b) Beweismaßreduktion auf Wahrscheinlichkeit
Genau hier setzt eine zweite Reaktion an, die eine offene Entscheidung darüber verlangt, wann es eigentlich gerechtfertigt ist, eine Partei mit dem Prozeßverlust zu belasten, obwohl für ihre Sachverhaltsdarstellung mehr spricht als gegen sie (vgl. Motsch passim; Bender in FS Baur, S. 247 ff.; Musielak in FS Kegel, S. 451 ff.; Kegel in FS Kronstein, S. 321 ff., 335 ff.; Bruns § 32 RN 168a; Grunsky Grundlagen, § 41 III 2 a aa). Die Entscheidung soll sich nach den Kosten (nicht Prozeßkosten) richten, die eine Fehlentscheidung für die je betroffene Partei hat. Sind die betroffenen Interessen gleichwertig - wie etwa in einem normalen Haftungsprozeß -, so müsse der Standpunkt obsiegen, der die überwiegende Wahrscheinlichkeit für sich habe. Ist ein Interesse geringer als das andere, könne es nur obsiegen, wenn für seine Sachverhaltsdarstellung ein deutlich höherer Vertrauensgrad gerechtfertigt sei bis hin zu dem, der lediglich die allgemeine Erkenntnisskepsis vernachlässigt. Man hat sogar eine Formel vorgeschlagen, die zu einer Bestimmung des Beweismaßes auf der von 0 bis 1 mit 0,5 als Wendepunkt reichenden Wahrscheinlichkeitsskala führt, wenn man die Kosten einer Fehlentscheidung für die je betroffenen Interessen einsetzt (Motsch S. 82 ff.). Diese Reaktion besticht durch ihre Offenheit; man muß allerdings um ihre praktische Durchführbarkeit fürchten. Denn sie hat mit zwei kaum zu überwindenden Schwierigkeiten zu kämpfen. Es muß erstens die Rechtsfrage beantwortet werden, wo bei gegebener Interessenkonstellation der Beweismaßpunkt liegen soll. Nur bei Gleichwertigkeit der beteiligten Interessen sind dazu keine präzisen Kostenangaben erforderlich. Es muß zweitens das tatsächliche Informationsmaterial so ausgewertet werden, daß dabei ein zahlenmäßiger Wert für das in die Wahrheit einer Behauptung zu setzende Vertrauen herauskommt. Der Beweis ist ja nur dann geführt, wenn der zweite Wert mindestens so groß ist wie der erste.
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