Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 402 Randnummer 5

C. Sachverständigenbeweis im Beobachtungsbereich

Das Übergreifen des Sachverständigenbeweises in die Bereiche, in denen nach Satzstruktur und -gehalt ein Beweis durch Augenschein, Zeugen oder Partei in Betracht käme, ist nur dem Grundsatz nach gehindert. Der Grundsatz geht dahin, daß der Richter dem Sachverständigen vorzugeben hat, von welchem Sachverhalt der Sachverständige bei der Erstellung seines Gutachtens ausgehen solle (BGHZ 23, 207, 213 ff.; 37, 389, 394; Jessnitzer S. 188 ff.; Müller S. 251 ff.). Die Aufbereitung und Abklärung dieses Sachverhalts durch Augenscheinseinnahme, Zeugen- oder Parteivernehmung ist Aufgabe des Richters und nicht des Sachverständigen, wobei es sich unter praktischen Gesichtspunkten häufig empfiehlt, die richterliche Abklärung im Beisein des Sachverständigen durchzuführen. Der Grundsatz erleidet indessen eine Reihe von Ausnahmen (vgl. zu deren tatsächlichem Umfang Tabelle 37 in Pieper/Breunung/Stahlmann S. 237), die einerseits durch rechtliche Erwägungen erzwungen und andererseits durch praktische Erwägungen legitimiert sind (vgl. § 372 RN 2). Rechtliche Erwägungen verbieten etwa die tatsächlich mögliche Augenscheinseinnahme nicht ohnehin offen liegender Merkmale des menschlichen Körpers. Praktische Erwägungen lassen es unsinnig erscheinen, dem Richter das Ablesen der Meßinstrumente des Sachverständigen, die Besichtigung des umstrittenen Bauwerks, das Anschauen und Beschreiben des eingebeulten Kotflügels vorzubehalten, um hernach den Sachverständigen um sein Gutachten darüber zu bitten, was die Meßwerte für die Beweisfrage hergeben, ob die Regeln der Baukunst eingehalten worden sind, auf welche Geschwindigkeit die Deformation des Kotflügels hindeutet. In solchen Fällen gehört die Gewinnung der Befundtatsachen mit zu den Aufgaben des Sachverständigen (vgl. Pieper ZZP 84 (1971), 1, 8 ff.). Das sollte sogar dann gelten, wenn die Exploration eines potentiellen Zeugen zur Diskussion steht. Der mit der Exploration beauftragte Psychologe bekommt ohnehin mehr aus dem Zeugen heraus als jeder Richter durch eine im Gerichtssaal durchgeführte Vernehmung (vgl. §§ 394 bis 397 RN 3 ff.). Es mag auch vorkommen, daß nur Befunde zu erheben sind, die man zwar ohne besondere Sachkunde erheben kann und gegen deren Erhebung weder ethische noch rechtliche Erwägungen sprechen, deren Erhebung dem Gericht indessen faktisch nicht möglich oder auch nur nicht zumutbar ist. Man denke etwa an ein gesunkenes Wrack, dessen Besichtigung Taucherqualitäten voraussetzt. In solchen Fällen stellt man dem Richter Augenscheinsgehilfen oder -mittler zur Seite (vgl. Pieper in: Pieper/Breunung/Stahlmann S. 13; Jessnitzer S. 30).


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