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Empfangsbedürftige und nichtempfangsbedürftige Willenserklärungen

Das BGB unterscheidet die Willenserklärungen danach, ob sie "einem anderen gegenüber abzugeben" sind (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Letzteres trifft fast auf alle Willenserklärungen zu. Die Willenserklärungen, die einem anderen gegenüber abzugeben sind, bezeichnet man als "empfangsbedürftige Willenserklärungen". Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie erst dann eine Rechtsfolge auslösen können, wenn sie einer anderen Person zugegangen sind. Nichtempfangsbedürftig sind nur wenige Willenserklärungen. Typische Beispiele hierfür sind das Testament (§§ 1937, 2229 ff.) und die Auslobung (§ 657 BGB). Relevant wird der Unterschied zwischen empfangs- und nichtempfangsbedürftigen Willenserklärungen insbesondere bei Abgabe und Zugang sowie bei der Auslegung der Willenserklärung.

a. Abgabe einer Willenserklärung

Fall: Die Brüder A und B benutzen gemeinsam einen Computer. Als A auf eine längere Reise geht, fällt B auf, dass A eine E-mail noch nicht abgesandt hat. Da B an ein Versehen von A glaubt, sendet er die Mail ohne weiteres ab. Bei der Mail handelte es sich um die Bestellung eines Zeitschriftenabonnements, die A bewusst noch nicht abgesandt hatte, da er sich das mit der Bestellung noch einmal überlegen wollte. A meint, er habe doch wohl keine Willenserklärung abgegeben.

Verdeutlicht man sich noch einmal, dass der grundlegende Unterschied zwischen empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen darin besteht, dass die letzteren von niemandem wahrgenommen werden müssen, um einen rechtlichen Erfolg zu bewirken, so wird klar, dass sich dieser Unterschied gerade auf die Voraussetzungen von Abgabe und Zugang einer Willenserklärung auswirken muss. Eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung ist daher schon abgegeben, wenn sie von dem Erklärenden "in die Welt gesetzt" wird. So ist etwa die Willenserklärung "Testament" bereits dann abgegeben, wenn der Erblasser seinen letzten Willen niederschreibt.

Bei einer auf Kenntnisnahme angewiesenen Erklärung kann das nicht reichen. Im Falle einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist somit zur Abgabe erforderlich, dass der Erklärende alles den Umständen nach Gebotene getan hat, damit die Erklärung den Empfänger erreichen kann. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der Erklärende dem Adressaten die Erklärung in Form eines Schriftstücks übergibt, wenn er sie in einem ordnungsgemäß beschrifteten und frankierten Umschlag an den Adressaten absendet oder wenn er sie als E-Mail an die korrekte E-Mail-Adresse absendet.

Im Beispielsfall hat A zwar die Mail als Entwurf erzeugt. Da die Bestellung aber eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist, hat dies für eine "Abgabe" noch nicht genügt. Auch in der Absendung der Mail durch B kann man keine Abgabe einer Willenserklärung durch A sehen, denn dazu wäre es erforderlich, dass A selbst die Erklärung willentlich "auf den Weg gebracht" hat. Genau das war aber nicht der Fall; die Willenserklärung ist A vielmehr "abhanden gekommen". Manche Autoren wollen jedoch für diesen Fall auf das Moment der willentlichen Entäußerung verzichten und eine abhanden gekommene Willenserklärung immer als wirksam abgegebene Willenserklärung behandeln, die der Erklärende jedoch nach § 119 Abs. 1 BGB anfechten könne. Dadurch wird es ihnen möglich, dem vertrauenden Empfänger, der der Willenserklärung ja nicht ansehen kann, dass sie abhanden gekommen ist, über § 122 BGB den Vertrauensschaden zu ersetzen. Um das Vertrauen des Erklärungsempfängers zu schützen, dürfte es aber nicht erforderlich sein, eine Willenserklärung zu "konstruieren". Statt dessen werden auch Lösungen über eine analoge Anwendung des § 122 BGB (die hier erforderlich wäre, weil man das Vorliegen einer Willenserklärung verneint) oder über Ersatz des Vertrauensschadens aus dem Schuldverhältnis der culpa in contrahendo (Verschulden bei Vertragsverhandlungen) diskutiert, die diesem billigenswerten Anliegen ebenso Rechnung tragen. Demnach hat A durch das Absenden der Mail durch seinen Bruder B keine Willenserklärung abgegeben.

Bedeutsam ist der Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung auch dann, wenn es darum geht, ob bestimmte Gültigkeitsmängel einer Willenserklärung in der Person des Erklärenden verwirklicht waren. So muss z.B. die Rechtsfähigkeit des Erklärenden (§ 1 BGB) nur bei der Abgabe der Willenserklärung gegeben sein. Daher ist es gemäß § 130 Abs. 2 BGB auf die Wirksamkeit einer Willenserklärung ohne Einfluss, dass der Erklärende nach der Abgabe der Erklärung gestorben oder geschäftsunfähig geworden ist.

b. Zugang einer Willenserklärung

Das BGB regelt in § 130 Abs. 1 Satz 1, dass eine Willenserklärung unter Abwesenden in dem Zeitpunkt wirksam wird, in dem sie dem Erklärungsempfänger "zugeht". Liest man diese Vorschrift unbefangen, so könnte man dem Wortsinn des Merkmals "Zugang" entsprechend leicht auf die Idee kommen, dass Zugang gleichbedeutend mit tatsächlicher Kenntnisnahme sei. Einem solchen Verständnis widerspricht jedoch der tiefere Sinn, der mit dem Merkmal "Zugang" verfolgt wird, nämlich das Risiko des Verlusts der Erklärung zwischen Erklärendem und Empfänger angemessen und "fair" zu verteilen. Käme es dann aber beim Zugang auf die tatsächliche Kenntnisnahme an, dann trüge der Erklärende nicht nur das "Transportrisiko", sondern auch noch das Risiko für alle Umstände im Herrschaftsbereich des Adressaten, auf die er naturgemäß keinen Einfluss hat. Daher erscheint es angemessen, das Risiko ab dem "Eindringen" der Willenserklärung in den Herrschaftsbereich des Empfängers dem Empfänger aufzubürden. Im allgemeinen bejaht man den Zugang einer Willenserklärung dann, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, sie zur Kenntnis zu nehmen. Daher kann man den Zugang eines Briefes, den ein Mandant am Freitag um 22 Uhr in den Briefkasten einer Anwaltskanzlei wirft, nicht schon mit dem Einwurf bejahen. Vielmehr hat das Kanzleipersonal unter normalen Umständen erst am nächsten Werktag mit Beginn der Bürozeiten die Möglichkeit, den Brief zur Kenntnis zu nehmen. Er ist auch dann erst zugegangen. Umgekehrt hindert auch die Zustellung eines Briefes, während der Empfänger sich im Urlaub befindet, dessen Zugang nicht, da der Brief mit der Zustellung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er unter normalen Umständen, wenn er nämlich zu Hause wäre, die Möglichkeit hätte, von dem Brief Kenntnis zu nehmen.

Da es für den Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden nicht auf die aktuelle Kenntnisnahme, sondern auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme ankommt, spielt es auch keine Rolle, ob der Empfänger einen vorher oder gleichzeitig zugegangenen Widerruf tatsächlich erst nach der Willenserklärung zur Kenntnis nimmt oder einen zu spät eingebrachten Widerruf tatsächlich vor der Willenserklärung liest (RGZ 91, 60, 63). Der nach der Willenserklärung zur Kenntnis genommene gleichzeitige Widerruf nimmt der Willenserklärung die Wirksamkeit (§ 130 Abs. 1 Satz 2 BGB), wie der zu spät eingegangene aber vor der Willenserklärung zur Kenntnis genommene Widerruf die Willenserklärung unberührt lässt. Nur in einem Fall kommt es auf die tatsächliche Kenntnisnahme an: Wenn der Empfänger die Willenserklärung, die er normalerweise erst später zur Kenntnis nehmen würde, tatsächlich früher zur Kenntnis nimmt, dann ist diese Willenserklärung mit der tatsächlichen Kenntnisnahme zugegangen (Reichold: in juris Praxiskommentar, § 130 Rdnr. 8; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rdnr. 276; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des BGB, § 26 Rdnr. 29).

Kniffliger kann die Situation aber dadurch werden, dass bei der Übermittlung einer Willenserklärung "Hilfspersonen" eingesetzt werden. Auch dann muss es bei der rechtlichen Bewertung in erster Linie darauf ankommen, das Risiko des Zugangs gerecht zu verteilen. Zur Erleichterung dieser Risikoverteilung unterscheidet man bei den Hilfspersonen "Erklärungs- und Empfangsboten". Als Empfangsbote wird diejenige Person bezeichnet, die nach der Verkehrsanschauung zur Entgegennahme von Willenserklärungen als geeignet und ermächtigt anzusehen oder vom Empfänger tatsächlich dazu bestellt ist. Alle anderen Personen, auf die das nicht zutrifft, sind Erklärungsboten. Bei Erklärungsboten trägt der Erklärende, bei Empfangsboten der Empfänger das Risiko des Zugangs. Allerdings muss der Zeitpunkt der Entgegennahme der Erklärung durch den Empfangsboten nicht automatisch mit dem Zeitpunkt des Zugangs zusammenfallen. Diese beiden Zeitpunkte fallen dann auseinander, wenn sich der Empfangsbote nicht im Herrschaftsbereich des Empfängers (Haus oder Geschäftsräume des Empfängers) befindet. In diesem Fall geht die Willenserklärung dem Adressaten erst dann zu, wenn nach dem normalen Lauf der Dinge mit der Übergabe der Erklärung durch den Empfangsboten gerechnet werden kann. Typische Empfangsboten sind die Sekretärin oder im gemeinsamen Haushalt lebende erwachsene Familienangehörige.

Unabhängig vom Zeitpunkt des Zugangs geht das Verlustrisiko auf den Empfänger über, sobald die Erklärung in seinen Herrschaftsbereich gelangt ist. Eine vor dem Zugang eintretende Zerstörung der Erklärung verhindert den Zugang im Zeitpunkt der normalen Kenntnisnahmemöglichkeit nicht.

Während das BGB in § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB den Zugang unter Abwesenden geregelt hat, sagt es über den Zugang unter Anwesenden nichts aus. Daher ist zunächst einmal zu untersuchen, was unter "Anwesenheit bzw. Abwesenheit" im Sinne des § 130 Abs. 1 Satz  1 BGB zu verstehen ist. Dies wird dann besonders deutlich, wenn man sich klarmacht, warum der Gesetzgeber den Zugang einer Erklärung unter Abwesenden für regelungswürdig hielt, während er den Zugang unter Anwesenden nicht erwähnt hat. Dies lässt sich nur so erklären, dass der Gesetzgeber den Zugang unter Abwesenden für besonders konfliktträchtig hielt und daher eine Risikoverteilung zwischen Erklärendem und Empfänger für erforderlich hielt. Aber woraus ergibt sich dieses besondere Konfliktpotential? Dieses kann sich daraus ergeben, dass bei Erklärungen unter Abwesenden Abgabe und Zugang der Erklärung auseinander fallen, so dass ein Transport- und Verlustrisiko entsteht. Legt man diese Erwägungen zugrunde, so kommt es für die Anwesenheit im Sinne des § 130 Abs. 1 Satz  1 BGB nicht unbedingt auf die körperlich-physische Präsenz im gleichen Raum an, sondern vielmehr auf die Möglichkeit unmittelbarer Kommunikation, bei der Abgabe und Zugang der Erklärung zeitlich annähernd zusammenfallen. Somit stellen auch Willenserklärungen, die per Telefon oder per Videokonferenz abgegeben werden, Willenserklärungen unter Anwesenden dar. Fraglich ist, wann solche Erklärungen "zugehen". Während man es sich hier bei schriftlichen Erklärungen leicht machen kann und einfach nur auf die Übergabe eines Schriftstückes abzustellen braucht, kann es bei mündlichen Erklärungen durchaus fraglich sein, wann man den Zugang bejahen kann.

Zwar könnte man mit der "Vernehmungstheorie" auf die akustisch-lautliche Wahrnehmung der Erklärung durch den Empfänger abstellen, doch erscheint das jedenfalls dann unbillig, wenn der Erklärende sich sprachlich in eindeutiger Form geäußert hat und daher annehmen durfte, dass der Empfänger ihn verstanden hat, während das in Wirklichkeit gar nicht der Fall ist, da sein Gesprächspartner in Gedanken woanders war oder schwerhörig ist und dies dem Erklärenden aus Eitelkeit verschweigt. In diesen Fällen scheint es sinnvoll, wieder auf den Gedanken der Risikoverteilung zurückzugreifen. Diese weist bei mündlichen Erklärungen grundsätzlich dem Sprecher das Risiko zu, dass er richtig verstanden wird. Dabei wird man sogar so weit gehen müssen, dass der Sprecher sich vergewissern muss, dass sein Gegenüber ihn richtig verstanden hat, wenn er auch nur den geringsten Zweifel daran hat oder haben muss, dass er richtig verstanden wurde. Hat der Sprecher aber all diesen Anforderungen genügt, so hat er alles getan, was der Rechtsverkehr von ihm erwarten konnte. Es erscheint dann nur gerecht, das verbleibende Restrisiko dem Empfänger zuzuweisen. Diese Auffassung wird auch als "abgeschwächte Vernehmungstheorie" bezeichnet.

c. Zugangsverhinderung

Bisher noch offen ist die Frage, wie die Fälle zu behandeln sind, in denen die Erklärung erst gar nicht den räumlichen Herrschaftsbereich des Empfängers erreicht und dieser daher keine Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (Beispiel: Ein Brief geht an den Absender zurück, da der Empfänger unbekannt verzogen ist).

Zieht man hier wieder den Gedanken der gerechten Risikoverteilung heran, so kommt es darauf an, ob und inwieweit der Empfänger dafür Sorge tragen muss, dass Erklärungen ihn erreichen. Im allgemeinen nimmt man eine solche Obliegenheit dann an, wenn der Empfänger damit rechnen muss, dass rechtsgeschäftliche Erklärungen an ihn gerichtet werden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn es sich bei dem Empfänger um einen Geschäftsmann handelt oder wenn dem Empfänger der Zugang eines bestimmten Schreibens vorher angekündigt wurde. Dann wird man z.B. von dem verzogenen Geschäftsmann erwarten können, dass er einen Nachsendungsauftrag erteilt oder seinen Geschäftspartnern seine neue Adresse rechtzeitig mitteilt.

Wenn nun aber eine solche Obliegenheit seitens des Empfängers besteht und dieser entweder den Zugang absichtlich vereitelt oder aber es aus Nachlässigkeit unterlässt, geeignete Vorkehrungen zu treffen, dass ihn Erklärungen erreichen können, dann muss er sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB und Rechtsgedanke des § 162 BGB) so behandeln lassen, wie wenn ihm die Erklärung rechtzeitig zugegangen wäre. Geht eine solche Erklärung jedoch wieder an den Erklärenden zurück oder wird diesem sonst sicher bekannt, dass die Erklärung nicht in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, so kann dieser erste Zustellungsversuch noch nicht gemäß § 242 BGB als Zugang der Erklärung behandelt werden. Vielmehr erlangt der Erklärende dann wieder die volle Entscheidungsfreiheit zurück: Unternimmt er nichts, dann ist die Erklärung nicht zugegangen, holt er die Zustellung aber unverzüglich erfolgreich nach, dann wird dem Empfänger gemäß § 242 BGB der Einwand abgeschnitten, die Erklärung sei nicht rechtzeitig zugegangen; die Erklärung gilt dann vielmehr als schon beim ersten Zustellungsversuch zugegangen.

Diese Problematik darf allerdings nicht mit der Annahmeverweigerung durch den Empfänger oder dessen Stellvertreter verwechselt werden. Weigert sich z.B. der Adressat, ein Schreiben entgegenzunehmen, das ihm der Postbote aushändigen will, weil er vermutet, dass es sich bei dem Schreiben um ein Kündigungsschreiben seines Arbeitgebers handelt, so ist die Erklärung so zum Empfänger gelangt, dass er die Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte. Der Definition nach ist die Erklärung bei der Annahmeverweigerung dem Adressaten also zugegangen. Da es aber beim Zugang einer Willenserklärung in erster Linie um eine gerechte Risikoverteilung geht, ist bei der Annahmeverweigerung immer danach zu fragen, ob dem Empfänger die Entgegennahme der Erklärung unzumutbar war und er daher zur Annahmeverweigerung berechtigt war. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn der an den Adressaten gerichtete Brief nicht ausreichend frankiert war und er daher ein Nachporto zahlen müsste. War der Empfänger dagegen nicht zur Annahmeverweigerung berechtigt, so ist ihm die Erklärung definitionsgemäß zugegangen.

 

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© Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann. 
Bei Fragen und Unklarheiten wenden sich meine Studenten bitte an:
Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann.
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