5. Regreßkonstruktionen und Ausgleichsfunktion
Die Berechtigung der im Vorsorgebereich allein durch Regreßkonstruktionen aufrechterhaltenen Belastung des Verletzers wird kaum in Frage gestellt (verhaltene Kritik bei Horst Baumann Der Regreß kollektiver Schadensträger im freiheitlichen Sozialstaat, 1977). Sie steht indessen auf tönernen Füßen. Der beim schlichten Zuhörer Zustimmung erheischende Satz, man wolle keinen Freibrief für unerlaubte Handlungen ausstellen (Selb), ist von der Annahme abhängig, daß die finanzielle Belastung in das Kalkül des potentiellen Verletzers eingeht und diesen von der Verletzungshandlung Abstand nehmen läßt. Das aber ist eine jedenfalls für nicht vorsätzlich verletzende Individuen völlig unrealistische Annahme (Weyers S. 446 ff.), deren Gehalt bei der weitgehenden Haftungsübernahme durch Versicherungen im Verkehrsunfallrecht nicht gerade steigt. Wer denkt schon beim Autofahren ständig an das Bonus-Malus-System seiner Haftpflichtversicherung und läßt sich dadurch zur Schadensverhütung anleiten? Der Präventionsgedanke trägt gegenüber Individuen nicht. Der in diesem Zusammenhang gern beschworene Gedanke der Verantwortung ist, wenn er nicht Prävention meint, leer ( Weyers S. 547 ff.). Dem Gebot der Gerechtigkeit, den Verletzten nicht auf einem von einem anderen zu verantwortenden Schaden sitzen zu lassen, ist durch das Eingreifen des Vorsorgeträgers genügt. Ob die Gerechtigkeit verlangt, nun den bei diesem entstandenen Schaden durch den Verletzer ausgleichen zu lassen, ist im Hinblick auf die besseren Verteilungsmöglichkeiten beim Kollektiv fraglich. Der auf jeden Fall Kosten verursachende Regreß erinnert schließlich an einen Schildbürgerstreich, wenn die Beitragspflichtigen in den Vorsorgesystemen und den Haftpflichtversicherungen weitgehend identisch sind (Kötz S. 33 ff.; Weyers S. 598 ff.). Die Kosten belasten dann nämlich die Verletzten. Alles in allem geben die eher unbewußt eingeführten Regreßmöglichkeiten im gewandelten Schadenstragungssystem keinen Anlaß, die Ausgleichsfunktion des zivilistischen Schadensrechts zugunsten anderer Funktionen zurückzudrängen. Im Gegenteil: Angesichts der sozialen Einbettung eines konkreten Schadensfalls in durch Solidargemeinschaften getragene Schadens- und Haftpflichtübernahmesysteme stellt sich die Frage, ob es angemessen ist, die Liste der ersatzfähigen Positionen immer länger werden zu lassen und zu Lasten der Solidargemeinschaften einzelnen Geldleistungen auch dort zuzugestehen, wo ein in Geld meßbarer Schaden nicht nachgewiesen werden kann.
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