Duldungspflicht: Sehr unvollkommen ist die Frage geregelt, wer in welchem Umfang den richterlichen Augenschein ermöglichen und gegebenenfalls auch Untersuchungen an sich oder seinen Sachen dulden muß und welche Konsequenzen sich im Weigerungsfalle ergeben. Eine ausdrückliche Regelung enthält das Gesetz nur für Untersuchungen zur Feststellung der Abstammung, die - unabhängig von der Parteistellung - ein jeder dulden muß und die bei wiederholter unberechtigter Verweigerung auch unmittelbar erzwungen werden können (§ 372a). Im übrigen schweigt das Gesetz. Dem Schweigen eine Absage an Pflichten zur Ermöglichung des Augenscheins und zur Duldung von Untersuchungen entnehmen zu wollen, wäre indessen verfehlt. Schon das Gebot, sich wahrheitsgemäß und vollständig zu erklären (§ 138 Abs. 1 und 2), legt den Parteien eine Pflicht zur Aufklärung auf und hält sie in den Grenzen dieser Pflicht (vgl. § 138 RN 33 ff.) auch an, den richterlichen Augenschein zu dulden (ebenso Stürner S. 138 ff.; im Ergebnis auch Steeger S. 189 ff.). Praktisch relevant wird die Pflicht allerdings nur für die nicht mit dem Beweisrisiko belastete Partei, da die beweisbelastete Partei sich durch die Weigerung, an der Aufklärung der von ihr zu beweisenden Sachverhalte mitzuwirken, keinen Vorteil verschaffen kann. Sie ist mit dem Beweismittel für die Instanz ausgeschlossen (§ 230) und läuft Gefahr, den Prozeß wegen Beweisfälligkeit zu verlieren. Die nicht mit dem Beweisrisiko belastete Partei dürfte sich indessen gefahrlos zu ihrem Vorteil verschweigen und verweigern, wenn es die allgemeine Mitwirkungspflicht nicht gäbe, die im Rahmen des Augenscheinsbeweises in die Pflicht mündet, den richterlichen Augenschein und Untersuchungen von Personen und Gegenständen zu dulden. Der Umfang der Pflicht wird vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestimmt (vgl. auch § 138 RN 33 ff.). Namentlich dort, wo der Augenschein oder die Untersuchung Eingriffe in Rechts- oder Personengüter des Betroffenen mit sich bringt, muß deren Geeignetheit und Erforderlichkeit zur Sachaufklärung und die Proportionalität des Aufklärungsziels zum beeinträchtigten Rechts- oder Personengut feststehen, um den Betroffenen in Pflicht nehmen zu können. Die Verweigerung trotz bestehender Pflicht wird am besten im Rahmen der Beweiswürdigung oder auch durch die Annahme von Beweisfiktionen sanktioniert (§ 138 RN 46 ff.). Für den unmittelbaren Zwang fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Seine Anordnung verstieße auch angesichts des gegebenen, weniger belastenden Reaktionspotentials gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
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