Das Gesetz nennt die freie Überzeugung des Gerichts, und es scheint zunächst, daß damit ein psychischer Zustand zum Beweiskriterium erhoben wird, den die an der Entscheidung beteiligten Richter durch eine von Dritten nicht weiter prüfbare Introspektion abrufen. Gegen diese Deutung spricht jedoch, daß das Gericht auch angehalten wird, die Gründe darzulegen, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Der Angabe von Gründen bedarf es aber nur dort, wo eine Überprüfung durch Dritte, nicht eigentlich zur Sachverhaltsrekonstruktion Berufene in Betracht gezogen wird. Und tatsächlich überprüfen die Revisionsgerichte die Überzeugungsbildung seit jeher in den beiden denkbaren Hinsichten, daß ein Überzeugung bekundendes Gericht bei gegebener Sachlage nicht hätte überzeugt sein dürfen und daß ein nicht überzeugtes Gericht bei gegebener Sachlage hätte überzeugt sein müssen (vgl. etwa BGHZ 7, 116; 18, 311). Dann aber ist die tatrichterliche Überzeugung auch im Rahmen des § 286 weder ein hinreichendes noch ein notwendiges Kriterium für ein korrektes Urteil über die Wahrheit einer Behauptung. Unter diesen Umständen könnte es angebracht sein, das Abstellen auf die freie Überzeugung des Gerichts lediglich als Ausdruck der Befreiung vom Beweisregelsystem des gemeinen Prozesses aufzufassen, ihm aber keine Bedeutung für die Festlegung eines Beweiskriteriums beizumessen. Ob eine tatsächliche Behauptung als wahr oder nicht wahr zu erachten sei, hätte sich nicht an einem psychischen Zustand des Entscheiders, sondern an den Gründen zu messen, die für und gegen ein Urteil in der Tatfrage angeführt werden können. Es wäre dann nicht die Frage, welche Sicherheit der individuelle Richter (das Kollegium) bei den zur Verfügung stehenden Informationen gewinnt, sondern welchen Grad an Vertrauen diese Informationen im allgemeinen rechtfertigen (vgl. zu einer anderen Funktion der Überzeugungsbildung unten RN 20 ).
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Gesetzestext |