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Die Beteiligung mehrerer PersonenBisher haben wir uns ausschließlich mit dem Fall beschäftigt, an dem zwei Personen beteiligt waren: der getäuschte Erklärende und der täuschende Erklärungsempfänger. Schwieriger wird die Sache dann, wenn man es im Rahmen der Täuschungsanfechtung mit mehreren Beteiligten zu tun bekommt, da dann dem Interesse dem Getäuschten, von seiner Erklärung loszukommen, unter Umständen der Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers entgegenstehen kann. Dieses Problem spielt naturgemäß lediglich bei nichtempfangsbedürftigen Willenserklärungen keine Rolle: Sie sind bei arglistiger Täuschung des Erklärenden immer anfechtbar, wer auch die Täuschungshandlung begangen hat. Zunächst einmal wollen wir die Betrachtung auf die Situation ausdehnen, dass an dem Geschehen drei Personen beteiligt sind: Täuschender, Erklärender und Erklärungsempfänger. Hier kann aus Vertrauensschutzgründen die Erklärung nur anfechtbar sein, wenn der Erklärungsempfänger nicht schutzwürdig ist. Daher bestimmt das BGB in § 123 II 1: "Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen mußte". Danach ist der Erklärungsempfänger nur in zwei Fällen nicht vor einer Anfechtung geschützt:
Schwierigkeiten bereitet lediglich der zweite Fall, da man hier durch die Auslegung des Tatbestandsmerkmales "Dritter" trennscharf festlegen muss, inwieweit sich der gutgläubige Erklärungsempfänger die Täuschungshandlungen anderer Personen zurechnen lassen muss. Hierbei greift man allgemein auf einen Grundgedanken zurück, der das gesamte Privatrecht prägt: Da unsere Wirtschaftsordnung auf Arbeitsteilung ausgerichtet und angewiesen ist, die Arbeitsteilung also erlaubt und erwünscht ist, muss sich derjenige, der sich der Hilfe anderer bedient, auch deren (Fehl-)Verhalten zurechnen lassen. Daher muss sich der Erklärungsempfänger in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 278 BGB und des § 166 BGB Täuschungshandlungen seiner Stellvertreter und anderer Hilfspersonen, die mit Wissen und Wollen des Erklärungsempfängers als Handlungs- oder Abschlussgehilfen (z.B. ein Mitarbeiter des Erklärungsempfängers bereitet den späteren Vertragsschluss vor) in die Verhandlungen eingeschaltet sind, zurechnen lassen. Darüber hinaus wird auch darauf abgestellt, dass der Täuschende Vertrauensperson des Erklärungsempfängers ist oder "auf Seiten (im Lager) des Erklärungsempfängers steht". Allerdings lassen sich diese Zurechnungskriterien nicht am Gesetz festmachen und erscheinen auch bedenklich unbestimmt, so dass es vorzugswürdig ist, alleine auf den Rechtsgedanken des § 278 BGB als Zurechnungskriterium abzustellen. Veranschaulichen lassen sich diese Gedanken nochmals zusammenfassend an folgendem Fall (angelehnt an BGH LM § 123 Nr. 30 = NJW 1962, 2195 f.): S bittet G um ein Darlehen. Dieser verlangt von S Sicherheiten. Da S selbst über kein nennenswertes Vermögen verfügt, bittet S seinen Bekannten B um eine Bürgschaft. Dabei schwindelt er B ein erhebliches Vermögen vor, um diesen dadurch zur Übernahme der Bürgschaft zu veranlassen. Daraufhin schließt B mit G einen Bürgschaftsvertrag. Als G den B aus der Bürgschaft in Anspruch nehmen will, erklärt B dem G gegenüber die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Da S den B vorsätzlich über die Tatsache seiner Vermögenslosigkeit getäuscht hat, kann B seine Willenserklärung gegenüber G nach § 123 I 1. Alt. BGB anfechten, wenn S nicht "Dritter" im Sinne des § 123 II 1 BGB ist. Dies ist dann der Fall, wenn sich G die Täuschungshandlung des S zurechnen lassen muss. Stellt man darauf ab, ob der Täuschende im Lager des Erklärungsempfänger steht, dann könnte man bei abstrakter Betrachtung der Interessenlage (also ohne auf die persönlichen Beziehungen der Parteien im Einzelfall abzustellen) vertreten, dass sich aus "der Gesamtwürdigung der Umstände unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten" ergibt, dass S im Lager des B steht, so dass dieser sich dessen Täuschung zurechnen lassen muss, denn sowohl der Hauptschuldner S als auch der Gläubiger G sind sehr am Abschluss des Bürgschaftsvertrages interessiert. Andererseits könnte man aus der Interessenlage aber auch genau das Gegenteil folgern, da "die Bürgschaft regelmäßig im eigenen Interesse des Schuldners liegt und deshalb dessen Tun auch nicht ohne weiteres dem Gläubiger zugerechnet werden kann". Beide Erwägungen hat der BGH im gleichen Urteil angestellt! Das zeigt aber gerade, wie vage und unbrauchbar Formulierungen wie Vertrauensperson oder "im Lager des Erklärungsempfängers stehen" sind. Daher ist es sinnvoll, allein mit Hilfe des Rechtsgedankens des § 278 BGB zu ermitteln, ob der Schuldner "Dritter" ist. Die Täuschung des S kann also nur ausnahmsweise dem G zugerechnet werden, wenn S mit Wissen und Wollen des G als dessen Verhandlungsgehilfe aufgetreten ist. Das wird wegen des überwiegenden Eigeninteresses des Schuldners in aller Regel nicht anzunehmen sein und ist hier auch nicht ersichtlich. S ist also "Dritter" im Sinne des § 123 II 1 BGB, so dass seine Täuschung dem G nicht zugerechnet werden kann. B kann somit seine Willenserklärung nicht gegenüber G anfechten. Die Anzahl der am Geschehen beteiligten Personen kann auch noch auf vier Personen erhöht werden. Diesen Fall regelt § 123 II 2 BGB: "Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste". Es geht hier also nicht darum, ob der Erklärungsempfänger sich das Verhalten eines Dritten zurechnen lassen muss, sondern darum, ob ein Dritter die aus dem Rechtsgeschäft des Erklärungsempfängers erworbenen Rechte (wegen der Täuschung durch einen Vierten) behält oder nicht. Hauptanwendungsfall hierfür ist der echte Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB). Hierbei handelt es sich um einen Vertrag (z.B. einen Kauf-, Werk- oder Mietvertrag) aus dem ein Dritter eigene Ansprüche erwirbt, ohne am Vertragsschluss selbst beteiligt zu sein. Ein typisches Beispiel hierfür ist etwa die Lebensversicherung, die zu Gunsten einer dritten Person abgeschlossen wird. Beispiel: A hat auf Grund eines Hirntumors nur noch eine geringe Lebenserwartung. Seine Angehörigen haben dies von den behandelnden Ärzten erfahren, es A aber nicht mitgeteilt, um ihm noch ein paar schöne Wochen zu gönnen. Kurz nachdem der aus dem Krankenhaus entlassen wird, schließt er auf Betreiben seiner Ehefrau F eine Lebensversicherung zu ihren Gunsten ab und versichert gutgläubig gesund zu sein. Dabei legt er ein Attest vor, das sein Sohn S, der selbst Arzt ist, ausgestellt hat und das von der Versicherung anstandslos akzeptiert wird. Der F ist der gesamte Sachverhalt bekannt. Verstirbt nun der A, so erwirbt die F aus dem Versicherungsvertrag einen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme. Erhält die Versicherung von dem Vorgang Kenntnis, dann kann sie gegenüber der F den Vertrag gemäß §§ 123 I, II 2 BGB anfechten, da die F bösgläubig war. Allerdings setzt auch § 123 II 2 BGB nicht notwendig das Handeln von vier Personen voraus. Zwar könnte man dies mit Rücksicht auf den Wortlaut annehmen, in dem nur von der Kenntnis des Dritten und von der Täuschung eines Vierten die Rede ist, doch ist es allgemeine Meinung, dass § 123 II 2 BGB erst recht den Fall erfasst, dass der begünstigte Dritte selbst die Täuschung begeht. Auch braucht man auf § 123 II 2 BGB dann nicht zurückzugreifen, wenn der Erklärungsempfänger selbst die Täuschung begangen oder gekannt hat oder wenn er sich die Täuschung einer Hilfsperson zurechnen lassen muss. In diesem Fall kann der Erklärungsempfänger schon nach § 123 I, II 1 BGB anfechten. Dies wäre im obigen Beispiel schon der Fall, wenn A selbst von seiner Krankheit Kenntnis gehabt hätte. |
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