Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
§ 287 Randnummer 5

Unter Berücksichtigung des zuletzt Gesagten erweist sich § 287 selbst für den Fragenkreis überflüssig, der als sein genuiner Anwendungsbereich gilt: die ziffernmäßige Festlegung eines in Geld zu ersetzenden Schadens. Welcher Fragenkreis das ist, ist zunächst noch genauer auszuführen. Macht man im materiellen Schadensrecht mit der Differenzhypothese ernst (vgl. AK-BGB/Rüßmann vor § 249 RN 23 ff.), werden verschiedene Überlegungen erforderlich, die zwar alle die Schadenshöhe beeinflussen, aber doch nicht alle das in § 287 angesprochene Problem der Schadenshöhe betreffen. Zunächst einmal gilt es, in zwei getrennten Bilanzen Güterzugänge und Güterabgänge vom Zeitpunkt des haftbar machenden Ereignisses an zu verfolgen, nämlich für die reale Entwicklung mit dem haftbar machenden Ereignis einerseits und für die hypothetische Entwicklung ohne das haftbar machende Ereignis andererseits. Übereinstimmende Entwicklungen heben sich ohne weiteres auf und können für die Schadensbestimmung vernachlässigt werden. Interessant sind allein die unterschiedlichen Entwicklungen. Sie können sich dadurch ergeben, daß real ein Gut abgeflossen ist, das hypothetisch noch vorhanden wäre oder daß hypothetisch ein Gut zugeflossen wäre, das real ausgeblieben ist (Nachteile); aber auch dadurch, daß real ein Gut vorhanden ist, das hypothetisch abgeflossen wäre oder daß real ein Gut zugeflossen ist, das hypothetisch ausgeblieben wäre (Vorteile). Es ist schließlich noch denkbar, daß man im Ergebnis übereinstimmende Güterentwicklungen rechtlich zu unterschiedlichen macht, indem man voneinander abweichende Ursachen für beachtlich erklärt (hypothetische oder alternative Kausalität). Der Streit darüber, ob die Annahme einer unterschiedlichen Entwicklung gerechtfertigt ist, betrifft im letzteren Fall eine außerhalb des Beweisrechts gelegene Rechtsfrage, in allen anderen Fällen eine im Tatsächlichen zu beantwortende Beweisfrage (Kausalität). Es geht aber immer noch nicht um die in § 287 speziell angesprochene Frage zur Schadenshöhe. Sie kommt vielmehr erst nach der Beantwortung weiterer Rechtsfragen ins Spiel. Diese betreffen die Frage, welche der unterschiedlichen Entwicklungen für die Schlußsaldierung in Rechnung gestellt werden. Die Antwort hängt ab von der generellen Vermögensqualität eines Nachteils oder Vorteils sowie bei Nachteilen von den Zurechnungsgrenzen (Adäquanz, Schutzbereich) und bei den Vorteilen von den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung. Erst wenn auch diese Fragen beantwortet sind, hat das Gericht die für die Schlußsaldierung verbleibenden Vermögensvorteile und Vermögensnachteile zu bewerten. Dazu muß es noch im Rahmen der rechtlichen Überlegungen den relevanten Bewertungsmaßstab (Einkaufspreis, Verkaufspreis) festlegen, um dann endlich nach freier Überzeugung die Tatfrage zu entscheiden, wie hoch der Wert bei dem zugrunde gelegten Bewertungsmaßstab ist. Auch für diese gemeinhin als Schätzung bezeichnete Entscheidung bringt § 287 keine gegenüber dem allgemeinen Beweisverfahren einschließlich der Beweiswürdigung nach § 286 besonders hervorstechende Besonderheiten. Eine Schätzung ,,ins Blaue hinein" ist ausgeschlossen (Egon Schneider S. 67 ff.). Für die Beschaffung der Schätzungsunterlagen gelten die in der Kooperationsmaxime begründeten Mitwirkungspflichten aller Verfahrensbeteiligten. Das Gericht darf, wenn ihm genauere Feststellungsmöglichkeiten fehlen oder im Verhältnis zum streitbefangenen Interesse zu aufwendig wären, seine Überzeugungsbildung zum Wert auf Wahrscheinlichkeits-, Analogie-ìund Vergleichsbetrachtungen stützen. Nichts anderes gälte, wenn es § 287 nicht gäbe - mit Ausnahme allenfalls der erleichterten Zurückweisungsmöglichkeit von Beweisanträgen (vgl. zur Zurückweisung von Beweisanträgen allgemein § 284 RN 2 ff.).


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