| |
Die Zurechnung des Fehlverhaltens Dritter
Die Regeln, nach denen der Geschädigte sich ein Fehlverhalten Dritter
anspruchskürzend entgegenhalten lassen muss, sind in Rechtsprechung und Literatur
außerordentlich umstritten (Überblick bei Lange, Schadensersatz, Handbuch des
Schuldrechts, § 10 XI). Der Streit entzündet sich insb. an der Frage, welche
Bedeutung
§ 254 Abs. 2 Satz 2 mit seiner Verweisung auf
§ 278
hat.
Eindeutig ist allein das Gebot, § 278 im Rahmen des § 254 Abs. 2
anzuwenden. Wird es versäumt, den Schädiger auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen
Schadens aufmerksam zu machen, den Schaden abzuwehren oder ihn zu mindern, so führt das
zu einer Anspruchskürzung auch dann, wenn das jeweilige Versäumnis nicht dem
Geschädigten selbst, sondern seinem gesetzlichen Vertreter oder einer von ihm
eingesetzten Hilfsperson zum Vorwurf gereicht. Zweifelhaft ist aber, ob und wenn ja, in
welchem Umfang die Verweisung auf § 278 auch für § 254 Abs. 1 gilt.
Nach der Rechtsprechung gilt die Verweisung für Abs. 1 - allerdings nur als
Rechtsgrundverweisung. Deshalb kann § 278 im Rahmen des § 254 Abs. 1 nur
dann zur Anwendung gelangen, wenn zwischen Schädiger und Geschädigtem ein
Schuldverhältnis oder doch wenigstens eine vertragsähnliche Beziehung bestanden hat.
Daran fehlte es in der ersten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu diesem
Problemkomplex:
Gericht: BGH 3. Zivilsenat, Datum: 08.03.1951, Az: III ZR 65/50
Leitsatz
Die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts, daß dem Geschädigten bei einer Klage
aus unerlaubter Handlung hinsichtlich der Entstehung des Schadens mitursächliches
Verschulden seines gesetzlichen Vertreters nicht nach BGB § 254 Abs 1 anzurechnen
ist, wird aufrechterhalten.
Fundstelle
BGHZ 1, 248-253 (LT1)
Gründe
Zu Unrecht rügt die Revision, daß das Berufungsgericht unter Anwendung der
Rechtsprechung des Reichsgerichts das angebliche Verschulden des Vaters des (zur Zeit des
Unfalls 8 Jahre alten) Klägers nicht berücksichtigt hat. Sie bittet um Überprüfung der
Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Frage, ob und wieweit der Geschädigte sich das
Verschulden seines gesetzlichen Vertreters gemäß § 254 BGB im Rahmen seiner
Ansprüche aus unerlaubter Handlung als Mitverschulden anrechnen lassen muß.
Einigkeit in Rechtsprechung und Schrifttum besteht darüber, daß § 278 BGB,
obgleich seine entsprechende Anwendung nur in § 254 Abs 2 BGB ausgesprochen ist,
nicht nur in den Fällen des § 254 Abs 2 BGB für die Schadensabwendung und für die
Schadensminderung anzuwenden ist, sondern auch auf das Verschulden bei der Entstehung des
Schadens. Streitig ist dagegen, was unter "entsprechender Anwendung" des
§ 278 zu verstehen ist. Das Reichsgericht hat in ständiger, auch nach wiederholten
Überprüfungen beibehaltener Rechtsprechung als Voraussetzung einer Berücksichtigung des
Verschuldens der gesetzlichen Vertreter und der Erfüllungsgehilfen verlangt, daß die
gesetzlichen Vertreter und die Erfüllungsgehilfen in Erfüllung einer schon bestehenden
Verbindlichkeit des Geschädigten gehandelt haben: mindestens verlangt es, daß etwas
einer Verbindlichkeit Ähnliches vorliegt. Bei unerlaubten Handlungen hat es daher das
Verschulden dieser Personengruppen bei Entstehung eines Schadens dem Geschädigten nicht
nach § 278 angerechnet. Es hat ein Verschulden dieser Personengruppen nur
berücksichtigt, soweit im Einzelfalle der Geschädigte für das Verhalten dieser
Personengruppen nach § 831 einzustehen hat. Eine Ausnahme hat es für § 254
Abs 2 bei mangelnder Schadensabwendung oder -minderung angenommen (vgl Zusammenstellung in
RGRK 9. Aufl § 254 Anm 3).
Diese Rechtsprechung des Reichsgerichts findet ihre Grundlage darin, daß § 278
BGB die Anrechnung des Verschuldens dritter Personen nur insoweit zuläßt, als der
Schuldner sich dieser Personen "zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient";
daraus wird gefolgert, daß eine Verbindlichkeit oder etwas einer Verbindlichkeit
Ähnliches zwischen Schädiger und Geschädigtem zur Zeit der fraglichen Handlungen
bereits bestanden haben müsse. Die Ansicht, ein derartiges Verhältnis liege nicht nur in
den Fällen des § 254 Abs 2 BGB vor, vielmehr sei auch § 254 Abs 1 der
Ausfluß einer solchen Rechtspflicht ("Verschulden gegen sich selbst";
"jeder sei verpflichtet, sich und seine Güter vor Schaden zu bewahren";
"jedermann habe die dem normalen Menschen obliegende Sorgfaltspflicht auf seine
Person und sein Vermögen anzuwenden"), hat das Reichsgericht bereits in RGZ 628 346
(349) überzeugend damit zurückgewiesen, daß diese Verpflichtungen des Geschädigten nur
solche gegen sich selbst sind und daß sie nicht, wie in § 278 BGB verlangt wird,
gegenüber dem schädigenden Dritten bestehen. Aus § 254 Abs 1 ergibt sich, wie RGZ
140, 1 (7) betont, keine derartige selbständige Verpflichtung für den Geschädigten, dem
Schädiger zur Zeit der Entstehung des Schadens zum Nichteintritt der schadenstiftenden
Ursache behilflich zu sein (RGZ 119, 152 (155)). Die Vorschrift des § 254 Abs 1 gibt
dem Schädiger bloß einen Einwand, der seine Schadensersatzpflicht im Hinblick auf das
mitwirkende Verschulden des Geschädigten mindern oder beseitigen kann.
Weitere Angriffe (Staudinger Aufl 9 § 254 Anm 2e, 167) gegen die Ansicht des
Reichsgerichts werden daraus hergeleitet, daß der Satz von der "entsprechenden
Anwendung des § 278" zweideutig sei; er könne nicht nur - mit dem
Reichsgericht - dahin ausgelegt werden, der Geschädigte müsse sich in den Fällen, in
denen der Schuldner nach § 278 für das Verschulden von gesetzlichen Vertretern und
Erfüllungsgehilfen hafte, das Verschulden dieser Personen im Rahmen des § 254
ebenfalls zurechnen lassen, also in den Fällen der Erfüllung einer bestehenden
Verbindlichkeit; er könne auch bedeuten, daß die Rechtslage des nach § 254 für
sein eigenes Verschulden haftenden Geschädigten hinsichtlich der Frage einer Haftung für
das Verschulden von gesetzlichen Vertretern und Angestellten der Rechtslage desjenigen,
der nach § 278 für das Verschulden dieser Personen hafte, vollständig
gleichgesetzt werde, das heiße, daß der Geschädigte in allen Fällen das Verschulden
seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung der ihm
durch § 254 auferlegten "Verpflichtung gegen sich selbst" bediene, wie
eigenes Verschulden gegen sich gelten lassen müsse. Richtig ist zwar, daß rein
sprachlich eine solche Auslegung möglich wäre. Das Reichsgericht hat in RGZ 75, 257
(258) diese entsprechende Anwendung des § 278 auf den ganzen § 254 in der Art,
daß das Tatbestandsmerkmal des § 278 "in Erfüllung einer
Verbindlichkeit" beseitigt wird, abgelehnt; es hat dabei bereits auf die aus einer
solchen Auslegung sich ergebende Rechtsungleichheit hingewiesen, da alsdann der
Geschädigte im Rahmen des § 254 BGB für das Versehen seiner Erfüllungsgehilfen
und gesetzlichen Vertreter unbedingt einzutreten hätte, während auf der Seite des
Schädigers der Vertretene bzw der Geschäftsherr für unerlaubte Handlungen seiner
gesetzlichen Vertreter (Ausnahmen in §§ 31, 89 BGB) gar nicht und für die von
Hilfspersonen nur in den Grenzen des § 831 BGB einzutreten habe (vgl auch RGZ 62,
346 (349/50)). Eine so weitgehende Auslegung des § 254, daß § 278 BGB
entsprechend anzuwenden sei, würde mit dem das ganze Recht der unerlaubten Handlung
beherrschenden Grundsatz in Widerspruch stehen, daß der Ersatzpflichtige dem Verletzten
nicht entgegenhalten kann, zum Zustandekommen der Verletzung sei noch das Verhalten eines
Dritten mitursächlich gewesen. Natürliche Personen haften - im Gegensatz zu juristischen
- für die unerlaubten Handlungen ihrer Vertreter nicht. Dieser Satz gilt schlechthin. Er
kann auch in den Fällen keinerlei Einschränkung unterworfen werden, in denen der
Verletzte ein Minderjähriger, der Mitverursacher der Aufsichtspflichtige und die
Mitursache eben die nicht gehörige Ausübung der Aufsicht ist (RGZ 121, 114 (117); 159,
283 (292)). Die dem Wortlaut nach bestehende Möglichkeit einer weiteren Auslegung des
fraglichen Satzes des § 254 BGB über die entsprechende Anwendung des § 278
BGB würde gegen den das deutsche Recht der unerlaubten Handlung gerade im Gegensatz zu
anderen Rechten (vgl zB im französischen Recht art 1384cc) beherrschenden Grundsatz
verstoßen, daß man für das schädigende Verhalten anderer Personen bei unerlaubten
Handlungen grundsätzlich (Ausnahmen: §§ 31, 89 und 831 BGB) nicht haftet, sondern
nur für das eigene Verschulden. Diese weitere Auslegung wäre daher rechtlich nur
zulässig, wenn eindeutig erkennbar wäre, daß der Gesetzgeber durch die Bezugnahme auf
§ 278 in § 254 diesen Grundsatz durchbrechen wollte. Das kann aber nicht
festgestellt werden.
Auch aus Billigkeitserwägungen (vgl zB Enneccerus-Lehmann Aufl 1950 Schuldrecht
§ 16 II 2 S 74) kann ein von der Rechtsprechung des Reichsgerichts abweichendes
Ergebnis nicht gerechtfertigt werden. Auf die Rechtsungleichheit zwischen dem Umfang der
Haftung auf Seiten des Schädigers und des Geschädigten bei einer so weiten Auslegung des
§ 254 BGB war bereits unter Hinweis auf RGZ 62, 346 (349/50) eingegangen. Wenn
demgegenüber Enneccerus-Lehmann (aaO) ausführt, es sei besser, der Geschädigte werde
durch die erhöhte Haftung für das Verhalten dritten Personen stärker belastet als der
Schädiger, weil der Geschädigte die Möglichkeit habe, auf seine Erfüllungsgehilfen
einzuwirken, praktisch würde die Nichtanwendung des § 278 auf das Mitverschulden
dieser Personengruppen bei Entstehung des Schadens dazu führen, daß bei unerlaubten
Handlungen der Schädiger das Verschulden der Gehilfen des Geschädigten mit zu vertreten
hätte, so wird dabei die Ausgleichsmöglichkeit über §§ 840, 426 BGB zwischen dem
Schädiger und dem gesetzlichen Vertreter bzw Gehilfen des Geschädigten nicht
berücksichtigt, die für den Fall besteht, daß diese Personengruppen den Schaden durch
ihr Verhalten mitverschuldet haben (vgl RGZ 62, 346 (350)). Sollte aber Enneccerus-Lehmann
nur sagen wollen, praktisch werde der Schädiger den Schaden meist allein tragen müssen,
weil bei dem gesetzlichen Vertreter bzw dem Gehilfen des Geschädigten nichts zu holen
wäre, so würde gerade diese Erwägung zeigen, wie wichtig es für den persönlich
schuldlosen Geschädigten ist, daß er sich die Stelle, wo er sich wegen seines Schadens
erholen will, selbst aussuchen und beim Vorhandensein mehrerer Verpflichteter (Schädiger
und gesetzlicher Vertreter des Geschädigten) frei wählen kann, wen er in Anspruch nehmen
will.
Der vom Reichsgericht entwickelten Rechtsansicht kann auch nicht, wie das Reichsgericht
bereits in RGZ 75, 257 (259) ausgeführt hat, entgegengehalten werden, daß die gleichen
Ergebnisse gewonnen werden könnten, wenn § 254 Abs 2 Satz 2 BGB nicht vorhanden
wäre, und dieser Satz im Gesetz daher überflüssig sei.
Der Senat schließt sich daher der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, die
auch nicht durch die Entscheidungen RGZ 62, 106 und Warn Rspr 1910 Nr 234 unterbrochen
worden ist (vgl dazu RGZ 140, 1 (8)), an. Dem Geschädigten wird bei einer Klage aus
unerlaubter Handlung hinsichtlich der Entstehung des Schadens mitursächliches Verhalten
seines gesetzlichen Vertreters nicht nach § 254 Abs 1 BGB zugerechnet.
Ein etwaiges Verschulden des Vaters als des gesetzlichen Vertreters des Klägers
könnte dem Kläger demnach nur angerechnet werden, wenn der Vater in Erfüllung einer
schon bestehenden Verbindlichkeit des geschädigten Klägers gehandelt hätte (Palandt
Aufl 7 § 254 Anm 4; RGZ 54, 410). Eine solche Verbindlichkeit hat jedoch nicht
vorgelegen (wird ausgeführt).
In der folgenden Entscheidung bejaht der Bundesgerichtshof die vertragliche
Sonderbeziehung zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger und rechnet dem
Geschädigten das Verschulden der zur Wahrung seiner Interessen als Erfüllungsgehilfin
eingeschalteten Ehefrau an:
Gericht: BGH 1. Zivilsenat, Datum: 03.07.1951, Az: I ZR 44/50
Leitsatz
1. Ein Schadenausgleich gemäß BGB § 254 ist auch dann vorzunehmen, wenn das
schuldhafte Verhalten des Geschädigten oder seiner Hilfspersonen auf die zeitlich
nachfolgende Handlungsweise des Schädigers, die unmittelbar das schädigende Ereignis
herbeigeführt hat, adäquat von Einfluß gewesen ist.
2. Bei einem Vertragsverhältnis muß sich der Geschädigte die schuldhafte
Mitverursachung des Schadens durch eine Hilfsperson gemäß BGB § 254 auch dann
anrechnen lassen, wenn er sich dieser Hilfsperson nicht zur Erfüllung einer vertraglichen
Leistungspflicht, sondern zur Wahrung seiner eigenen Belange in Ansehung des
Vertragsgegenstandes bedient hat und das schädigende Verhalten der Hilfsperson in
unmittelbarem Zusammenhang mit dem ihr im Rahmen des Vertrages anvertrauten Pflichtenkreis
steht.
Fundstelle
BGHZ 3, 46-52 (LT1-2)
Tatbestand
Im Herbst 1945 beauftragte die Ehefrau des Klägers in seinem Namen das beklagte
Transportunternehmen, Hausrat mit einem Lastkraftwagen von L. nach D. zu schaffen. Die
Ehefrau des Klägers und Z., der dem Kläger bei der Durchführung des Transports
behilflich sein wollte, begleiteten den Transport. Kurz vor S. fingen einige
Möbelstücke im vorderen Drittel des Wagens an zu brennen. Es gelang, das Feuer zu
löschen. Der Inhaber der Beklagten lehnte zunächst eine Fortsetzung der Fahrt wegen der
damit verbundenen Brandgefahr ab. Die Ehefrau des Klägers weigerte sich jedoch, an Ort
und Stelle zu übernachten - es war inzwischen die Dämmerung hereingebrochen - und
bestand auf der Weiterfahrt. Der Inhaber der Beklagten gab schließlich dem Drängen der
Ehefrau des Klägers nach. Bereits wenige Minuten nachdem das Fahrzeug erneut in Betrieb
gesetzt worden war, entwickelte sich an der gleichen Stelle wie vordem rasch ein großes
Feuer. Der größte Teil des Hausrats verbrannte.
Die Schadensersatzklage ist von den Vorinstanzen dem Grunde nach für gerechtfertigt
erklärt worden. Die Revision der Beklagten führte zur Abweisung der Klage in Höhe von
einem Drittel.
Entscheidungsgründe
Es ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß der für den Transport verantwortliche
Inhaber der Beklagten dem Verlangen der Ehefrau des Klägers, trotz der Brandgefahr die
Fahrt fortzusetzen, keinesfalls hätte nachgeben dürfen. Dies ändert aber nichts an dem
Umstand, der sich aus den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt, daß
der Inhaber der Beklagten, der sich bereits zu einer Unterbrechung der Fahrt entschlossen
hatte, durch das Verhalten der Ehefrau des Klägers, die energisch ablehnte, an Ort und
Stelle zu übernachten, zu einer Änderung seines Entschlusses und damit zu der
Weiterfahrt bestimmt worden ist. Das eigene schuldhafte Verhalten des Inhabers der
Beklagten schließt nicht aus, daß das Verhalten der Ehefrau des Klägers mitursächlich
für den Schaden gewesen ist. Auch ein Verhalten, das der schuldhaft schädigenden
Handlung des anderen Teils vorausgegangen ist, rechtfertigt einen Schadensausgleich
gemäß § 254 BGB, wenn es schuldhaft die spätere schädigende Handlungsweise des
anderen veranlaßt hat. Es wäre nicht einzusehen, warum nicht auch die Fälle dem
Rechtsgedanken des § 254 BGB unterstellt werden sollten, in denen auf das die
Haftungsvoraussetzung bildende Verhalten des Schädigers ein zeitlich vorangehendes
schuldhaftes Verhalten des Beschädigten oder seiner Hilfspersonen adäquat von Einfluß
gewesen ist.
Die Ehefrau des Klägers hat aber schuldhaft gehandelt, als sie den Inhaber des
Beklagten gegen seine eigene bessere Einsicht zur Fortsetzung der Fahrt bestimmte (wird
ausgeführt).
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Ehefrau des Klägers nach dem Gesetz
berechtigt war, dem Inhaber der Beklagten irgendwelche Weisungen über die Fortsetzung der
Fahrt zu geben und ob sie dies mit Zustimmung des Klägers tat. Der Schadensausgleich nach
§ 254 BGB setzt nicht eine vertraglich übernommene Mithaftung, sondern eine
schuldhafte Mitverursachung voraus. Auch wenn die Beklagte an die Weisungen der Ehefrau
des Klägers nicht gebunden war, räumt dies die vom Berufungsgericht festgestellte und
für den Kausalzusammenhang allein maßgebende Tatsache nicht aus, daß der Inhaber der
Beklagten nur durch das Verhalten der Ehefrau des Klägers entgegen seinem ursprünglichen
Entschluß zur Weiterfahrt bewogen wurde.
Dieses mitwirkende Verschulden seiner Ehefrau muß sich der Kläger entgegenhalten
lassen. Zwar ist, soweit die Vertrags-, nicht die Deliktshaftung der Beklagten in Frage
steht, der Kläger, in dessen Namen der Frachtvertrag geschlossen wurde, als Absender des
Gutes allein berechtigt, die Schadensersatzansprüche aus eigenem Recht geltend zu machen
und ist insoweit der Geschädigte im Sinne des § 254 BGB (RGZ 54, 407). Die in
§ 254 Abs 2 Satz 2 vorgesehene entsprechende Anwendung des § 278 BGB gilt aber
für den ganzen Umfang des § 254, also auch bei der schuldhaften Mitwirkung bei der
Entstehung des Schadens (so das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung RGZ 140, 7;
156, 205; 159, 292).
Entgegen der im Schrifttum weitgehend verbreiteten Rechtsmeinung (vgl insbesondere
Enneccerus-Lehmann Aufl 1950 Schuldrecht § 16 II 2; Staudinger Aufl 9 § 254
BGB, Anm 2e; Fuchs in JW 1929 S 554) hält der Senat an der vom Reichsgericht in
ständiger Rechtsprechung vertretenen Ansicht fest, daß sich der Geschädigte die
schuldhafte Mitverursachung des Schadens durch seine Hilfspersonen nach § 278 BGB
nur im Rahmen eines bestehenden Schuldverhältnisses anrechnen lassen muß (RGZ 75, 257;
79, 312; 140, 7; 156, 205; 159, 292; BGHZ 1, 248). Während § 254 Abs 2 eine
besondere Verpflichtung des Geschädigten begründet, nach Entstehung des Schadens den
Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen oder den
Schaden abzuwenden oder zu mindern, kann aus § 254 Abs 1 keine selbständige
schuldrechtliche Verpflichtung des Geschädigten dem Schädiger gegenüber entnommen
werden, ihm zum Nichteintritt der schädigenden Ursache behilflich zu sein (RGZ 119, 152;
140, 8). § 278 aber, der im schuldrechtlichen Teil des BGB aufgenommen worden ist,
bezieht sich nach seinem Wortlaut wie seiner Einordnung im Gesetz nur auf die Haftung des
Schuldners für fremdes Verschulden, setzt also ein bestehendes Schuldverhältnis voraus.
Bei der entsprechenden Anwendung des § 278 ist jedoch zu beachten, daß es sich
bei dem Verschulden des Geschädigten im Sinne von § 254 nicht um die Verletzung
einer ihm gegenüber einem anderen obliegenden Leistungspflicht, sondern um ein
Verschulden in eigener Angelegenheit handelt. Der Rechtsgedanke des § 254 ist, daß
derjenige, der die Sorgfalt außer acht läßt, die nach Lage der Sache erforderlich
erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, den Verlust oder die Verkürzung seines
eigenen Schadensersatzanspruches in Kauf nehmen muß (RGZ 100, 44; 112, 287; 149, 7; 156,
207). Daraus, daß Verschulden nach § 254 nicht Verschulden gegen einen anderen,
sondern Verstoß gegen das Gebot des eigenen Interesses ist, folgt, daß bei bestehenden
Vertragsverhältnissen dem Geschädigten die schuldhafte Mitverursachung des Schadens
durch Personen, die er mit der Wahrnehmung eines Pflichtenkreises beauftragt hat, der mit
dem Vertragsverhältnis in unmittelbarem Zusammenhang steht, auch dann zum
Schadensausgleich nach § 254 entgegengehalten werden kann, wenn er sich ihrer nicht
zur Erfüllung einer vertraglichen Leistungspflicht, sondern der ihn aus § 254 im
eigenen Interesse treffenden Obliegenheiten bedient hat. Die entsprechende Anwendung des
§ 278 kann hiernach zwar nicht dazu führen, das Verschulden von Hilfspersonen dem
eigenen Verschulden des Geschädigten auch außerhalb eines Schuldverhältnisses
gleichzustellen. Aus dem Rechtsgedanken des § 254, der einen Schadensausgleich auch
dann vorsieht, wenn der Geschädigte nicht eine Leistungspflicht, sondern die ihm im
eigenen Interesse obliegende Sorgfaltspflicht verletzt hat, kann nur gefolgert werden,
daß ein "sich bedienen" im Sinne von § 278 nicht nur vorliegt, wenn der
Dritte mit der Erfüllung einer dem Vertragspartner gegenüber obliegenden
Leistungspflicht betraut war, sondern daß es im Rahmen des § 254 zur entsprechenden
Anwendung des § 278 ausreicht, wenn die mit dem einschlägigen Pflichtenkreis
betraute Hilfsperson bei einer für den entstehenden Schaden kausal gewordenen Handlung
oder Unterlassung diejenige Sorgfalt außer acht gelassen hat, die nach der Sachlage im
eigenen Interesse des Geschädigten geboten war (ähnlich schon RGZ 62, 106). Während
§ 278 BGB unmittelbar nur anzuwenden ist, wenn der Schuldner bei eigenem Handeln
gleicher Art wegen Verletzung einer Vertragspflicht auf Schadensersatz haften würde (RGZ
63, 341; 160, 315), genügt es für die entsprechende Anwendung des § 278 bei der
Schadensverteilung gemäß § 254, daß ein Dritter gegen das dem Geschädigten im
eigenen Interesse obliegende Sorgfaltsverhalten verstoßen hat, wenn sich der Geschädigte
der Hilfe dieses Dritten innerhalb eines Schuldverhältnisses zur Wahrung seiner eigenen
Belange bedient hat.
Die Obliegenheit, sich selbst vor Schaden zu bewahren, deren Verletzung zwar keine
Schadensersatzpflicht nach § 276 BGB, wohl aber die Schmälerung des eigenen
Anspruchs gemäß § 254 BGB zur Folge hat, trifft den Geschädigten zwar nicht nur
im Verhältnis zu seinem Vertragspartner, sondern auch gegenüber dem außervertraglichen
Schädiger. Der Rechtsgedanke des § 278, der das Verschulden Dritter dem eigenen
Verschulden des Schuldners gleichstellt, ohne ihm einen Entlastungsbeweis zu eröffnen,
wie ihn § 831 BGB für den Verrichtungsgehilfen vorsieht, gilt jedoch nur innerhalb
bestehender Schuldverhältnisse. Er findet seine Rechtfertigung in der aus der
vertraglichen Bindung folgenden besonderen Treuepflicht. Dieser gesetzgeberische Grund
für die über die Haftung für Verrichtungsgehilfen hinausgehende Haftung für die
Erfüllungsgehilfen rechtfertigt aber zugleich - entgegen der von der Rechtslehre
vertretenen Meinung - die unterschiedliche Behandlung von Hilfspersonen beim
Schadensausgleich gemäß § 254, je nachdem, ob sie die Obliegenheit des
Geschädigten, sich selbst vor Schaden zu bewahren, im Rahmen eines Vertragsverhältnisses
oder außerhalb eines Vertragsverhältnisses schuldhaft verletzt haben; denn nur bei einer
schuldrechtlichen Bindung der Beteiligten stellt das gesamte, dem Schuldner in Ansehung
der Erfüllung obliegende Sorgfaltsverhalten, auch soweit es ein Gebot des eigenen
Interesses ist, eine Erfüllungshandlung dar.
In dem zur Entscheidung stehenden Fall hatte der Kläger seine Ehefrau nicht nur mit
dem Abschluß des Frachtvertrages, sondern auch mit der Begleitung des Transportes
betraut. Es ist hierbei zu berücksichtigen, daß bei Durchführung des Transportes im
Oktober 1945 in Deutschland noch keine normalen Transportverhältnisse herrschten. Infolge
der Nachkriegswirren barg fast jeder Transport ungewöhnliche Risiken in sich. Während es
im allgemeinen bei Abschluß eines Frachtvertrages über totes Inventar nicht üblich sein
mag, daß der Absender eine eigene Hilfsperson den Transport zwecks Überwachung und
Pflege des Transportgutes begleiten läßt, war dies in der damaligen Zeit bei
umfangreicherem, wertvollen Transportgut weitgehend Brauch. So hatte sich nicht nur die
Ehefrau des Klägers, sondern auch der Zeuge Z., ein früherer Mitarbeiter des Klägers,
als Begleiter für den Transport zur Verfügung gestellt, um bei seiner Durchführung
behilflich zu sein. Es muß bei dieser Sachlage unter Berücksichtigung der
außergewöhnlichen Verhältnisse dieser Nachkriegszeit davon ausgegangen werden, daß die
Ehefrau des Klägers sich nicht nur als zufälliger Fahrgast während des Transportes auf
dem Fahrzeug befand, sondern um die ordnungsgemäße Durchführung und Abwicklung des
Transportes zu überwachen. Wenn sie im Rahmen dieses ihr vom Kläger anvertrauten
Pflichtenkreises, der im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Transport stand, den Inhaber
der Beklagten zur Weiterfahrt veranlaßte, obwohl auch ihr die damit verbundene
Gefährdung des Transportgutes erkennbar sein mußte, so muß der Kläger seinem
Ersatzanspruch aus dem Vertragsverhältnis dieses mitwirkende Verschulden seiner Ehefrau
entgegenhalten lassen.
Das angefochtene Urteil verletzt § 254 BGB, indem es, obwohl es ein Verschulden
der Ehefrau des Klägers bejaht, den Grad ihrer Mitverursachung des Schadens ungeprüft
läßt. Nur die vom Berufungsgericht tatsächlich festgestellte Sachlage, nicht aber die
Beurteilung, ob und in welchem Umfange der Schaden auf Grund dieses Sachverhalts gemäß
§ 254 BGB zu verteilen ist, ist der Nachprüfung des Revisionsgerichts entzogen. Da
der Tatbestand ausreichend geklärt ist, bedarf es keiner Zurückverweisung. Das
Revisionsgericht ist vielmehr selbst in der Lage, die Verteilung des Schadens vorzunehmen
(RG in JW 06, 544; RGZ 134, 66; 141, 353; 154, 369). Unter Abwägung des Grades der
Verursachung und der Größe des Verschuldens erscheint es gerechtfertigt, daß der
Kläger sich die Mitverursachung des Schadens durch seine Ehefrau zu einem Drittel des
Gesamtschadens anrechnen lassen muß.
Bisweilen wirkt sich die als Wohltat für schutzbefohlene Familienangehörige gedachte
Entwicklung des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auch nachteilig für die
Schutzbefohlenen aus, wenn die Schutzwirkungen zur Begründung der Sonderbeziehung
zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger herangezogen werden, innerhalb derer das
Fehlverhalten des gesetzlichen Vertreters anspruchskürzend in Rechnung gestellt wird:
Gericht: BGH 6. Zivilsenat, Datum: 29.04.1953, Az: VI ZR 63/52
Leitsatz
Besteht zwischen dem Schädiger und Geschädigten ein schuldrechtliches Verhältnis und
ist im Rahmen dieser Beziehung ein vom Schädiger zu vertretender Schaden verursacht
worden, so muß sich der Geschädigte ein für die Entstehung des Schadens
mitursächliches Verschulden seines gesetzlichen Vertreters auch dann nach den BGB
§ 254, BGB § 278 anrechnen lassen, wenn der Schadenersatzanspruch
ausschließlich auf RHaftPflG § 1 gestützt wird.
Fundstelle
BGHZ 9, 316-320 (LT1)
Tatbestand
Eine Mutter fuhr mit ihrem 4 1/2jährigen Kind in einem Personenzug der Bundesbahn. Das
Kind spielte am Türschloß, die Tür öffnete sich, und das Kind fiel aus dem fahrenden
Zug. Es erlitt schwere Verletzungen und fordert von der Bundesbahn auf Grund des
Reichshaftpflichtgesetzes Schadensersatz.
Das Landgericht hat mit Rücksicht auf ein Verschulden der Mutter bei der Überwachung
des Kindes die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat nach dem Klageantrag erkannt.
Die Revision der beklagten Bundesbahn führte zur Zurückverweisung.
Entscheidungsgründe
Der Kläger hat seinen Schadensersatzanspruch nur noch auf das Reichshaftpflichtgesetz
gestützt. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß es sich um einen
Betriebsunfall im Sinne des § 1 HaftpflG handele und dieser nicht durch höhere
Gewalt verursacht sei. Insoweit werden auch von der Revision keine Bedenken geltend
gemacht. Ebenso ist mit Recht davon ausgegangen, daß die Mitverursachung des Klägers
selbst mit Rücksicht auf dessen fehlende Zurechnungsfähigkeit (§ 828 Abs 1 BGB) im
Rahmen des § 254 BGB nicht berücksichtigt werden könne.
Die Entscheidung ist lediglich davon abhängig, ob sich der Kläger ein Verschulden
seiner Mutter, das diese bei Außerachtlassung ihrer Aufsichtspflicht treffen würde,
anrechnen lassen muß. Das Berufungsgericht verneint diese Frage, die Revision will sie in
Übereinstimmung mit dem Landgericht bejahen. Das Berufungsgericht geht von der ständigen
Rechtsprechung des Reichsgerichts aus, wonach dem Geschädigten ein Verschulden seines
gesetzlichen Vertreters oder einer Hilfsperson, das für die Entstehung des Schadens
ursächlich war, nur dann anzurechnen ist, wenn es im Rahmen eines bestehenden
Schuldverhältnisses erfolgte oder wenn wenigstens etwas einer Verbindlichkeit Ähnliches
vorlag (Nachweise im BGB RGRK 10. Aufl Anm 3 zu § 254). Der III. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat diese, von einem großen Teil des Schrifttums bekämpfte
Rechtsprechung des Reichsgerichts bestätigt (BGHZ 1, 248). Auch der I. Zivilsenat geht
von ihr aus (BGHZ 3, 46). Es braucht hier jedoch nicht näher auf diese Frage eingegangen
zu werden; denn mit Recht weist die Revision darauf hin, daß zwischen den Parteien (Kind
und Bahn) schuldrechtliche Beziehungen bestanden. Es mag dahingestellt bleiben, ob die
Mutter des Klägers durch Lösung der Kinderfahrkarte für den Kläger einen eigenen
Beförderungsvertrag abgeschlossen hat. Nimmt man das an, wurde zwischen den Parteien ein
Vertragsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten begründet. Nimmt man aber an,
daß nur die Mutter Vertragspartnerin der Beklagten wurde und als solche das Recht erwarb,
den Kläger mitzunehmen, so hatte das Kind aus diesem Vertrage ein Recht auf wohlbehaltene
Beförderung mit der Folge, daß die Beklagte bei Verletzung ihrer Obhutspflichten dem
Kinde aus Vertrag schadensersatzpflichtig wurde. Der Beförderungsvertrag zwischen der
Mutter und der Bahn würde dann zugleich ein Vertrag zugunsten eines Dritten, nämlich des
Klägers sein (RG Recht 1924 Nr 161). Beim Vertrage zugunsten eines Dritten im Sinne des
§ 328 BGB ergibt sich aber aus der Berechtigung des Dritten für diesen die jeden
Gläubiger treffende Sorgfaltspflicht bei Ausübung seiner Rechte (Erman-Westermann, Komm
zum BGB Vorbem 3c vor 328; vgl auch RG JW 1913, 426). Insoweit ist das Verhältnis
zwischen dem Versprechenden und dem Dritten als vertragsähnliches Verhältnis anzusehen
(BGB RGRK 10. Aufl Anm 2 zu § 328; Palandt BGB 10. Aufl Vorbem 2c vor § 328).
In ähnlicher Weise ist auch bei einem Mietvertrag, aus dem ein Kind gemäß § 328
BGB Vertragsrechte erwirbt, zwischen Vermieter und Kind ein schuldrechtliches Verhältnis
mit der Folge angenommen worden, daß bei einem Schadensersatzanspruch des Kindes gegen
den Vermieter das Verschulden des gesetzlichen Vertreters dem Kinde gemäß den
§§ 254, 278 BGB angerechnet worden ist (Urteil des III. Zivilsenats vom 28. April
1952 - III ZR 118/51 - NJW 1952, 1050 (1053)). So ist auch hier für die entsprechende
Anwendung des § 278 BGB im Rahmen des § 254 BGB Raum, selbst wenn nur ein
Vertrag zugunsten des Kindes auf Beförderung anzunehmen sein sollte.
Im Sinne des § 254 BGB besteht das Verschulden des Geschädigten darin, daß
dieser diejenige Sorgfaltspflicht außer acht läßt, die ein ordentlicher und
verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (RGZ 112, 284
(287); RGZ 149, 6 (7); RG DJ 1939, 1439). Das Gesetz sieht es - das ist der Rechtsgedanke
dieser Bestimmung - als billig an, daß derjenige, der gegen das Gebot des eigenen
Interesses handelt und hierdurch den Schaden mitverursacht, den Verlust oder die Kürzung
seines Schadensersatzanspruches in Kauf nehmen muß (BGHZ 3, 46 (49)). Der 4 1/2jährige
Kläger war nun selbst nicht in der Lage, die in seinem Interesse bestehenden
Obliegenheiten während der Beförderung wahrzunehmen. Diese Aufgaben nahm ihm seine
Mutter in Erfüllung ihrer gesetzlichen Fürsorge- und Aufsichtspflicht (§ 1634 BGB)
ab. Wenn sie die Aufsichtspflicht während der Beförderung schuldhaft verletzte, so ist,
wie das Reichsgericht (RGZ 149, 4) in einem ähnlich liegenden Fall überzeugend
ausgeführt hat, ihr Verschulden dem Verschulden des Vaters als des gesetzlichen
Vertreters gleichzustellen. Die Anwendung des § 278 BGB kann auch nicht deshalb
entfallen, weil der Kläger seinen Schadensersatzanspruch nur auf die Bestimmungen des
Reichshaftpflichtgesetzes stützt. Entscheidend kann nicht sein, welche Klagegrundlage der
Kläger zur Begründung seines Schadensersatzanspruches wählt, sondern allein, daß der
Schaden im Rahmen des begründeten vertraglichen oder vertragsähnlichen Verhältnisses
entstanden ist und daß die Mutter die Obliegenheiten des Klägers in diesem Verhältnis
verletzt hat. Wenn vom Reichsgericht und vom Bundesgerichtshof ausgesprochen worden ist,
dem Geschädigten könne bei einer Klage aus unerlaubter Handlung ein für die Entstehung
des Schadens mitursächliches Verschulden seines gesetzlichen Vertreters nicht nach
§ 254 Abs 1 BGB entgegengehalten werden, so handelte es sich immer um Fälle, in
denen, wie es gewöhnlich zutrifft, schuldrechtliche Beziehungen zwischen Schädiger und
Geschädigtem vor dem haftungsbegründenden Ereignis nicht bestanden (RGZ 75, 257; RGZ
159, 283 (292); BGHZ 1, 248). Auch in RGZ 62, 346, in der das Reichsgericht der Bahn gegen
ein unentgeltlich befördertes und durch den Bahnbetrieb verletztes dreijähriges Kind die
Berufung auf das Verschulden der Mutter versagt hat, ist davon ausgegangen, daß
schuldrechtliche Beziehungen zwischen Kind und Bahn vor dem Schadensereignis nicht
vorlagen. Ob dem zu folgen ist, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls trifft diese Annahme
in dem hier zu entscheidenden Fall nicht zu. Daß es nach Eintritt des schadenstiftenden
Ereignisses dem Geschädigten anzurechnen ist, wenn der gesetzliche Vertreter schuldhaft
den Schaden nicht abwendet oder mindert, ist allgemein anerkannt (RGZ 141, 353 (355); RGZ
156, 193 (205)). Der Grund, hier den § 278 BGB im Rahmen des § 254 Abs 2 BGB
entsprechend anzuwenden, ist darin gesehen, daß durch die unerlaubte Handlung
Rechtsbeziehungen zwischen Schädiger und Geschädigtem entstanden waren. Bestanden aber
vertragliche oder vertragsähnliche Beziehungen zwischen ihnen schon vor dem
schadenstiftenden Ereignis, so muß das gleiche geltenden. Die rechtliche Folge des
Schadenseintritts kann also nicht losgelöst von den vertraglichen Beziehungen gewürdigt
werden, innerhalb derer der Schaden entstanden ist. Demgemäß muß hier Berücksichtigung
finden, daß der Kläger den Schaden nicht als irgendein vom Betrieb der Bahn Betroffener
erlitten hat, sondern gerade während der vertraglich vereinbarten Beförderung (im
Ergebnis ebenso Friese: Reichshaftpflichtgesetz 1950 C II 2a zu § 1).
In allen Fällen ohne Sonderbeziehung zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger
kommt eine Anspruchskürzung für Drittbeiträge nach der Rechtsprechung nur unter den
Voraussetzungen der §§ 31,
831 BGB in Betracht. Diese Rechtsprechung liegt auf der
Linie des allgemein für § 254 Abs. 1 BGB verfolgten dogmatischen
Konstruktionsprinzips: der Selbstbehalt des Geschädigten tritt genau dann ein, wenn im
Verhältnis zum Dritten eine Haftung begründet wäre. Wo eine Anspruchskürzung wegen des
Drittbeitrags nicht in Betracht kommt, stehen der Dritte und der Schädiger zum
Geschädigten regelmäßig in einem Gesamtschuldverhältnis:
Gericht: BGH 6. Zivilsenat, Datum: 16.01.1979, Az: VI ZR 243/76
Leitsatz
Ist für die Verletzung eines Kleinkindes sowohl das Verschulden eines Dritten
ursächlich geworden als auch der Umstand, daß ein Elternteil diejenige Beaufsichtigung
versäumt hat, die ihm gerade in seiner elterlichen Eigenschaft oblag, dann haften Dritter
und schuldiger Elternteil als Gesamtschuldner gem BGB § 823, BGB § 840, BGB
§ 426 (anders RG 1921-02-28 VI 509/20 = Gruchot Beitr 65, 477).
Fundstelle
BGHZ 73, 190-196 (LT1)
Tatbestand
Die Klägerin, eine allgemeine Ortskrankenkasse, begehrt von der Beklagten als
Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer gemäß § 1542 RVO Ersatz für
Heilbehandlungskosten, die ihr aus Anlaß der Verletzung des bei ihr familienversicherten
Kindes W. G. entstanden sind.
Das zur Unfallzeit 2 3/4 Jahre alte Kind hatte sich mit seiner Mutter in einem
Ladenlokal einer kleinen Ortschaft aufgehalten, war jedoch dort der Mutter ausgerissen und
hüpfte auf der Gehwegfläche vor dem Laden umher. Die Mutter bemerkte dies bei einem
Blick durch die Schaufensterscheibe, holte das Kind aber nicht in den Laden zurück. Beim
Umherhüpfen geriet das Kind auf die Fahrbahn. Hier wurde es durch den vorüberfahrenden
Pkw eines Versicherungsnehmers (VN) der Beklagten erfaßt und verletzt.
Die Beklagte hält dem Ersatzanspruch der Klägerin ua entgegen, das Kind müsse sich
ein Mitverschulden seiner Mutter anrechnen lassen, weil die Mutter ihrer Aufsichtspflicht
nicht genügt und dadurch zum Schadenseintritt beigetragen habe.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf deren Berufung hat das
Oberlandesgericht den von der Beklagten zu zahlenden Betrag um den auf 1/3 bemessenen
Haftungsanteil der Mutter gekürzt. Mit ihrer insoweit zugelassenen Revision tritt die
Klägerin dieser Auffassung des Berufungsgerichts entgegen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht (das Urteil ist VersR 1977, 729 abgedruckt) geht aufgrund
seiner tatsächlichen Feststellungen von einer Haftung des Kraftfahrers und damit der
Beklagten (§ 3 PflVG) sowohl nach § 7 StVG als auch nach § 823 BGB aus.
Dies bedarf auch in rechtlicher Sicht nicht der Prüfung des Revisionsgerichts, weil nur
darüber zu entscheiden ist, ob sich mit Rücksicht auf das geltend gemachte Verschulden
der Mutter des Kindes die Haftung der Beklagten mindert, und weil insoweit das
angefochtene Urteil, wie noch auszuführen, jedenfalls von seiner weiteren Begründung
getragen wird.
Soweit das Berufungsgericht nach tatrichterlichem Ermessen die Verursachungsbeiträge
gemäß §§ 426, 254 BGB dahin abgewogen hat, daß der Mutter des Kindes 1/3 zur
Last fällt, ist jedenfalls nicht ersichtlich, daß dieser Anteil rechtsfehlerhaft zu hoch
angesetzt wäre. Von ihm ist also mit dem Berufungsgericht auszugehen.
II.1. Das Berufungsgericht beschränkt den Rückgriffsanspruch der Klägerin in
entsprechender Anwendung des § 67 Abs 2 VVG auf die Haftungsquote, die nach
Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zwischen der Mutter des Kindes und dem
Versicherungsnehmer der Beklagten letzterer zu tragen habe. Hierfür stützt es sich auf
die Rechtsprechung des Senats zum gestörten Innenausgleich zwischen Gesamtschuldnern. Es
meint weiter, im Rahmen dieses Ausgleichs könne die Haftungserleichterung der
§§ 1664 Abs 1, 277 BGB der Beklagten nicht entgegengehalten werden, weil sie nur im
Innenverhältnis zwischen Mutter und Kind wirkt. Davon abgesehen habe die Mutter auch
unter Zugrundelegung dieses milderen Haftungsmaßstabes schuldhaft gehandelt.
a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß sich das verletzte Kind das
Verschulden seiner Mutter außerhalb einer rechtlichen - insbesondere vertraglichen -
Sonderverbindung nicht unmittelbar anrechnen lassen muß (§ 254 Abs 1 BGB). Dies
entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 1, 148, 251; zuletzt
Senatsurteil vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 159/73 - VersR 1975, 133, 134f mwN). Die
Revision greift dies als ihr günstig nicht an.
b) Das Berufungsgericht lehnt auch mit Recht eine Anwendung der Billigkeitsvorschrift
des § 829 BGB ab. Für sie ist in aller Regel kein Anlaß, wo der unbedachten
Selbstgefährdung eines noch sehr kleinen Kindes die Gefährdungshaftung des § 7
StVG gegenübersteht, in deren Höchstgrenzen sich hier der Klageanspruch hält, und die
im Regelfall immer von der Pflichtversicherung gedeckt wird. Dies entspricht auch der,
soweit ersichtlich, ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl etwa
Senatsurteil vom 26. Juni 1973 - VI ZR 47/72 - VersR 1973, 925 mN).
2. Gleichwohl ist dem Berufungsgericht beizutreten, soweit es eine Beschränkung des
mit der Klage verfolgten Anspruchs für richtig hält.
a) Das Berufungsgericht, das deshalb die Revision zugelassen hat, folgt mit Recht nicht
einer Rechtsprechung des Reichsgerichts, wonach zwischen einer Haftung dem Kinde
gegenüber aus Verletzung der familienrechtlich begründeten Fürsorgepflicht und
derjenigen aus Schädigung des Kindes durch die unerlaubte Handlung eines Dritten
schlechthin kein Gesamtschuldverhältnis begründet werden könne. Diese Auffassung ist
jedenfalls in der Form, wie sie schließlich in dem Urteil Gruchot Beitr 65, 477 vom 28.
Februar 1921 Ausdruck gefunden hat, mit dem System des Deliktsrechts nicht vereinbar,
mögen auch (dort in Bezug genommene) frühere Reichsgerichtsentscheidungen (vor allem RGZ
75, 251) einer wohlwollenderen Deutung zugänglich, also möglicherweise nur
mißverständlich sein.
In der Entscheidung vom 28. Februar 1921 unterstellt das Reichsgericht, der Vater des
Kindes habe durch ungenügende Beaufsichtigung ermöglicht, daß dieses durch die
Eisenbahn verletzt worden ist. Gleichwohl hält es einen Ausgleichungsanspruch der
Eisenbahn gegen ihn von vorneherein für ausgeschlossen, weil dem Vater nicht eine
allgemeine Rechtspflicht zur Behütung des Kindes obgelegen habe. Diese verfehlte
Betrachtungsweise hat auch in neuerer Zeit noch Billigung gefunden (Dölle, Familienrecht
Bd II S 165 bei § 92 I 5 aE; bedenklich auch Böhmer MDR 1966, 648, 649; zumindest
mißverständlich Wussow Unfallhaftpflicht 12. Aufl Rz 564; ders W I 1968, 51 und 1976,
148; richtig dagegen etwa Erman BGB § 1664 Rdn 6 aam). Das genannte Urteil des
Reichsgerichts übersieht offensichtlich, daß sich die Verletzung eines deliktsrechtlich
geschützten Rechtsgutes (hier der Gesundheit) auch durch die Unterlassung einer aus einer
Sonderverbindung entspringenden Pflicht verwirklichen kann, wie hier der elterlichen
Fürsorgepflicht oder auch einer Aufsichtspflicht, die durch Vertrag übernommen ist und
deshalb gerade nicht jedem Dritten in gleicher Weise obläge.
Der Ausgangspunkt der genannten Rechtsprechung ist insofern richtig, als zwischen der
Schadensersatzpflicht des Schädigers und der davon unabhängigen Pflicht der Eltern, aus
§§ 1601ff BGB, für die unfallbedingt erhöhten Bedürfnisse des Kindes
aufzukommen, ein zur Ausgleichung führendes (echtes) Gesamtschuldverhältnis nicht
bestehen kann. Richtig ist ferner, daß bei einer Fallkonstellation wie der jetzt zur
Entscheidung stehenden für eine Anwendung der Vorschrift des § 832 BGB kein Raum
ist (so zutreffend OLG Oldenburg NdsRPfl 1974, 135). Denn der dort unter Beweislastumkehr
statuierte Haftungstatbestand betrifft keine Haftung dem Beaufsichtigten (hier dem Kind)
gegenüber; nur eine solche aber könnte zu einer Ausgleichungspflicht führen.
Jedenfalls in der oben genannten Entscheidung Gruchot Beitr 65, 477 hat das
Reichsgericht aber offensichtlich übersehen, daß eine Körperverletzung im Sinne des
§ 823 Abs 1 sowie Abs 2 BGB, letzterenfalls in Verbindung mit § 230 StGB (vgl
OLG Nürnberg VersR 1973, 720), auch durch die Verletzung einer irgendwie gearteten
Obhutspflicht gegenüber dem Verletzten begangen werden kann (vgl etwa Deutsch,
Haftungsrecht, Allgemeiner Teil § 10 III 4 = S 128f). Daß insoweit eine
familienrechtlich begründete Obhutspflicht eine Ausnahme begründen soll, ist nicht
einzusehen.
Damit kommt es für den zur Entscheidung stehenden Fall nicht mehr darauf an, daß hier
die Mutter schon dadurch, daß sie das Kleinkind zum Einkauf mitgenommen hatte, wohl auch
eine jedem Dritten damit in gleicher Weise anfallende allgemeine Rechtspflicht zu dessen
Beaufsichtigung übernommen und verletzt hat, ohne daß es dabei auf ihre
Elterneigenschaft ankäme, und daß deshalb hier wohl auch das Reichsgericht eine zur
Ausgleichung verpflichtende Haftung bejaht haben würde (vgl RG GruchB 56, 586 = JW 1912,
190).
b) Daß eine Haftung der Mutter dem Kind gegenüber ungeachtet der Vorschrift des
§ 1664 BGB gegeben ist, stellt das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler fest. Denn es
schließt aus der Bekundung der Mutter, ihr sei das Kind "ausgekommen" (dh
entlaufen), und sie habe sich gleichwohl davon abhalten lassen, es alsbald zurückzuholen,
daß sie hier eine Vorsichtsmaßnahme vernachlässigt hat, die sie selbst als geboten
ansieht. Diese tatrichterliche Würdigung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Infolgedessen kann hier von einer Anwendung der sog diligentia quam in suis keine Rede
sein, so daß es auch auf die Frage, ob diese Haftungserleichterung etwa nur gegenüber
Ansprüchen aus der Verletzung bloß familienrechtlich begründeter Sorgfaltspflichten
gilt, nicht ankommt.
Daher begrenzt das Berufungsgericht zutreffend den Umfang der auf die Klägerin gemäß
§ 1542 RVO übergegangenen Ersatzansprüche des verletzten Kindes in entsprechender
Anwendung des § 67 Abs 2 VVG (BGHZ 41, 79) auf den Haftungsanteil, den der
Zweitschädiger (der Versicherungsnehmer der Beklagten) im Innenverhältnis zum
Erstschädiger (der Mutter des verletzten Kindes) zu tragen haben würde. Dies entspricht
der Rechtsprechung des Senats und beruht auf der Erwägung, daß der dem § 67 Abs 2
VVG zugrundeliegende Zweck - Mutter und Kind leben in häuslicher Gemeinschaft -
angesichts des sozialen Schutzzwecks öffentlicher Versicherungsleistungen erst recht dann
durchschlägt, wenn es sich um den Forderungsübergang auf einen
Sozialversicherungsträger nach § 1542 RVO handelt (vgl Senatsurteil vom 14. Juli
1970 - VI ZR 179/68 = BGHZ 54, 256).
c) Demgegenüber meint die Revision, die Ausführungen des Berufungsgerichts darüber,
daß sich die Mutter nicht im Rahmen ihrer sonst geübten Sorgfalt gehalten habe, seien
keine tatrichterliche Feststellung, sondern nur eine "beiläufige Bemerkung".
Darin kann ihr nicht gefolgt werden.
Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, wie die Rechtslage wäre, wenn die Mutter
das Haftungsprivileg des § 1664 Abs 1 iVm § 277 BGB doch zugute käme. Dann
könnte sich fragen, ob die Freistellung der Mutter ebensowenig zu Lasten eines dritten
Schädigers gehen würde, wie dies in dem Senatsurteil BGHZ 35, 317 hinsichtlich der
Schädigung einer Ehefrau durch den Ehemann (BGB § 1359) entschieden worden ist,
oder ob gemäß der weiteren Rechtsprechung des Senats zum Bereich des "gestörten
Innenausgleichs" (vgl BGHZ 61, 51) der weitere Klaganspruch schon deshalb scheitert,
weil insoweit ein übergangsfähiger Anspruch des Kindes gar nicht bestanden hat.
Anders als bei der Anrechnung von Eigenbeiträgen folgt die Literatur dem von der
Rechtsprechung für richtig gehaltenen Prinzip für die Anrechnung von Drittbeiträgen
überwiegend nicht. Die einen wollen die Anrechnung vom Erfordernis des
Schuldverhältnisses befreien (Lange, § 10 XI 6; Larenz, SchuldR AT,
§ 31 I d). Sie behandeln somit § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB als für
§ 254 Abs. 1 BGB geltende Rechtsfolgenverweisung. Die anderen lassen
§ 278 BGB ausschließlich im Erfüllungsbereich zur Anwendung kommen (Esser/Schmidt,
§ 35 III 1.2.). Die verbale Differenz steht hier indessen nicht für
unterschiedliche Entscheidungsvorschläge.
Lange, Larenz und Esser/Schmidt lehnen die Rechtsprechung aus
übereinstimmenden Gründen ab und unterbreiten übereinstimmende
Entscheidungsvorschläge. Testfälle sind das Zusammentreffen einer deliktischen
Schädigung mit einer Schädigung durch den vom Geschädigten eingesetzten
"Bewahrungsgehilfen" einerseits und mit einer Schädigung durch den gesetzlichen
Vertreter (mangelnde Aufsicht) andererseits. Der Beitrag des Bewahrungsgehilfen soll
angerechnet, der des gesetzlichen Vertreters außer acht gelassen und der deliktische
Schädiger damit auf den Regress gegen den gesetzlichen Vertreter des Geschädigten
(§ 426 BGB) verwiesen werden. Larenz erreicht das technisch durch die
Rechtsfolgenverweisung, von der der gesetzliche Vertreter ausgenommen wird (§ 31 I
d; ähnlich Lange, § 10 VI 6 b). Esser/Schmidt möchten die Schaffung des
Bewahrungsrisikos als anrechenbaren Umstand i.S. des § 254 Abs. 1 BGB
verstanden wissen und benötigen deshalb keine Verweisung mehr (§ 35 III 1). Die
Außerachtlassung der deliktischen Mitbeteiligung des gesetzlichen Vertreters legitimieren
die Schuldrechtslehrer mit der fehlenden Haftung des Vertretenen für die Schäden, die
der Vertreter Dritten zufügt (Larenz, § 31 I d; Esser/Schmidt,
§ 35 III 2 und 3) und halten damit der Rechtsprechung das ihr eigene
Konstruktionsprinzip vor.
Letztlich vermag keines der vorgestellten Lösungsangebote zu überzeugen, weil sie
alle die ausdrückliche Auseinandersetzung mit dem alternativen Regelungsmodell vermissen
lassen: der Abwicklung des Konflikts nach den Gesamtschuldregeln. Am Konflikt sind ein
Geschädigter und mehrere Schädiger beteiligt. Prinzipiell bestehen zwei
Abwicklungsmöglichkeiten mit identischer Letztverteilung: erstens die Schädiger von
vornherein schon gegenüber dem Geschädigten nur nach Maßgabe ihres Schädigungsbeitrags
haften zu lassen (Teilschuldner) oder zweitens die Schädiger als Gesamtschuldner dem
Schädiger gegenüber auf das Ganze (§ 421 BGB) zu verpflichten und die Anteile im
Regress untereinander bestimmen zu lassen (§ 426 BGB). Die anspruchkürzende
Zurechnung des Verschuldens eines Bewahrungsgehilfen führt zu einer (partiellen)
Teilschuld. Eine Begründung für die Versagung des Gesamtschuldprivilegs ist damit noch
nicht gegeben. Immerhin ordnet
§ 840 BGB für das Zusammentreffen deliktischer
Haftungen die Gesamtschuld ausdrücklich an. Warum dies für das Zusammentreffen von oder
mit vertraglichen Schadensersatzansprüchen anders sein sollte, ist nicht ohne weiteres
einleuchtend, dienen doch sowohl die verletzten Pflichten als auch die resultierenden
Ersatzansprüche alle dem Schutz ein- und desselben Interesses (Schutzzweckgesamtschuld
i.S. Ehmanns; vgl. dazu AK-BGB/Rüßmann, § 421 Rz. 5). Eine Versagung des
Gesamtschuldprivilegs sollte deshalb nur in besonders begründeten Ausnahmefällen in
Betracht kommen. Die arbeitsteilige Vergabe von Pflichten (etwa vom Bauherrn an
Architekten, Statiker, Bauunternehmer) reicht allein nicht aus, um dem Bauherrn das
Verschulden des einen gegenüber seinem Ersatzanspruch an einen anderen anzurechnen.
Angerechnet werden sollte hier nur ein mögliches Auswahl- oder Überwachungsverschulden
des Auftraggebers selbst. Darüber hinaus ist eine Anrechnung von Drittverschulden nur
dann vertretbar, wenn der Dritte im Rahmen einer vom Geschädigten unterhaltenen
Organisation tätig ist und von anderen Leistungen an die Organisationseinheit erbracht
werden, die sich u. a. deshalb schädigend auswirken, weil die Organisation nicht die
Vorkehrungen zur Schadensverhütung getroffen hat, die dem Geschädigten auch als
Einzelperson obgelegen hätten (z. B. Untersuchungs- und Rügepflichten). Die
Rechtsprechung zum Bewahrungsgehilfen (BGH 3, 46; BGH 36, 329) sprengt ebenso wie die
angeführte Literatur die skizzierten Ausnahmebereiche und ist deshalb abzulehnen. Für
die Rechtsprechung oder besser dafür, mit Esser/Schmidt (§ 35 III 1) die Schaffung
eines Bewahrungsrisikos als Anrechnungsfaktor anzuerkennen, sprechen indessen Vorschriften
aus speziellen Haftpflichtgesetzen (§ 4 HaftpflichtG, § 9 StVG, § 34
LuftVG, § 27 AtomG, § 6 ProdHaftG), nach denen sich der Geschädigte die
Schädigungsbeiträge derer anrechnen lassen muss, die die tatsächliche Gewalt über die
beschädigte Sache ausüben.
|