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Der Eigenbeitrag des Geschädigten

Die Grundnorm für die rechtliche Behandlung eines Eigenbeitrags des Geschädigten zu seinem Schaden ist in § 254 Abs. 1 BGB enthalten. Er befasst sich mit den rechtlichen Folgen gleichzeitiger Fremd- und Eigenschädigung. Sein Grundgedanke ist der, dem Geschädigten den Teil des erlittenen Schadens zu belassen, den dieser selbst zu verantworten hat. So einleuchtend der Grundgedanke ist, so schwierig ist es, ihn in Einzelentscheidungen umzusetzen. In der gerichtlichen Praxis spielt § 254 BGB eine überaus große Rolle, weil in ihn vielfältige Möglichkeiten zur Durchbrechung des Alles-oder-Nichts-Prinzips angelegt sind. Seine praktische Bedeutung steht allerdings im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu seiner theoretischen Durchdringung. Zur Orientierung in der kaum mehr überschaubaren Kasuistik lassen sich drei Problembereiche angeben: Der erste betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen überhaupt dem Geschädigten ein eigener Beitrag anspruchsmindernd in Rechnung gestellt wird; der zweite die Frage nach der Anspruchskürzung durch Schädigungsbeiträge Dritter und der dritte die erst nach der positiven Beantwortung von 1 und/oder 2 auftretende Frage nach den Kriterien für ein konkret durchzuführendes Abwägungsprogramm.

Frage 1 wird vom Gesetz unzureichend beantwortet. Das in § 254 Abs. 1 BGB allein genannte "Verschulden des Beschädigten" hat einerseits zu zahllosen Spekulationen darüber geführt, ob man überhaupt von einem Verschulden gegen sich selbst reden könne. Diese Spekulationen sind praktisch unergiebig geblieben. Denn auch, wenn man meint, nicht von einem Verschulden gegen sich selbst reden zu können, weil eine Selbstschädigung nicht verboten sei, muss man das die Abwägung auslösende Programm an ein "Fehlverhalten" des Geschädigten knüpfen, hinter dem sich regelmäßig Verschuldensgesichtspunkte verbergen. Über eine folgenlose "façon de parler" aber lohnt das Streiten nicht. Andererseits ist man sich heute in Rechtsprechung und Lehre darüber einig, dass nicht nur ein Verschulden (Fehlverhalten) des Geschädigten, sondern auch die Verwirklichung von ihm beherrschter Betriebs- oder Stoffgefahren zu einer Kürzung seines Schadensersatzanspruchs führen kann (BGHZ 52, 106), so dass zum korrekten Verständnis des § 254 Abs. 1 hinter "Verschulden" der Zusatz "oder eine Betriebs- bzw. Stoffgefahr" eingefügt werden muss.

Bei diesem Befund stehen allein zwei dogmatische Konstruktionsprinzipien für die Antwort auf Frage 1 ernsthaft zur Diskussion. Das eine knüpft an die Zurechnung für Fremdschäden an und führt zur Verantwortung für Eigenschäden genau dann, wenn dieser als Fremdschaden ersetzt werden müsste. Dieses Prinzip wird - mehr oder weniger bewusst - von der Rechtsprechung verwendet. Das andere Konstruktionsprinzip befreit sich von der (hypothetischen) Fremdschadensperspektive und entwickelt eigene, auf die Frage des Selbstbehalts zugeschnittene Zurechnungskriterien. Die für den Selbstbehalt dann genannten Zurechnungskriterien (Fehlverhalten, Betriebs- oder Stoffgefahr) sind aber denen der Fremdschadenszurechnung so ähnlich, dass auch hier zunächst der Eindruck einer folgenlosen Scheinkontroverse entsteht.

Dennoch ist der Streit kein - im schlechten Sinne - akademischer. Denn es gibt unterschiedliche Entscheidungen je nach dem, welches der beiden Konstruktionsprinzipien man zugrunde legt. Im Rahmen des ersten, an der Fremdschadensperspektive ausgerichteten Prinzips ist es nur konsequent, wenn die Rechtsprechung die Anrechnung des Fehlverhaltens durch §§ 827, 828 BGB begrenzt (BGHZ 9, 316); die Billigkeitshaftung des § 828 BGB für anrechenbar erklärt (BGHZ 37, 102) und dem Fahrer eines Kraftfahrzeuges einen Selbstbehalt nur unter den Voraussetzungen des § 18 StVG (und nicht schon unter denen des § 7 StVG) ansinnt (BGH VersR 1963, 350).

Das von der Mindermeinung verfochtene zweite Konstruktionsprinzip führt zu Ergebnissen, die eher im Einklang mit dem Grundgedanken der Schadensabnahme stehen. Schäden, die jemand wegen seines eigenen objektiven Fehlverhaltens erleidet, muss er tragen, sei er taubstumm, minderjährig oder gesund und volljährig. Wenn nun das eigene objektive Fehlverhalten nicht alleinige Ursache der Schäden ist, sondern mit haftungsauslösenden Fremdursachen zusammentrifft, ist die Überwälzung der Schäden auf den haftpflichtigen Dritten auch nur in Höhe seines Verantwortungsteils gerechtfertigt, und dem Geschädigten verbleibt der Teil des Schadens, der seinem eigenen Fehlverhalten zuzuschreiben ist, wiederum unabhängig von seiner (allein zur Begrenzung der Fremdverantwortung geschaffenen) Unzurechnungsfähigkeit. Das Konstruktionsprinzip der Rechtsprechung bricht mit diesen Grundgedanken und ist deshalb abzulehnen. Das Konstruktionsprinzip der Mindermeinung führt sodann unter folgenden Gesichtspunkten zum Selbstbehalt:

Objektives Fehlverhalten des Geschädigten: Bei der Festsetzung der Maßstäbe für ein objektives Fehlverhalten hat die Rechtsprechung erhebliche Entscheidungsspielräume. Ihre Entscheidungen grenzen - ähnlich wie die Festlegung von Sorgfaltspflichten bei der Haftungsbegründung - den Bereich ab, in dem man sich unbelastet von potentiellen Haftungs- und Selbstbehaltsrisiken frei bewegen kann. Anhaltspunkte für die Maßstäbe, deren Verletzung ein objektives Fehlverhalten begründet, lassen sich im Fremdhaftungstest gewinnen: Löst die Verletzung des betreffenden Maßstabs eine Haftpflicht für Fremdschäden aus, so rechtfertigt sie auch den anteiligen Selbstbehalt von Eigenschäden. Hier wie dort aber ist darauf zu achten, dass die Freiheit zu schadensgeneigten Gewinntätigkeiten eher eingeschränkt werden sollte als die Freiheit zur Gestaltung der persönlichen Lebensbedürfnisse. Schäden bei Sport und Spiel, die jemand erleidet oder zufügt, ohne dass er die spezifischen Spielregeln verletzt, rechtfertigen weder Haftpflicht noch Selbstbehalt.

Verwirklichung von Betriebs- und Stoffgefahren: Der unter diesem Gesichtspunkt gerechtfertigte Selbstbehalt des Geschädigten geht über das hinaus, was ihm im Haftungsbegründungsbereich an Fremdschadensabnahmen zugemutet wird. Das Grundprinzip lautet: Jeder Nutznießer von Betrieben und Stoffen, die zwar gefährlich, wegen ihres (in der Regel wirtschaftlich/technischen Nutzens) aber nicht verboten sind, muss sich seinen Schadensersatzanspruch kürzen lassen, wenn sich zusätzlich zur Fremdursache auch die spezifische Betriebs- oder Stoffgefahr schädigend ausgewirkt hat. Das gilt nicht nur für den Halter eines Kraftfahrzeugs, sondern auch für dessen Fahrer und Mitfahrer, die einen Nutzen aus dem gefährlichen Betrieb ziehen. Schließlich ist der Selbstbehalt auch bei der Verwirklichung von Gefahren solcher Betriebe und Stoffe geboten, für die ein Gefährdungshaftungstatbestand (noch) nicht geschaffen worden ist (Motorboot, Bagger auf Schienen). Das im Bereich der Haftungsbegründung der Entwicklung eines generellen Gefährdungshaftungstatbestand nur scheinbar im Wege stehende Analogieverbot, kann den Selbstbehalt auf keinen Fall hindern. Dem Geschädigten verbleiben die Schäden, die einem Betrieb oder einem Stoff entspringen, welche der Geschädigte trotz ihrer Gefährlichkeit zu seinem (wirtschaftlichen) Vorteil nutzt. 

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© Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann. 
Bei Fragen und Unklarheiten wenden sich meine Studenten bitte an:
Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann.
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