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Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 I 1. Alt. BGB)Zunächst einmal setzt § 123 I 1. Alt. BGB eine Täuschungshandlung voraus. Diese kann sowohl in einer ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung als auch in einem Verschweigen von Tatsachen trotz Bestehen einer Offenbarungspflicht bestehen. Entscheidend ist dabei nur, dass über Tatsachen getäuscht wird, also über Umstände, die anders als Werturteile oder Meinungsäußerungen, objektiv nachprüfbar und einem Beweis zugänglich sind. Diese Unterscheidung zwischen Tatsachen und Werturteilen wird insbesondere bei so genannten "reklamehaften Anpreisungen" relevant. Beispiel: Ein Schokoladenfabrikant wirbt damit, bei seinem Produkt handele es sich um die "längste Praline der Welt"; eine bestimmte Rumsorte wird damit umworben, bei ihrem Genuss fühle man sich "wie in der Karibik". Kann ein Käufer dieser Produkte später den Kaufvertrag mit der Begründung anfechten, er habe inzwischen längere Pralinen gefunden oder er habe sich bei dem Genuss des Rums an alles nur nicht an die Karibik erinnert gefühlt? Bei der Beantwortung dieser Frage kommt es entscheidend darauf an, ob über Tatsachen getäuscht wurde. Dabei darf man sich nicht in jedem Fall damit begnügen, festzustellen, es sei das Vorliegen einer Tatsache behauptet worden. Denn, ob etwa wie in unserem Beispiel eine Pralinensorte tatsächlich "die längste Praline der Welt" ist, ließe sich - wenn man sich vorher über den Begriff "Praline" verständigt hat - unter Umständen objektiv nachprüfen. Jedoch muss man dabei berücksichtigen, dass unsere Wirtschaftsordnung auf Werbung für Konsumprodukte angewiesen ist und dass in der Werbung naturgemäß mit Anpreisungen gearbeitet wird. Sind diese so gehalten, dass ihr Reklamecharakter offensichtlich hervortritt und sie von keinem vernünftigen Menschen als Tatsachenbehauptungen Ernst genommen werden, wie dies etwa in unseren Beispielsfällen der Fall ist, dann müssen sie doch dem Kontext der Erklärung nach als bloße Meinungsäußerungen gewertet werden. Dementsprechend scheidet also in unseren Beispielen eine Anfechtung aus. Während man eine Täuschung mittels ausdrücklicher oder konkludenter Erklärung meist ohne weiteres feststellen kann, bereitet es häufig Schwierigkeiten, zu entscheiden, ob eine Täuschung durch Unterlassen vorliegt. Dies liegt darin begründet, dass das Verschweigen einer Tatsache nur bei Eingreifen einer Offenbarungspflicht (Aufklärungspflicht) eine Täuschung darstellt und dass diese Pflicht auch nirgendwo ausdrücklich geregelt ist. Nach der Rechtsprechung besteht eine Rechtspflicht zum Reden, wenn "Treu und Glauben nach der Verkehrsauffassung das Reden erfordern, der andere Teil nach den Grundsätzen eines reellen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung erwarten durfte". Wann das der Fall ist, entzieht sich naturgemäß einer allgemeinen Aussage und ist vielmehr von den Umständen des Einzelfalles abhängig, wobei es insbesondere auf Charakter und Art der Geschäftsbeziehungen ankommt. Dabei unterscheidet man grundsätzlich besondere Treue- oder Vertrauensverhältnisse (z.B. aufgrund langjähriger vertrauensvoller Geschäftsverbindung, von Dauerschuldverhältnissen mit engem persönlichem Kontakt oder familiärer Verbundenheit), die in der Regel eine Aufklärungspflicht nach sich ziehen, und Umsatzgeschäfte (wie z.B. Kaufverträge), bei denen dies in der Regel nicht der Fall ist. Diese Unterscheidung knüpft an den natürlichen Interessengegensatz zwischen Käufer und Verkäufer an, der in einer Marktwirtschaft nicht durch überzogene Offenbarungspflichten aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf. Andererseits kann dieser Interessengegensatz auch kein Freibrief dafür sein, den Käufer zu einem Vertragsschluss bewegen zu dürfen, den dieser erkennbar nicht will oder der dessen erkennbaren Interessen zuwiderläuft. Daher besteht auch bei Kaufverträgen eine Aufklärungspflicht hinsichtlich solcher Umstände, die den Vertragszweck vereiteln können und die für den Entschluss des Vertragspartners erkennbar von wesentlicher Bedeutung waren. Dies bejaht die Rechtsprechung etwa beim Verkauf gebrauchter Pkws, die in einen Unfall verwickelt waren. Sie verlangt in diesen Fällen von dem Verkäufer dem Käufer selbst dann ungefragt mitzuteilen, dass der Wagen in einen Unfall verwickelt war, wenn bei diesem Unfall lediglich Blechschäden aufgetreten sind und sich der Reparaturaufwand nur auf einige hundert Euro belaufen hat. Im Übrigen kann bei Umsatzgeschäften wie dem Kaufvertrag eine Offenbarungspflicht für den Verkäufer auch daraus erwachsen, dass der Kunde erkennbar in geschäftlichen Dingen unerfahren ist oder auf die besondere Fachkunde des Verkäufers vertraut. Vergleicht man die Voraussetzungen einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 I 1. Alt. BGB) und einer Anfechtung wegen Drohung (§ 123 I 2. Alt. BGB), so fällt auf, dass das Gesetz nur im Falle der Drohungsanfechtung Widerrechtlichkeit verlangt. Dies hängt damit zusammen, dass die Verfasser des BGB selbstverständlich davon ausgingen, dass eine Täuschung immer widerrechtlich sei. Dabei hat der Gesetzgeber aber übersehen, dass die Täuschung zwar die Rechtswidrigkeit indiziert, dass dieses Indiz aber durch Rechtfertigungsgründe (wie z.B. §§ 227 ff., 859 f. BGB) ausgeräumt werden kann. Daher muss man auch bei der Täuschungsanfechtung immer prüfen, ob die Täuschung widerrechtlich ist. Dies spielt vor allem dann eine Rolle, wenn der Erklärende auf Fragen seines Vertragspartners antwortet. Ist dabei eine Frage unzulässig, dann ist ihre wahrheitswidrige Beantwortung durch Notwehr gerechtfertigt (§ 227 BGB); die darin liegende Täuschung ist nicht widerrechtlich. Aus der wahrheitswidrigen Beantwortung einer unzulässigen Frage kann demnach kein Anfechtungsrecht hergeleitet werden. Der Erklärende hat dann praktisch ein "Recht zu lügen". Besonders häufig taucht dieses Problem beim Abschluss von Arbeitsverträgen auf. Hier muss man dann bei der Beurteilung, ob eine Frage zulässig ist, die Interessen des Arbeitgebers daran, zu ermitteln, ob der Erwerber seinen Vorstellungen entspricht, gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 2 I, 1 I GG) abwägen. Dabei ergibt sich, dass Fragen, die den Intimbereich des Arbeitnehmers berühren, grundsätzlich ebenso unzulässig sind wie Fragen nach der Konfession oder der Parteizugehörigkeit (Ausnahmen: Tendenzbetriebe wie z.B. kirchliche Einrichtungen). Auch die Frage nach der Schwangerschaft oder der Familienplanung einer Bewerberin ist wegen § 611a I BGB unzulässig und darf von dieser wahrheitswidrig beantwortet werden. Ebenso wie beim Erklärungs- und Inhaltsirrtum verlangt § 123 BGB Kausalität des Anfechtungsgrundes für die Abgabe der Erklärung. Erforderlich ist demnach, dass die Täuschung zu einem Irrtum des Getäuschten und dieser wiederum zur Abgabe der Willenserklärung geführt hat. Daran fehlt es, wenn der "Getäuschte" tatsächlich den wahren Sachverhalt erkennt, nicht jedoch, wenn er ihn nur unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können. Auch wenn es der Getäuschte dem Täuschenden durch Sorglosigkeit oder Leichtgläubigkeit besonders leicht macht, ist dieser zur Anfechtung berechtigt. Im Unterschied zu §§ 119, 120 kommt es aber für die Kausalität nur auf die subjektive Erheblichkeit an. Es darf also nur geprüft werden, ob der Getäuschte die Erklärung auch in Kenntnis der Sachlage abgegeben haben würde und nicht auch, ob er sie "bei verständiger Würdigung des Einzelfalles" nicht abgegeben hätte. Schließlich muss die Täuschung "arglistig" gewesen sein. Dabei stellt sich die Frage, was man unter dem in der heutigen Alltagssprache kaum mehr gebrauchten Begriff der Arglist zu verstehen hat. Heute ist man sich im Hinblick auf den Zweck des § 123 I BGB, die rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit zu schützen, weitgehend einig, dass es für die "Arglist" weder auf die Gesinnung noch auf eine Vermögensbeschädigungsabsicht ankommt, sondern dass "Arglist" vielmehr mit "Vorsatz" gleichzusetzen ist. Unter Vorsatz versteht man die wissentliche und gewollte Tatbestandsverwirklichung. Der Täuschende muss also wissen und wollen, dass sich ein anderer infolge seiner Täuschung irrt und durch diesen Irrtum zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt wird. Hierbei reicht es hinsichtlich der Wollenskomponente allerdings bereits aus, dass der Täuschende mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) handelt, wenn er es also ernstlich für möglich hält, dass sein Gegenüber täuschungsbedingt irrt und er sich damit abgefunden hat. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn ein Verkäufer ohne genauere Kenntnisse über den Kaufgegenstand, also gleichsam "ins Blaue hinein", Erklärungen abgibt. Beispiel: Der Autohändler behauptet auf die Frage seines Kunden, ob das Fahrzeug unfallfrei sei, dies sei der Fall, ohne dass er dies genau weiß und ohne dass er das Fahrzeug hat untersuchen lassen. |
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