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Hypothetische KausalitätGrundlage der folgenden Ausführungen ist die sog. Differenzhypothese des § 249 BGB. Nach ihr bestimmt sich die Höhe des Schadens durch einen Gütervergleich zwischen der tatsächlich vorliegenden Güterlage des Geschädigten und der hypothetischen Güterlage, die ohne das Schadensereignis bestehen würde. § 249 BGB stellt also gewissermaßen die Nahtstelle zwischen Haftungsbegründungsrecht (vertragliche oder außervertragliche Haftungstatbestände) und dem Schadens(ausfüllungs)recht der §§ 249 ff. dar. Nach der allgemeinen Fassung der Differenzhypothese in § 249 BGB sind hypothetische Kausalverläufe sämtlich zu berücksichtigen. Es wird ja das wirkliche Vermögen (nach dem Schadensereignis) mit dem hypothetischen Vermögen des Geschädigten, das ohne das Schadensereignis bestehen würde, verglichen. Bei der Bildung dieser Hypothese aber sind eben alle Umstände zu berücksichtigen, die das Vermögen des Geschädigten beeinflusst hätten. Dass hypothetische Kausalverläufe in die Schadenszurechnung einfließen, bezweifelt niemand, und es ergibt sich auch bereits aus dem Gesetzeswortlaut (§ 249 Satz 1, 252 Satz 2). Strittig ist jedoch, in welchen Fällen Reserveursachen unbeachtlich sind und die Zurechnung damit erweitert wird. Das Gesetz gibt unterschiedliche Antworten, die jeweils nicht verallgemeinerungsfähig sind. §§ 287 Satz 2, 2. Halbs., 848 BGB sowie einige seerechtliche Vorschriften erklären Reserveursachen für beachtlich, während sie in § 844 HGB unbeachtlich bleiben. Betrachten wir, bevor wir uns den hier zu vertretenden Meinungen zuwenden, zur Veranschaulichung einige Beispiele:
In allen Beispielen stellt sich die Frage, ob die Reserveursache, die später den real erwirkten Schaden herbeigeführt hätte, beachtlich ist. Dabei ist zweierlei noch vorauszuschicken: Angesichts der Vergänglichkeit alles Irdischen, muss es irgendwann einen Zeitpunkt geben, in dem der Schadensersatzanspruch definitiv feststeht. Sonst würde der Geschädigte nie Gewissheit über die Höhe seines Anspruchs erhalten. Maßgeblicher Zeitpunkt hierfür ist in der Regel die Erfüllung, ein Vergleich oder ein rechtskräftiges Urteil. Danach auftretende Reserveursachen können nicht mehr geltend gemacht werden. Hat im Beispiel 2 S dem G nach § 843 Abs. 3 eine einmalige Abfindung gezahlt, so ist eine Rückforderung ausgeschlossen, weil mit ihrer Zahlung endgültige Klarheit über den Schadensersatzanspruch geschaffen werden soll (es scheint also günstiger, eine Rentenzahlung zu wählen und auf den Eintritt einer Reserveursache zu hoffen). Das Zweite ist, dass die Beweislast für die Geltendmachung von Reserveursachen stets den Schädiger trifft. Nur wenn sicher ist, dass die Reserveursache den Schaden herbeigeführt hätte, kann über ihre Beachtlichkeit verhandelt werden. Ist sie dagegen nur möglich oder ungewiss, so ist sie stets unbeachtlich. Die h.M. in der Literatur (Auswahl: Staudinger/Medicus, § 249 Randnr. 105; Larenz, Schuldrecht I, § 30 I, Soergel/Mertens, vor § 249 Randnr. 154; weitere Nachweise bei Lange, Schadensersatz, § 4 VII S. 183.) sowie die Rechtsprechung (BGHZ 29, 207, 315) differenziert zwischen dem sog. unmittelbaren Objektschaden und Vermögensfolgeschäden. Bei ersteren sollen hypothetische Ereignisse unbeachtlich, bei Letzteren beachtlich sein. Begründet wird diese Differenzierung mit folgenden Argumenten:
Aus dem letztgenannten Argument folgt die (einhellig vertretene) Beachtlichkeit von Reserveursachen für die sog. Rentenfälle (Beispiel 2). Hierzu führte BGHZ 10. 6, 11 zutreffend aus:
Die Rente ist also nur bis zu dem Zeitpunkt zu zahlen, in dem das hypothetische Ereignis die Erwerbsunfähigkeit ebenso herbeigeführt hätte. Nach dieser Ansicht sind also in den Beispielen 1 und 5 b) die Reserveursachen unbeachtlich, mithin die Schädiger zur Zahlung verpflichtet. Während in den Beispielen 2 und 4 die Rente nur bis zur Erkrankung des G bzw. das entgangene Gehalt des X nur bis 1945 zu ersetzen sind. Zu dieser Differenzierung wird jedoch noch eine Ausnahme gemacht bei den sog. Anlagefällen, in denen die Reserveursache im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses gleichsam als Anlage bereits vorhanden war. Dabei ist es gleichgültig, ob die Anlage intern im Schadensobjekt (Beispiele 3 und 5 a) oder extern (der beschädigte Öltank hätte auf Grund zuvor in Kraft getretener Sicherheitsbestimmungen ohnehin ausgewechselt werden müssen) bedingt ist. Auch in diesen Fällen ist nur der sog. "Verfrühungsschaden" zu ersetzen, d.h. der Schaden, der dadurch entstanden ist, dass der ohnehin angelegte Schaden durch das Schadensereignis schon früher eingetreten ist. Als Begründung wird - wenigstens für Sachen - angegeben, dass der Wert durch die Schadensanlage zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bereits vermindert bzw. Null war. Fassen wir die h.M. zusammen, so ergibt sich: War die Reserveursache bereits vor dem Schadenseintritt gesetzt, so ist sie beachtlich (Anlagefälle). Tritt sie erst nach dem Schadensereignis auf, so ist sie bei unmittelbaren Objektschäden unbeachtlich, bei mittelbaren Vermögensfolgeschäden (Renten, entgangener Gewinn) beachtlich. Ähnlich stellt sich dies in der Leitentscheidung des BGH zur hypothetischen Kausalität in BGHZ 29, 207, 215 (Beispiel 5 b) dar.
Neben verschiedenen weiteren Einzelmeinungen (vgl. insbesondere Esser, Schuldrecht I, 4. Aufl. § 46 III, der bei Reserveursachen bei Restitutionsansprüchen (§ 249) für Unbeachtlichkeit der Reserveursachen plädiert, während sei bei Kompensationsansprüchen (§ 251, 252) beachtlich sein sollen. Dagegen mit Recht Lange, Schadensersatz, § 4 VI S. 182. Zu weiteren Einzelmeinungen vgl. Lange, a.a.O.) hält die Mindermeinung (Lange, § 4 VII S. 184, AK-BGB-Rüßmann vor § 249-253 Randnr. 70; MünchKomm-Grunsky vor § 249 Randnr. 81, Lemhöfer JuS 1966, 337, 340; weitere Nachweise bei Lange, a.a.O.), der auch die hier vertretene Linie folgt, die Reserveursache auch bei den unmittelbaren Objektschäden für beachtlich. Zur Begründung werden folgende Argumente aufgeführt:
Nach dieser Ansicht sind F und B in den Beispielen 2 und 5a) nicht zum Ersatz verpflichtet. Einig ist man sich auch, dass eine Reserveursache, die einen Dritten zum Schadensersatz verpflichtet hätte, unbeachtlich bleibt.
C kann für die zerstörte Sache mangels realer Kausalität nicht haftbar gemacht werden. Könnte sich A auf die Reserveursache berufen, so bliebe B im Ergebnis ohne Ersatz. Für die Mindermeinung stellt sich dies freilich so dar, dass die Reserveursache beachtlich ist, der Schaden des B allerdings darin liegt, dass er von C keinen Schadensersatz verlangen kann. Dies hat Auswirkungen, wenn der Ersatzanspruch gegen den hypothetischen Zweitschädiger beschränkt ist (z.B. § 254 oder Höchstbeträge bei Gefährdungshaftung, vgl. § 12 StVG, §§ 9, 10 HaftpflG, § 10 ProdukthaftG). |
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