Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 402 Randnummer 26

4. Singuläre Behauptungen mit theoretischen Begriffen

Häufig verlangt der Richter vom Sachverständigen mehr als die Angabe von Sprach- und Schlußregeln und die Information über allgemeine empirische Zusammenhänge deterministischer, statistischer und/oder kausaler Art. Er möchte wissen, was in einem bestimmten Fall los ist, und verlangt die Einordnung des konkreten Ereignisses in das theoretische Geflecht aus Gesetzmäßigkeiten, Sprach- und Schlußregeln. Er will die Schlüsse nicht selber ziehen, sondern sie vom Sachverständigen gleich mitziehen lassen. Seine Fragen zielen dann auf die Richtigkeit singulärer Behauptungen mit theoretischen Begriffen, wobei er die Feststellung des Zutreffens des theoretischen Begriffs auf seinen Fall dem Sachverständigen überläßt. Das gilt für die Frage nach dem Wert eines bestimmten Gegenstandes ebenso wie für die Frage, ob ein technisches Gerät dem ,,Stand der Technik" entspricht, und für Fragen nach der Ursache eines bestimmten Ereignisses oder den mutmaßlichen Folgen einer nicht verwirklichten Handlung. Wir wissen schon von unseren Vorüberlegungen zur Möglichkeit von Urteilsbildungen über empirische Behauptungen (vgl. § 286 RN 2 ff.), daß es dann um eine Gemengelage aus Einzelfeststellungen zum konkreten Fall, empirischen Gesetzmäßigkeiten und Schlußregeln geht, wir also bei einer genaueren Analyse auf genau die generellen Zusammenhänge stoßen würden, die wir gerade angesprochen haben. Das bedeutet, daß wir auch bei fallbezogenen Fragen an einen Sachverständigen darauf bestehen müssen, daß die Gemengelage durchsichtig gemacht, nach konkreten Feststellungen, empirischen Gesetzmäßigkeiten und Schlußregeln differenziert und die Vertrauenswürdigkeit der verwendeten Sätze angegeben wird. Als ein zusätzliches Mittel bei fallbezogenen Ursache/Wirkungsfragen kommt noch das nachgestellte Experiment in Betracht. In ihm kann sich insbesondere erweisen, ob unter den Bedingungen einer bestimmten Situation eine bestimmte Handlungsweise überhaupt eine bestimmte Wirkung hervorzurufen vermag. Selbstverständlich kommt es beim nachgestellten Experiment darauf an, die Situation möglichst so zu treffen, daß die Bedingungen des zu entscheidenden Einzelfalls nicht verfälscht werden.


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