Prof. Dr. Helmut Rüßmann

Zur Abgrenzung von Rechts- und Tatfrage*

* Erstveröffentlichung in H.J. Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, 1976, S. 242 bis 271


“Rechtsfrage oder Tatfrage - eine Frage ohne Antwort?” [1] - Jedenfalls eine Frage mit vielen Antwortversuchen [2]. Ihnen soll hier ein weiterer hinzugesellt werden unter Verzicht darauf, die Legion der bisherigen Abgrenzungsversuche in allen Einzelheiten Revue passieren zu lassen, unter Verzicht auch darauf, jede Wendung mit einem reichen Zitatenschatz zu belegen. Nicht gilt es, Belesenheit zu dokumentieren, sondern ein Problem systematisch zu behandeln. Dazu bedarf es der Herausarbeitung der unterschiedlichen Grundpositionen in der bisherigen Abgrenzungsdiskussion. Mit ihnen will ich mich auseinandersetzen. Die entwickelten Lösungen sollen indessen durch Argumente und nicht durch den Hinweis auf Autoren als Autoritäten überzeugen [3].

I. Das Problem

Ich behandele die Abgrenzung der Rechtsfrage von der Tatfrage allein als Problem des Revisionsrechts [4]. Es geht dann um die Feststellung (bzw. Festsetzung) von Überprüfungskompetenzen für ein in bestimmter Weise ausgezeichnetes Rechtsmittelgericht. Nach den gesetzlichen Regelungen (etwa §§ 549, 550, 561 Abs. 2 ZPO, 337 StPO, 137 VwGO) fällt die Kompetenzgrenze mit der Trennungslinie zwischen Rechtsfragen einerseits und Tatfragen andererseits zusammen. Offen ist nur, wo diese Linie verläuft. Es lassen sich, wie immer grob die Unterteilung ausfallen mag, drei Richtungen unterscheiden. Die erste [5] hält eine logisch-begriffliche Trennung für möglich und verbindlich. Die zweite hält die logisch-begriffliche Trennung zwar für weitgehend möglich, aber nicht für verbindlich [6]. Vertreter der dritten Richtung leugnen schließlich die Möglichkeit, Rechtsfragen und Tatfragen logisch-begrifflich voneinander zu trennen [7]. Da jedoch auch für sie die Grenzziehungsfrage bestehenbleibt, muß die Teleologie des Revisionsrechts die Antwort leiten. Angesichts des Streits um “den richtig verstandenen Zweck der Revision” sollte es da nicht wundern, wenn die Antworten höchst unterschiedlich ausfallen.

Karl Engisch, dem wir in den “Logischen Studien zur Gesetzesanwendung” aus dem Jahre 1943 eine auch heute noch eindrucksvolle Analyse von Rechts- und Tatfrage verdanken, konnte sich anläßlich der Zweit- und Drittauflage dieses Werks anfangs der sechziger Jahre nicht dazu entschließen, das Thema seiner Untersuchungen einer Neubearbeitung zu unterziehen. “Dazu hätte es eindringlicher Studien auf den Gebieten der modernen Logik und der Semiotik bedurft, die in den letzten Jahrzehnten sehr ausgebaut wurden und neuerdings auch für die juristische Logik in steigendem Maße bedeutsam werden” [8]. Man hat den Hinweis übersehen, und an diesem Versehen krankt die Diskussion um die Abgrenzung von Rechtsfrage und Tatfrage. Dieses Versehen allein rechtfertigt es aber auch, die Frage nach der Trennung von Rechtsfrage und Tatfrage erneut in Angriff zu nehmen - unter Berücksichtigung der Entwicklungen und Resultate der modernen Logik, analytischen Sprachphilosophie und Wissenschaftstheorie.

In dem zitierten Nachwort gibt Engisch [9] seiner Überzeugung Ausdruck, daß für die von ihm behandelten Fragen, mit der “traditionellen” Logik auszukommen sei. Die Überzeugung trügt. So vertraut der modus barbara (“Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Also ist Sokrates sterblich.”) dem Juristen auch sein mag, kann er doch modo barbara schließen: “Alle Mörder werden mit lebenslanger Einschließung bestraft. A ist ein Mörder. Also wird A mit lebenslanger Einschließung bestraft”, so wenig kann er (der modus barbara) darüber hinwegsehen lassen, daß in der traditionellen Logik die logischen Zeichen “ ” (Negation), “ ” (und), “ ” (oder), “ ” (wenn, dann), “ ” (immer wenn und nur wenn, dann) nicht explizit bestimmt sind. Wir benötigen aber diese Zeichen, um problemlos etwa kumulative Tatbestandsvoraussetzungen durch “ ”, alternative durch “ ” verbinden, Ausnahmeregeln mit “ ” notieren und den Übergang von den Tatbestandsvoraussetzungen zur Rechtsfolge mit “ ” ausdrücken zu können. Die traditionelle Logik muß angesichts komplexer Zusammenhänge zu einer Unzahl von Hilfssyllogismen Zuflucht nehmen, deren Zusammenspiel sie vielleicht noch intuitiv erfassen, aber nicht mehr logisch darstellen kann. Sie kennt zudem nur einstellige Prädikate, die in allgemein oder partikulär bejahenden oder verneinenden Urteilen (=Sätzen) auftreten, und ist nicht in der Lage, Sätze mit zwei- oder mehrstelligen Prädikaten zu bilden - auch nicht dem Juristen so vertraute Sätze wie den, daß a Schuldner des b ist. Diese Unzulänglichkeiten der traditionellen Logik legen es nahe, zum Zwecke der Verdeutlichung logischer Zusammenhänge die moderne Logik heranzuziehen. In einem Kalkül des natürlichen Schließens [10] der Prädikatenlogik erster Stufe verfügen wir über hinreichend starke Ausdrucksmöglichkeiten, um auch komplexere Zusammenhänge wie den des richterlichen Syllogismus darzustellen. Dabei soll von der Symbolisierung fach- und umgangssprachlicher Sätze nur sehr sparsam Gebrauch gemacht werden, um nicht dem in der Logik ungeübten Leser die Lektüre unnötig zu erschweren [11]. Mit einigen wenigen Symbolen muß er sich dennoch vertraut machen.

Da sind zunächst die oben angeführten (aussagen-)logischen Zeichen (Junktoren). Sie treten im Zusammenhang mit Sätzen auf, für die wir abkürzend “p, q, r ...” notieren, und sind in ihrer Bedeutung durch die Wahrheitswerte der Teilsätze [12] des komplexen Satzes bestimmt. Man bringt dies in der Regel durch Wahrheitswerttabellen zum Ausdruck, kann es aber auch umgangssprachlich formulieren:

Es leuchtet ein, daß über die Wahrheit oder Falschheit bestimmter (komplexer) Sätze allein aufgrund ihrer (aussagen-)logischen Struktur, aufgrund der in ihnen vorkommenden logischen Zeichen entschieden werden kann. Stellt etwa jemand eine Behauptung auf und behauptet er gleichzeitig ihr Gegenteil (nämlich “ ”), so wissen wir, ohne die Bedeutung von “p” zu kennen, daß eine solche komplexe Behauptung auf keinen Fall wahr sein kann. Sie ist widersprüchlich (logisch falsch, kontradiktorisch) und macht wegen der Bedeutung des Konditionals (ex falso quodlibet) [13] jedes Aussagensystem, in dem sie vorkommt, wertlos. Aber auch die umgekehrte logische Determination (Wahrheit) kommt in Betracht. So verhält es sich etwa mit der Bauernregel: ”Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist.” Logisch ist der Satz von folgender Struktur “ ” - ein Konditional, das wegen der logischen Wahrheit des Hinterglieds in keiner nur denkbaren Welt falsch sein kann. [14] Der an einer Wettervorhersage Interessierte fühlt sich allerdings zurecht auf den Arm genommen. Der Satz ist ohne Informationsgehalt, eben weil er logisch wahr ist und zu keiner nur denkbaren Gestaltung der Welt in Widerspruch treten kann. Allein die logisch nicht determinierten Sätze enthalten Informationen über das, was ist, und geben (in normativen Zusammenhängen) an, was zu tun ist. Deshalb muß es von vornherein Verwunderung auslösen, wen Henke im Zusammenhang mit unbestimmten Rechtsbegriffen den Revisionsgerichten einen “aufgelockerten” Syllogismus empfiehlt, hinter dem sich nichts anderes als Sätze von der Qualität jener Bauernregel verbergen. “Setzt ein Ehemann in einem Testament unter gleichzeitiger Enterbung seiner Ehefrau zu Erben seine Kinder und außerdem eine andere Frau ein, mit der er ehewidrige, wenn auch nicht auf geschlechtlichem Gebiet liegende Beziehungen unterhalten hat, und bevorzugt er die Frau sogar vor den Kindern, so können solche Bestimmungen des Testaments, in denen diese Frau bevorzugt bedacht wird, wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sein” [15]. Wortreiche Gehaltlosigkeit von der Struktur “Wenn p, dann q oder auch nicht q”!

Mit solchen Sätzen mag man Ableitungszusammenhänge auflockern, so viel man will. Sie schaden nicht, weil korrekte (vollständige) Ableitungen durch das Einfügen von logisch wahren Sätzen nicht falsch werden können. Sie nützen aber auch nichts, weil unvollständige Ableitungen durch sie allein nicht zu vollständigen (korrekten) gemacht werden können. Ich komme darauf zurück, wenn ich meinerseits die logische Struktur des richterlichen Syllogismus unter Einschluß der unbestimmten Rechtsbegriffe analysiere. Dabei entferne auch ich mich sicherlich von dem durch den modus barbara der traditionellen Logik geprägten Bild - nicht indessen, um dieses durch gehaltlose Tautologien “aufzulockern”, sondern um es zur Verdeutlichung der für das konkrete rechtliche Sollensurteil notwendigen und hinreichenden Prämissen zu präzisieren. Dazu bedarf es der Einführung einiger zusätzlicher Symbole, die uns eine hinreichend differenzierte Sprache zur Verfügung stellen, um über die Aussagenlogik hinausgehen und durch die innere Struktur der Sätze (über Quantoren und Prädikate) bedingte logische Zusammenhänge aufzeigen zu können. Es ist dies die Sprache der Prädikatenlogik erster Stufe.

Wir notieren:

a, b, c, ... für Gegenstandskonstante und Eigennamen,

F, G., H, ... für Prädikate,

x, y, z, ... für Gegenstandsvariable,

... für Quantoren, mit denen Gegenstandsvariable gebunden werden können.

Dabei bezeichnet “ ” den Allquantor:

für alle x gilt (...)

und “ ” den Existenzquantor:

es gibt mindestens ein x, für das gilt (...).

Mit den bekannten Zeichen der Junktorenlogik lassen sich nun umgangs- und fachsprachliche Sätze beliebiger Komplexität [16] in die Symbolik der Prädikatenlogik übertragen und auf ihre logischen Strukturen und Zusammenhänge überprüfen. Einige (zunächst auf die Übersetzung beschränkte) Beispiele mögen das verdeutlichen:

  1. Hans (a) ist ein Mörder (F): “Fa”.
  2. Hans (a) hat Peter (b) geschlagen (G) und Otto (c) beleidigt (H): “
  3. Alle Mörder (F) sollen bestraft werden (G): “ [17] (wörtliche Rückübersetzung: Für alle Dinge dieser Welt gilt, wenn sie Mörder sind, dann sollen sie bestraft werden [18]
  4. Einige Schuldner (S) zahlen (Z) nicht: “ ” (wörtliche Rückübersetzung: Es gibt mindestens ein Ding, für das gilt: es ist ein Schuldner und es zahlt nicht.)

Die Sätze (3) und (1) sind häufig bemühte Ober- und Untersatzbeispiele für den richterlichen Syllogismus im Gewande des modus barbara, mit dem messerscharf auf den Schlußsatz: Hans wird bestraft; “Ga” geschlossen wird. Können wir das aber wirklich so ohne weiteres? Notieren wir die Prämissen: [19]

1. (1) [20]
2. Fa(2)

Ein Übergang zu der Konklusion “Ga” fällt jedenfalls nicht unmittelbar ins Auge. Dennoch haben wir das Gefühl, daß ein solcher Übergang möglich sein muß. Gefühle mögen täuschen, und die moderne Logik soll sich ja gerade dadurch auszeichnen, daß, nachdem man einige Übergangsregeln akzeptiert hat, die Form allein und kein trügerisches Gefühl über die korrekte Ableitung, die logische Folgerungsbeziehung, entscheidet. Wir benötigen für unsere Zwecke zwei Übergangsregeln. Die erste besagt, daß Zusammenhänge, die von allen Dingen mit einer bestimmten Eigenschaft behauptet werden, auch für ein konkretes Objekt mit eben dieser Eigenschaft gelten (Allbeseitigung - symbolisch: Der Satz “ ” ist logisch wahr. Mit noch anderen Worten: aus “ ” folgt “ ”.) Die zweite besagt, daß, wer “ ” und “p” annimmt, auch “q” annehmen muß (modus ponendo ponens - symbolisch: Der Satz “ ” ist logisch wahr. Mit anderen Worten: aus “ ” und “p” folgt “q”). Mit Hilfe dieser Regeln läßt sich die begonnene Ableitung vervollständigen:

3. Allbeseitigung (1)
4. Gamodus ponens (2) (3)

Mit diesem Instrumentarium sind wir nun hinreichend gerüstet, um die Abgrenzung der Rechtsfrage von der Tatfrage vornehmen zu können. Es ist, so viel kann schon jetzt gesagt werden, eine Abgrenzung zwischen Sätzen, die die Prämissen (= logischen Voraussetzungen) für das konkrete Sollensurteil im Spruch des Richters darstellen. Welche das sind, hoffe ich, mit Hilfe der logischen Rekonstruktion einer juristischen Entscheidung aufzeigen zu können. Ob eine Abgrenzung der ja für das konkrete rechtliche Sollensurteil logisch gleichwertigen Prämissen und damit eine (auch praktikable) Kompetenzverteilung zwischen Tatsacheninstanz und Revisionsinstanz gelingt, muß die anschließende Diskussion erweisen.

Zuvor bin ich jedoch dem Leser noch eine Erläuterung schuldig. Wer sich mit früheren Abgrenzungsversuchen zur Rechtsfrage und Tatfrage beschäftigt hat, wird ihm von daher vertraute Bilder und Begriffe hier nicht wiederfinden. Weder spreche ich von Denkakten, welche Tatsachenfeststellungen und Rechtsregelerkenntnissen notwendig vorausgehen und begleiten sollen [21], noch setze ich mich mit der angeblichen (Un-)Trennbarkeit von Begriffssystemen (hier Rechtsbegriffe, dort Tatsachen- oder Sozialbegriffe) [22] auseinander und werde das auch im Verfolg der weiteren Ausführungen nicht tun. Diesen Redeweisen liegen nämlich Konfusionen zugrunde, die nur Verwirrung in die Diskussion um die Abgrenzung von Prüfungskompetenzen tragen. Meint man mit den Denkakten etwa tatsächliche Vorgänge im Hirn des rechtsanwendenden Richters? Dann machte man die Abgrenzung von Rechtsfrage und Tatfrage von höchst zweifelhaften empirischen Annahmen abhängig. Wir haben nämlich kaum fundiertes Wissen darüber, was sich in Köpfen von Richtern bei der Rechtsanwendung abspielt. Und selbst wenn uns der wissenschaftliche Fortschritt detaillierte Kenntnisse über die tatsächlichen Abläufe im Gehirn des denkenden Menschen bescheren wird, sollen die Rechtsmittelgerichte diese Vorgänge überprüfen? Geht es nicht vielmehr um Sätze, deren Geltung zur Diskussion steht, unabhängig davon, welche inneren Vorgänge im Sprecher/Schreiber ihre Genese bilden? Wer von Denkakten spricht, verfehlt das Problem, unterliegt der Gefahr, Logik mit Psychologie zu verwechseln, fällt einer Konfusion zum Opfer, von der sich die Wissenschaft von der Logik schon lange befreit hat [23]. Die Logik macht keine Aussagen darüber, wie gedacht wird, sondern stellt Regeln darüber auf, wie gedacht werden sollte. Die Regeln geben etwa an, wie man salva veritate aus gegebenen Sätzen andere Sätze gewinnen (ableiten) kann. Sie sind in empirischen Zusammenhängen ein Hilfsmittel bei der Lösung von Erklärungs-, Prognose- und Maßnahmeproblemen und dienen in normativen Zusammenhängen dazu, Tatbestandsbeschreibungen mit Anweisungen zu verknüpfen.

Immer geht es um Sätze, nicht um Begriffe. Nur von Sätzen kann sinnvoll gesagt werden, sie seien wahr oder falsch (empirische Behauptungen), sie gälten oder nicht (normative Sätze). Begriffen kommt für sich weder Wahrheit noch Geltung zu. Sie sind Instrumente, mit deren Hilfe informierende und regelnde Sätze gebildet werden. Deshalb rede ich nicht über die (Un-)Trennbarkeit von Begriffssystemen, sondern untersuche die Möglichkeiten, unter den Sätzen zu differenzieren, die die hinreichenden und notwendigen Prämissen für ein konkretes rechtliches Sollensurteil sind, und jene Sätze auszuzeichnen, die der Prüfungskompetenz der Revisionsgerichte unterfallen.

II. Die Rekonstruktion des konkreten richterlichen Urteils

Bei der Rekonstruktion der Sätze, die notwendig und hinreichend sind, um das konkrete richterliche Sollensurteil zu begründen, gehe ich von einer Voraussetzung aus, die wohl allgemein akzeptiert, jedoch selten expliziert wird [24]. Diese Voraussetzung lautet: Das richterliche Urteil ist eine zu beweisende Behauptung. Für die Beweisführung müssen wir zwei Bereiche unterscheiden: den logischen einerseits, den außerlogischen andererseits. Der logische Beweis ist geführt, wenn das konkrete Sollensurteil aus den angenommenen Prämissen ohne weitere inhaltliche Zusatzannahmen folgt. Das bedeutet: Prämissen und Konklusion müssen zusammen einen logisch gültigen Satz, der hochkomplex sein kann und regelmäßig auch ist [25], bilden. Der außerlogische Beweis ist geführt, wenn die am logischen Beweis beteiligten Prämissen als wahr erwiesen werden können. Hier interessiert zunächst nur der logische Beweis. An ihm sind mindestens zwei Klassen von Sätzen beteiligt, nämlich Rechtssätze einerseits und faktisches Geschehen beschreibende Sätze andererseits. Die Rechtssätze können Gesetze im staatsrechtlichen Sinne sein, müssen es aber bei Anerkennung von Gewohnheitsrecht und der richterlichen Rechtsfortbildungskompetenz nicht. Sie haben als allgemein formulierte Sätze folgende Grundstruktur [26]:

1. (1) [27]

Aus dem allgemeinen Rechtssatz kann durch Allbeseitigung auf den speziellen Rechtssatz

2. (1)

geschlossen werden. Dieser Übergang ist trivial und wird bei der Rechtsfindung kaum verfehlt werden. Die das faktische Geschehen beschreibenden Sätze sind von der Struktur:

3. Ta(3)

Es sind konjunktiv zusammengefaßte singuläre empirische Sätze, die von einem bestimmten Ding a das Merkmal T behaupten. Man sieht sofort, daß von (2) und (3) mit Hilfe des modus ponens auf

4. Ra(2) (3)

übergegangen werden kann. (4) ist das mittels (1) (=allgemeiner Rechtssatz) und (3) (=singulärer empirischer Feststellungssatz) logisch korrekt erschlossene konkrete Sollensurteil. Muß man um dieser Trivialität willen einen derartigen Aufwand treiben? Sicherlich nicht! Die dargestellte Ableitung geht nicht über das hinaus, was bislang mit Gesetz als Obersatz, der Sachverhaltsbeschreibung als Untersatz und der (konkreten) Rechtsfolge als Schlußsatz zum richterlichen Syllogismus geadelt wurde, und bleibt noch hinter Larenz' Symbolisierung des Schlußverfahrens [28] zurück

aus der man wenigstens ahnen kann, daß die Gleichsetzung von Lebenssachverhalt und gesetzlichem Tatbestand möglicherweise ein Problem ist. Gerade für die Einordnung dieses Problems in den Ableitungszusammenhang wird sich aber der betriebene Aufwand als sinnvoll und lohnend erweisen. Eines können wir schon jetzt festhalten: Ein Urteil, das das tatsächliche Geschehen ausschließlich mit Begriffen beschreibt, die die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale bilden, ist logisch unangreifbar korrekt. Wird indessen der Sachverhalt mit anderen als den zur Normformulierung verwendeten Begriffen beschrieben, ist ohne Zusatzannahmen zur Norm und zur Sachverhaltsbeschreibung ein logischer Übergang zum konkreten Sollensurteil nicht möglich.

Machen wir uns an einem Beispiel klar, in dem einer Urkunde (u) die Rechtswirkung abgesprochen (N) wird. Das Ergebnis lautet also “Nu”. Die Rechtsnorm möge sein: “Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig” (§ 138 BGB) - symbolisiert:

1. (1)

Für alle x gilt, wenn x ein Rechtsgeschäft (R) und x sittenwidrig (S) ist, dann ist x nichtig (N).

Der zu beurteilende Sachverhalt betreffe ein Testament, in dem eine Mätresse zur Erbin eingesetzt wird - symbolisiert:

2. (2)

u ist ein Testament (T) und begünstigt eine Mätresse (M).

Auch wenn wir durch Spezialisierung von (1) den Allquantor beseitigen:

3. (1)

ist ohne weitere Zusatzannahmen kein Schluß auf “Nu” möglich. Lockern wir den “Syllogismus” nach dem Vorgang von Henke [29] auf, so können wir in den Ableitungszusammenhängen einfügen:

4. (4)

Für alle x gilt, wenn x ein Testament ist und x eine Mätresse begünstigt, dann ist x nichtig oder nicht nichtig.

Durch Allbeseitigung gewinnen wir:

5. (4)

Nun können wir den modus ponens auf (2) und (5) anwenden, erhalten

6. (2) (5)

und sind so klug als wie zuvor.

Wir benötigen keinen solchermaßen aufgelockerten Syllogismus, sondern Sätze, die einen Übergang von (1) bzw. (3) und (2) auf “Nu” ermöglichen. Das sind Sätze, die über die im Rechtssatz verwendeten Begriffe reden. Wir müssen, um vertrauter juristischer Metaphorik Raum zu geben; die Begriffe entfalten [30]. Vervollständigen wir zur Verdeutlichung die oben begonnene Ableitung durch Einführung solcher Prämissen, die den Schluß auf “Nu” erlauben:

7. (7)

Für alle x gilt, wenn x ein Testament ist, dann ist x ein Rechtsgeschäft.

8. (8)

Für alle x gilt, wenn x Mätressen begünstigt, dann ist x sittenwidrig.

In (7) und (8) begegnen uns semantische Regeln [31], Sätze, die etwas über die in dem Rechtssatz (1) verwendeten Begriffe sagen. Es sind jeweils Regeln für das Zusprechen dieser Begriffe. Nunmehr bedarf es nur noch der logischen Regeln, um die Ableitung durchzuführen. Aus (7) folgt durch Spezialisierung (Allbeseitigung):

9. (7)

Aus (8) folgt durch Spezialisierung

10. (8)

Aus (2) folgen durch Konjunktionsabtrennung

11. Tu(2)

und

12. Mu(2)

Aus (11) und (9) folgt mit Hilfe des modus ponens

13. Ru(11) (9

Der modus ponens auf (10) und (12) angewendet, ergibt

14. Su(10) (12

Fassen wir (13) und (14) konjunktiv zusammen:

15. (13) (14)

so ermöglicht uns der modus ponens den Schluß von (15) und (3) auf den zu beweisenden Satz:

16. Nu(15) (3)

Diese Ableitung ist ein wenig umständlich und insofern kontraintuitiv, als sie den Anschein erweckt, daß die “Begriffsentfaltung” den “falschen” Weg von der Sachverhaltsbeschreibung zum Rechtssatz gegangen sei. Es gibt einen anderen (logisch gleichwertigen) Weg, der diesen Eindruck vermeidet, dafür aber von einer Regel Gebrauch machen muß, die wir bisher nicht eingeführt haben: der Transitivitätsregel. Sie besagt, daß wenn q aus p und r aus q, dann r aus p folgt. Symbolisch: Der Satz “ ” ist logisch wahr [32]. Mit der Transitivitätsregel nimmt unsere Ableitung folgende Gestalt an:

1. (1)Rechtssatz
2. (2)semantische Regel
3. (3)semantische Regel
4. (1) (2) (3)zweifache Anwendung der Transitivitätsregel
5. (4)Spezialisierung
6. (6)singulärer empirischer Satz
7. Nu(5) (6)modus ponens

An dieser Ableitung sind vier Prämissen beteiligt. Prämissen sind die Sätze, die keine logischen Folgerungen aus anderen Sätzen der Ableitung darstellen; hier die Sätze (1), (2), (3) und (6). Bei (1) handelt es sich um einen Rechtssatz, bei (2) und (3) um partielle semantische Charakterisierungen der im Antecedens des Rechtssatzes verwendeten Begriffe und bei (6) um die Konjunktion singulärer empirischer (Atom-)Sätze über die (außersprachliche) Realität. Zusammen mit den Ableitungsregeln ergeben sie das konkrete Urteil (7). Bei einer solchen Rekonstruktion der am logischen Beweis des konkreten rechtlichen Urteils beteiligten Sätze fällt es nicht schwer, jene Sätze zu markieren, die allemal als Rechtsfragen der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegen sollten: die Rechtssätze und die über die in den Rechtssätzen verwendeten Begriffe gebildeten Sätze. Dies entspricht der im Grundsatz allgemein geteilten Annahme, daß das Revisionsgericht frei sei in der Auswahl und Interpretation der Rechtssätze. Es sollte zudem die Einhaltung der logischen Regeln überprüfen, die eine widerspruchsfreie und vollständige Ableitung zum konkreten rechtlichen Urteil verlangen. An eine Bindung des Revisionsgerichts an Sätze der Instanzgerichte ist allenfalls hinsichtlich der Prämissen der Ableitung zu denken, die Aussagen über das faktische Geschehen, den Sachverhalt, enthalten. Es wird später zu zeigen sein, daß das Revisionsgericht auch in diesem Bereich der Tatfrage die Einhaltung von Verfahrens- und Begründungsregeln überwachen darf. Zuvor gilt es, die vorgeschlagene Abgrenzung von Rechtsfrage und Tatfrage zu testen. Nur wenn sie sich in den kritischen Fällen, die man für die These der Nicht- oder nur beschränkten Durchführbarkeit der Abgrenzung ins Feld führt [33], bewährt, werden wir sie schließlich akzeptieren.

III. Die Untrennbarkeit von Rechts- und Sozialbegriffen

Eine erste kritische Instanz haben wir schon früher angesprochen. Es ist unumgänglich, ja um der logischen Korrektheit der Ableitung willen notwendig, daß die zur Beschreibung des faktischen Geschehens verwendeten Begriffe auch in Sätzen auftreten, die nach der bisher vorgeschlagenen Abgrenzung der Kompetenz des Revisionsgerichts unterliegen, möge es sich um Rechtssätze oder Sprachregeln über die in den Rechtssätzen verwendeten Begriffe handeln [34]. Wer die Abgrenzung von Rechtsfrage und Tatfrage an der Differenzierung von Rechtsbegriffen und Sozialbegriffen festmachen will, stößt hier auf unüberwindbare Schwierigkeiten. Es ist in der Tat eine Frage des Beliebens [35], ob die in den Ableitungen

AundB
1. (1)1. (1)
2. (1)2. (2)
3. Ta(3)3. (3)
4. Ra(2) (3)4. (1) (2) (3)
5. (4)
6. (6)
7. Nu(5) (6)

sowohl in singulären empirischen Sätzen als auch in Rechtssätzen bzw. Sätzen über Rechtssätze verwendeten Begriffe T einerseits und T und M andererseits als Sozialbegriffe oder als Rechtsbegriffe bezeichnet werden. Das spricht indessen nicht gegen eine dem Belieben entzogene Möglichkeit, Rechtsfrage und Tatfrage voneinander abzugrenzen. Die Abgrenzung hat halt nicht an Begriffen, sondern an Sätzen anzusetzen, die für die Ableitung des konkreten richterlichen Urteils hinreichend und notwendig sind. Wer aber wollte ernstlich bestreiten, daß unter den Sätzen der angeführten Ableitungen unterschieden werden könne zwischen Sätzen über die außersprachliche Realität (Tatfrage), Rechtssätzen und Sätzen über die Sprache der Rechtssätze (Rechtsfrage)? Und doch ist mit der Möglichkeit dieser Unterscheidung noch keine sinnvolle Kompetenzverteilung zwischen Instanzgerichten und Revisionsgericht gewährleistet.

Die skizzierte Abgrenzung schließt nicht solche Sachverhaltsbeschreibungen aus, die sich auf die Verwendung (Wiederholung) der in den Rechtssätzen verwendeten Begriffe beschränken (Ableitung A). Das Revisionsgericht hätte dann nur noch darüber zu urteilen, ob der herangezogene Rechtssatz auch gilt. Die Frage seiner richtigen Anwendung stellte sich nicht, es sei denn als Frage nach der Einhaltung der logischen Ableitungsregeln. Wohl aber mag sich die Frage stellen, was sich denn eigentlich zugetragen habe, auf welches faktische Geschehen denn das Recht angewendet worden sei. Und diese Frage stellt sich wahrscheinlich (weder immer, noch nur) dann, wenn die zur Sachverhaltsbeschreibung und zur Rechtssatzformulierung verwendeten Begriffe in dem Sinne abstrakt sind, daß sie auf mehrere und in Einzelheiten durchaus unterschiedliche Geschehen zutreffen können.

Streiten etwa die Parteien um die Berechtigung eines Kaufpreisanspruchs, so ist dem Revisionsgericht mit der Sachverhaltsbeschreibung: “Die Parteien haben am ... einen Kaufvertrag geschlossen” nicht gedient. Es weiß nicht, was geschehen ist, und kann um dessentwillen die in seinen Kompetenzbereich fallende Frage nicht beantworten, ob denn das Recht richtig angewendet worden sei. Man ist angesichts dieses Beispiels geneigt, eine Regel zu postulieren, die von den Instanzgerichten verlangt, den Sachverhalt nur mit solchen Begriffen zu beschreiben, die nicht in den Rechtssätzen verwendet werden. Doch müßte eine derartige Regel zurückgewiesen werden, weil sie einerseits zu streng, ja undurchführbar, und andererseits zu liberal wäre. Die übergroße Strenge zeigt sich etwa, wenn die Parteien um die Berechtigung eines Kaufpreisanspruchs wegen eines angeblichen Mangels der Kaufsache streiten. Hier genügt der oben zitierte Satz zur Sachverhaltsbeschreibung (für den Abschluß des Vertrages) und muß lediglich um Angaben zur Beschaffenheit der Kaufsache ergänzt werden. Die Undurchführbarkeit erweist sich bei den logischen Zeichen. Konjunktionen und Negationen treten in Normformulierungen und Sachverhaltsbeschreibungen notwendig dann auf, wenn es um mehr als ein Merkmal geht. Die allzu große Liberalität der propagierten Regel wird deutlich, wenn zur Sachverhaltsbeschreibung zwar ein außergesetzlicher Begriff verwendet wird, der uns indessen wie mancher gesetzliche darüber im Unklaren läßt, was konkret man mit ihm beschreibt. Dies ist etwa der Fall, wenn ein schädigendes Verhalten ohne nähere Angaben als verwerflich (und damit sittenwidrig - § 826 BGB) bezeichnet wird.

Unsere Erörterungen haben noch keine Lösung gezeigt. Sie versetzen uns aber in die Lage, das Problem ein wenig klarer zu sehen. Rechtsfrage und Tatfrage können voneinander abgegrenzt werden, wenn wir nicht nach Begriffen, sondern nach Sätzen differenzieren, die die Ableitung des konkreten richterlichen Urteils gestatten. Diese Abgrenzung verbürgt indessen noch keine sinnvolle Kompetenzverteilung zwischen Revisionsgericht und Instanzgerichten. Es bedarf vielmehr einer zusätzlichen Regel, welche Anforderungen an die Sachverhaltsbeschreibung (Tatbestandsformulierung) durch die Instanzgerichte festlegt und deren Verletzung das Revisionsgericht zur Aufhebung (und Zurückverweisung) der angefochtenen Entscheidung berechtigt.

Das Revisionsgericht kann die Rechtsanwendung durch die Instanzgerichte nur überprüfen, wenn deren Sachverhaltsbeschreibung informativ ist. Die Sachverhaltsbeschreibung ist informativ, wenn der Leser weiß, welche Phänomene die verwendeten Begriffe bezeichnen. Für dieses Wissen spielt es keine Rolle, ob die verwendeten Begriffe gesetzliche oder außergesetzliche sind. Allein der deskriptive Gehalt der verwendeten Begriffe ist entscheidend. Er wird durch Intensionen (semantische Regeln) bestimmt. Sie müssen (für den Einzelbegriff oder doch im Zusammenspiel mit den anderen Begriffen) so beschaffen sein, daß der Satzkomplex die Ausgrenzung eines realen Geschehens vom Gesamtgeschehen ermöglicht. Kurz: Die Sachverhaltsbeschreibung ist sprachlich so zu gestalten, daß man weiß, was geschehen ist.

Diese Regel ist nach den oben diskutierten kritischen Instanzen weder zu streng: sie gebietet nicht die Verwendung lediglich außergesetzlicher Begriffe, noch zu liberal: sie verbietet die Sachverhaltsbeschreibung mit uninformativen Begriffen. Und doch ist sie eigentümlich vage: sie bietet uns kein einfach zu handhabendes Kriterium, das die denkbaren Sachverhaltsbeschreibungen zweifelsfrei in regelgerechte und nicht regelgerechte einteilt. Dafür zeichnen zwei Gründe verantwortlich: Der eine ist von (rechts-)pragmatischer, der andere von prinzipieller Art. Beide verweisen letztlich auf das angerufene Revisionsgericht als den Verwalter der Regel, der über Einhaltung und Nichteinhaltung ad hoc entscheidet.

Der pragmatische Grund nimmt Rücksicht auf die jeweilige Streitgestaltung. Obwohl unter logischen Gesichtspunkten sämtliche für die Ableitung des konkreten richterlichen Urteils überhaupt notwendigen Rechtssatzprämissen (und innerhalb dieser sämtliche Tatbestandsmerkmale) gleichwertig sind, geht der Rechtsstreit doch in aller Regel nur um einige Merkmale einiger der für die Ableitung erforderlichen Rechtssatzprämissen. Nur bei ihnen setzt praktisch die Überprüfung durch das Revisionsgericht ein. Nur für sie verlangt man nach einer detaillierten Beschreibung des Geschehens. So mögen im Streit um den Fehlerbegriff ins einzelne gehende Angaben zum Abschluß des Kaufvertrages fehlen, die für einen Streit um die Wirksamkeit des Vertrages im Hinblick auf einen möglichen Einigungsmangel unverzichtbar wären. Was verlangt wird, entscheidet das Revisionsgericht. Es kann sich mit den vorhandenen Angaben begnügen oder um Sachaufklärung bitten auch dort, wo bislang nicht gestritten wurde. “Pragmatisch” nenne ich diesen Grund für die Vagheit der Regel, weil er prinzipiell durch detaillierte Angaben überwunden werden kann. Für den von mir “prinzipiell” genannten Grund ist diese Möglichkeit ausgeschlossen. Dabei geht um folgendes:

Das Revisionsgericht erhält die tatsächlichen Informationen über Sachverhaltsbeschreibungen der Instanzgerichte. Um zu dem Urteil zu kommen, es wisse, was nach der Schilderung der Instanzgerichte geschehen sei, muß es mindestens zwei Annahmen machen, die für es nicht weiter überprüfbar sind. Es muß erstens annehmen, daß es sich seinerseits der Intensionen (semantischen Regeln) der zur Beschreibung verwendeten Begriffe korrekt erinnert, und es muß zweitens annehmen, daß das Instanzgericht die Begriffe nach eben diesen Regeln verwendet hat. Eine (fiktive) Dialogsituation zwischen Instanzgericht (I) und Revisionsgericht (R) mag dies verdeutlichen.

I: “A und B haben einen Kaufvertrag geschlossen.”

R: “Was ist geschehen?”

I: “A und B haben Erklärungen gewechselt, nach denen A gegen Zahlung von Geld eine Sache von B bekommen sollte.”

R: “Was ist geschehen?”

I: “B hat sein gebrauchtes Kfz zum Verkauf angeboten, und A hat das Angebot angenommen.”

R: “Was ist geschehen?”

.
.
.

Das Spiel läßt sich noch lange fortsetzen. Wir sind nicht in der Lage, einen Punkt anzugeben, an dem es sprachlich zu Ende sein muß. Vermutlich findet es sein Ende, wenn I sagt: “A ist aufgrund einer Zeitungsannonce, in der B sein gebrauchtes Kfz zum Verkauf angeboten hatte, zu B gegangen. Er hat das Kfz im Beisein von B besichtigt und Probe gefahren und schließlich ein als Kaufvertrag bezeichnetes Schriftstück unterschrieben, in dem Kfz und der Preis von DM 1.000,- genannt sind.”

Dieses Ende hängt von einer Entscheidung ab, die R trifft, aber nicht gerade an dieser Stelle treffen muß. R könnte weiter fragen: “Was ist geschehen?” und ohne Schwierigkeiten weiter detaillierte Antworten bekommen. Um hier prinzipielle Grenzen erkennen zu können, müssen wir uns fragen, worauf die stereotype Frage eigentlich abzielt. Man könnte annehmen, R wolle wissen, was real geschehen sei, um die in § 433 Abs. 2 BGB angeordnete Rechtsfolge aussprechen zu können. Doch wäre eine solche Annahme nicht plausibel, da auf diese Rechtsfolge schon mit der ersten Angabe von I geschlossen werden konnte. Näher liegt die Annahme, daß R die Regeln überprüft, nach denen I den Begriff “Kaufvertrag” verwendet. Stellt R eine Übereinstimmung mit den für richtig erachteten Regeln fest, so bricht R den Dialog ab. Die Feststellung der Übereinstimmung setzt voraus, daß man zunächst das Regelsystem identifizieren kann, nach dem ein fraglicher Ausdruck verwendet wird. Die Frage nach Definitionsmerkmalen aber läßt sich forttreiben und endet im Zirkel oder im unendlichen Regreß. Beide Aussichten sind nicht sonderlich erfreulich, wenn man nach festen und unbezweifelbaren Grundlagen der Sprachverwendung fragt. R steht nicht einmal der Rückgriff auf Hinweisdefinitionen (deiktische Handlungen) offen, mit denen man die notwendig undefiniert bleibenden Grundbegriffe sonst charakterisieren könnte. Denn R ist Revisionsgericht und als solches auf sprachliche Äußerungen von I angewiesen. Hinweise auf Außersprachliches zur Überprüfung der Sprachregelverwendung durch I sind R grundsätzlich verschlossen [36].

Nun brauchen wir aufgrund der vorangegangenen Analyse weder selbst in Schweigen zu verfallen, noch den Gerichten ein solches zu verordnen. Nur der unverbesserliche Skeptiker mag darauf zweifeln, daß uns je - in der alltäglichen wie in der wissenschaftlichen Praxis - eine Verständigung über die reale Welt gelingt. Seine Position können wir weder widerlegen, noch vermag er sie zu begründen. Ja er kann sie vom eigenen Standpunkt aus nicht einmal verständlich machen [37].

Auch wenn wir die Position des rigorosen Skeptikers ablehnen, so zeigt uns doch die Analyse, daß die Annahme, man habe verstanden, eine Entscheidung verlangt, wie weit die Frage nach den Sprachregeln, die Bitte nach Präzisierung auch immer vorangetrieben sei. Im Verhältnis der Instanzgerichte zum Revisionsgericht liegt diese Entscheidung beim Revisionsgericht. Ihre Notwendigkeit macht es unmöglich, die Vagheit jener Zusatzregel auszuräumen, mit der wir eine akzeptable Kompetenzverteilung zwischen Revisionsgericht und Instanzgerichten zu erreichen suchen. Wir können nur eines mit Sicherheit sagen: Jenseits der Entscheidung findet eine Überprüfung der Rechtsanwendung nicht mehr statt. Denn die Entscheidung geht ja gerade dahin, das Fragen einzustellen.

Mit der Abgrenzung von Rechtsfrage und Tatfrage hat das indessen nichts zu tun. Dies sei gegenüber Henke [38] erinnert, der notwendige Beschreibungsdefizite als Untrennbarkeitsfälle anerkennt: Wenn das Gesetz die Feststellung und Bewertung einer sich aus vielen Einzelheiten zusammensetzenden “Gesamtsituation” verlange, sei “das Trennungspostulat aus sprachlichen Gründen unerfüllbar” (S. 180). Unter einer Gesamtsituation sei “der komplexe Sachverhalt zu verstehen, der sich aus dem in den Akten und im Vortrag begrifflich fixierten Prozeßstoff und dem begrifflich nicht zu fixierenden Eindruck des Richters von einer Person, einer Sache zusammensetzt und neben der begrifflich-analysierenden Rechtsfindung die ganzheitliche Bewertung aufgrund der Sinneswahrnehmungen des Richters verlangt” (S. 186, 187). Der rationale Kern dieser Überlegungen liegt darin, daß, wie immer detailliert eine Beschreibung auch ausfallen mag, sie nicht alle Elemente eines Geschehens oder eines Zustandes enthalten kann. Dies mag bei situationsgebundenen und persönlichen Eindrücken besonders augenfällig sein, gilt indessen allgemein. Jede Beschreibung ist selektiv und jede Beurteilung an Beschreibungen gebunden, sofern nicht ausnahmsweise das Beschriebene selbst in Augenschein genommen werden kann. Die Abgrenzung von Tatfrage und Rechtsfrage ist diesseits des sprachlich gefaßten Prozeßstoffes angesiedelt; jenseits stellt sie sich nicht, weil dort das Fragen aufgegeben ist.

Fassen wir die bisherigen Ergebnisse zusammen!

Rechtsfrage und Tatfrage lassen sich voneinander abgrenzen, wenn wir die Sätze betrachten, die eine (logische) Ableitung des konkreten richterlichen Urteils gestatten. An der Ableitung sind notwendig beteiligt Rechtssätze einerseits und faktisches Geschehen oder Zustände beschreibende Sätze andererseits. Wenn nicht das faktische Geschehen mit Begriffen beschrieben wird, die auch schon zur Normformulierung verwendet worden sind, sind weiterhin notwendig beteiligt Sätze über Sprache (semantische Regeln), welche die Begriffe der Rechtssätze mit denen der das faktische Geschehen beschreibenden Sätze so verbinden, daß eine Ableitung des konkreten richterlichen Urteils möglich wird. Die Rechtssätze und die Sätze über die Sprache der Rechtssätze unterfallen der Rechtsfragenkompetenz des Revisionsgerichts.

Das Revisionsgericht verwaltet zusätzlich eine Regel, die von den Instanzgerichten eine informative Sachverhaltsbeschreibung verlangt. Diese Regel schließt eine Beschreibung mit Begriffen, die auch zur Rechtssatzformulierung verwendet worden sind, nicht aus. Sie zielt gegen solche Sachverhaltsbeschreibungen, die die Rechtsanwendung unkontrollierbar machen, weil sie dem Leser nicht sagen, was eigentlich geschehen ist. Allerdings ist die Regel unbestimmt. Denn letztlich wird “informativ” als ein auf das Revisionsgericht bezogener Relationsbegriff verwendet.

Allein die Wahrheit der Sachverhaltsschilderung ist der Rechtsfragenkompetenz des Revisionsgerichts entzogen. Inwieweit auch in diesem Bereich die Einhaltung von Verfahrens- und Begründungsregeln überprüft werden kann, ist eine andere Frage.

IV. Die Revisibilität des unbestimmten Rechtsbegriffs

Bevor ich mich der Tatfrage zuwende, möchte ich die vorgeschlagene Abgrenzung an der Revisibilität des unbestimmten Begriffs prüfen. Ihr gilt die umfangreiche Untersuchung Henkes. Für sie macht Henke Ausnahmen von der (auch von ihm) als möglich erkannten Abgrenzung der Rechtsfrage von der Tatfrage. Henkes Gedankengang ist folgender. Unbestimmte Begriffe seien “Tatbestandsmerkmale mit fließenden, nicht abschließend festgelegten Grenzen” (S. 76). Sie seien “nicht völlig inhaltsleer”, sondern enthielten “einen Kern von Wertvorstellungen”. Unter Berücksichtigung dieses Kerns ließen sich “zwei Begriffsbereiche” unterscheiden: der der “Gewißheit” und der des “Zweifels”. Die Grenzen des unbestimmten Begriffs lägen “zwischen dem Bereich positiver Gewißheit und dem Bereich des Zweifels einerseits, dem Bereich des Zweifels und dem Bereich negativer Gewißheit andererseits” (S. 77, Fn. 141). Die Lage dieser Grenzen sei “wegen der fehlenden Definierbarkeit des Begriffs unbestimmt” (S. 77). Im Begriffsbereich des Zweifels finde “die Urteilsbegründung in der Form des strengen syllogistischen Schlusses [39] juristische (nicht logische) Grenzen, die sich aus der Eigenart der spezialisierenden und individualisierenden Rechtsfindung “nach Lage des Falles” (S. 101) ergäben. “Als Ausweg aus diesen Schwierigkeiten biete sich die in der Praxis seit je geübte Aufspaltung der strengen syllogistischen Schlußform: In den Fällen spezialisierender und individualisierender Rechtsfindung wird der Obersatz auf die allgemeinvertretbare, im wesentlichen unbestimmt gehaltene Aussage beschränkt (“Die Erbeinsetzung der Geliebten unter Hintansetzung der Angehörigen kann wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sein”), die Fortsetzung der Gesetzesanwendung in Richtung auf den Einzelfall findet dagegen im Untersatz statt” (S. 102 - die Hervorhebungen wurden übernommen). Für den Bereich des Zweifels schlägt Henke eine Rechtsfindung durch Fallvergleichung vor, bei der es darum gehe, “kongruente, d.h. in ihren rechtlichen Merkmalen gleich oder ähnlich liegende Sachverhalte zueinander in Beziehung zu setzen” (S. 110). Revisionsrechtlich bedeutsam seien nun ausnahmslos Fehler des Obersatzes [40], Fehler des Untersatzes [41] hingegen nur dann, wenn der Einzelfall nach einem generellen Maßstab beurteilt” (S. 256) werde. Habe der Tatrichter die besonderen Verhältnisse eines Landesteils oder Ortes verwertet oder die Beurteilung auf Imponderabilien des persönlichen Eindrucks gegründet, Rechtsbegriffe des Grades oder Maßes angewandt oder den Fall nach einem individuellen, nicht auf andere Sachverhalte übertragbaren Maßstäben bewertet, so sei wegen fehlender Beispielswirkung die Subsumtion irreversibel.

Versuchen wir den - auch in der vorgestellten Direktinterpretation schon systematisierten - Gedankengang Henkes mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu präzisieren! Die unbestimmten Begriffe sind jene, deren Verwendungsregeln bestimmte Gegenstände der Welt als eindeutig von dem Begriff erfaßt, andere bestimmte Gegenstände der Welt als eindeutig von dem Begriff ausgeschlossen markieren und Spielraum für Gegenstände lassen, zu denen sie nichts sagen. Die erfaßten Gegenstände nennen wir positive Kandidaten des Begriffs, die ausgeschlossenen Gegenstände negative Kandidaten des Begriffs. Positive und negative Kandidaten machen den “Bereich der Gewißheit” aus. Der “Bereich des Zweifels” deckt sich mit der Menge der neutralen Kandidaten. Mit Hilfe einiger weniger Symbole läßt sich das noch deutlicher machen. Wir wählen S als Zeichen für einen beliebigen unbestimmten Begriff. Für ihn gibt es Verwendungsregeln, welche das Zusprechen von S erlauben und so die positiven Kandidaten von S auszeichnen. Fassen wir diese Regeln unter dem Symbol P zusammen, so gilt

1. (1)

Ebenso verfahren wir für die Regeln, die das Absprechen von S erlauben und die negativen Kandidaten von S auszeichnen. Wenn wir für diese Regeln N notieren, so gilt

2. (2)

Neutrale Kandidaten von S sind jene, die weder unter P noch unter N fallen. Fassen wir die neutralen Kandidaten unter K zusammen, so gilt

3. [42](3)

Nach dieser Präzisierung sehen wir gleich, daß Henkes Behauptung, die Lage der Grenzen zwischen dem Bereich der Gewißheit und dem des Zweifels sei wegen der fehlenden Definierbarkeit des Begriffs unbestimmt, schlicht falsch ist. Die Lage wird durch die Regelsysteme P und N bestimmt. Sollten P und N unbestimmt sein, dann gäbe es keinen Bereich der Gewißheit. Dessen Existenz jedoch wird von Henke behauptet. Trivialerweise wahr ist hingegen die Annahme, im Bereich des Zweifels finde die Urteilsbegründung in der Form des syllogistischen Schlusses Grenzen. So sei etwa an unserem unbestimmten Begriff S die Rechtsfolge R geknüpft. S sei hinreichende und notwendige Bedingung für R [43], so daß gilt:

4. (4)

Gegeben sei der Fall

5. A(5)

der P unterfällt (also zu den positiven Kandidaten zählt):

6. (6)

Dann ist über

7. P(5) (6)

und

8. S(7) (1)

auf

9. R(8) (4)

(die gesuchte Rechtsfolge) zu schließen.

Gegeben sei weiterhin der Fall

10. B(10)

der N unterfällt (also zu den negativen Kandidaten zählt):

11. (11)

Dann können wir auf

12. N(10) (11)

und

13. (12) (2)

auf

14. (13) (4)

schließen.

Die angenommenen Fälle A und B sind aufgrund der gegebenen Regeln logisch entscheidbar. Das gilt nicht für den Fall

15. C(15)

der zu den neutralen Kandidaten gehören soll:

16. (16)

Man kann nun schließen:

17. K(15) (16)
18. (17) (3)
19. (18)
20. (19)
21. (19)

und findet keinen Weg zu einer Bejahung oder Verneinung von R. Die von Henke in diesem Zusammenhang angebotene Aufspaltung der strengen syllogistischen Schlußform führt zu nichts. Man kann den Obersatz als Tautologie deuten. Dann ist er gehaltlos und in keiner Weise geeignet, als Maßstab oder Richtlinie zu dienen. Man könnte auch daran denken, den “im wesentlichen unbestimmt gehaltenen” Obersatz als Information dahin zu deuten, daß die genannten Bedingungen weder ausreichen, den in Frage stehenden Begriff zu bejahen, noch ausreichen, ihn zu verneinen. Dann lautete die Information “ ”, was, wie wir gesehen haben, die Frage R oder unentschieden läßt. Eine dritte Deutungsmöglichkeit gibt es nicht. Hält man an dem Postulat der logisch korrekten Ableitung des konkreten richterlichen Urteils fest, so bleibt gar nichts anderes übrig, als in dem durch Fehlen semantischer Regeln gekennzeichneten Unsicherheitsbereich unbestimmter Begriffe die semantischen Regeln selbst festzusetzen. Ob diese Festsetzung in “Obersätzen” oder “Untersätzen” erfolgt, ist für die logische Ableitung unerheblich, wie überhaupt die Rede von “Obersätzen” und “Untersätzen” einer von der traditionellen Syllogistik geprägten Metaphorik verhaftet bleibt, die nicht einmal den Satzarten der an der Ableitung beteiligten Prämissen gerecht wird und in ihrer Undifferenziertheit Hort vieler Irrtümer ist.

Wer einen Sachverhalt mit dem Merkmalskomplex “E” beschreibt und sich die Frage stellt, ob der Rechtssatz “ ” auf diesen Sachverhalt anwendbar ist, kann, wenn S, ein unbestimmter Rechtsbegriff in T, einzige noch zweifelhafte Voraussetzung für das Eingreifen von R ist (es gilt also ), auf R nur schließen, wenn er akzeptiert, und auf nur schließen, wenn er akzeptiert. und sind Sprachregeln, für den unbestimmten Rechtsbegriff S. Sollte E zum Gewißheitsbereich von S gehören, so sind die Sprachregeln dem Rechtsanwender durch den faktischen Gebrauch einer kompetenten Sprechergruppe vorgegeben. Er kann sie empirisch feststellen. Sollte E zum Zweifelsbereich von S gehören, so muß der Rechtsanwender die Sprachregeln schöpferisch festsetzen. Dabei mag er sich an vergleichbaren Fällen orientieren, empirisches Wissen verwerten oder seiner Intuition vertrauen. Was auch immer geschieht, nach unserer Auffassung liegt im Verhältnis der Instanzgerichte zum Revisionsgericht die Sprachregelkompetenz beim Revisionsgericht.

Gerade dieser Auffassung scheint nun Henke zu widersprechen. Er führt ja die Unterscheidung zwischen dem aufgelockerten Obersatz und dem die Rechtsanwendung in Richtung auf den konkreten Fall vollendenden Untersatz deshalb ein, um im Untersatz jene Fragen als nicht revisibel aussondern zu können, die ohne Beispielswirkung sind. Daß die Differenzierung von Obersatz und Untersatz nichts an der logischen Gleichwertigkeit der für die Ableitung des Urteils überhaupt notwendigen Prämissen ändert, wissen wir inzwischen. Demnach gilt Henkes Unterfangen dem Versuch, die an der Ableitung beteiligten Sprachregeln in revisible und nichtrevisible zu teilen. Der Versuch ist zum Scheitern verurteilt.

Die Teilung läßt sich nicht an der logischen Struktur der betroffenen Sprachregeln festmachen. Denn diese besteht immer in Konditionalen (mit mehr oder weniger komplexen Vordergliedern). Mag der Sachverhalt noch so singulär sein, die Verknüpfung der ihn beschreibenden Begriffe mit den zur Formulierung des Rechtssatzes verwendeten Begriffen erfolgt über semantische Regeln von identischer logischer Struktur. Die Konditionalverknüpfung bietet keinen Ansatz zur Differenzierung. Dieser könnte allenfalls in der Verwendung bzw. Nichtverwendung von Quantoren gefunden werden. Sollte nämlich die semantische Regel “ ” in ihrer Geltung auf das am konkreten Fall beteiligte Individuum a beschränkt sein, mithin nur “ ” und nicht “ ” gelten, so könnte man in der Tat daran denken, “ ” von den revisiblen Sätzen mangels Beispielswirkung auszunehmen. Abgesehen davon, daß die Zulassung solcher Regeln die Grenze zur Kadijustiz überschritte und allein darum abgelehnt werden müßte, würde die ins Auge gefaßte Deutung auch Henkes Intentionen verfehlen. Denn Henke sieht sehr wohl die “logische Generalisierbarkeit aller Rechtsfragen” (S. 30). Ihm kann es dann nur darum gehen, über die logische Generalisierbarkeit hinaus, (Rechts-)Fragen auszufiltern, die mangels Beispielswirkung nicht revisibel sein sollen.

Aber auch außerhalb der logischen Struktur der betroffenen Sprachregeln findet sich kein Kriterium, an dem man die vorgeschlagene Teilung festmachen könnte. Henke führt die “Einzigartigkeit des Falles” an. Doch wer mag guten Gewissens behaupten, daß Fälle dieser Art sich in Zukunft nicht ereignen werden? Über das dazu erforderliche Wissen verfügt niemand, es sei denn, er verstünde ich in der Kunst der prophetischen Magie. Davon abgesehen steht der Teilung eine sprachtheoretische Einsicht entgegen. Henke selbst zählt die “Begriffsverkennung” zu den unbeschränkt revisiblen Rechtsfehlern. Was er nicht sieht, ist, daß das Revisionsgericht gar nicht umhin kann, zur Begriffsverkennung positiv oder negativ Stellung zu nehmen, sei der Fall auch noch so einzigartig. Ein Begriff ist verkannt, wenn er unter Verletzung der (vom Revisionsgericht als maßgeblich erachteten) semantischen Regeln verwendet wird. Regeleinhaltung und Regelverletzung lassen sich nur im fallweisen Gebrauch des Begriffs überprüfen. Jeder Fall, in dem ein Begriff für anwendbar oder nicht anwendbar erklärt wird, ist eine Überprüfungsinstanz für die korrekte Regelverwendung. Die Überprüfung kann nur zwei Ergebnisse haben: Entweder ist die Anwendung (resp. Nichtanwendung) des Begriffs korrekt oder sie ist nicht korrekt. Die vollständige Disjunktion läßt buchstäblich keinen Raum für eine revisionsfreie, individualisierende Rechtsfindung. Dies gilt für “Begriffe des Maßes und Grades” nicht minder als für andere Begriffe. Auch “Imponderabilien des persönlichen Eindrucks” stehen dem nicht entgegen. Entweder haben sie in der Sachverhaltsschilderung ihren sprachlichen Ausdruck gefunden. Dann ist diese Schilderung über semantische Regeln mit den Rechtssätzen zu verbinden. Ober aber sie sind unausgesprochen geblieben. Dann liegen sie außerhalb des Bereichs, in dem die Frage nach der Abgrenzung von Rechts- und Tatfrage überhaupt gestellt werden kann. Die “besonderen Verhältnisse eines Landesteils oder Ortes” zählen ohnehin zur Tatfrage. Es ist nach alledem weder nötig noch möglich, Teile der zur Ableitung des konkreten richterlichen Urteils erforderlichen semantischen Regeln aus der Rechtsfragenkompetenz des Revisionsgerichts herauszunehmen.

V. Revisibilität der Tatfrage?

Die Rekonstruktion der zum logischen Beweis des richterlichen Urteils notwendigen und hinreichenden Sätze gestattet uns die Auszeichnung der Sätze, die in die Rechtsfragenkompetenz des Revisionsgericht fallen. Es sind die Rechtssätze einerseits und die über die Begriffe der Rechtssätze gebildeten Sätze (die semantischen Regeln) andererseits. Die dritte Klasse der an der Ableitung notwendig beteiligten Prämissen, die Klasse der (den zu beurteilenden Sachverhalt bildenden) singulären empirischen Sätze, zählt zur Tatfrage. Wer auch im Hinblick auf sie dem Revisionsgericht Überprüfungskompetenzen einräumen will, kann sich nicht mit der Rekonstruktion des logischen Beweises für das richterliche Urteil begnügen, sondern muß sich um den inhaltlichen Beweis einer Klasse der am logischen Beweis beteiligten Prämissen bemühen. Es geht dann um die Wahrheit singulärer empirischer Sätze. Die Frage weist, soweit nicht Regeln des Verfahrensrechts eine spezifisch prozessuale Wahrheit festlegen, in die Erkenntnistheorie. Sie wird nicht dadurch gelöst, daß die Verfahrensordnungen über die freie Beweiswürdigung einem Offenbarungsmodell der Erkenntnis [44] mit den Tatrichtern als Offenbarungsinstanzen Raum gegeben hätten. Die freie Beweiswürdigung befreit allein von starren Beweisregeln, nicht aber erspart sie die Angabe von Gründen für die Annahme der Wahrheit oder Falschheit singulärer empirischer Sätze [45].

L.M. Bochenski bezeichnet es als “eine der wichtigsten Einsichten der exakten Methodologie, daß die Richtigkeit eines Satzes entweder direkt einsehen oder erschließen muß, ein anderes Verfahren gibt es nicht und kann es auch nicht geben.” [46] Machen wir uns diese Einsicht zu eigen, so haben wir für die Wahrheit singulärer empirischer Sätze dennoch nicht viel gewonnen. Wir müssen noch die “direkten Einsichten” auszeichnen, die wir im Hinblick auf eine möglichst korrekte Wirklichkeitserfassung akzeptieren wollen. Täten wir das nicht, müßte jeder einen Sachverhalt beschreibende Satz als richtig angenommen werden, dessen Autor sich auf eine wie auch immer gewonnene unmittelbare Einsicht beruft.

Im Hinblick auf die richterliche Sachverhaltsfeststellung sollten nur solche Sätze als auf Grund direkter Einsicht wahr akzeptiert werden, die etwas beschreiben, was der Richter selbst beobachtet hat. Handelt es sich um unwiederholbare Ereignisse, können wir gar nicht anders verfahren. Dabei unterstellen wir, daß der beobachtende Richter keinen Sinnestäuschungen unterworfen ist, sich - wie auch wir - der Regeln der zur Beschreibung verwendeten Begriffe korrekt erinnert und uns nicht täuschen will.

“Beobachten” führen wir schließlich als undefinierten Grundbegriff für die Sinnestätigkeiten des Sehens, Hörens, Tastens, Riechens, Schmeckens ein. Direkt eingesehen im Sinne der nach dem Vorgang von Bochenski gebildeten Disjunktion sind dann jene Sätze, mit denen ein Richter eigene Beobachtungen beschreibt. Sie sind unter den angegebenen Annahmen von niemandem, also auch von einem Revisionsgericht nicht, zu überprüfen. Die Gültigkeit aller anderen singulären empirischen Sätze der Sachverhaltsbeschreibung ist erschlossen. An dem Schluß sind notwendig beteiligt (wenn auch in der richterlichen Alltagspraxis nicht notwendig explizit gemacht) auf unmittelbarer Beobachtung beruhende singuläre empirische Sätze und solche Sätze, die zusammen mit diesen den logischen Übergang auf die nicht selbst beobachteten singulären empirischen Sätze ermöglichen [47]. Dabei ist der Regelfall der, daß die auf unmittelbarer Beobachtung beruhenden Sätze das Antecedens eines Konditionals erfüllen, in dessen Konsequens die nicht beobachteten singulären empirischen Sätze stehen. Das Konditional repräsentiert eine empirische (deduktiv-nomologische oder statistische) Gesetzmäßigkeit. Juristen pflegen von Erfahrungssätzen zu sprechen. Es sind ihrer logischen Struktur nach Allsätze, welche einen ausnahmslosen oder einen statistischen Zusammenhang zwischen zwei Merkmalen (oder Merkmalskombinationen) behaupten. In der Symbolsprache der Prädikatenlogik haben sie die Grundform: , wobei im Rahmen statistischer Zusammenhänge beim Konsequens ein Wahrscheinlichkeitswert notiert werden müßte. Wer nun dem Revisionsgericht die Verfügung auch über diese Sätze einräumt [48], billigt ihm nicht nur die Überprüfung der von den Instanzgerichten verwendeten Erfahrungssätze, sondern auch das Einführen neuer und mit ihnen das Erschließen bisher nicht zum Prozeßstoff gemachter singulärer empirischer Sätze zu [49]. Er hebt zugleich die Notwendigkeit auf, für die Kompetenzverteilung zwischen Instanzgerichten und Revisionsgericht Rechtsfragen und Tatfragen voneinander abzugrenzen. Denn er verteilt die Kompetenzen nach einem Kriterium, das quer zur Abgrenzung von Rechtsfrage und Tatfrage steht. Das Kriterium ist die logische Struktur eines Satzes, der entweder zu den Prämissen eines korrekt abgeleiteten konkreten empirischen Urteils gehört oder der Erschließung eines singulären empirischen Satzes über eine nicht unmittelbar beobachtete, für das Aussprechen der Rechtsfolge aber vom normativen Programm geforderte Begebenheit dient. Es ist die Struktur des Allsatzes in der prädikatenlogischen Grundform: . Sie mag für einen Rechtssatz, eine semantische Regel oder eine empirische Gesetzmäßigkeit stehen.

Wir haben bisher nicht entschieden, ob das Revisionsgericht nur dort gebunden sein soll, wo es ohnehin nicht frei sein kann: bei den singulären empirischen Sätzen über Begebenheiten, die von den Instanzgerichten selbst beobachtet worden sind; mithin ob es frei sein soll bei der Überprüfung, Annahme oder Verwerfung von empirischen Gesetzmäßigkeiten (Erfahrungssätzen). Ich sehe nur einen Gesichtspunkt, der gegen diese Freiheit gewendet werden könnte: die notorische Überlastung der Revisionsgerichte. Doch dieser Gesichtspunkt verfängt nicht. Zum einen überprüfen die Revisionsgerichte schon immer Erfahrungssätze, zum anderen kostet die mit der Beschränkung der Revisionskompetenz auf Rechtsfragen zu erkaufende Entlastung einen zu hohen Preis: nämlich die Chance einer qualitativen Verbesserung der Rechtsfindung über den entschiedenen Fall hinaus, die überall dort gegeben ist, wo im argumentativen Zusammenhang von Sätzen mit Allstruktur Gebrauch gemacht wird. Die Sorge für eine einheitliche Verwendung dieser Sätze ist vornehmste Aufgabe der Revisionsgerichte [50].

VI. Schlußbemerkung

Das Ergebnis mag überraschen. Unsere Untersuchung behandelt die Abgrenzung der Rechtsfrage von der Tatfrage. Sie legt die Möglichkeit einer solchen Abgrenzung dar und verteidigt diese gegenüber jenen, die sie leugnen. Ja, sie bemüht sogar eine Zusatzregel, um einer eventuellen Aushöhlung der rechtlichen Überprüfungskompetenz vorzubeugen, und endet schließlich mit der These, die Abgrenzung der Rechtsfrage von der Tatfrage sei irrelevant, weil es nicht auf die Qualität der Sätze als rechtliche, metasprachliche oder empirische ankomme, sondern allein auf deren logische Struktur als Allsätze. Es scheint, als hätten wir den vielen Mißverständnissen, welche die Diskussion um die Abgrenzung von Rechtsfrage und Tatfrage kennzeichnen, ein weiteres hinzugefügt. Doch dieser Schein trügt. Jedes der gewonnenen Zwischenergebnisse bleibt gültig. Es sind zwei Rekonstruktionen, die es uns ermöglichen, jene Sätze auszuzeichnen, hinsichtlich deren Gültigkeit und Annahme die Instanzgerichte ein Revisionsgericht nicht zu binden vermögen. Die erste setzt am konkreten rechtlichen Urteil an und zeichnet die zur Ableitung erforderlichen Rechtssätze und die metasprachlichen Sätze über die in den Rechtssätzen verwendeten Begriffe aus. Die zweite setzt bei den verbleibenden singulären empirischen Sätzen der ersten Rekonstruktion an und zeichnet die allgemeinen Sätze aus, mit deren Hilfe von singulären empirischen Sätzen über unmittelbar Beobachtetes auf singuläre empirische Sätze über nicht unmittelbar Beobachtetes geschlossen wird.

Beide Rekonstruktionen können Verstöße gegen die Denkgesetze aufdecken, soweit nämlich die Ableitungen zu Widersprüchen führen oder aber unvollständig sind und die fehlenden Prämissen vom Revisionsgericht nicht ohne weiteres hinzugedacht werden können. Schließlich bleibt selbst der Bedarf für die von uns entwickelte Zusatzregel bestehen. Auch wenn die Instanzgerichte das Revisionsgericht allein im Hinblick auf singuläre empirische Sätze über Begebenheiten, die sie selbst wahrgenommen haben, festlegen können, so müssen doch diese Sätze informativ sein. Und ob sie informativ sind, entscheidet von Fall zu Fall das Revisionsgericht.


Footnotes

[1] So der Titel einer Abhandlung von Horst-Eberhard Henke, ZZP 81, S. 196 bis 251 und 321 bis 379, in der Henke in weitem Umfang Ergebnisse seiner Habilitationsschrift: Die Tatfrage. Der unbestimmte Betriff im Zivilrecht und seine Revisibilität, 1966, vorträgt.

[2] Vgl. das eindrucksvolle Literaturverzeichnis bei Peter Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz, 1975.

[3] Ich weiß auch gar nicht, wem ich welche Idee, welche Anregung, verdanke. Sicher ist, daß ich von allen gelesenen Autoren gelernt habe, nicht zuletzt von denen, die meines Erachtens irren.

[4] Wilhelm A. Scheuerle, Beiträge zum Problem der Trennung von Tat- und Rechtsfrage, AcP 157, 1 ff. zeigt weitere Zusammenhänge auf, in denen die Trennung von Tat- und Rechtsfrage eine Rolle spielt.

[5] Vertreten insbesondere durch Scheuerle, a.a.O. (N. 4). Schon Adolf Wach war dieser Auffassung. Die That- und Rechtsfrage bei der Revision im Civilprozeß, JW 1881, 73ff.

[6] So verändert etwa Henke die logisch-begriffliche Grenze im Hinblick auf einen im Vereinheitlichungs- und Richtliniengedanken gesehenen Revisionszweck. Dadurch wird ein Teil der logisch-begrifflich als Rechtsfragen ausgewiesenen Fragen der Überprüfungskompetenz der Revisionsgerichte entzogen, ein Teil der solcher Art charakterisierten Tatfragen der Überprüfungskompetenz der Revisionsgerichte unterstellt. Der ebenfalls der zweiten Richtung zuzurechnende Gottwald setzt sich hingegen einen anderen Revisionszweck und begründet von daher die möglichst weite Ausdehnung der Überprüfungskompetenz in den Bereich der Tatfragen.

[7] Hier sind in erster Linie Kurt Kuchinke, Grenzen der Nachprüfbarkeit tatrichterlicher Würdigung und Feststellungen in der Revisionsinstanz, 1964, und Erich Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, 2. Aufl. 1960, zu nennen.

[8] Karl Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl., 1963, S. 120.

[9] A.a.O., S. 120.

[10] Vgl. dazu Wilhelm K. Essler, Einführung in die Logik, 2. Aufl. 1969, S. 41 ff.; Eike v. Savigny, Grundkurs im logischen Schließen, 1976.

[11] Jürgen Rödigs Analysen - insbesondere auch des juristischen Syllogismus - sind in ihrer Präzision bestechend. Vgl. etwa Jürgen Rödig, Die Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, 1973. Dennoch finden sie kaum Eingang in die juristische (auch nicht die im engeren Sinne methodologische) Alltagsdiskussion. Dies einfach deshalb, weil dem Leser zugemutet wird, eine überaus komplizierte Symbolsprache zu lernen, ohne deren Kenntnis Rödigs Gedankenführung bei all ihrer Präzision unverständlich bleibt.

[12] Es kommen nur die Werte wahr oder falsch in Betracht. Nach welchen Kriterien diese für nicht zusammengesetzte Sätze vergeben werden, ist keine Frage der Logik.

[13] Vgl. dazu O. Weinberger, Ex falso quodlibet in der deskriptiven und in der präskriptiven Sprache, Rechtstheorie 6 (1975), 17 ff.

[14] Der logisch ungeübte Leser möge sich das anhand der oben gegebenen Definitionen der logischen Zeichen verdeutlichen.

[15] BGH LM Nr. 2 zu § 138 (Ed) BGB, mit Hervorhebung zitiert nach Henke, ZZP 81, 229 (N. 162). Vgl. auch Henke, Tatfrage, S. 102 ff.

[16] Unter der Einschränkung, daß nur über Gegenstände, nicht auch über Prädikate (Eigenschaften von Gegenständen) quantifiziert werden kann. Dazu müßten wir die nächst höhere Stufe der Prädikatenlogik (Klassen- oder Mengenlogik) erklimmen. Ich fürchte nur, daß darunter die Verständlichkeit für den Nichtlogiker leidet, und entschließe mich deshalb zu einem Kompromiß zwischen logischer Präzision und alltagssprachlicher Verständlichkeit.

[17] Zur Verwendung der Prädikatenlogik im normativen Bereich” und zum Verzicht auf deontische Operatoren vgl. zuletzt Rödigs Beitrag in D. Grimm, Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften 2, 1976, S. 53 ff. Am gleichen Ort Kritik von Weinberger.

[18] Hier zeigt sich deutlich, warum Allsätze im modus barbara und hypothetische Sätze logisch gleichwertig sind: Die Allsätze können gar nicht anders als im Konditional - hypothetisch - notiert werden. Wer im Rahmen traditioneller Logik verbleibt, muß dazu eigens Stellung nehmen. Vgl. etwa Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 5. Aufl. 1971, S. 35 und ders., a.a.O. (N. 8), S. 8ff.

[19] Sie sind für den Schluß logisch gleichwertig, so daß hier und im folgenden eine Differenzierung von Ober- und Untersatz entfällt. Im Hinblick auf die Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage werde ich später andere Differenzierungen vorschlagen.

[20] Die rechts der Zeile stehende Nummer gibt an, aus welchen vorangegangenen Zeilen der Satz gewonnen wurde. Wenn rechts dieselbe Zahl steht wie links, ist der Satz nicht logisch aus einem anderen gewonnen worden. Er fungiert vielmehr als Prämisse.

[21] Vgl. nur Scheuerle, a.a.O. (N. 4), passim.

[22] Repräsentativ für derartige Argumentationen Kuchinke, a.a.O. (N. 7), S. 67 ff.

[23] Vgl. hierzu nur Günther Patzig, Sprache und Logik, 1970, S. 6 ff.

[24] Sie wird expliziert von Rödig, a.a.O. (N. 11), S. 148 ff. und von Koch/Trapp, Richterliche Innovationen - Begriff und Begründbarkeit, in: Harenburg u.a., Rechtlicher Wandel durch richterliche Innovation, 1977.

[25] Er besteht ja aus allen Sätzen der Ableitung!

[26] Ich bitte, die Redeweise von der Grundstruktur wörtlich zu nehmen. Allgemeine Rechtssätze können hochkomplexe Gebilde sein, in denen zum einen wenn über verschiedene Gegenstände (etwa verschiedene Personen) gesprochen wird, Quantifizierungen über mehrere Objektsvariable vorkommen, zum anderen positive und negative Tatbestandsmerkmale in konjunktiver oder alternativer Verknüpfung und schließlich differenzierte Rechtsfolgeanordnungen auftreten können. Für unsere Zwecke genügt es, sich die Grundstruktur der Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge zu verdeutlichen.

[27] R steht für die Rechtsfolge (Pflicht, Verbot, Erlaubnis).

[28] Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., 1975, S. 256.

[29] S. oben bei N. 16.

[30] Vgl. dazu Rödig, a.a.O. (N. 11), S. 179; Winfried Hassemer, Tatbestand und Typus, 1967, S. 108 ff.

[31] Intensionen der im Normsatz verwendeten Terme.

[32] Der modus barbara der traditionellen Logik ist von eben dieser Struktur: aus der Konjunktion zweier allgemein bejahender Sätze folgt ein dritter allgemein bejahender Satz:

1. Alle Griechen sind Menschen(1)
2. Alle Menschen sind sterblich(2)
3. Alle Griechen sind sterblich(1) (2)

In einem (logisch wahren) Satz:

.

[33] Diese Fälle sind seit langem in der Diskussion. Henke, Tatfrage, S. 138 ff. und passim hat sie vollständig zusammengetragen. Ich kann mich deshalb damit begnügen, im folgenden allein auf ihn zu verweisen.

[34] Diese Frage wird von Henke, Tatfrage, S. 150 ff., unter dem Stichwort “Synonymität” behandelt. Der Kontext zeigt, daß Henke unter “Synonymität” das versteht, was Sprachwissenschaftler als “Homonymität” bzeichnen, vgl. Franz v. Kutschera, Sprachphilosophie, 2. Aufl. 1975, S. 112. Dieser Lapsus war schon Scheuerle, AcP 157, 43 unterlaufen. Seiner ungeachtet enthalten Henkes Ausführungen neben treffenden Charakterisierungen eine Unzahl von Mißverständnissen, die einen dazu neigen lassen, dem Urteil Dieter Simons beizupflichten, Henkes Buch sei “ein besonders guter Beleg für die majestätische Verachtung der gesamten neueren Logik seit G. Frege durch juristische `Logiker'” (D. Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 91).

[35] Insoweit stimme ich Gustav Radbruch, Rechtsidee und Rechtsstoff, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 17 (1923/24), 343, 349 zu.

[36] Ausnahmen gelten nur, wenn etwa bei der Beurteilung einer bildlichen Darstellung als Kunstwerk oder der Frage der Verwechselungsgefahr von Warenzeichen die entsprechenden Abbildungen dem Revisionsgericht vorliegen. Vgl. dazu Henke, Tatfrage, S. 186 f.

[37] Vgl. dazu grundlegend Wolfgang Stegmüller, Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft, 2. Aufl. 1969, S. 374 ff.

[38] Tatfrage, S. 177 f.

[39] Darunter versteht Henke den modus barbara oder den modus ponens, vgl. S. 95.

[40] Das ist die Begriffsverkennung, die “sich aus den Mißverständnissen des Gesetzes oder eines durch das Gesetz in Bezug genommenen Erfahrungsgesetzes, aus unvollständiger Würdigung des Sachverhalts sowie aus der Verletzung von “Denkgesetzen” ergeben” (S. 124) könne.

[41] Das sind “die unrichtige Bewertung, die unvollständige Würdigung des Prozeßstoffs, der Verstoß gegen Denkgesetze sowie die ungenügende Trennung von Tatsachenfeststellung und rechtlicher Würdigung” (S. 134).

[42] P, N und K erschöpfen den gesamten Diskussionsbereich. Dies rechtfertigt die Notierung des Bikonditionalzeichens.

[43] Wenn alle übrigen Merkmale gegeben sind, ist das letzte Merkmal immer hinreichend und notwendig zugleich. Logisch handelt es sich dann um eine “Immer dann und nur dann, wenn-Verknüpfung”.

[44] Vgl. dazu Hans Albert, Traktat über kritische Vernunft, 2. Aufl. 1969, S. 15 ff.

[45] Vgl. Arwed Blomeyer, Beweislast und Beweiswürdigung im Zivil- und Verwaltungsprozeß, Gutachten für den 46. Deutschen Juristentag, 1966, S. 13 ff.

[46] Die zeitgenössischen Denkmethoden, 4. Aufl. 1969, S. 73.

[47] Es handelt sich um Systematisierungen, wie sie das Hempel-Oppenheim-Schema adäquat erfaßt. Vgl. dazu eingehend Wolfgang Stegmüller, Wissenschaftliche Erklärung und Begründung, Probleme und Resultate der Wisssenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band 1, 1969, S. 72 ff.

[48] Es gibt nur wenige Autoren, die das kategorisch ablehnen. Man findet sie bei A. Blomeyer, a.a.O. (N. 45), S. 44 ff.

[49] Konsequent durchgehalten von Gottwald, a.a.O. (N. 2), S. 138 ff.

[50] Ich halte es für sinnvoll, die Überprüfung auf solche Sätze zu beschränken, deren Geltungsbereich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinausgeht (vgl. § 549 ZPO).