III. Beweiskriterium und Beweismaß
Ziel der richterlichen Sachverhaltsarbeit ist eine wirklichkeitsgerechte Sachverhaltsrekonstruktion, eine Sachverhaltsbeschreibung, die das Prädikat ,,wahr" verdient, weil es sich so verhalten hat, wie es in der Sachverhaltsbeschreibung geschildert ist. Das Gericht ist gehalten, im Zusammenwirken mit den anderen Prozeßbeteiligten die Tätigkeiten zu entfalten, die es diesem Ziel möglichst nahebringen. Ob das Ziel in einem konkreten Fall tatsächlich erreicht ist, könnte man nur sagen, wenn es für diese Feststellung ein untrügliches Kriterium gäbe. Ein absolut verläßliches, jede Irrtumsmöglichkeit ausschließendes, intersubjektiv verbindliches Kriterium dafür, daß es sich so verhalten hat, wie es in einem fraglichen Satz behauptet wird, gibt es indessen nicht (vgl. Popper Objektive Erkenntnis, 1973 S. 57 ff.). Die Wahrheit selbst kann dieses Kriterium ebensowenig sein wie die Wirklichkeit. Die Wahrheit ist ein Prädikat, das man Sätzen zuschreibt; die Wirklichkeit wird zur Definition dieses Prädikats herangezogen. Das gesuchte Kriterium betrifft dagegen die Rechtfertigung, mit der man einem Satz die mithilfe von wirklich definierte Wahrheit prädiziert. Sie kann nicht stärker sein als die im Wahrnehmen und Erschließen gegebenen Erkenntnismöglichkeiten. Mit den Erkenntnismöglichkeiten aber steht es nicht zum Besten. Schon die relativ sicherste Möglichkeit, die Wahrheit eines Satzes durch die eigene Wahrnehmung des Behaupteten zu bestätigen, ist derart voraussetzungsreich, daß sie einen prinzipiellen Skeptiker nicht zu überzeugen vermag (vgl. dazu aus wissenschaftslogischer Sicht Stegmüller Metaphysik, S. 330 ff.; aus erkenntnistheoretischer Sicht Vollmer in Roth/Hejl/Köck (Hrsg.) Wahrnehmung und Kommunikation, 1978 S. 79 ff.; aus biologischer Sicht Roth daselbst, S. 65 ff.; aus philosophischer Sicht Ayer S. 92 ff.), und die im Prinzipiellen ohnehin nicht widerlegbare Position des Skeptikers verbessert sich, je weiter man sich von den knapp bemessenen Möglichkeiten der Bestätigung einer streitigen Behauptung durch Eigenwahrnehmung des behaupteten Sachverhalts entfernt. Wahrnehmungsberichte über Fremdwahrnehmungen sind regelmäßig irrtumsanfälliger als Eigenwahrnehmungen. Beim Erschließen treten Fehlermöglichkeiten hinzu, die in den formalen Operationen ebenso wie in den verwendeten Erfahrungssätzen liegen können. Und die statistischen Erfahrungssätze erlauben schon von ihrer Struktur her, daß es sich im Einzelfall anders verhält als man erwartet. Die Frage ist, welche Folgerungen man daraus für das Kriterium zieht, nach dem nun das Gericht nach Abschluß seiner nach wie vor unter dem Wahrheitsgebot stehenden Ermittlungstätigkeit darüber befinden soll, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist.
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