Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 373 Randnummer 8

Die Kriterienentwicklung ist eine hochkomplexe Angelegenheit, die kaum Raum für die Hoffnung läßt, zu einem Satz leicht handhabbarer Regeln zu kommen, nach dem beim Merkmal A auf die Wahrheit und beim Merkmal B auf die Unwahrheit einer Bekundung geschlossen werden könnte. Kaum ein Merkmal ist für sich entscheidend. Vielmehr wird man immer wieder eine Vielfalt von Merkmalen berücksichtigen müssen, die der Entscheidung im Einzelfall ein hohes individuelles Gepräge geben. Der Merkmalsvielfalt entsprechen auch unterschiedliche Entwicklungsansätze, die sich gar nicht aussschließen, sondern in der praktischen Bewertung und Handhabung vielfach überlagern und ergänzen. Einige Möglichkeiten zu fragen sind schon einleitend angesprochen worden. Sie sind nicht erschöpfend und geben doch schon einen gewissen Einblick in die Vielfalt der Fragenkomplexe und der Disziplinen, die für eine Antwort gutstehen könnten. Ob jemand überhaupt erleben konnte, was er bekundet, und welche Möglichkeiten der Einprägung und des Behaltens eines Erlebnisses es gibt, untersuchen Physiologen und Psychologen. Auskunft über Gründe und Anhaltspunkte dafür, daß jemand das nicht erzählen will, was er weiß, und/oder etwas erzählt, was er nicht weiß, können vielleicht Psychologen und Motivationsforscher geben. Mit sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten und Verständigungsproblemen beschäftigen sich Kommunikationswissenschaftler und Linguisten. Wo immer Anhaltspunkte für Fehlleistungen auftreten - sie treten nur für den auf, der sich ein Sensorium dafür erarbeitet hat -, wird man kaum einmal auf einen Punkt stoßen, der die gesamte Bekundung mit einem Schlage unbrauchbar macht. Man wird vielmehr zu erhöhter Aufmerksamkeit angehalten und sollte es sich spätestens jetzt angelegen sein lassen, an die Aussage zusätzlich mit einem ganz anderen Frageansatz heranzugehen.


vorherige Randnummer nächste Randnummer