wieder zunichte gemacht würden.”

Der Bundesgerichtshof bejaht die Vorlagefrage. Die Anspruchsgrundlage schafft er durch ergänzende Vertragsauslegung. Da der Mietvertrag für den Fall des Umbaus der Wohnräume keine Regelung enthalte, es aber im Widerspruch zum Inhalt des Vertrages stände, wenn der Mieter für diesen Fall von seiner Verpflichtung zur Vornahme der Schönheitsreparaturen ersatzlos befreit würde, obgleich der Vermieter seine eigene Leistung voll erbracht habe, bestehe eine Vertragslücke, die ... durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen sei (S. 369 f.). Wieder dient die Lücke als Krücke der richterlichen Intervention. Der Formulartext enthält tatsächlich keine Regelung der Fallfrage. Doch wird die Lücke mit einem Auseinanderfallen der (nach dem Vertrage?) gebotenen Regelung und der gerechten Regelung begründet. Dabei ist die gerechte Regelung die, die sich nicht zum Inhalt (Geist?) des Vertrages in Widerspruch setzt. Der Inhalt des Vertrages gehe dahin, daß der, der vollständig leiste, auch die versprochene Gegenleistung bekommen solle [37].

Wer möchte dem nicht zustimmen und mit fliegenden Fahnen ins Lager des BGH stürmen? Nur: gibt es denn kein dispositives Recht, das eine Regelung für den von den Vertragsparteien, genauer: vom Verwender des Formularvertrages, nicht bedachten Fall bereithält? Ist dieses Recht etwa ungerecht? Kennt nicht auch das dispositive Recht den Grundsatz, daß, wer leistet, seinerseits den Anspruch auf die Gegenleistung hat und zur Wahrung des Äquivalenzprinzips seine Leistung zurückhalten oder zurückfordern kann, wenn die ausbedungene Gegenleistung ausbleibt? Auf alle diese Fragen bleibt der BGH die Antwort schuldig. Tragen wir sie mit knappen Worten nach: Das Leistungsstörungsrecht enthält die gesuchte Regelung. Sie ist gerecht und kennt den Grundsatz, daß der nicht leisten muß bzw. seine schon erbrachte Leistung zurückfordern kann, dem die für seine Leistung versprochene Gegenleistung endgültig vorenthalten bleibt (§ 323 BGB). Der Grundsatz gilt allerdings dann nicht, wenn der Gläubiger selbst das Ausbleiben der ihm versprochenen Leistung zu vertreten hat (§ 324 BGB). Was an dieser ausgewogenen Risikoverteilung ungerecht sein soll, vermag ich beim besten Willen nicht zu sehen. Sie bietet den angemessenen Ausgleich für den individuell ausgehandelten Leistungsaustausch wie für formularmäßig ausgestaltete Leistungsbeziehungen und bedeutet auf der Grundannahme des Bundesgerichtshofs, die Pflicht zur Ausführung von Schönheitsreparaturen sei ein Teil der Gegenleistung des Mieters für die Überlassung von Wohnraum durch den Vermieter [38]:

1. Wird die Erfüllung der Pflicht aus Gründen unmöglich, die weder der Mieter noch der Vermieter zu vertreten haben, so kann der Vermieter nach § 323 Abs. 3 BGB das seinerseits zu viel Geleistete nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung vom Mieter zurückfordern [39].

2. Macht der Vermieter dem Mieter die Pflichterfüllung unmöglich [40], ist der Mieter zu nichts mehr verpflichtet. Er behält nach § 324 Abs. 1 S. 1 BGB den Anspruch auf die Gegenleistung, auf die er sich auch nichts Erspartes anrechnen lassen muß (§ 324 Abs. 1 S. 2 BGB), weil er diese Leistung schon erhalten hat.

3. Wird die Ausführung der Schönheitsreparaturen infolge eines Umstands unmöglich, den der Mieter zu vertreten hat, so macht der Mieter sich schadensersatzpflichtig (§ 325 Abs. 1 S. 1 BGB) [41]. Die Haftungsausfüllung könnte allerdings Schwierigkeiten bereiten, wenn die Schönheitsreparaturen vom Nachmieter ausgeführt werden [42] oder wegen eines Umbaus nutzlos geworden wären [43]. Davon unberührt bliebe jedoch der Ausgleich des zu viel Erhaltenen nach §§ 325 Abs. 1 S. 3, 323 Abs. 3 BGB.

Ich sehe kein Gerechtigkeitsgebot, das eine Änderung dieser Risikoverteilung erzwänge, noch weniger die Kompetenz der Rechtsprechung zur Veränderung der Risikoverteilung des dispositiven Gesetzesrechts in diesem Bereich, sondern allenfalls einen Hang des 8. Zivilsenats zur ungebundenen Billigkeitsrechtsprechung unter dem Deckmantel ergänzender Vertragsauslegung zulasten schulgerechter und rechtsstaatsgemäßer Anwendung des dispositiven Gesetzesrechts.

Daß man auch eine andere Einstellung zum dispositiven Recht entwickeln kann, zeigt der 6. Zivilsenat [44]. Auf die Verwerfung einer Haftungsbeschränkungsklausel wegen Verstoßes gegen § 11 Nr. 7 AGBG erfolgt eine eingehende Prüfung des dispositiven Gesetzesrechts einschließlich seiner richterrechtlichen Fortentwicklungen. Der Senat sieht, daß die erwogene ergänzende Vertragsauslegung in Wirklichkeit eine Änderung des dispositiven Rechts wäre, und möchte dazu erst in Sonderlagen greifen, “in denen die gesetzliche Risikoverteilung für den Verwender und seine Leute selbst bei voller Berücksichtigung der Interessen der anderen Seite typischerweise unangemessen ist” (amtlicher Leitsatz).

Ein Spruch für das Stammbuch der Rechtsprechung!