Wert: Der Augenscheinsbeweis ist zwar Restkategorie in der begrifflichen Bestimmung der gesetzlichen Beweismittel; in seinem Wert wird er jedoch von keinem anderen Beweismittel übertroffen (vgl. Döhring S. 314 ff.). Darum sollte in der gerichtlichen Praxis, wo immer das möglich ist, das Gericht sich selbst ein Bild von den tatsächlichen Gegebenheiten des Streitgeschehens machen. Die befürchteten Verzögerungen sind empirisch nicht belegt. Man darf im Gegenteil hoffen, daß die umfassende Sachverhaltsaufklärung vor Ort ohne das Wenn und Aber der künstlichen Rekonstruktion im Gerichtssaal die gütlichen Beilegungsmöglichkeiten des Konflikts fördert. Der hohe Beweiswert des Augenscheinsbeweises ist dem Umstand geschuldet, daß es trotz aller Täuschungsmöglichkeiten keinen verläßlicheren Weg zur empirischen Erkenntnis, zur Überprüfung der Wahrheit einer Sachverhaltsbehauptung, gibt als den der unmittelbaren Wahrnehmung des Behaupteten (vgl. § 286 RN 2). Wenn das Behauptete überhaupt wahrgenommen werden kann, ist das gezielte Bemühen des Gerichts und der beteiligten Parteien das gebotene und geeignete Mittel, den Streit um die Wahrheit jedenfalls dieser Behauptung zu beenden. Gezielte Wahrnehmungen überhaupt wahrnehmbarer Sachverhalte lassen auch alle Überlegungen zur Funktionsweise, insbesondere zur beschränkten Aufnahmefähigkeit des menschlichen Gehirns, müßig erscheinen. Diese kommen erst dann ins Spiel, wenn Auskünfte über Wahrnehmungen erfragt werden, bei denen die gezielte Aufmerksamkeit nicht gewährleistet ist insbesondere beim Zeugenbeweis (vgl. vor § 373 RN 11 ff.).
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