Begriffsbestimmung: Den Beweis durch Augenschein an Beispielen zu erläutern, fällt leicht; ihn hingegen mit Trennschärfe gegenüber anderen Beweismitteln positiv zu bestimmen, fällt schwer. Die Besichtigung eines Unfallorts, das Anhören des Klavierspiels aus der Nachbarwohnung, das Berühren eines Gegenstandes zur Prüfung seiner Festigkeit, die Geruchs- und Geschmacksprobe der verkauften Nahrungsmittel sind, unabhängig vom Ort der Durchführung, Beispiele richterlichen Augenscheins. Die durch die Beispiele nahegelegte positive Bestimmung des Augenscheinsbeweises als unmittelbare sinnliche Wahrnehmung körperlicher Eigenschaften oder Zustände von Personen oder Sachen durch das Gericht zu Beweiszwecken (Jauernig § 52 I) entbehrt jedoch der Trennschärfe gegenüber den anderen Arten des Beweises. Es gibt keine gerichtliche Beweisaufnahme, die die angeführte Begriffsbestimmung nicht erfüllt. Auch beim Zeugen-, Sachverständigen-, Urkunden- und Parteibeweis findet die unmittelbare sinnliche Wahrnehmung körperlicher Eigenschaften oder Zustände von Personen oder Sachen durch das Gericht zu Beweiszwecken statt; und dennoch wird man diese Beweisarten nicht zum Augenscheinsbeweis zählen wollen. Ihnen ist gemeinsam, daß beim Personen- wie beim Urkundenbeweis die wahrnehmbaren Eigenschaften und Zustände zwar für die Bewertung des Beweismittels eine mitunter erhebliche Rolle spielen können, aber nicht das eigentliche Ziel der Beweisbemühungen bilden. Diese sind vielmehr auf den Bedeutungsgehalt gerichtet, den die schriftlichen oder mündlichen Bekundungen der Auskunftspersonen oder die Zeichen einer Urkunde ausmachen. Aber auch der Bedeutungsgehalt eignet sich nicht als allgemeines Kriterium für die Ausgrenzung der anderen Beweisarten aus dem Beweis durch Augenschein. Bedeutungsgehalt haben auch auf Schallträgern und Magnetbändern aufgezeichnete Gespräche und Informationen. Dennoch wird die Beweisführung durch Schallträger und Magnetbänder dem Augenscheinsbeweis und nicht dem Urkundsbeweis zugerechnet (vgl. StJ-Schumann/Leipold vor § 371 Anm. II 3, TP vor § 371 Anm. 3). So bleibt letztlich für die Begriffsbestimmung des Augenscheinsbeweises nur das Negativverfahren: Beweis durch Augenschein ist jeder Beweis, der nicht Zeugen-, Sachverständigen-, Urkunden- oder Parteibeweis ist. Die Regeln des Zeugen-, Sachverständigen-, Urkunden- und Parteibeweises gehen den Vorschriften des Augenscheinsbeweises als leges speciales auch insoweit vor, als im Rahmen dieser Beweise unmittelbare sinnliche Wahrnehmungen körperlicher Eigenschaften oder Zustände von Personen oder Sachen durch das Gericht in Rede stehen (ebenso StJ-Schumann/Leipold vor § 371 Anm. II 2).