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Adäquate Kausalität

Lange Zeit stand das Kriterium der adäquaten Verursachung im Zentrum der Überlegungen. Mit diesem Kriterium sollten ganz unwahrscheinliche Entwicklungen aus der Ersatzpflicht ausgeschlossen werden. Auch heute noch liest man in vielen Entscheidungen, dass eine Rechtsgutsverletzung oder ein Schaden adäquat kausal verursacht sei, ohne dass man dahinter eine überlegte und bewusst getroffene Entscheidung für ein bestimmtes Kriterium vermuten dürfte. Die Adäquanzlehre ist einfach die überkommene und über viele Juristengenerationen tradierte Lehre. Bei näherer Betrachtung erweist sie sich aber als ungeeignet, überflüssig und falsch. Das lässt sich schon an der Entscheidung zeigen, in der der BGH sich intensiv um die Adäquanzlehre bemüht:

Gericht: BGH 1. Zivilsenat, Datum: 23.10.1951, Az: I ZR 31/51

Leitsatz

1.1 Eine Begebenheit ist adäquate Bedingung eines Erfolges, wenn sie die objektive Möglichkeit eines Erfolges von der Art des eingetretenen generell in nicht unerheblicher Weise erhöht hat. Bei der dahin zielenden Würdigung sind lediglich zu berücksichtigen

a) alle zur Zeit des Eintritts der Begebenheit dem optimalen Beobachter erkennbaren Umstände,

b) die dem Setzer der Bedingung noch darüber hinaus bekannten Umstände.

1.2 Diese Prüfung ist unter Heranziehung des gesamten im Zeitpunkt der Beurteilung zur Verfügung stehenden Erfahrungswissen vorzunehmen.

2. Bei dieser Prüfung auf Adäquanz handelt es sich nicht eigentlich um eine Frage der Kausalität, sondern um die Ermittlung der Grenze, bis zu der dem Setzer einer Bedingung eine Haftung für ihre Folgen billigerweise zugemutet werden kann. Nach dieser Auffassung haftet derjenige, der einen Unfall verursacht, auch für spätere fehlerhafte Eingriffe Dritter als adäquate Unfallfolgen, wenn das Eingreifen dieser Personen durch den Unfall verursacht worden ist. Diese Haftung findet aber ihre Grenze, wenn der Eingriff von hierzu nicht befugten Personen und in völlig unsachgemäßer und ungewöhnlicher Weise vorgenommen wird.

Fundstelle

BGHZ 3, 261-270 (LT1-2)

Tatbestand

Am 27. Juli 1948 fuhren 6 Schiffe auf der Talfahrt in die Schleuse Datteln des Lippe-Seitenkanals ein. Als erstes machte der Schlepper "Dollart" hart am Untertor an der Nordmauer fest. Ihm folgten die von ihm geschleppten leeren Klappschuten "Gesine" und "Heinrich Hirdes 9" (HH 9), die hintereinander an der Südmauer festmachten. Als viertes Schiff folgte das MS "Edelweiß", das sich mit einer Ladung von 360 t Weizen auf der Fahrt von Bremen nach Rüdesheim befand. "Edelweiß" legte sich steuerbord neben "HH 9" und machte an der Nordmauer fest. Es folgten schließlich die Motorschiffe "Weser I" und "Nixe", die hintereinanderliegend an der Nordmauer festmachten. Die Längswände der Schleuse in Datteln sind nach der Kammersohle zu verstärkt, so daß die Schleusenkammern an Stelle eines rechtwinkligen einen konischen Querschnitt aufweisen. Bei Berücksichtigung des damaligen Wasserstandes und einem Niveauunterschied von 7,46 m zwischen Ober- und Unterwasser verringerte sich der lichte Abstand der Kammerwände von 12,77 m (Oberwasser) auf 12,31 m (Unterwasser). Aus diesem Grunde ist das Schleusenpersonal angewiesen, nebeneinanderliegende Schiffe nur bis zur Gesamtbreite von 11,75 m zu schleusen.

Die Schleusung wurde in Abwesenheit des Schleusenmeisters durch den Schleusengehilfen T. durchgeführt. Dieser fragte vor Beginn der Schleusung die Schiffer von "HH 9" und "Edelweiß" nach der Breite ihrer Fahrzeuge. "Edelweiß" gab ihre Breite richtig mit 6,67 m an, während der Schiffer Sch. die Breite der "HH 9" unrichtig mit 5 m angab. Tatsächlich betrug sie 5,87 m. Dieselben Angaben erhielt auf seine Frage der Pumpenmaschinist M. . Der Schleusengehilfe hielt die sich hiernach ergebende Gesamtbreite für ausreichend und veranlaßte nach Schließung des Obertores die Leerung der Schleusenkammer. Während des Wasserablaufs preßten sich die ursprünglich frei schwimmenden Schiffe "Edelweiß" und "HH 9" gegeneinander und hinterließen auch an den beiden Schleusenmauern Reibungsspuren. Dessen ungeachtet wurde die Schleusung bis zur Erreichung des Unterwasserniveaus fortgesetzt. Erst beim Versuch des Schleppers "Dollart", die Schuten "Gesine" und "HH 9" herauszuziehen, wurde bemerkt, daß letztere mit "Edelweiß" verklemmt war und sich nicht bewegen ließ. "Dollart" zog deshalb nur "Gesine" heraus. Nunmehr beschlossen T. und M. in Abwesenheit des Schleusenmeisters, die Klemmlage der Schiffe durch Hebung des Wasserspiegels in der Schleusenkammer zu beseitigen. Das Untertor wurde geschlossen und die Schützen des Obertores um 10 cm gehoben. Der Wasserspiegel stieg mit einer Geschwindigkeit von 25 cm in 1,5 Minuten. Die verklemmten Schiffe schwammen jedoch nicht gleichmäßig auf. Sie hoben sich nur dachförmig längs ihrer gemeinsamen Berührungsfläche, blieben aber mit starker Schlagseite an ihren Berührungsflächen mit der Schleusenmauer hängen. Dabei drohte die mit einem Freibord von nur 15 cm zu Wasser liegende "Edelweiß" überflutet zu werden. Trotz anhaltender Notsignale gelang es dem Schleusenpersonal infolge Stromausfalles nicht, den Wasserzufluß rechtzeitig zu stoppen. "Edelweiß" lief voll Wasser und sank. Nur die Besatzung konnte sich retten.

Die Klägerin hat dem Eigner der "Edelweiß" Versicherungsschutz gewährt und verlangt von der Beklagten als Eigner der "HH 9" Schadensersatz in Höhe von 103.605,50 DM, weil der entstandene Schaden durch die unrichtige Breitenangabe ihres Schiffers Sch. verursacht worden sei. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie bestreitet die Ursächlichkeit der falschen Breitenangabe und führt den Schaden allein auf die falschen Maßnahmen des Schleusenpersonals zurück.

Das Schiffahrtsgericht hat die ursprünglich nur in Höhe eines Teilbetrages von 10.000 DM gegen die Beklagte und den Schiffer Sch. erhobene Klage gegen letzteren unbeschränkt, gegen die Beklagte auf Schiff und Ladung oder deren Wert beschränkt dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung wurde nur von der Klägerin und der Beklagten durchgeführt. Das Berufungsgericht hat die im zweiten Rechtszuge auf die volle Schadenshöhe erweiterte Klage gegen die nunmehr allein Beklagte unbeschränkt dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht hält die falsche Breitenangabe des Schiffers der "HH 9" für die unmittelbare und adäquate Ursache, nicht nur der Einklemmung der Schiffe, sondern auch der weiteren Schäden, die sich bei der Lösung der Schiffe aus der Klemmlage ergeben haben. Es führt dazu aus, daß das Einklemmen beim Abschleusen zwar selten, aber nicht ungewöhnlich sei und daß auch die Dienstanweisung für das Schleusenpersonal mit solchem Vorkommen rechne. Ebenso sei die Behebung des Einklemmens durch Wasserzugabe nicht ungewöhnlich, sondern allein auf diese Weise erreichbar. Gefahren beim Schleusenbetrieb lägen jederzeit innerhalb der Lebenserfahrung. Diese Gefahren vervielfachten sich aber, wenn eine der vorgesehenen Gefährdungen, hier das Einklemmen, eingetreten sei und in üblicher, innerhalb der Lebenserfahrung liegender Weise beseitigt werden müsse. Dabei müsse in erhöhtem Maße mit einem mehrfachen, ja sogar gleichzeitigen menschlichen und technischen Versagen gerechnet werden. Das liege keinesfalls außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und sei auch dem Schutenführer nach allgemein menschlicher Erfahrung erkennbar gewesen. Das Versagen des Schleusenpersonals genüge also nicht zur Unterbrechung des Zusammenhanges zwischen der unrichtigen Breitenangabe und dem Untergange der "Edelweiß".

Der Revision ist zuzugeben, daß die Ausführungen über den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung einer Haftung der Beklagten nicht frei von Rechtsirrtum sind. Schon die Annahme, daß das Verschulden des Schiffers Sch. unmittelbar kausal für den Schadenseintritt gewesen sei, ist nicht richtig. Sch. hat nichts dafür getan, daß "Edelweiß" sich neben "HH 9" legte und damit die erste Bedingung für die spätere Einklemmung schuf. Die Wahl des Lageplatzes beruht auf dem freien Entschluß des Schiffers von "Edelweiß". Ebenso beruht die Belassung des Schiffes an diesem Platz auf dem Entschluß des Schleusenpersonals, das allein über die Besetzung der Schleusenkammer zu bestimmen hatte und das Nebeneinanderliegen billigte, um auf diese Weise den Schleusenraum besser auszunutzen. Die falsche Breitenangabe des Sch. hat aber diesen Entschluß gefördert und ist auf diese Weise mittelbar für die Einklemmung ursächlich geworden. Es erscheint sicher, daß das Schleusenpersonal das Nebeneinanderliegen der Schiffe nicht geduldet haben würde, wenn es die wahre Breite der "HH 9" gekannt hätte. Die falsche Breitenangabe ist also trotz ihrer nur mittelbaren Funktion eine conditio sine qua non für den weiteren Geschehensablauf.

Mit dieser Feststellung ist indessen für die Annahme einer haftungsbegründenden Verursachung des Schadens durch Sch. noch nichts gewonnen. Es ist seit langem in der Rechtslehre und Rechtsprechung unstreitig, daß der Kreis solcher natürlich logischen Ursachen gemeinhin ein viel zu großer ist, um jede ihrer Folgen dem Verursachenden verantwortlich zur Last legen zu können. Die Rechtslehre hat daher den Begriff der adäquaten Verursachung geschaffen, der nach der Entscheidung des Reichsgerichts vom 18. November 1932 (HRR 1933, 498)

"die Möglichkeit schaffen soll, einzelne Bedingungen, die im naturwissenschaftlichen Sinn Ursachen eines Erfolges waren, ohne deren Vorhandensein der Erfolg also nicht eingetreten wäre, für den Kausalzusammenhang im rechtlichen Sinn auszuschalten, und zwar sollen die logisch von dem Erfolg entferntesten Bedingungen ausgeschaltet werden, weil die Berücksichtigung auch dieser Bedingungen im Rechtsleben zu Ergebnissen führen würde, die der Billigkeit widersprächen ...".

Formuliert wurde die adäquate Ursache vor allem von Kries, Rümelin und Traeger (vgl Gesamtübersicht bei Lindenmaier "Adäquate Ursache und nächste Ursache" in der Festschrift für Wüstendörfer, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht Bd 113, Heft 3/4, Stuttgart 1950). Gemeinsam ist diesen Formulierungen die Würdigung einer konkreten conditio sine qua non auf ihre Erfolgsbegünstigung nach generellen Maßstäben. Sie unterscheiden sich nach dem Blickpunkt, von dem aus diese Würdigung vorgenommen wird. Während von Kries, der Schöpfer des Begriffs der adäquaten Ursache, die Würdigung der Erfolgsbegünstigung einer conditio sine qua non auf der Grundlage aller dem Urheber der Bedingung zur Zeit ihres Eintritts (ex ante) individuell bekannten oder erkennbaren Umstände vornehmen will, und zwar unter Heranziehung des ex post vorhandenen generellen Erfahrungswissen, vertritt Rümelin die Theorie der "objektiven nachträglichen Prognose". Er will zur Bildung des Möglichkeitsurteils das gesamte Erfahrungswissens der Menschheit und alle zur Zeit des Eintritts der Bedingung irgendwie vorhandenen Umstände berücksichtigen, mögen sie selbst bei höchster Einsicht erkennbar gewesen sein oder erst durch das auf die untersuchte Bedingung folgende Geschehen ex post erkennbar geworden sein.

Die vorausschauende individuelle Betrachtung von von Kries erwies sich als zu eng für Fälle der objektiven Gefährdungs- und Vertragshaftung im Zivilrecht, die rückschauende objektive Prognose Rümelins als zu weit, um unbillige Ergebnisse der Bedingungstheorie mit Sicherheit ausschalten zu können. Rümelin selbst sah sich deshalb zu einer Einschränkung seiner Lehre genötigt, soweit durch die untersuchte Bedingung der Geschädigte lediglich in zeitliche oder räumliche Beziehung zum schädigenden Ereignis geraten war. Die Mängel beider Formulierungen vermeidet Traeger (Kausalbegriff im Zivil- und Strafrecht 1904 S 159) mit der Formulierung: Eine Begebenheit ist adäquate Bedingung eines Erfolges, wenn sie die objektive Möglichkeit eines Erfolges von der Art des eingetretenen generell in nicht unerheblicher Weise erhöht hat. Bei der dahin zielenden Würdigung sind lediglich zu berücksichtigen

a) alle zur Zeit des Eintritts der Begebenheit dem optimalen Beobachter erkennbaren Umstände,

b) die dem Urheber der Bedingung noch darüber hinaus bekannten Umstände.

Den so festgestellten Sachverhalt will Traeger unter Heranziehung des gesamten zur Zeit der Beurteilung zur Verfügung stehenden menschlichen Erfahrungswissens darauf prüfen, ob er den Eintritt des schädigenden Ereignisses in erheblicher Weise begünstigt hat (vgl Lindenmaier aaO S 223 bis 226).

Der Traeger'schen Formulierung schließt sich im wesentlichen die Rechtsprechung des Reichsgerichts seit der Entscheidung RGZ 133, 126 (127) in neuerer Zeit in der Fassung an, daß ein adäquater Zusammenhang vorliege, "wenn eine Tatsache im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolges geeignet war".

Dieser bis zuletzt im wesentlichen unverändert in zahlreichen Entscheidungen beibehaltenen Fassung (RGZ 133, 126; 135, 154; 148, 165; 152, 49; 158, 38; 168, 88; 169, 91) schließt sich auch der Senat unter Beibehaltung der von Traeger festgelegten Beurteilungsgrundlagen an. Es darf dabei freilich worauf Lindenmaier aaO S 239, 241 hinweist - nicht der Ausgangspunkt der Untersuchung aus den Augen verloren werden: nämlich die Suche nach einem Korrektiv, das den Kreis der rein logischen Folgen im Interesse billiger Ergebnisse auf die zurechenbaren Folgen einschränkt. Nur wenn die Rechtsprechung sich dessen bewußt bleibt, daß es sich hier nicht eigentlich um eine Frage der Kausalität, sondern um die Ermittlung der Grenze handelt, bis zu der dem Urheber einer Bedingung eine Haftung für ihre Folgen billigerweise zugemutet werden kann, also im Grunde um eine positive Haftungsvoraussetzung (Larenz, Vertrag und Unrecht 12, 14; Lindenmaier aaO S 239, 241/42), wird die Gefahr einer Schematisierung der Formel vermieden und die Ermittlung richtiger Ergebnisse gewährleistet.

Daß im vorliegenden Falle die Einklemmung der Schiffe eine adäquate Folge der falschen Breitenangabe gewesen ist, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum angenommen. Mit der Einklemmung war aber noch kein beweisbarer Schaden entstanden, da der Geschehensablauf zum Stillstand gekommen war und die Schiffe ruhig auf ebenem Kiel in der Schleusenkammer lagen. Bei der Zurechnung der weiteren erst eigentlich schädigenden Folgen hat aber das Berufungsgericht die möglicherweise notwendige Einschränkung der Haftungsfolgen nicht hinreichend beachtet, wenn es die Berücksichtigung des von ihm selbst erkannten Versagens des Schleusenpersonals ablehnt. Zwar ist in der Rechtsprechung des Reichsgerichts wiederholt anerkannt worden, daß jeder, der einen Unfall verursacht hat, auch für solche Folgen einzustehen habe, die sich erst im Verlaufe einer durch den Unfall unvermeidlich gewordenen Behandlung selbst durch einen dabei unterlaufenden Kunstfehler ergeben, weil nach der Lebenserfahrung damit gerechnet werden müsse, daß nicht jede Behandlung unbedingt sachgemäß ausgeführt und von dem gewünschten Erfolge begleitet werden würde (RGZ 102, 230; 105, 264; 119, 204; RG HRR 28, 831; RG JW 1911, 755). Dieser Grundsatz gilt aber nicht ausnahmelos und kann nicht dazu führen, den für die Einleitung eines Unfallherganges Verantwortlichen unterschiedslos mit allen Folgen zu belasten, die ohne sein Zutun von dritten zu einem Eingriff gar nicht befugten Personen in völlig ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise herbeigeführt werden (vgl die bereits genannten Entscheidungen RGZ 102, 230 und JW 1911, 755).

Die Beklagte hatte darauf hingewiesen, daß ein solches ungewöhnliches und gröblich falsches Eingreifen des Schleusenpersonals vorliege, und das Berufungsgericht hätte deshalb in eine Prüfung dieses Verhaltens im einzelnen eintreten müssen, anstatt sich mit dem Hinweis zu begnügen, daß "die immerhin beachtlichen Anzeichen für ein Versagen des Schleusenpersonals für die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges nicht ausreichen, zumal von einer vorsätzlichen Herbeiführung des Unfalles durch das Schleusenpersonal keine Rede sein könne".

Die mit dem Begriff des vorsätzlichen Handelns aufgeworfene Frage des Verschuldens gehört nicht in diesen Zusammenhang, der sich allein mit dem Begriff der Verursachung befaßt. Er erfordert lediglich eine Prüfung, ob ein optimaler Beobachter mit einem Verhalten des Schleusenpersonals, wie es - zum großen Teil unbestritten - vorgetragen wird, im Augenblick des Eintritts der haftungsbegründenden Bedingung - also der falschen Breitenangabe normalerweise hätte rechnen können. Die Unterlassung dieser Prüfung rechtfertigt nicht allein die von der Revision erhobene verfahrensrechtliche Rüge der mangelnden Erschöpfung des Sachverhalts, sondern läßt darüber hinaus erkennen, daß das Berufungsgericht nicht den richtigen Maßstab für die Ausscheidung unzumutbarer und deshalb inadäquater Folgen angewandt hat.

An Umständen, die nach dem vorgetragenen Sachverhalt selbständige Schadensursachen bilden können, waren zu prüfen:

1. die Tatsache, daß der Schleusenmeister entgegen § 2 Ziff 2 seiner Dienstanweisung es unterließ, die Schleusung persönlich zu überwachen, daß er vielmehr die Schleusung einem Schleusengehilfen überließ, der ihm nicht als sein Vertreter beigegeben war und der die Schleusung fortsetzte, obwohl er durch die auftretenden Reibspuren an den Kammerwänden auf den Eintritt der Klemmlage der Schiffe hätte aufmerksam werden müssen;

2. die Tatsache, daß nach Eintritt der Klemmlage der Schleusengehilfe und der Pumpenmaschinist eigenmächtig und gegen das ausdrückliche Verbot der Dienstanweisung die Lösung der Klemmung durch Wasserzugabe versucht haben, ohne den nach der Dienstanweisung allein hierfür berufenen Schleusenmeister zu benachrichtigen und ihm die Beseitigung der Störung zu überlassen, dies alles, obwohl kein Anlaß zu überstürztem Handeln vorlag, der Geschehensablauf vielmehr mit der Erreichung des Unterwasserspiegels zum Stillstand gekommen war;

3. die von der Beklagten behauptete und unter Beweis gestellte Tatsache, daß der Schleusenmeister im Stande gewesen wäre, die Klemmlage ohne Gefährdung der Schiffe, wie bereits in mehreren früher vorgekommen Fällen zu lösen, etwa durch Beseitigung der hindernden Reib- und Berghölzer und ganz vorsichtiges Heben des Wasserspiegels, notfalls durch Bedienung der Schützen von Hand;

4. die Tatsache, daß die Hebung des Wasserspiegels so schnell erfolgte, daß bereits in 1 1/2 Minuten der nur 15 cm betragende Freibord der "Edelweiß" überflutet werden mußte, falls die Verklemmung sich nicht lösen und die Schiffe nicht, wie beabsichtigt, aufschwimmen sollten;

5. die Tatsache des Stromausfalls, die sowohl zeitlich wie hinsichtlich ihrer Entstehungsursache ungeklärt geblieben ist. Dabei kann von Bedeutung sein, daß nach der Bekundung des Maschinisten M. kein Ausfall des Kraftnetzes stattgefunden hat, sondern ein Durchbrennen der Sicherung, die möglicherweise durch eine unsachgemäße Überbeanspruchung des Schützenmotors ausgelöst worden sein kann.

Es mag sein, daß einzelne und selbst auch mehrere dieser Tatsachen in den nach der Lebenserfahrung zu erwartenden Gefahrenkreis fallen, so daß man ihre Zumutbarkeit, jede für sich betrachtet, bejahen könnte. Es mußte aber geprüft werden, ob nicht das Zusammentreffen dieser vielfachen, zT von Unberufenen gesetzten, zT möglichenfalls zufälligen Bedingungen, ungewöhnlich und außerhalb des normalen Gefahrenkreises gelegen hat. Dabei wäre zu beachten gewesen, daß es sich um Bedingungen handelte, die sich gegenseitig verstärkten und erst in diesem Zusammenwirken zu der verhängnisvollen Zuspitzung der Lage führten, die nur noch wenig mit der ursprünglichen Herbeiführung der Klemmlage zu tun hatte.

Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts reichen nicht aus, um dem Revisionsgericht die abschließende Beurteilung des Kausalzusammenhanges zu ermöglichen. Die Beteiligung des Schleusenpersonals an dem Unfallhergang muß in der angegebenen Richtung, gegebenenfalls unter Zuziehung unabhängiger Sachverständiger, geklärt und dann erneut zu der Verantwortlichkeit der Beklagten Stellung genommen werden.

Nimmt man die Formulierung aus dem Leitsatz 1 ernst, so dürfte es kaum eine Entwicklung geben, die als inadäquat bezeichnet werden könnte. Einem optimalen Beobachter, dem das gesamte Weltwissen zur Verfügung steht, ist halt keine Entwicklung unwahrscheinlich. Der Leitsatz 2 bringt auch deutlich zum Ausdruck, dass es gar nicht um Wahrscheinlichkeitserwägungen geht, sondern um eine Bewertungsfrage. Für diese Bewertungsfrage aber gibt es nach dem Stand der heutigen Zivilrechtsdogmatik einen angemesseneren Standort als die Adäquanzlehre. 

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© Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann. 
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Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann.
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