Gericht: BGH 1. Zivilsenat, Datum: 23.10.1951, Az: I ZR 31/51
Leitsatz
1.1 Eine Begebenheit ist adäquate Bedingung eines Erfolges, wenn sie die objektive
Möglichkeit eines Erfolges von der Art des eingetretenen generell in nicht unerheblicher
Weise erhöht hat. Bei der dahin zielenden Würdigung sind lediglich zu berücksichtigen
a) alle zur Zeit des Eintritts der Begebenheit dem optimalen Beobachter erkennbaren
Umstände,
b) die dem Setzer der Bedingung noch darüber hinaus bekannten Umstände.
1.2 Diese Prüfung ist unter Heranziehung des gesamten im Zeitpunkt der Beurteilung zur
Verfügung stehenden Erfahrungswissen vorzunehmen.
2. Bei dieser Prüfung auf Adäquanz handelt es sich nicht eigentlich um eine Frage der
Kausalität, sondern um die Ermittlung der Grenze, bis zu der dem Setzer einer Bedingung
eine Haftung für ihre Folgen billigerweise zugemutet werden kann. Nach dieser Auffassung
haftet derjenige, der einen Unfall verursacht, auch für spätere fehlerhafte Eingriffe
Dritter als adäquate Unfallfolgen, wenn das Eingreifen dieser Personen durch den Unfall
verursacht worden ist. Diese Haftung findet aber ihre Grenze, wenn der Eingriff von hierzu
nicht befugten Personen und in völlig unsachgemäßer und ungewöhnlicher Weise
vorgenommen wird.
Fundstelle
BGHZ 3, 261-270 (LT1-2)
Tatbestand
Am 27. Juli 1948 fuhren 6 Schiffe auf der Talfahrt in die Schleuse Datteln des
Lippe-Seitenkanals ein. Als erstes machte der Schlepper "Dollart" hart am
Untertor an der Nordmauer fest. Ihm folgten die von ihm geschleppten leeren Klappschuten
"Gesine" und "Heinrich Hirdes 9" (HH 9), die hintereinander an der
Südmauer festmachten. Als viertes Schiff folgte das MS "Edelweiß", das sich
mit einer Ladung von 360 t Weizen auf der Fahrt von Bremen nach Rüdesheim befand.
"Edelweiß" legte sich steuerbord neben "HH 9" und machte an der
Nordmauer fest. Es folgten schließlich die Motorschiffe "Weser I" und
"Nixe", die hintereinanderliegend an der Nordmauer festmachten. Die Längswände
der Schleuse in Datteln sind nach der Kammersohle zu verstärkt, so daß die
Schleusenkammern an Stelle eines rechtwinkligen einen konischen Querschnitt aufweisen. Bei
Berücksichtigung des damaligen Wasserstandes und einem Niveauunterschied von 7,46 m
zwischen Ober- und Unterwasser verringerte sich der lichte Abstand der Kammerwände von
12,77 m (Oberwasser) auf 12,31 m (Unterwasser). Aus diesem Grunde ist das
Schleusenpersonal angewiesen, nebeneinanderliegende Schiffe nur bis zur Gesamtbreite von
11,75 m zu schleusen.
Die Schleusung wurde in Abwesenheit des Schleusenmeisters durch den Schleusengehilfen
T. durchgeführt. Dieser fragte vor Beginn der Schleusung die Schiffer von "HH
9" und "Edelweiß" nach der Breite ihrer Fahrzeuge. "Edelweiß"
gab ihre Breite richtig mit 6,67 m an, während der Schiffer Sch. die Breite der "HH
9" unrichtig mit 5 m angab. Tatsächlich betrug sie 5,87 m. Dieselben Angaben erhielt
auf seine Frage der Pumpenmaschinist M. . Der Schleusengehilfe hielt die sich hiernach
ergebende Gesamtbreite für ausreichend und veranlaßte nach Schließung des Obertores die
Leerung der Schleusenkammer. Während des Wasserablaufs preßten sich die ursprünglich
frei schwimmenden Schiffe "Edelweiß" und "HH 9" gegeneinander und
hinterließen auch an den beiden Schleusenmauern Reibungsspuren. Dessen ungeachtet wurde
die Schleusung bis zur Erreichung des Unterwasserniveaus fortgesetzt. Erst beim Versuch
des Schleppers "Dollart", die Schuten "Gesine" und "HH 9"
herauszuziehen, wurde bemerkt, daß letztere mit "Edelweiß" verklemmt war und
sich nicht bewegen ließ. "Dollart" zog deshalb nur "Gesine" heraus.
Nunmehr beschlossen T. und M. in Abwesenheit des Schleusenmeisters, die Klemmlage der
Schiffe durch Hebung des Wasserspiegels in der Schleusenkammer zu beseitigen. Das Untertor
wurde geschlossen und die Schützen des Obertores um 10 cm gehoben. Der Wasserspiegel
stieg mit einer Geschwindigkeit von 25 cm in 1,5 Minuten. Die verklemmten Schiffe
schwammen jedoch nicht gleichmäßig auf. Sie hoben sich nur dachförmig längs ihrer
gemeinsamen Berührungsfläche, blieben aber mit starker Schlagseite an ihren
Berührungsflächen mit der Schleusenmauer hängen. Dabei drohte die mit einem Freibord
von nur 15 cm zu Wasser liegende "Edelweiß" überflutet zu werden. Trotz
anhaltender Notsignale gelang es dem Schleusenpersonal infolge Stromausfalles nicht, den
Wasserzufluß rechtzeitig zu stoppen. "Edelweiß" lief voll Wasser und sank. Nur
die Besatzung konnte sich retten.
Die Klägerin hat dem Eigner der "Edelweiß" Versicherungsschutz gewährt und
verlangt von der Beklagten als Eigner der "HH 9" Schadensersatz in Höhe von
103.605,50 DM, weil der entstandene Schaden durch die unrichtige Breitenangabe ihres
Schiffers Sch. verursacht worden sei. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie
bestreitet die Ursächlichkeit der falschen Breitenangabe und führt den Schaden allein
auf die falschen Maßnahmen des Schleusenpersonals zurück.
Das Schiffahrtsgericht hat die ursprünglich nur in Höhe eines Teilbetrages von 10.000
DM gegen die Beklagte und den Schiffer Sch. erhobene Klage gegen letzteren unbeschränkt,
gegen die Beklagte auf Schiff und Ladung oder deren Wert beschränkt dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt. Die Berufung wurde nur von der Klägerin und der Beklagten
durchgeführt. Das Berufungsgericht hat die im zweiten Rechtszuge auf die volle
Schadenshöhe erweiterte Klage gegen die nunmehr allein Beklagte unbeschränkt dem Grunde
nach für gerechtfertigt erklärt und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht hält die falsche Breitenangabe des Schiffers der "HH 9"
für die unmittelbare und adäquate Ursache, nicht nur der Einklemmung der Schiffe,
sondern auch der weiteren Schäden, die sich bei der Lösung der Schiffe aus der Klemmlage
ergeben haben. Es führt dazu aus, daß das Einklemmen beim Abschleusen zwar selten, aber
nicht ungewöhnlich sei und daß auch die Dienstanweisung für das Schleusenpersonal mit
solchem Vorkommen rechne. Ebenso sei die Behebung des Einklemmens durch Wasserzugabe nicht
ungewöhnlich, sondern allein auf diese Weise erreichbar. Gefahren beim Schleusenbetrieb
lägen jederzeit innerhalb der Lebenserfahrung. Diese Gefahren vervielfachten sich aber,
wenn eine der vorgesehenen Gefährdungen, hier das Einklemmen, eingetreten sei und in
üblicher, innerhalb der Lebenserfahrung liegender Weise beseitigt werden müsse. Dabei
müsse in erhöhtem Maße mit einem mehrfachen, ja sogar gleichzeitigen menschlichen und
technischen Versagen gerechnet werden. Das liege keinesfalls außerhalb jeder
Wahrscheinlichkeit und sei auch dem Schutenführer nach allgemein menschlicher Erfahrung
erkennbar gewesen. Das Versagen des Schleusenpersonals genüge also nicht zur
Unterbrechung des Zusammenhanges zwischen der unrichtigen Breitenangabe und dem Untergange
der "Edelweiß".
Der Revision ist zuzugeben, daß die Ausführungen über den ursächlichen Zusammenhang
als Voraussetzung einer Haftung der Beklagten nicht frei von Rechtsirrtum sind. Schon die
Annahme, daß das Verschulden des Schiffers Sch. unmittelbar kausal für den
Schadenseintritt gewesen sei, ist nicht richtig. Sch. hat nichts dafür getan, daß
"Edelweiß" sich neben "HH 9" legte und damit die erste Bedingung für
die spätere Einklemmung schuf. Die Wahl des Lageplatzes beruht auf dem freien Entschluß
des Schiffers von "Edelweiß". Ebenso beruht die Belassung des Schiffes an
diesem Platz auf dem Entschluß des Schleusenpersonals, das allein über die Besetzung der
Schleusenkammer zu bestimmen hatte und das Nebeneinanderliegen billigte, um auf diese
Weise den Schleusenraum besser auszunutzen. Die falsche Breitenangabe des Sch. hat aber
diesen Entschluß gefördert und ist auf diese Weise mittelbar für die Einklemmung
ursächlich geworden. Es erscheint sicher, daß das Schleusenpersonal das
Nebeneinanderliegen der Schiffe nicht geduldet haben würde, wenn es die wahre Breite der
"HH 9" gekannt hätte. Die falsche Breitenangabe ist also trotz ihrer nur
mittelbaren Funktion eine conditio sine qua non für den weiteren Geschehensablauf.
Mit dieser Feststellung ist indessen für die Annahme einer haftungsbegründenden
Verursachung des Schadens durch Sch. noch nichts gewonnen. Es ist seit langem in der
Rechtslehre und Rechtsprechung unstreitig, daß der Kreis solcher natürlich logischen
Ursachen gemeinhin ein viel zu großer ist, um jede ihrer Folgen dem Verursachenden
verantwortlich zur Last legen zu können. Die Rechtslehre hat daher den Begriff der
adäquaten Verursachung geschaffen, der nach der Entscheidung des Reichsgerichts vom 18.
November 1932 (HRR 1933, 498)
"die Möglichkeit schaffen soll, einzelne Bedingungen, die im
naturwissenschaftlichen Sinn Ursachen eines Erfolges waren, ohne deren Vorhandensein der
Erfolg also nicht eingetreten wäre, für den Kausalzusammenhang im rechtlichen Sinn
auszuschalten, und zwar sollen die logisch von dem Erfolg entferntesten Bedingungen
ausgeschaltet werden, weil die Berücksichtigung auch dieser Bedingungen im Rechtsleben zu
Ergebnissen führen würde, die der Billigkeit widersprächen ...".
Formuliert wurde die adäquate Ursache vor allem von Kries, Rümelin und Traeger (vgl
Gesamtübersicht bei Lindenmaier "Adäquate Ursache und nächste Ursache" in der
Festschrift für Wüstendörfer, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und
Konkursrecht Bd 113, Heft 3/4, Stuttgart 1950). Gemeinsam ist diesen Formulierungen die
Würdigung einer konkreten conditio sine qua non auf ihre Erfolgsbegünstigung nach
generellen Maßstäben. Sie unterscheiden sich nach dem Blickpunkt, von dem aus diese
Würdigung vorgenommen wird. Während von Kries, der Schöpfer des Begriffs der adäquaten
Ursache, die Würdigung der Erfolgsbegünstigung einer conditio sine qua non auf der
Grundlage aller dem Urheber der Bedingung zur Zeit ihres Eintritts (ex ante) individuell
bekannten oder erkennbaren Umstände vornehmen will, und zwar unter Heranziehung des ex
post vorhandenen generellen Erfahrungswissen, vertritt Rümelin die Theorie der
"objektiven nachträglichen Prognose". Er will zur Bildung des
Möglichkeitsurteils das gesamte Erfahrungswissens der Menschheit und alle zur Zeit des
Eintritts der Bedingung irgendwie vorhandenen Umstände berücksichtigen, mögen sie
selbst bei höchster Einsicht erkennbar gewesen sein oder erst durch das auf die
untersuchte Bedingung folgende Geschehen ex post erkennbar geworden sein.
Die vorausschauende individuelle Betrachtung von von Kries erwies sich als zu eng für
Fälle der objektiven Gefährdungs- und Vertragshaftung im Zivilrecht, die rückschauende
objektive Prognose Rümelins als zu weit, um unbillige Ergebnisse der Bedingungstheorie
mit Sicherheit ausschalten zu können. Rümelin selbst sah sich deshalb zu einer
Einschränkung seiner Lehre genötigt, soweit durch die untersuchte Bedingung der
Geschädigte lediglich in zeitliche oder räumliche Beziehung zum schädigenden Ereignis
geraten war. Die Mängel beider Formulierungen vermeidet Traeger (Kausalbegriff im Zivil-
und Strafrecht 1904 S 159) mit der Formulierung: Eine Begebenheit ist adäquate Bedingung
eines Erfolges, wenn sie die objektive Möglichkeit eines Erfolges von der Art des
eingetretenen generell in nicht unerheblicher Weise erhöht hat. Bei der dahin zielenden
Würdigung sind lediglich zu berücksichtigen
a) alle zur Zeit des Eintritts der Begebenheit dem optimalen Beobachter erkennbaren
Umstände,
b) die dem Urheber der Bedingung noch darüber hinaus bekannten Umstände.
Den so festgestellten Sachverhalt will Traeger unter Heranziehung des gesamten zur Zeit
der Beurteilung zur Verfügung stehenden menschlichen Erfahrungswissens darauf prüfen, ob
er den Eintritt des schädigenden Ereignisses in erheblicher Weise begünstigt hat (vgl
Lindenmaier aaO S 223 bis 226).
Der Traeger'schen Formulierung schließt sich im wesentlichen die Rechtsprechung des
Reichsgerichts seit der Entscheidung RGZ 133, 126 (127) in neuerer Zeit in der Fassung an,
daß ein adäquater Zusammenhang vorliege, "wenn eine Tatsache im allgemeinen und
nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem
regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur
Herbeiführung eines Erfolges geeignet war".
Dieser bis zuletzt im wesentlichen unverändert in zahlreichen Entscheidungen
beibehaltenen Fassung (RGZ 133, 126; 135, 154; 148, 165; 152, 49; 158, 38; 168, 88; 169,
91) schließt sich auch der Senat unter Beibehaltung der von Traeger festgelegten
Beurteilungsgrundlagen an. Es darf dabei freilich worauf Lindenmaier aaO S 239, 241
hinweist - nicht der Ausgangspunkt der Untersuchung aus den Augen verloren werden:
nämlich die Suche nach einem Korrektiv, das den Kreis der rein logischen Folgen im
Interesse billiger Ergebnisse auf die zurechenbaren Folgen einschränkt. Nur wenn die
Rechtsprechung sich dessen bewußt bleibt, daß es sich hier nicht eigentlich um eine
Frage der Kausalität, sondern um die Ermittlung der Grenze handelt, bis zu der dem
Urheber einer Bedingung eine Haftung für ihre Folgen billigerweise zugemutet werden kann,
also im Grunde um eine positive Haftungsvoraussetzung (Larenz, Vertrag und Unrecht 12, 14;
Lindenmaier aaO S 239, 241/42), wird die Gefahr einer Schematisierung der Formel vermieden
und die Ermittlung richtiger Ergebnisse gewährleistet.
Daß im vorliegenden Falle die Einklemmung der Schiffe eine adäquate Folge der
falschen Breitenangabe gewesen ist, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum angenommen.
Mit der Einklemmung war aber noch kein beweisbarer Schaden entstanden, da der
Geschehensablauf zum Stillstand gekommen war und die Schiffe ruhig auf ebenem Kiel in der
Schleusenkammer lagen. Bei der Zurechnung der weiteren erst eigentlich schädigenden
Folgen hat aber das Berufungsgericht die möglicherweise notwendige Einschränkung der
Haftungsfolgen nicht hinreichend beachtet, wenn es die Berücksichtigung des von ihm
selbst erkannten Versagens des Schleusenpersonals ablehnt. Zwar ist in der Rechtsprechung
des Reichsgerichts wiederholt anerkannt worden, daß jeder, der einen Unfall verursacht
hat, auch für solche Folgen einzustehen habe, die sich erst im Verlaufe einer durch den
Unfall unvermeidlich gewordenen Behandlung selbst durch einen dabei unterlaufenden
Kunstfehler ergeben, weil nach der Lebenserfahrung damit gerechnet werden müsse, daß
nicht jede Behandlung unbedingt sachgemäß ausgeführt und von dem gewünschten Erfolge
begleitet werden würde (RGZ 102, 230; 105, 264; 119, 204; RG HRR 28, 831; RG JW 1911,
755). Dieser Grundsatz gilt aber nicht ausnahmelos und kann nicht dazu führen, den für
die Einleitung eines Unfallherganges Verantwortlichen unterschiedslos mit allen Folgen zu
belasten, die ohne sein Zutun von dritten zu einem Eingriff gar nicht befugten Personen in
völlig ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise herbeigeführt werden (vgl die bereits
genannten Entscheidungen RGZ 102, 230 und JW 1911, 755).
Die Beklagte hatte darauf hingewiesen, daß ein solches ungewöhnliches und gröblich
falsches Eingreifen des Schleusenpersonals vorliege, und das Berufungsgericht hätte
deshalb in eine Prüfung dieses Verhaltens im einzelnen eintreten müssen, anstatt sich
mit dem Hinweis zu begnügen, daß "die immerhin beachtlichen Anzeichen für ein
Versagen des Schleusenpersonals für die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges nicht
ausreichen, zumal von einer vorsätzlichen Herbeiführung des Unfalles durch das
Schleusenpersonal keine Rede sein könne".
Die mit dem Begriff des vorsätzlichen Handelns aufgeworfene Frage des Verschuldens
gehört nicht in diesen Zusammenhang, der sich allein mit dem Begriff der Verursachung
befaßt. Er erfordert lediglich eine Prüfung, ob ein optimaler Beobachter mit einem
Verhalten des Schleusenpersonals, wie es - zum großen Teil unbestritten - vorgetragen
wird, im Augenblick des Eintritts der haftungsbegründenden Bedingung - also der falschen
Breitenangabe normalerweise hätte rechnen können. Die Unterlassung dieser Prüfung
rechtfertigt nicht allein die von der Revision erhobene verfahrensrechtliche Rüge der
mangelnden Erschöpfung des Sachverhalts, sondern läßt darüber hinaus erkennen, daß
das Berufungsgericht nicht den richtigen Maßstab für die Ausscheidung unzumutbarer und
deshalb inadäquater Folgen angewandt hat.
An Umständen, die nach dem vorgetragenen Sachverhalt selbständige Schadensursachen
bilden können, waren zu prüfen:
1. die Tatsache, daß der Schleusenmeister entgegen § 2 Ziff 2 seiner
Dienstanweisung es unterließ, die Schleusung persönlich zu überwachen, daß er vielmehr
die Schleusung einem Schleusengehilfen überließ, der ihm nicht als sein Vertreter
beigegeben war und der die Schleusung fortsetzte, obwohl er durch die auftretenden
Reibspuren an den Kammerwänden auf den Eintritt der Klemmlage der Schiffe hätte
aufmerksam werden müssen;
2. die Tatsache, daß nach Eintritt der Klemmlage der Schleusengehilfe und der
Pumpenmaschinist eigenmächtig und gegen das ausdrückliche Verbot der Dienstanweisung die
Lösung der Klemmung durch Wasserzugabe versucht haben, ohne den nach der Dienstanweisung
allein hierfür berufenen Schleusenmeister zu benachrichtigen und ihm die Beseitigung der
Störung zu überlassen, dies alles, obwohl kein Anlaß zu überstürztem Handeln vorlag,
der Geschehensablauf vielmehr mit der Erreichung des Unterwasserspiegels zum Stillstand
gekommen war;
3. die von der Beklagten behauptete und unter Beweis gestellte Tatsache, daß der
Schleusenmeister im Stande gewesen wäre, die Klemmlage ohne Gefährdung der Schiffe, wie
bereits in mehreren früher vorgekommen Fällen zu lösen, etwa durch Beseitigung der
hindernden Reib- und Berghölzer und ganz vorsichtiges Heben des Wasserspiegels, notfalls
durch Bedienung der Schützen von Hand;
4. die Tatsache, daß die Hebung des Wasserspiegels so schnell erfolgte, daß bereits
in 1 1/2 Minuten der nur 15 cm betragende Freibord der "Edelweiß" überflutet
werden mußte, falls die Verklemmung sich nicht lösen und die Schiffe nicht, wie
beabsichtigt, aufschwimmen sollten;
5. die Tatsache des Stromausfalls, die sowohl zeitlich wie hinsichtlich ihrer
Entstehungsursache ungeklärt geblieben ist. Dabei kann von Bedeutung sein, daß nach der
Bekundung des Maschinisten M. kein Ausfall des Kraftnetzes stattgefunden hat, sondern ein
Durchbrennen der Sicherung, die möglicherweise durch eine unsachgemäße
Überbeanspruchung des Schützenmotors ausgelöst worden sein kann.
Es mag sein, daß einzelne und selbst auch mehrere dieser Tatsachen in den nach der
Lebenserfahrung zu erwartenden Gefahrenkreis fallen, so daß man ihre Zumutbarkeit, jede
für sich betrachtet, bejahen könnte. Es mußte aber geprüft werden, ob nicht das
Zusammentreffen dieser vielfachen, zT von Unberufenen gesetzten, zT möglichenfalls
zufälligen Bedingungen, ungewöhnlich und außerhalb des normalen Gefahrenkreises gelegen
hat. Dabei wäre zu beachten gewesen, daß es sich um Bedingungen handelte, die sich
gegenseitig verstärkten und erst in diesem Zusammenwirken zu der verhängnisvollen
Zuspitzung der Lage führten, die nur noch wenig mit der ursprünglichen Herbeiführung
der Klemmlage zu tun hatte.
Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts reichen nicht aus, um dem
Revisionsgericht die abschließende Beurteilung des Kausalzusammenhanges zu ermöglichen.
Die Beteiligung des Schleusenpersonals an dem Unfallhergang muß in der angegebenen
Richtung, gegebenenfalls unter Zuziehung unabhängiger Sachverständiger, geklärt und
dann erneut zu der Verantwortlichkeit der Beklagten Stellung genommen werden.