Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
§ 286 Randnummer 22

4. Beweiserleichterungen (Anscheinsbeweis)

Die Betonung der persönlichen Verantwortung des Tatrichters verbindet sich mit dem Hinweis auf den für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewißheit zu einem Konzept, das durchaus der dargestellten dritten Reaktion auf die Fälle tatsächlichen Zweifels gleicht: der im Rahmen der freien Überzeugungsbildung möglichen flexiblen Reaktion auf unterschiedliche Beweis- und Problemlagen. Der BGH begnügt sich indessen nicht damit, die Freiheit des Tatrichters zu betonen, auch unterhalb der durch bloße Erkenntnisskepsis gezogenen Schwelle schon überzeugt zu sein. Er gibt dem Tatrichter auch Richtlinien für eine Überzeugungsbildung in diesem Bereich an die Hand, deren Einhaltung er notfalls als zur Beweiswürdigung nicht eigentlich berufenes Gericht überprüft. Das in diesem Zusammenhang wichtigste rechtstechnische Instrument ist der Anscheinsbeweis (prima-facie-Beweis). Er gestattet und gebietet dem Tatrichter, vom Vorliegen eines entscheidungserheblichen Merkmals auszugehen, wenn Umstände festgestellt sind, mit denen dieses Merkmal typischerweise auftritt. Erst die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs befreit vom Überzeugungszwang und verbietet die Überzeugungsbildung, wenn die Umstände festgestellt sind, die im konkreten Fall die ernsthafte Möglichkeit des atypischen Geschehensablaufs begründen (grundlegend aus der BGH-Rechtsprechung BGHZ 2, 1; 6, 169; 7, 198; 8, 239).


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Gesetzestext