Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 373 Randnummer 24

Wenn einem Reiz Aufmerksamkeit zugewendet wird, sprechen Physiologen von Orientierungsreaktionen (vgl. Schulz Psychologie VI, S. 833 f.). Für den Juristen ist es wichtig, etwas darüber zu wissen, wann Orientierungsreaktionen ausgelöst werden, weil ihm das Beurteilungsmöglichkeiten darüber eröffnet, welchen Aspekten einer Situation oder eines Ereignisses der Zeuge seine Aufmerksamkeit zugewendet hat (vgl. zur Aufmerksamkeit auch Flechtner S. 49 ff.). Nach einem von Schulz (a.a.O.) beschriebenen Modell wird angenommen, daß es Neuronenverbände gibt, welche die Eigenschaften früherer Reize wie Modalität, Intensität, Dauer und Reihenfolge der Darbietung gespeichert haben. Neu eintreffende sensorische Daten werden mit dem gespeicherten Modell verglichen, und bei Nichtübereinstimmung kommt es zu Entladungen des ARAS. Diese gesteigerte Aktivität führt zur Orientierungsreaktion mit einer Exploration der neuen Situation. Damit sind Neuheit, Veränderung und Kontrast in einer Reizkonstellation die wichtigsten außenweltlichen Auslöser für Orientierungsreaktionen. Doch entscheiden die außenweltlichen Potentiale nicht allein über die Aufmerksamkeitszuwendung. Diese hängt vielmehr im weiteren von inneren Dispositionen des in einer bestimmten Situation befindlichen Subjekts ab, seinen Interessen, Bedürfnissen, Motiven und Erfahrungen. Aufmerksamkeitszuwendung auf Grund äußerer Reizkonstellationen und Aufmerksamkeitszuwendung auf Grund interner Dispositionen interagieren miteinander. Sie können sich gegenseitig ergänzen und verstärken, aber auch stören und behindern. In jedem Fall muß daher ein Richter sein Augenmerk sowohl auf die äußere Reizkonstellation als auch auf die physischen und psychischen Dispositionen des Zeugen richten (vgl. dazu und zum folgenden Bender VGT 83, 325, 326 ff.; Szewczyk Psychologie XIV, S. 776 ff.; Trankell S. 13 ff.).


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