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Die Zurechnung des Fehlverhaltens Dritter

Die Regeln, nach denen der Geschädigte sich ein Fehlverhalten Dritter anspruchskürzend entgegenhalten lassen muss, sind in Rechtsprechung und Literatur außerordentlich umstritten (Überblick bei Lange, Schadensersatz, Handbuch des Schuldrechts, § 10 XI). Der Streit entzündet sich insb. an der Frage, welche Bedeutung § 254 Abs. 2 Satz 2 mit seiner Verweisung auf § 278 hat. Eindeutig ist allein das Gebot, § 278 im Rahmen des § 254 Abs. 2 anzuwenden. Wird es versäumt, den Schädiger auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, den Schaden abzuwehren oder ihn zu mindern, so führt das zu einer Anspruchskürzung auch dann, wenn das jeweilige Versäumnis nicht dem Geschädigten selbst, sondern seinem gesetzlichen Vertreter oder einer von ihm eingesetzten Hilfsperson zum Vorwurf gereicht. Zweifelhaft ist aber, ob und wenn ja, in welchem Umfang die Verweisung auf § 278 auch für § 254 Abs. 1 gilt.

Nach der Rechtsprechung gilt die Verweisung für Abs. 1 - allerdings nur als Rechtsgrundverweisung. Deshalb kann § 278 im Rahmen des § 254 Abs. 1 nur dann zur Anwendung gelangen, wenn zwischen Schädiger und Geschädigtem ein Schuldverhältnis oder doch wenigstens eine vertragsähnliche Beziehung bestanden hat. Daran fehlte es in der ersten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu diesem Problemkomplex:

Gericht: BGH 3. Zivilsenat, Datum: 08.03.1951, Az: III ZR 65/50

Leitsatz

Die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts, daß dem Geschädigten bei einer Klage aus unerlaubter Handlung hinsichtlich der Entstehung des Schadens mitursächliches Verschulden seines gesetzlichen Vertreters nicht nach BGB § 254 Abs 1 anzurechnen ist, wird aufrechterhalten.

Fundstelle

BGHZ 1, 248-253 (LT1)

Gründe

Zu Unrecht rügt die Revision, daß das Berufungsgericht unter Anwendung der Rechtsprechung des Reichsgerichts das angebliche Verschulden des Vaters des (zur Zeit des Unfalls 8 Jahre alten) Klägers nicht berücksichtigt hat. Sie bittet um Überprüfung der Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Frage, ob und wieweit der Geschädigte sich das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters gemäß § 254 BGB im Rahmen seiner Ansprüche aus unerlaubter Handlung als Mitverschulden anrechnen lassen muß.

Einigkeit in Rechtsprechung und Schrifttum besteht darüber, daß § 278 BGB, obgleich seine entsprechende Anwendung nur in § 254 Abs 2 BGB ausgesprochen ist, nicht nur in den Fällen des § 254 Abs 2 BGB für die Schadensabwendung und für die Schadensminderung anzuwenden ist, sondern auch auf das Verschulden bei der Entstehung des Schadens. Streitig ist dagegen, was unter "entsprechender Anwendung" des § 278 zu verstehen ist. Das Reichsgericht hat in ständiger, auch nach wiederholten Überprüfungen beibehaltener Rechtsprechung als Voraussetzung einer Berücksichtigung des Verschuldens der gesetzlichen Vertreter und der Erfüllungsgehilfen verlangt, daß die gesetzlichen Vertreter und die Erfüllungsgehilfen in Erfüllung einer schon bestehenden Verbindlichkeit des Geschädigten gehandelt haben: mindestens verlangt es, daß etwas einer Verbindlichkeit Ähnliches vorliegt. Bei unerlaubten Handlungen hat es daher das Verschulden dieser Personengruppen bei Entstehung eines Schadens dem Geschädigten nicht nach § 278 angerechnet. Es hat ein Verschulden dieser Personengruppen nur berücksichtigt, soweit im Einzelfalle der Geschädigte für das Verhalten dieser Personengruppen nach § 831 einzustehen hat. Eine Ausnahme hat es für § 254 Abs 2 bei mangelnder Schadensabwendung oder -minderung angenommen (vgl Zusammenstellung in RGRK 9. Aufl § 254 Anm 3).

Diese Rechtsprechung des Reichsgerichts findet ihre Grundlage darin, daß § 278 BGB die Anrechnung des Verschuldens dritter Personen nur insoweit zuläßt, als der Schuldner sich dieser Personen "zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient"; daraus wird gefolgert, daß eine Verbindlichkeit oder etwas einer Verbindlichkeit Ähnliches zwischen Schädiger und Geschädigtem zur Zeit der fraglichen Handlungen bereits bestanden haben müsse. Die Ansicht, ein derartiges Verhältnis liege nicht nur in den Fällen des § 254 Abs 2 BGB vor, vielmehr sei auch § 254 Abs 1 der Ausfluß einer solchen Rechtspflicht ("Verschulden gegen sich selbst"; "jeder sei verpflichtet, sich und seine Güter vor Schaden zu bewahren"; "jedermann habe die dem normalen Menschen obliegende Sorgfaltspflicht auf seine Person und sein Vermögen anzuwenden"), hat das Reichsgericht bereits in RGZ 628 346 (349) überzeugend damit zurückgewiesen, daß diese Verpflichtungen des Geschädigten nur solche gegen sich selbst sind und daß sie nicht, wie in § 278 BGB verlangt wird, gegenüber dem schädigenden Dritten bestehen. Aus § 254 Abs 1 ergibt sich, wie RGZ 140, 1 (7) betont, keine derartige selbständige Verpflichtung für den Geschädigten, dem Schädiger zur Zeit der Entstehung des Schadens zum Nichteintritt der schadenstiftenden Ursache behilflich zu sein (RGZ 119, 152 (155)). Die Vorschrift des § 254 Abs 1 gibt dem Schädiger bloß einen Einwand, der seine Schadensersatzpflicht im Hinblick auf das mitwirkende Verschulden des Geschädigten mindern oder beseitigen kann.

Weitere Angriffe (Staudinger Aufl 9 § 254 Anm 2e, 167) gegen die Ansicht des Reichsgerichts werden daraus hergeleitet, daß der Satz von der "entsprechenden Anwendung des § 278" zweideutig sei; er könne nicht nur - mit dem Reichsgericht - dahin ausgelegt werden, der Geschädigte müsse sich in den Fällen, in denen der Schuldner nach § 278 für das Verschulden von gesetzlichen Vertretern und Erfüllungsgehilfen hafte, das Verschulden dieser Personen im Rahmen des § 254 ebenfalls zurechnen lassen, also in den Fällen der Erfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit; er könne auch bedeuten, daß die Rechtslage des nach § 254 für sein eigenes Verschulden haftenden Geschädigten hinsichtlich der Frage einer Haftung für das Verschulden von gesetzlichen Vertretern und Angestellten der Rechtslage desjenigen, der nach § 278 für das Verschulden dieser Personen hafte, vollständig gleichgesetzt werde, das heiße, daß der Geschädigte in allen Fällen das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung der ihm durch § 254 auferlegten "Verpflichtung gegen sich selbst" bediene, wie eigenes Verschulden gegen sich gelten lassen müsse. Richtig ist zwar, daß rein sprachlich eine solche Auslegung möglich wäre. Das Reichsgericht hat in RGZ 75, 257 (258) diese entsprechende Anwendung des § 278 auf den ganzen § 254 in der Art, daß das Tatbestandsmerkmal des § 278 "in Erfüllung einer Verbindlichkeit" beseitigt wird, abgelehnt; es hat dabei bereits auf die aus einer solchen Auslegung sich ergebende Rechtsungleichheit hingewiesen, da alsdann der Geschädigte im Rahmen des § 254 BGB für das Versehen seiner Erfüllungsgehilfen und gesetzlichen Vertreter unbedingt einzutreten hätte, während auf der Seite des Schädigers der Vertretene bzw der Geschäftsherr für unerlaubte Handlungen seiner gesetzlichen Vertreter (Ausnahmen in §§ 31, 89 BGB) gar nicht und für die von Hilfspersonen nur in den Grenzen des § 831 BGB einzutreten habe (vgl auch RGZ 62, 346 (349/50)). Eine so weitgehende Auslegung des § 254, daß § 278 BGB entsprechend anzuwenden sei, würde mit dem das ganze Recht der unerlaubten Handlung beherrschenden Grundsatz in Widerspruch stehen, daß der Ersatzpflichtige dem Verletzten nicht entgegenhalten kann, zum Zustandekommen der Verletzung sei noch das Verhalten eines Dritten mitursächlich gewesen. Natürliche Personen haften - im Gegensatz zu juristischen - für die unerlaubten Handlungen ihrer Vertreter nicht. Dieser Satz gilt schlechthin. Er kann auch in den Fällen keinerlei Einschränkung unterworfen werden, in denen der Verletzte ein Minderjähriger, der Mitverursacher der Aufsichtspflichtige und die Mitursache eben die nicht gehörige Ausübung der Aufsicht ist (RGZ 121, 114 (117); 159, 283 (292)). Die dem Wortlaut nach bestehende Möglichkeit einer weiteren Auslegung des fraglichen Satzes des § 254 BGB über die entsprechende Anwendung des § 278 BGB würde gegen den das deutsche Recht der unerlaubten Handlung gerade im Gegensatz zu anderen Rechten (vgl zB im französischen Recht art 1384cc) beherrschenden Grundsatz verstoßen, daß man für das schädigende Verhalten anderer Personen bei unerlaubten Handlungen grundsätzlich (Ausnahmen: §§ 31, 89 und 831 BGB) nicht haftet, sondern nur für das eigene Verschulden. Diese weitere Auslegung wäre daher rechtlich nur zulässig, wenn eindeutig erkennbar wäre, daß der Gesetzgeber durch die Bezugnahme auf § 278 in § 254 diesen Grundsatz durchbrechen wollte. Das kann aber nicht festgestellt werden.

Auch aus Billigkeitserwägungen (vgl zB Enneccerus-Lehmann Aufl 1950 Schuldrecht § 16 II 2 S 74) kann ein von der Rechtsprechung des Reichsgerichts abweichendes Ergebnis nicht gerechtfertigt werden. Auf die Rechtsungleichheit zwischen dem Umfang der Haftung auf Seiten des Schädigers und des Geschädigten bei einer so weiten Auslegung des § 254 BGB war bereits unter Hinweis auf RGZ 62, 346 (349/50) eingegangen. Wenn demgegenüber Enneccerus-Lehmann (aaO) ausführt, es sei besser, der Geschädigte werde durch die erhöhte Haftung für das Verhalten dritten Personen stärker belastet als der Schädiger, weil der Geschädigte die Möglichkeit habe, auf seine Erfüllungsgehilfen einzuwirken, praktisch würde die Nichtanwendung des § 278 auf das Mitverschulden dieser Personengruppen bei Entstehung des Schadens dazu führen, daß bei unerlaubten Handlungen der Schädiger das Verschulden der Gehilfen des Geschädigten mit zu vertreten hätte, so wird dabei die Ausgleichsmöglichkeit über §§ 840, 426 BGB zwischen dem Schädiger und dem gesetzlichen Vertreter bzw Gehilfen des Geschädigten nicht berücksichtigt, die für den Fall besteht, daß diese Personengruppen den Schaden durch ihr Verhalten mitverschuldet haben (vgl RGZ 62, 346 (350)). Sollte aber Enneccerus-Lehmann nur sagen wollen, praktisch werde der Schädiger den Schaden meist allein tragen müssen, weil bei dem gesetzlichen Vertreter bzw dem Gehilfen des Geschädigten nichts zu holen wäre, so würde gerade diese Erwägung zeigen, wie wichtig es für den persönlich schuldlosen Geschädigten ist, daß er sich die Stelle, wo er sich wegen seines Schadens erholen will, selbst aussuchen und beim Vorhandensein mehrerer Verpflichteter (Schädiger und gesetzlicher Vertreter des Geschädigten) frei wählen kann, wen er in Anspruch nehmen will.

Der vom Reichsgericht entwickelten Rechtsansicht kann auch nicht, wie das Reichsgericht bereits in RGZ 75, 257 (259) ausgeführt hat, entgegengehalten werden, daß die gleichen Ergebnisse gewonnen werden könnten, wenn § 254 Abs 2 Satz 2 BGB nicht vorhanden wäre, und dieser Satz im Gesetz daher überflüssig sei.

Der Senat schließt sich daher der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, die auch nicht durch die Entscheidungen RGZ 62, 106 und Warn Rspr 1910 Nr 234 unterbrochen worden ist (vgl dazu RGZ 140, 1 (8)), an. Dem Geschädigten wird bei einer Klage aus unerlaubter Handlung hinsichtlich der Entstehung des Schadens mitursächliches Verhalten seines gesetzlichen Vertreters nicht nach § 254 Abs 1 BGB zugerechnet.

Ein etwaiges Verschulden des Vaters als des gesetzlichen Vertreters des Klägers könnte dem Kläger demnach nur angerechnet werden, wenn der Vater in Erfüllung einer schon bestehenden Verbindlichkeit des geschädigten Klägers gehandelt hätte (Palandt Aufl 7 § 254 Anm 4; RGZ 54, 410). Eine solche Verbindlichkeit hat jedoch nicht vorgelegen (wird ausgeführt).

In der folgenden Entscheidung bejaht der Bundesgerichtshof die vertragliche Sonderbeziehung zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger und rechnet dem Geschädigten das Verschulden der zur Wahrung seiner Interessen als Erfüllungsgehilfin eingeschalteten Ehefrau an:

Gericht: BGH 1. Zivilsenat, Datum: 03.07.1951, Az: I ZR 44/50

Leitsatz

1. Ein Schadenausgleich gemäß BGB § 254 ist auch dann vorzunehmen, wenn das schuldhafte Verhalten des Geschädigten oder seiner Hilfspersonen auf die zeitlich nachfolgende Handlungsweise des Schädigers, die unmittelbar das schädigende Ereignis herbeigeführt hat, adäquat von Einfluß gewesen ist.

2. Bei einem Vertragsverhältnis muß sich der Geschädigte die schuldhafte Mitverursachung des Schadens durch eine Hilfsperson gemäß BGB § 254 auch dann anrechnen lassen, wenn er sich dieser Hilfsperson nicht zur Erfüllung einer vertraglichen Leistungspflicht, sondern zur Wahrung seiner eigenen Belange in Ansehung des Vertragsgegenstandes bedient hat und das schädigende Verhalten der Hilfsperson in unmittelbarem Zusammenhang mit dem ihr im Rahmen des Vertrages anvertrauten Pflichtenkreis steht.

Fundstelle

BGHZ 3, 46-52 (LT1-2)

Tatbestand

Im Herbst 1945 beauftragte die Ehefrau des Klägers in seinem Namen das beklagte Transportunternehmen, Hausrat mit einem Lastkraftwagen von L. nach D. zu schaffen. Die Ehefrau des Klägers und Z., der dem Kläger bei der Durchführung des Transports behilflich sein wollte, begleiteten den Transport. Kurz vor S. fingen einige Möbelstücke im vorderen Drittel des Wagens an zu brennen. Es gelang, das Feuer zu löschen. Der Inhaber der Beklagten lehnte zunächst eine Fortsetzung der Fahrt wegen der damit verbundenen Brandgefahr ab. Die Ehefrau des Klägers weigerte sich jedoch, an Ort und Stelle zu übernachten - es war inzwischen die Dämmerung hereingebrochen - und bestand auf der Weiterfahrt. Der Inhaber der Beklagten gab schließlich dem Drängen der Ehefrau des Klägers nach. Bereits wenige Minuten nachdem das Fahrzeug erneut in Betrieb gesetzt worden war, entwickelte sich an der gleichen Stelle wie vordem rasch ein großes Feuer. Der größte Teil des Hausrats verbrannte.

Die Schadensersatzklage ist von den Vorinstanzen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden. Die Revision der Beklagten führte zur Abweisung der Klage in Höhe von einem Drittel.

Entscheidungsgründe

Es ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß der für den Transport verantwortliche Inhaber der Beklagten dem Verlangen der Ehefrau des Klägers, trotz der Brandgefahr die Fahrt fortzusetzen, keinesfalls hätte nachgeben dürfen. Dies ändert aber nichts an dem Umstand, der sich aus den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt, daß der Inhaber der Beklagten, der sich bereits zu einer Unterbrechung der Fahrt entschlossen hatte, durch das Verhalten der Ehefrau des Klägers, die energisch ablehnte, an Ort und Stelle zu übernachten, zu einer Änderung seines Entschlusses und damit zu der Weiterfahrt bestimmt worden ist. Das eigene schuldhafte Verhalten des Inhabers der Beklagten schließt nicht aus, daß das Verhalten der Ehefrau des Klägers mitursächlich für den Schaden gewesen ist. Auch ein Verhalten, das der schuldhaft schädigenden Handlung des anderen Teils vorausgegangen ist, rechtfertigt einen Schadensausgleich gemäß § 254 BGB, wenn es schuldhaft die spätere schädigende Handlungsweise des anderen veranlaßt hat. Es wäre nicht einzusehen, warum nicht auch die Fälle dem Rechtsgedanken des § 254 BGB unterstellt werden sollten, in denen auf das die Haftungsvoraussetzung bildende Verhalten des Schädigers ein zeitlich vorangehendes schuldhaftes Verhalten des Beschädigten oder seiner Hilfspersonen adäquat von Einfluß gewesen ist.

Die Ehefrau des Klägers hat aber schuldhaft gehandelt, als sie den Inhaber des Beklagten gegen seine eigene bessere Einsicht zur Fortsetzung der Fahrt bestimmte (wird ausgeführt).

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Ehefrau des Klägers nach dem Gesetz berechtigt war, dem Inhaber der Beklagten irgendwelche Weisungen über die Fortsetzung der Fahrt zu geben und ob sie dies mit Zustimmung des Klägers tat. Der Schadensausgleich nach § 254 BGB setzt nicht eine vertraglich übernommene Mithaftung, sondern eine schuldhafte Mitverursachung voraus. Auch wenn die Beklagte an die Weisungen der Ehefrau des Klägers nicht gebunden war, räumt dies die vom Berufungsgericht festgestellte und für den Kausalzusammenhang allein maßgebende Tatsache nicht aus, daß der Inhaber der Beklagten nur durch das Verhalten der Ehefrau des Klägers entgegen seinem ursprünglichen Entschluß zur Weiterfahrt bewogen wurde.

Dieses mitwirkende Verschulden seiner Ehefrau muß sich der Kläger entgegenhalten lassen. Zwar ist, soweit die Vertrags-, nicht die Deliktshaftung der Beklagten in Frage steht, der Kläger, in dessen Namen der Frachtvertrag geschlossen wurde, als Absender des Gutes allein berechtigt, die Schadensersatzansprüche aus eigenem Recht geltend zu machen und ist insoweit der Geschädigte im Sinne des § 254 BGB (RGZ 54, 407). Die in § 254 Abs 2 Satz 2 vorgesehene entsprechende Anwendung des § 278 BGB gilt aber für den ganzen Umfang des § 254, also auch bei der schuldhaften Mitwirkung bei der Entstehung des Schadens (so das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung RGZ 140, 7; 156, 205; 159, 292).

Entgegen der im Schrifttum weitgehend verbreiteten Rechtsmeinung (vgl insbesondere Enneccerus-Lehmann Aufl 1950 Schuldrecht § 16 II 2; Staudinger Aufl 9 § 254 BGB, Anm 2e; Fuchs in JW 1929 S 554) hält der Senat an der vom Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretenen Ansicht fest, daß sich der Geschädigte die schuldhafte Mitverursachung des Schadens durch seine Hilfspersonen nach § 278 BGB nur im Rahmen eines bestehenden Schuldverhältnisses anrechnen lassen muß (RGZ 75, 257; 79, 312; 140, 7; 156, 205; 159, 292; BGHZ 1, 248). Während § 254 Abs 2 eine besondere Verpflichtung des Geschädigten begründet, nach Entstehung des Schadens den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen oder den Schaden abzuwenden oder zu mindern, kann aus § 254 Abs 1 keine selbständige schuldrechtliche Verpflichtung des Geschädigten dem Schädiger gegenüber entnommen werden, ihm zum Nichteintritt der schädigenden Ursache behilflich zu sein (RGZ 119, 152; 140, 8). § 278 aber, der im schuldrechtlichen Teil des BGB aufgenommen worden ist, bezieht sich nach seinem Wortlaut wie seiner Einordnung im Gesetz nur auf die Haftung des Schuldners für fremdes Verschulden, setzt also ein bestehendes Schuldverhältnis voraus.

Bei der entsprechenden Anwendung des § 278 ist jedoch zu beachten, daß es sich bei dem Verschulden des Geschädigten im Sinne von § 254 nicht um die Verletzung einer ihm gegenüber einem anderen obliegenden Leistungspflicht, sondern um ein Verschulden in eigener Angelegenheit handelt. Der Rechtsgedanke des § 254 ist, daß derjenige, der die Sorgfalt außer acht läßt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, den Verlust oder die Verkürzung seines eigenen Schadensersatzanspruches in Kauf nehmen muß (RGZ 100, 44; 112, 287; 149, 7; 156, 207). Daraus, daß Verschulden nach § 254 nicht Verschulden gegen einen anderen, sondern Verstoß gegen das Gebot des eigenen Interesses ist, folgt, daß bei bestehenden Vertragsverhältnissen dem Geschädigten die schuldhafte Mitverursachung des Schadens durch Personen, die er mit der Wahrnehmung eines Pflichtenkreises beauftragt hat, der mit dem Vertragsverhältnis in unmittelbarem Zusammenhang steht, auch dann zum Schadensausgleich nach § 254 entgegengehalten werden kann, wenn er sich ihrer nicht zur Erfüllung einer vertraglichen Leistungspflicht, sondern der ihn aus § 254 im eigenen Interesse treffenden Obliegenheiten bedient hat. Die entsprechende Anwendung des § 278 kann hiernach zwar nicht dazu führen, das Verschulden von Hilfspersonen dem eigenen Verschulden des Geschädigten auch außerhalb eines Schuldverhältnisses gleichzustellen. Aus dem Rechtsgedanken des § 254, der einen Schadensausgleich auch dann vorsieht, wenn der Geschädigte nicht eine Leistungspflicht, sondern die ihm im eigenen Interesse obliegende Sorgfaltspflicht verletzt hat, kann nur gefolgert werden, daß ein "sich bedienen" im Sinne von § 278 nicht nur vorliegt, wenn der Dritte mit der Erfüllung einer dem Vertragspartner gegenüber obliegenden Leistungspflicht betraut war, sondern daß es im Rahmen des § 254 zur entsprechenden Anwendung des § 278 ausreicht, wenn die mit dem einschlägigen Pflichtenkreis betraute Hilfsperson bei einer für den entstehenden Schaden kausal gewordenen Handlung oder Unterlassung diejenige Sorgfalt außer acht gelassen hat, die nach der Sachlage im eigenen Interesse des Geschädigten geboten war (ähnlich schon RGZ 62, 106). Während § 278 BGB unmittelbar nur anzuwenden ist, wenn der Schuldner bei eigenem Handeln gleicher Art wegen Verletzung einer Vertragspflicht auf Schadensersatz haften würde (RGZ 63, 341; 160, 315), genügt es für die entsprechende Anwendung des § 278 bei der Schadensverteilung gemäß § 254, daß ein Dritter gegen das dem Geschädigten im eigenen Interesse obliegende Sorgfaltsverhalten verstoßen hat, wenn sich der Geschädigte der Hilfe dieses Dritten innerhalb eines Schuldverhältnisses zur Wahrung seiner eigenen Belange bedient hat.

Die Obliegenheit, sich selbst vor Schaden zu bewahren, deren Verletzung zwar keine Schadensersatzpflicht nach § 276 BGB, wohl aber die Schmälerung des eigenen Anspruchs gemäß § 254 BGB zur Folge hat, trifft den Geschädigten zwar nicht nur im Verhältnis zu seinem Vertragspartner, sondern auch gegenüber dem außervertraglichen Schädiger. Der Rechtsgedanke des § 278, der das Verschulden Dritter dem eigenen Verschulden des Schuldners gleichstellt, ohne ihm einen Entlastungsbeweis zu eröffnen, wie ihn § 831 BGB für den Verrichtungsgehilfen vorsieht, gilt jedoch nur innerhalb bestehender Schuldverhältnisse. Er findet seine Rechtfertigung in der aus der vertraglichen Bindung folgenden besonderen Treuepflicht. Dieser gesetzgeberische Grund für die über die Haftung für Verrichtungsgehilfen hinausgehende Haftung für die Erfüllungsgehilfen rechtfertigt aber zugleich - entgegen der von der Rechtslehre vertretenen Meinung - die unterschiedliche Behandlung von Hilfspersonen beim Schadensausgleich gemäß § 254, je nachdem, ob sie die Obliegenheit des Geschädigten, sich selbst vor Schaden zu bewahren, im Rahmen eines Vertragsverhältnisses oder außerhalb eines Vertragsverhältnisses schuldhaft verletzt haben; denn nur bei einer schuldrechtlichen Bindung der Beteiligten stellt das gesamte, dem Schuldner in Ansehung der Erfüllung obliegende Sorgfaltsverhalten, auch soweit es ein Gebot des eigenen Interesses ist, eine Erfüllungshandlung dar.

In dem zur Entscheidung stehenden Fall hatte der Kläger seine Ehefrau nicht nur mit dem Abschluß des Frachtvertrages, sondern auch mit der Begleitung des Transportes betraut. Es ist hierbei zu berücksichtigen, daß bei Durchführung des Transportes im Oktober 1945 in Deutschland noch keine normalen Transportverhältnisse herrschten. Infolge der Nachkriegswirren barg fast jeder Transport ungewöhnliche Risiken in sich. Während es im allgemeinen bei Abschluß eines Frachtvertrages über totes Inventar nicht üblich sein mag, daß der Absender eine eigene Hilfsperson den Transport zwecks Überwachung und Pflege des Transportgutes begleiten läßt, war dies in der damaligen Zeit bei umfangreicherem, wertvollen Transportgut weitgehend Brauch. So hatte sich nicht nur die Ehefrau des Klägers, sondern auch der Zeuge Z., ein früherer Mitarbeiter des Klägers, als Begleiter für den Transport zur Verfügung gestellt, um bei seiner Durchführung behilflich zu sein. Es muß bei dieser Sachlage unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen Verhältnisse dieser Nachkriegszeit davon ausgegangen werden, daß die Ehefrau des Klägers sich nicht nur als zufälliger Fahrgast während des Transportes auf dem Fahrzeug befand, sondern um die ordnungsgemäße Durchführung und Abwicklung des Transportes zu überwachen. Wenn sie im Rahmen dieses ihr vom Kläger anvertrauten Pflichtenkreises, der im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Transport stand, den Inhaber der Beklagten zur Weiterfahrt veranlaßte, obwohl auch ihr die damit verbundene Gefährdung des Transportgutes erkennbar sein mußte, so muß der Kläger seinem Ersatzanspruch aus dem Vertragsverhältnis dieses mitwirkende Verschulden seiner Ehefrau entgegenhalten lassen.

Das angefochtene Urteil verletzt § 254 BGB, indem es, obwohl es ein Verschulden der Ehefrau des Klägers bejaht, den Grad ihrer Mitverursachung des Schadens ungeprüft läßt. Nur die vom Berufungsgericht tatsächlich festgestellte Sachlage, nicht aber die Beurteilung, ob und in welchem Umfange der Schaden auf Grund dieses Sachverhalts gemäß § 254 BGB zu verteilen ist, ist der Nachprüfung des Revisionsgerichts entzogen. Da der Tatbestand ausreichend geklärt ist, bedarf es keiner Zurückverweisung. Das Revisionsgericht ist vielmehr selbst in der Lage, die Verteilung des Schadens vorzunehmen (RG in JW 06, 544; RGZ 134, 66; 141, 353; 154, 369). Unter Abwägung des Grades der Verursachung und der Größe des Verschuldens erscheint es gerechtfertigt, daß der Kläger sich die Mitverursachung des Schadens durch seine Ehefrau zu einem Drittel des Gesamtschadens anrechnen lassen muß.

Bisweilen wirkt sich die als Wohltat für schutzbefohlene Familienangehörige gedachte Entwicklung des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auch nachteilig für die Schutzbefohlenen aus, wenn die Schutzwirkungen zur Begründung der Sonderbeziehung zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger herangezogen werden, innerhalb derer das Fehlverhalten des gesetzlichen Vertreters anspruchskürzend in Rechnung gestellt wird:

Gericht: BGH 6. Zivilsenat, Datum: 29.04.1953, Az: VI ZR 63/52

Leitsatz

Besteht zwischen dem Schädiger und Geschädigten ein schuldrechtliches Verhältnis und ist im Rahmen dieser Beziehung ein vom Schädiger zu vertretender Schaden verursacht worden, so muß sich der Geschädigte ein für die Entstehung des Schadens mitursächliches Verschulden seines gesetzlichen Vertreters auch dann nach den BGB § 254, BGB § 278 anrechnen lassen, wenn der Schadenersatzanspruch ausschließlich auf RHaftPflG § 1 gestützt wird.

Fundstelle

BGHZ 9, 316-320 (LT1)

Tatbestand

Eine Mutter fuhr mit ihrem 4 1/2jährigen Kind in einem Personenzug der Bundesbahn. Das Kind spielte am Türschloß, die Tür öffnete sich, und das Kind fiel aus dem fahrenden Zug. Es erlitt schwere Verletzungen und fordert von der Bundesbahn auf Grund des Reichshaftpflichtgesetzes Schadensersatz.

Das Landgericht hat mit Rücksicht auf ein Verschulden der Mutter bei der Überwachung des Kindes die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Die Revision der beklagten Bundesbahn führte zur Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe

Der Kläger hat seinen Schadensersatzanspruch nur noch auf das Reichshaftpflichtgesetz gestützt. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß es sich um einen Betriebsunfall im Sinne des § 1 HaftpflG handele und dieser nicht durch höhere Gewalt verursacht sei. Insoweit werden auch von der Revision keine Bedenken geltend gemacht. Ebenso ist mit Recht davon ausgegangen, daß die Mitverursachung des Klägers selbst mit Rücksicht auf dessen fehlende Zurechnungsfähigkeit (§ 828 Abs 1 BGB) im Rahmen des § 254 BGB nicht berücksichtigt werden könne.

Die Entscheidung ist lediglich davon abhängig, ob sich der Kläger ein Verschulden seiner Mutter, das diese bei Außerachtlassung ihrer Aufsichtspflicht treffen würde, anrechnen lassen muß. Das Berufungsgericht verneint diese Frage, die Revision will sie in Übereinstimmung mit dem Landgericht bejahen. Das Berufungsgericht geht von der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts aus, wonach dem Geschädigten ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters oder einer Hilfsperson, das für die Entstehung des Schadens ursächlich war, nur dann anzurechnen ist, wenn es im Rahmen eines bestehenden Schuldverhältnisses erfolgte oder wenn wenigstens etwas einer Verbindlichkeit Ähnliches vorlag (Nachweise im BGB RGRK 10. Aufl Anm 3 zu § 254). Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat diese, von einem großen Teil des Schrifttums bekämpfte Rechtsprechung des Reichsgerichts bestätigt (BGHZ 1, 248). Auch der I. Zivilsenat geht von ihr aus (BGHZ 3, 46). Es braucht hier jedoch nicht näher auf diese Frage eingegangen zu werden; denn mit Recht weist die Revision darauf hin, daß zwischen den Parteien (Kind und Bahn) schuldrechtliche Beziehungen bestanden. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Mutter des Klägers durch Lösung der Kinderfahrkarte für den Kläger einen eigenen Beförderungsvertrag abgeschlossen hat. Nimmt man das an, wurde zwischen den Parteien ein Vertragsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten begründet. Nimmt man aber an, daß nur die Mutter Vertragspartnerin der Beklagten wurde und als solche das Recht erwarb, den Kläger mitzunehmen, so hatte das Kind aus diesem Vertrage ein Recht auf wohlbehaltene Beförderung mit der Folge, daß die Beklagte bei Verletzung ihrer Obhutspflichten dem Kinde aus Vertrag schadensersatzpflichtig wurde. Der Beförderungsvertrag zwischen der Mutter und der Bahn würde dann zugleich ein Vertrag zugunsten eines Dritten, nämlich des Klägers sein (RG Recht 1924 Nr 161). Beim Vertrage zugunsten eines Dritten im Sinne des § 328 BGB ergibt sich aber aus der Berechtigung des Dritten für diesen die jeden Gläubiger treffende Sorgfaltspflicht bei Ausübung seiner Rechte (Erman-Westermann, Komm zum BGB Vorbem 3c vor 328; vgl auch RG JW 1913, 426). Insoweit ist das Verhältnis zwischen dem Versprechenden und dem Dritten als vertragsähnliches Verhältnis anzusehen (BGB RGRK 10. Aufl Anm 2 zu § 328; Palandt BGB 10. Aufl Vorbem 2c vor § 328). In ähnlicher Weise ist auch bei einem Mietvertrag, aus dem ein Kind gemäß § 328 BGB Vertragsrechte erwirbt, zwischen Vermieter und Kind ein schuldrechtliches Verhältnis mit der Folge angenommen worden, daß bei einem Schadensersatzanspruch des Kindes gegen den Vermieter das Verschulden des gesetzlichen Vertreters dem Kinde gemäß den §§ 254, 278 BGB angerechnet worden ist (Urteil des III. Zivilsenats vom 28. April 1952 - III ZR 118/51 - NJW 1952, 1050 (1053)). So ist auch hier für die entsprechende Anwendung des § 278 BGB im Rahmen des § 254 BGB Raum, selbst wenn nur ein Vertrag zugunsten des Kindes auf Beförderung anzunehmen sein sollte.

Im Sinne des § 254 BGB besteht das Verschulden des Geschädigten darin, daß dieser diejenige Sorgfaltspflicht außer acht läßt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (RGZ 112, 284 (287); RGZ 149, 6 (7); RG DJ 1939, 1439). Das Gesetz sieht es - das ist der Rechtsgedanke dieser Bestimmung - als billig an, daß derjenige, der gegen das Gebot des eigenen Interesses handelt und hierdurch den Schaden mitverursacht, den Verlust oder die Kürzung seines Schadensersatzanspruches in Kauf nehmen muß (BGHZ 3, 46 (49)). Der 4 1/2jährige Kläger war nun selbst nicht in der Lage, die in seinem Interesse bestehenden Obliegenheiten während der Beförderung wahrzunehmen. Diese Aufgaben nahm ihm seine Mutter in Erfüllung ihrer gesetzlichen Fürsorge- und Aufsichtspflicht (§ 1634 BGB) ab. Wenn sie die Aufsichtspflicht während der Beförderung schuldhaft verletzte, so ist, wie das Reichsgericht (RGZ 149, 4) in einem ähnlich liegenden Fall überzeugend ausgeführt hat, ihr Verschulden dem Verschulden des Vaters als des gesetzlichen Vertreters gleichzustellen. Die Anwendung des § 278 BGB kann auch nicht deshalb entfallen, weil der Kläger seinen Schadensersatzanspruch nur auf die Bestimmungen des Reichshaftpflichtgesetzes stützt. Entscheidend kann nicht sein, welche Klagegrundlage der Kläger zur Begründung seines Schadensersatzanspruches wählt, sondern allein, daß der Schaden im Rahmen des begründeten vertraglichen oder vertragsähnlichen Verhältnisses entstanden ist und daß die Mutter die Obliegenheiten des Klägers in diesem Verhältnis verletzt hat. Wenn vom Reichsgericht und vom Bundesgerichtshof ausgesprochen worden ist, dem Geschädigten könne bei einer Klage aus unerlaubter Handlung ein für die Entstehung des Schadens mitursächliches Verschulden seines gesetzlichen Vertreters nicht nach § 254 Abs 1 BGB entgegengehalten werden, so handelte es sich immer um Fälle, in denen, wie es gewöhnlich zutrifft, schuldrechtliche Beziehungen zwischen Schädiger und Geschädigtem vor dem haftungsbegründenden Ereignis nicht bestanden (RGZ 75, 257; RGZ 159, 283 (292); BGHZ 1, 248). Auch in RGZ 62, 346, in der das Reichsgericht der Bahn gegen ein unentgeltlich befördertes und durch den Bahnbetrieb verletztes dreijähriges Kind die Berufung auf das Verschulden der Mutter versagt hat, ist davon ausgegangen, daß schuldrechtliche Beziehungen zwischen Kind und Bahn vor dem Schadensereignis nicht vorlagen. Ob dem zu folgen ist, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls trifft diese Annahme in dem hier zu entscheidenden Fall nicht zu. Daß es nach Eintritt des schadenstiftenden Ereignisses dem Geschädigten anzurechnen ist, wenn der gesetzliche Vertreter schuldhaft den Schaden nicht abwendet oder mindert, ist allgemein anerkannt (RGZ 141, 353 (355); RGZ 156, 193 (205)). Der Grund, hier den § 278 BGB im Rahmen des § 254 Abs 2 BGB entsprechend anzuwenden, ist darin gesehen, daß durch die unerlaubte Handlung Rechtsbeziehungen zwischen Schädiger und Geschädigtem entstanden waren. Bestanden aber vertragliche oder vertragsähnliche Beziehungen zwischen ihnen schon vor dem schadenstiftenden Ereignis, so muß das gleiche geltenden. Die rechtliche Folge des Schadenseintritts kann also nicht losgelöst von den vertraglichen Beziehungen gewürdigt werden, innerhalb derer der Schaden entstanden ist. Demgemäß muß hier Berücksichtigung finden, daß der Kläger den Schaden nicht als irgendein vom Betrieb der Bahn Betroffener erlitten hat, sondern gerade während der vertraglich vereinbarten Beförderung (im Ergebnis ebenso Friese: Reichshaftpflichtgesetz 1950 C II 2a zu § 1).

In allen Fällen ohne Sonderbeziehung zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger kommt eine Anspruchskürzung für Drittbeiträge nach der Rechtsprechung nur unter den Voraussetzungen der §§ 31, 831 BGB in Betracht. Diese Rechtsprechung liegt auf der Linie des allgemein für § 254 Abs. 1 BGB verfolgten dogmatischen Konstruktionsprinzips: der Selbstbehalt des Geschädigten tritt genau dann ein, wenn im Verhältnis zum Dritten eine Haftung begründet wäre. Wo eine Anspruchskürzung wegen des Drittbeitrags nicht in Betracht kommt, stehen der Dritte und der Schädiger zum Geschädigten regelmäßig in einem Gesamtschuldverhältnis:

Gericht: BGH 6. Zivilsenat, Datum: 16.01.1979, Az: VI ZR 243/76

Leitsatz

Ist für die Verletzung eines Kleinkindes sowohl das Verschulden eines Dritten ursächlich geworden als auch der Umstand, daß ein Elternteil diejenige Beaufsichtigung versäumt hat, die ihm gerade in seiner elterlichen Eigenschaft oblag, dann haften Dritter und schuldiger Elternteil als Gesamtschuldner gem BGB § 823, BGB § 840, BGB § 426 (anders RG 1921-02-28 VI 509/20 = Gruchot Beitr 65, 477).

Fundstelle

BGHZ 73, 190-196 (LT1)

Tatbestand

Die Klägerin, eine allgemeine Ortskrankenkasse, begehrt von der Beklagten als Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer gemäß § 1542 RVO Ersatz für Heilbehandlungskosten, die ihr aus Anlaß der Verletzung des bei ihr familienversicherten Kindes W. G. entstanden sind.

Das zur Unfallzeit 2 3/4 Jahre alte Kind hatte sich mit seiner Mutter in einem Ladenlokal einer kleinen Ortschaft aufgehalten, war jedoch dort der Mutter ausgerissen und hüpfte auf der Gehwegfläche vor dem Laden umher. Die Mutter bemerkte dies bei einem Blick durch die Schaufensterscheibe, holte das Kind aber nicht in den Laden zurück. Beim Umherhüpfen geriet das Kind auf die Fahrbahn. Hier wurde es durch den vorüberfahrenden Pkw eines Versicherungsnehmers (VN) der Beklagten erfaßt und verletzt.

Die Beklagte hält dem Ersatzanspruch der Klägerin ua entgegen, das Kind müsse sich ein Mitverschulden seiner Mutter anrechnen lassen, weil die Mutter ihrer Aufsichtspflicht nicht genügt und dadurch zum Schadenseintritt beigetragen habe.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf deren Berufung hat das Oberlandesgericht den von der Beklagten zu zahlenden Betrag um den auf 1/3 bemessenen Haftungsanteil der Mutter gekürzt. Mit ihrer insoweit zugelassenen Revision tritt die Klägerin dieser Auffassung des Berufungsgerichts entgegen.

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht (das Urteil ist VersR 1977, 729 abgedruckt) geht aufgrund seiner tatsächlichen Feststellungen von einer Haftung des Kraftfahrers und damit der Beklagten (§ 3 PflVG) sowohl nach § 7 StVG als auch nach § 823 BGB aus. Dies bedarf auch in rechtlicher Sicht nicht der Prüfung des Revisionsgerichts, weil nur darüber zu entscheiden ist, ob sich mit Rücksicht auf das geltend gemachte Verschulden der Mutter des Kindes die Haftung der Beklagten mindert, und weil insoweit das angefochtene Urteil, wie noch auszuführen, jedenfalls von seiner weiteren Begründung getragen wird.

Soweit das Berufungsgericht nach tatrichterlichem Ermessen die Verursachungsbeiträge gemäß §§ 426, 254 BGB dahin abgewogen hat, daß der Mutter des Kindes 1/3 zur Last fällt, ist jedenfalls nicht ersichtlich, daß dieser Anteil rechtsfehlerhaft zu hoch angesetzt wäre. Von ihm ist also mit dem Berufungsgericht auszugehen.

II.1. Das Berufungsgericht beschränkt den Rückgriffsanspruch der Klägerin in entsprechender Anwendung des § 67 Abs 2 VVG auf die Haftungsquote, die nach Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zwischen der Mutter des Kindes und dem Versicherungsnehmer der Beklagten letzterer zu tragen habe. Hierfür stützt es sich auf die Rechtsprechung des Senats zum gestörten Innenausgleich zwischen Gesamtschuldnern. Es meint weiter, im Rahmen dieses Ausgleichs könne die Haftungserleichterung der §§ 1664 Abs 1, 277 BGB der Beklagten nicht entgegengehalten werden, weil sie nur im Innenverhältnis zwischen Mutter und Kind wirkt. Davon abgesehen habe die Mutter auch unter Zugrundelegung dieses milderen Haftungsmaßstabes schuldhaft gehandelt.

a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß sich das verletzte Kind das Verschulden seiner Mutter außerhalb einer rechtlichen - insbesondere vertraglichen - Sonderverbindung nicht unmittelbar anrechnen lassen muß (§ 254 Abs 1 BGB). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 1, 148, 251; zuletzt Senatsurteil vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 159/73 - VersR 1975, 133, 134f mwN). Die Revision greift dies als ihr günstig nicht an.

b) Das Berufungsgericht lehnt auch mit Recht eine Anwendung der Billigkeitsvorschrift des § 829 BGB ab. Für sie ist in aller Regel kein Anlaß, wo der unbedachten Selbstgefährdung eines noch sehr kleinen Kindes die Gefährdungshaftung des § 7 StVG gegenübersteht, in deren Höchstgrenzen sich hier der Klageanspruch hält, und die im Regelfall immer von der Pflichtversicherung gedeckt wird. Dies entspricht auch der, soweit ersichtlich, ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl etwa Senatsurteil vom 26. Juni 1973 - VI ZR 47/72 - VersR 1973, 925 mN).

2. Gleichwohl ist dem Berufungsgericht beizutreten, soweit es eine Beschränkung des mit der Klage verfolgten Anspruchs für richtig hält.

a) Das Berufungsgericht, das deshalb die Revision zugelassen hat, folgt mit Recht nicht einer Rechtsprechung des Reichsgerichts, wonach zwischen einer Haftung dem Kinde gegenüber aus Verletzung der familienrechtlich begründeten Fürsorgepflicht und derjenigen aus Schädigung des Kindes durch die unerlaubte Handlung eines Dritten schlechthin kein Gesamtschuldverhältnis begründet werden könne. Diese Auffassung ist jedenfalls in der Form, wie sie schließlich in dem Urteil Gruchot Beitr 65, 477 vom 28. Februar 1921 Ausdruck gefunden hat, mit dem System des Deliktsrechts nicht vereinbar, mögen auch (dort in Bezug genommene) frühere Reichsgerichtsentscheidungen (vor allem RGZ 75, 251) einer wohlwollenderen Deutung zugänglich, also möglicherweise nur mißverständlich sein.

In der Entscheidung vom 28. Februar 1921 unterstellt das Reichsgericht, der Vater des Kindes habe durch ungenügende Beaufsichtigung ermöglicht, daß dieses durch die Eisenbahn verletzt worden ist. Gleichwohl hält es einen Ausgleichungsanspruch der Eisenbahn gegen ihn von vorneherein für ausgeschlossen, weil dem Vater nicht eine allgemeine Rechtspflicht zur Behütung des Kindes obgelegen habe. Diese verfehlte Betrachtungsweise hat auch in neuerer Zeit noch Billigung gefunden (Dölle, Familienrecht Bd II S 165 bei § 92 I 5 aE; bedenklich auch Böhmer MDR 1966, 648, 649; zumindest mißverständlich Wussow Unfallhaftpflicht 12. Aufl Rz 564; ders W I 1968, 51 und 1976, 148; richtig dagegen etwa Erman BGB § 1664 Rdn 6 aam). Das genannte Urteil des Reichsgerichts übersieht offensichtlich, daß sich die Verletzung eines deliktsrechtlich geschützten Rechtsgutes (hier der Gesundheit) auch durch die Unterlassung einer aus einer Sonderverbindung entspringenden Pflicht verwirklichen kann, wie hier der elterlichen Fürsorgepflicht oder auch einer Aufsichtspflicht, die durch Vertrag übernommen ist und deshalb gerade nicht jedem Dritten in gleicher Weise obläge.

Der Ausgangspunkt der genannten Rechtsprechung ist insofern richtig, als zwischen der Schadensersatzpflicht des Schädigers und der davon unabhängigen Pflicht der Eltern, aus §§ 1601ff BGB, für die unfallbedingt erhöhten Bedürfnisse des Kindes aufzukommen, ein zur Ausgleichung führendes (echtes) Gesamtschuldverhältnis nicht bestehen kann. Richtig ist ferner, daß bei einer Fallkonstellation wie der jetzt zur Entscheidung stehenden für eine Anwendung der Vorschrift des § 832 BGB kein Raum ist (so zutreffend OLG Oldenburg NdsRPfl 1974, 135). Denn der dort unter Beweislastumkehr statuierte Haftungstatbestand betrifft keine Haftung dem Beaufsichtigten (hier dem Kind) gegenüber; nur eine solche aber könnte zu einer Ausgleichungspflicht führen.

Jedenfalls in der oben genannten Entscheidung Gruchot Beitr 65, 477 hat das Reichsgericht aber offensichtlich übersehen, daß eine Körperverletzung im Sinne des § 823 Abs 1 sowie Abs 2 BGB, letzterenfalls in Verbindung mit § 230 StGB (vgl OLG Nürnberg VersR 1973, 720), auch durch die Verletzung einer irgendwie gearteten Obhutspflicht gegenüber dem Verletzten begangen werden kann (vgl etwa Deutsch, Haftungsrecht, Allgemeiner Teil § 10 III 4 = S 128f). Daß insoweit eine familienrechtlich begründete Obhutspflicht eine Ausnahme begründen soll, ist nicht einzusehen.

Damit kommt es für den zur Entscheidung stehenden Fall nicht mehr darauf an, daß hier die Mutter schon dadurch, daß sie das Kleinkind zum Einkauf mitgenommen hatte, wohl auch eine jedem Dritten damit in gleicher Weise anfallende allgemeine Rechtspflicht zu dessen Beaufsichtigung übernommen und verletzt hat, ohne daß es dabei auf ihre Elterneigenschaft ankäme, und daß deshalb hier wohl auch das Reichsgericht eine zur Ausgleichung verpflichtende Haftung bejaht haben würde (vgl RG GruchB 56, 586 = JW 1912, 190).

b) Daß eine Haftung der Mutter dem Kind gegenüber ungeachtet der Vorschrift des § 1664 BGB gegeben ist, stellt das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler fest. Denn es schließt aus der Bekundung der Mutter, ihr sei das Kind "ausgekommen" (dh entlaufen), und sie habe sich gleichwohl davon abhalten lassen, es alsbald zurückzuholen, daß sie hier eine Vorsichtsmaßnahme vernachlässigt hat, die sie selbst als geboten ansieht. Diese tatrichterliche Würdigung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Infolgedessen kann hier von einer Anwendung der sog diligentia quam in suis keine Rede sein, so daß es auch auf die Frage, ob diese Haftungserleichterung etwa nur gegenüber Ansprüchen aus der Verletzung bloß familienrechtlich begründeter Sorgfaltspflichten gilt, nicht ankommt.

Daher begrenzt das Berufungsgericht zutreffend den Umfang der auf die Klägerin gemäß § 1542 RVO übergegangenen Ersatzansprüche des verletzten Kindes in entsprechender Anwendung des § 67 Abs 2 VVG (BGHZ 41, 79) auf den Haftungsanteil, den der Zweitschädiger (der Versicherungsnehmer der Beklagten) im Innenverhältnis zum Erstschädiger (der Mutter des verletzten Kindes) zu tragen haben würde. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats und beruht auf der Erwägung, daß der dem § 67 Abs 2 VVG zugrundeliegende Zweck - Mutter und Kind leben in häuslicher Gemeinschaft - angesichts des sozialen Schutzzwecks öffentlicher Versicherungsleistungen erst recht dann durchschlägt, wenn es sich um den Forderungsübergang auf einen Sozialversicherungsträger nach § 1542 RVO handelt (vgl Senatsurteil vom 14. Juli 1970 - VI ZR 179/68 = BGHZ 54, 256).

c) Demgegenüber meint die Revision, die Ausführungen des Berufungsgerichts darüber, daß sich die Mutter nicht im Rahmen ihrer sonst geübten Sorgfalt gehalten habe, seien keine tatrichterliche Feststellung, sondern nur eine "beiläufige Bemerkung". Darin kann ihr nicht gefolgt werden.

Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, wie die Rechtslage wäre, wenn die Mutter das Haftungsprivileg des § 1664 Abs 1 iVm § 277 BGB doch zugute käme. Dann könnte sich fragen, ob die Freistellung der Mutter ebensowenig zu Lasten eines dritten Schädigers gehen würde, wie dies in dem Senatsurteil BGHZ 35, 317 hinsichtlich der Schädigung einer Ehefrau durch den Ehemann (BGB § 1359) entschieden worden ist, oder ob gemäß der weiteren Rechtsprechung des Senats zum Bereich des "gestörten Innenausgleichs" (vgl BGHZ 61, 51) der weitere Klaganspruch schon deshalb scheitert, weil insoweit ein übergangsfähiger Anspruch des Kindes gar nicht bestanden hat.

Anders als bei der Anrechnung von Eigenbeiträgen folgt die Literatur dem von der Rechtsprechung für richtig gehaltenen Prinzip für die Anrechnung von Drittbeiträgen überwiegend nicht. Die einen wollen die Anrechnung vom Erfordernis des Schuldverhältnisses befreien (Lange, § 10 XI 6; Larenz, SchuldR AT, § 31 I d). Sie behandeln somit § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB als für § 254 Abs. 1 BGB geltende Rechtsfolgenverweisung. Die anderen lassen § 278 BGB ausschließlich im Erfüllungsbereich zur Anwendung kommen (Esser/Schmidt, § 35 III 1.2.). Die verbale Differenz steht hier indessen nicht für unterschiedliche Entscheidungsvorschläge.

Lange, Larenz und Esser/Schmidt lehnen die Rechtsprechung aus übereinstimmenden Gründen ab und unterbreiten übereinstimmende Entscheidungsvorschläge. Testfälle sind das Zusammentreffen einer deliktischen Schädigung mit einer Schädigung durch den vom Geschädigten eingesetzten "Bewahrungsgehilfen" einerseits und mit einer Schädigung durch den gesetzlichen Vertreter (mangelnde Aufsicht) andererseits. Der Beitrag des Bewahrungsgehilfen soll angerechnet, der des gesetzlichen Vertreters außer acht gelassen und der deliktische Schädiger damit auf den Regress gegen den gesetzlichen Vertreter des Geschädigten (§ 426 BGB) verwiesen werden. Larenz erreicht das technisch durch die Rechtsfolgenverweisung, von der der gesetzliche Vertreter ausgenommen wird (§ 31 I d; ähnlich Lange, § 10 VI 6 b). Esser/Schmidt möchten die Schaffung des Bewahrungsrisikos als anrechenbaren Umstand i.S. des § 254 Abs. 1 BGB verstanden wissen und benötigen deshalb keine Verweisung mehr (§ 35 III 1). Die Außerachtlassung der deliktischen Mitbeteiligung des gesetzlichen Vertreters legitimieren die Schuldrechtslehrer mit der fehlenden Haftung des Vertretenen für die Schäden, die der Vertreter Dritten zufügt (Larenz, § 31 I d; Esser/Schmidt, § 35 III 2 und 3) und halten damit der Rechtsprechung das ihr eigene Konstruktionsprinzip vor.

Letztlich vermag keines der vorgestellten Lösungsangebote zu überzeugen, weil sie alle die ausdrückliche Auseinandersetzung mit dem alternativen Regelungsmodell vermissen lassen: der Abwicklung des Konflikts nach den Gesamtschuldregeln. Am Konflikt sind ein Geschädigter und mehrere Schädiger beteiligt. Prinzipiell bestehen zwei Abwicklungsmöglichkeiten mit identischer Letztverteilung: erstens die Schädiger von vornherein schon gegenüber dem Geschädigten nur nach Maßgabe ihres Schädigungsbeitrags haften zu lassen (Teilschuldner) oder zweitens die Schädiger als Gesamtschuldner dem Schädiger gegenüber auf das Ganze (§ 421 BGB) zu verpflichten und die Anteile im Regress untereinander bestimmen zu lassen (§ 426 BGB). Die anspruchkürzende Zurechnung des Verschuldens eines Bewahrungsgehilfen führt zu einer (partiellen) Teilschuld. Eine Begründung für die Versagung des Gesamtschuldprivilegs ist damit noch nicht gegeben. Immerhin ordnet § 840 BGB für das Zusammentreffen deliktischer Haftungen die Gesamtschuld ausdrücklich an. Warum dies für das Zusammentreffen von oder mit vertraglichen Schadensersatzansprüchen anders sein sollte, ist nicht ohne weiteres einleuchtend, dienen doch sowohl die verletzten Pflichten als auch die resultierenden Ersatzansprüche alle dem Schutz ein- und desselben Interesses (Schutzzweckgesamtschuld i.S. Ehmanns; vgl. dazu AK-BGB/Rüßmann, § 421 Rz. 5). Eine Versagung des Gesamtschuldprivilegs sollte deshalb nur in besonders begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Die arbeitsteilige Vergabe von Pflichten (etwa vom Bauherrn an Architekten, Statiker, Bauunternehmer) reicht allein nicht aus, um dem Bauherrn das Verschulden des einen gegenüber seinem Ersatzanspruch an einen anderen anzurechnen. Angerechnet werden sollte hier nur ein mögliches Auswahl- oder Überwachungsverschulden des Auftraggebers selbst. Darüber hinaus ist eine Anrechnung von Drittverschulden nur dann vertretbar, wenn der Dritte im Rahmen einer vom Geschädigten unterhaltenen Organisation tätig ist und von anderen Leistungen an die Organisationseinheit erbracht werden, die sich u. a. deshalb schädigend auswirken, weil die Organisation nicht die Vorkehrungen zur Schadensverhütung getroffen hat, die dem Geschädigten auch als Einzelperson obgelegen hätten (z. B. Untersuchungs- und Rügepflichten). Die Rechtsprechung zum Bewahrungsgehilfen (BGH 3, 46; BGH 36, 329) sprengt ebenso wie die angeführte Literatur die skizzierten Ausnahmebereiche und ist deshalb abzulehnen. Für die Rechtsprechung oder besser dafür, mit Esser/Schmidt (§ 35 III 1) die Schaffung eines Bewahrungsrisikos als Anrechnungsfaktor anzuerkennen, sprechen indessen Vorschriften aus speziellen Haftpflichtgesetzen (§ 4 HaftpflichtG, § 9 StVG, § 34 LuftVG, § 27 AtomG, § 6 ProdHaftG), nach denen sich der Geschädigte die Schädigungsbeiträge derer anrechnen lassen muss, die die tatsächliche Gewalt über die beschädigte Sache ausüben.

 

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© Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann. 
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