Von I als hinreichender oder notwendiger Bedingung für G läßt sich bei statistischen Zusammenhängen nicht sprechen, da (1) es durchaus zuläßt, daß I ohne G, und (2) es zuläßt, daß G ohne I auftritt, mag der Wert für r auch sehr nahe bei 1 liegen. Die Wahrscheinlichkeit 1 gilt für das sichere Ereignis, die Wahrscheinlichkeit 0 für das unmögliche Ereignis. Alle anderen Ereignisse haben eine Wahrscheinlichkeit zwischen 0 und 1 mit einem notwendigen Patt zwischen dem Ereignis und seinem Gegenteil, dem Komplementäreignis, bei 0,5. Die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses und die Wahrscheinlichkeit des Komplementereignisses addieren sich immer zu 1 (mathematischer Wahrscheinlichkeitsbegriff). In der Prozentsprechweise multipliziert man diese Werte mit 100. Die Frage ist, welche Schlüsse auf ein gesuchtes Ereignis G die statistischen Erfahrungssätze (1) und (2) bei gegebenem I erlauben. Dieser Frage haben Juristen bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In der Wissenschaftstheorie wird sie dagegen ausgiebig und kontrovers auch dort diskutiert, wo die Schlußmöglichkeit entsprechend dem modus ponens der deduktiven Logik auf der Hand zu liegen scheint: bei einem statistischen Erfahrungssatz der Art (1) mit einem r größer als 0,9. Die überkommene Definition der Wahrscheinlichkeit als relative Häufigkeit auf lange Sicht (Grenzwert der relativen Häufigkeit) läßt es manchem Wahscheinlichkeitstheoretiker problematisch erscheinen, einem Einzelereignis einen Wahrscheinlichkeitswert zuzusprechen (vgl. Greger S. 42; Gottwald S. 191 f.; Motsch S. 140 ff. mit weiteren Nachweisen). Die Information, daß ein Ereignis der Art G bei gegebenem I auf lange Sicht in 90 % der Fälle eintritt, sagt ihm zufolge nichts darüber, ob es im konkreten vom Gericht untersuchten Fall auch eingetreten ist. Das ist in der Tat richtig, begründet aber keinen Einwand gegen einen Schluß auf die Wahrscheinlichkeit von G, der dem Gericht in einer praktischen Entscheidungssituation einen Anhalt dafür geben soll, ob es vernünftig ist, eher von G als von Nicht-G auszugehen, wenn die zur Verfügung stehenden Informationen völlige Sicherheit über G nicht vermitteln (Übergang von einer objektiven statistischen Größe auf den Grad des dadurch gerechtfertigten Glaubens an ein unbekanntes Ereignis - subjektive Wahrscheinlichkeit; vgl. von Kutschera S. 208 ff.; Bender/Nack RN 391 ff.; Nell S. 34 ff.). Welcher Unsicherheitsgrad für die praktische Entscheidung tolerabel ist, ist eine Frage des erforderlichen Beweismaßes. Je höher man das Beweismaß schraubt, desto mehr Entscheidungen zuungunsten der beweisbelasteten Partei muß man in Kauf nehmen bis zu der Extremposition, nur noch nach Beweislastgrundsätzen entscheiden zu können (vgl. dazu unten RN 18).
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