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(1) Vertragsaufhebung wegen wesentlicher Vertragsverletzung (Art. 49 Abs. 1 a CISG)

Als wesentliche Vertragsverletzung kommen gegliedert nach der Terminologie des BGB ("Pflichtverletzungstatbestände") in Betracht:

Leistungsverzögerung/Schuldnerverzug: Grundsätzlich führt die Nichtleistung des Schuldners trotz Fälligkeit und Durchsetzbarkeit des Anspruchs nicht zu einer wesentlichen Vertragsverletzung. Ansonsten wäre Art. 49 Abs. 1 b CISG schlicht überflüssig. Dies bedeutet im praktischen Ergebnis, dass sich der Gläubiger im Falle der Leistungsverzögerung erst nach fruchtlosem Ablauf einer zuvor gesetzten angemessenen Nachfrist (Art. 47 CISG) vom Vertrag lösen kann und ist identisch mit der Regelung im BGB-Kaufrecht, die das Rücktrittsrecht wegen pflichtwidriger Leistungsverzögerung (§ 323 Abs. 1 BGB) ebenfalls an dieses Erfordernis knüpft. Allerdings kann sich etwas Anderes dann ergeben, wenn der Schuldner an einer rechtzeitigen Leistung ein besonderes Interesse hat. Insbesondere bei Fixgeschäften, aber auch bei anderen Verträgen, bei denen der Leistungszeit erkennbar zentrale Bedeutung zukommt, führt die Nichtlieferung zum vereinbarten Termin zu einer wesentlichen Vertragsverletzung (Müller-Chen, in: Schlechtriem, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 49 Rdnr. 5; Staudinger/Magnus, Art. 49 Rdnrn. 10 bis 12) und damit zu einem Rücktrittsrecht ohne Fristsetzungserfordernis. Auch dies stimmt im Ergebnis mit der Regelung des gesetzlichen Rücktrittsrechts im BGB überein. Die Regelung im BGB ist indes für den Rechtsanwender einfacher zu handhaben, weil sie das Entfallen des Fristsetzungserfordernisses in § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB für den Fall des relativen Fixgeschäftes ausdrücklich anordnet. Gleiches gilt für das absolute Fixgeschäft, bei dem der Ablauf des Erfüllungszeitraums bereits zur Unmöglichkeit der Leistungserbringung führt und ein Rücktrittsrecht aus § 326 Abs. 5 BGB begründet. Hier ergibt sich das Entfallen des Fristsetzungserfordernisses ebenfalls ohne weiteres aus dem Wortlaut des § 326 Abs. 5 BGB. Auch die endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung seitens des Schuldners stellt eine wesentliche Vertragsverletzung dar, die gemäß Art. 49 Abs. 1 a CISG zum sofortigen Rücktritt berechtigt. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass dies nur für den Fall der endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung nach Fälligkeit gilt. Denn vor Fälligkeit führt die Erfüllungsverweigerung noch nicht zur "Nichterfüllung" der einschlägigen Leistungspflicht, die der Tatbestand des Art. 49 Abs. 1 a CISG jedoch voraussetzt. Für den Fall der endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung vor Fälligkeit gewährt indes Art. 72 Abs. 1, 3 CISG ein Recht zur sofortigen Erklärung der Vertragsaufhebung, weil bei der endgültigen Erfüllungsverweigerung vor Fälligkeit "bereits vor dem für die Vertragserfüllung festgesetzten Zeitpunkt offensichtlich ist, dass eine Partei eine wesentliche Vertragsverletzung begehen wird"  (zur Abgrenzung von Erfüllungsverweigerung vor und nach Fälligkeit: vgl. Müller-Chen, in: Schlechtriem, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 49 Rdnr. 6). Auch hier ist die Regelung im autonomen deutschen Leistungsstörungsrecht identisch: Die endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung nach Fälligkeit begründet ein sofortiges Rücktrittsrecht aus § 323 Abs. 1, 2  Nr. 1 BGB. Demgegenüber muss für den Fall der endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung vor Fälligkeit auf eine andere Rechtsgrundlage, nämlich § 323 Abs. 4 BGB zurückgegriffen werden, der ebenso wie Art. 72 CISG für diesen Fall ein sofortiges Rücktrittsrecht gewährt, weil "bereits vor Eintritt der Fälligkeit der Leistung offensichtlich ist, das die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden". Der Vorzug der inhaltlich identischen Regelung im BGB ist der, dass sich das sofortige Rücktrittsrecht auch für den Fall der Erfüllungsverweigerung vor Fälligkeit unmittelbar aus der gleichen Vorschrift ergibt, während im CISG die sofortigen Rücktrittsrechte für beide Fälle auf zwei weit auseinander liegende Vorschriften verteilt sind (Art. 49 Abs. 1 a, 72 Abs. 1, 3 CISG).

Unmöglichkeit der Leistungserbringung: Die objektive Unmöglichkeit der Leistungserbringung stellt nach allgemeiner Ansicht eine wesentliche Vertragsverletzung dar. Sie führt demnach im Anwendungsbereich des CISG ebenso wie nach neuem BGB  - Schuldrecht nicht zur Unwirksamkeit des Vertrages, sondern begründet so wie dort ein Rücktrittsrecht (vgl. § 326 Abs. 5 BGB). Gleiches gilt für Unvermögen, wenn man dieses - entsprechend der h.M. im deutschen Zivilrecht - so versteht, dass wiewohl vielleicht ein anderer leisten könnte, jedenfalls der Schuldner nicht einmal die theoretische Möglichkeit zur Leistung durch Beschaffung des Kaufgegenstandes hat. Auch für das Unvermögen ist die Regelung in CISG und BGB bezogen auf das Rücktrittsrecht identisch. Ist das Vorliegen des Unvermögens jedoch unklar, empfiehlt es sich sicherheitshalber eine Nachfrist zu setzen und deren fruchtlosen Ablauf abzuwarten, so dass jedenfalls ein Rücktrittsrecht aus Art. 49 Abs. 1 b CISG besteht (Müller-Chen, in: Schlechtriem, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 49 Rdnr. 7). Gleiches gilt für das BGB-Kaufrecht, bei dessen Eingreifen man ebenfalls bei Unsicherheit über die Beschaffungsmöglichkeit des Schuldners sicherheitshalber eine Nachfrist setzen sollte, um jedenfalls nach § 323 Abs. 1 BGB zurücktreten zu können. Einzig entbehrlich ist dies wiederum dann, wenn der Schuldner unter Berufung auf sein angebliches Unvermögen die Leistung dauerhaft und ernsthaft verweigert, weil dann schon aus den im Rahmen der Leistungsverzögerung dargelegten Gründen aus Art. 49 Abs. 1 a CISG bzw. § 323 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB ein sofortiges Rücktrittsrecht folgt (Müller-Chen, a.a.O., Art. 49 Rdnr. 7).

Falschlieferung: Eine Falschlieferung stellt nur beim Stückkauf regelmäßig eine wesentliche Vertragsverletzung dar. Beim Gattungskauf ist dies dagegen nur der Fall, wenn es dem Käufer nicht zugemutet werden kann, die Lieferung selbst zu verwerten und Minderung oder Schadensersatz geltend zu machen. Krasse aliud-Lieferungen stellen auf jeden Fall eine wesentliche Vertragsverletzung dar. Demgegenüber stellt die aliud - Lieferung im Rahmen des BGB-Kaufvertragsrechts sowohl beim Gattungs- wie beim Stückkauf eine Pflichtverletzung dar, die den Käufer - regelmäßig nach fruchtlosem Ablauf der Nachfrist - gemäß §§ 434 Abs. 3, 437 Nr. 2, 440, 323 Abs. 1 BGB zum Rücktritt berechtigt. Dem Vorteil des BGB gegenüber dem CISG, dass man für den Gattungs- und für den Stückkauf eine einheitliche, von Wertungsschwierigkeiten befreite Lösung geschaffen hat, steht der Nachteil gegenüber, dass beim BGB-Kauf auch die Lieferung eines Identitätsaliuds regelmäßig nicht zum sofortigen Rücktritt berechtigt.

Rechtsmangel: Nach herrschender Meinung stellt nicht jeder Rechtsmangel eine wesentliche Vertragsverletzung dar. Allerdings ist dies dann der Fall, wenn der Käufer den Gegenstand auf Grund des Rechtsmangels sofort herausgeben muss oder wenn sich der Mangel nicht beheben lässt und den Käufer an der Verwendung der Ware hindert (Schwenzer, in: Schlechtriem, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 41 Rdnr. 21). Dann kann der Käufer, wenn er vorher den Mangel ordnungsgemäß gerügt hat (Art. 43 Abs. 1 CISG), die Vertragsaufhebung erklären. Nach dem BGB-Kaufrecht berechtigt ein Rechtsmangel (§ 435 BGB) zu einem Rücktritt des Käufers gemäß §§ 437 Nr. 2 i.V.m. 440, 323 Abs. 1 bzw. i.V.m. 326 Abs. 5 BGB. Das heißt auch im BGB-Kaufrecht kann der Käufer bei Unbehebbarkeit des Rechtsmangels (= Unmöglichkeit der Nacherfüllung gemäß § 439 BGB durch Lieferung eines rechtsmangelfreien Gegenstandes oder durch Beseitigung des Rechtsmangels) sofort zurücktreten und hat dabei gegenüber dem CISG den Vorteil, dass er dies ohne vorherige Rüge des Mangels tun kann.

Sachmangel: Wie wir bereits gesehen haben, stellt ein Sachmangel nur dann eine schwerwiegende Vertragsverletzung dar, wenn es dem Käufer nicht zugemutet werden kann, die mangelhafte Ware zu behalten und ggf. Schadensersatz oder Minderung geltend zu machen. Des Weiteren muss es unmöglich oder dem Käufer unzumutbar sein, den Mangel nach Art. 46 Abs. 3 CISG zu beseitigen. Vertragsaufhebung soll nach dem Gewährleistungsrecht des CISG die "ultima ratio" sein (Kappus, NJW 1994, 984). Nimmt man noch dazu, dass der Käufer den Mangel ordnungsgemäß gerügt haben muss (Art. 39 CISG), so wird deutlich, dass der Käufer nach dem BGB-Gewährleistungsrecht erheblich einfacher wegen eines Sachmangels vom Vertrag loskommen kann als bei Geltung des CISG. Es genügt bereits ein Sachmangel im Sinne des § 434 BGB, der entweder auch durch Nacherfüllung nicht beseitigt werden kann (dann: Rücktrittsrecht aus §§ 437 Nr. 2, 326 Abs. 5 BGB) oder zu dessen Beseitigung der Käufer eine fruchtlos verstrichene Nachfrist gesetzt hat (dann: Rücktrittsrecht aus §§ 437 Nr. 2, 440, 323 Abs. 1 BGB). Ein besonderes Gewicht des Sachmangels ist für den Rücktritt im Gegensatz zum CISG nicht erforderlich. Vielmehr kann der Verkäufer lediglich den Rücktritt abwenden, wenn er darlegt und im Bestreitensfalle beweist, dass die in der Lieferung des Sachmangels liegende Pflichtverletzung "unerheblich" ist (§ 323 Abs. 5 S. 2 BGB). Der Rücktritt wegen Sachmangels ist also gegenüber der Regelung des CISG nicht "ultima ratio", sondern lediglich gegenüber dem generell vorrangigen Anspruch auf Nacherfüllung "sekundärer Rechtsbehelf", der gleichberechtigt neben dem Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung (aus § 437 Nr. 3, 440, 280 Abs. 1 und 3 i.V.m. 281 bzw. 282 bzw. 283 BGB) steht und ebenso wie dieser im Gegensatz zur Minderung bei bagatellartigen Pflichtverletzungen ausscheidet (vgl. §§ 281 Abs. 1 S. 3, 323 Abs. 5 S. 2 BGB und § 441 Abs. 1 S. 2 BGB).

Verletzung sonstiger Vertragspflichten: Auch die Verletzung sonstiger Vertragspflichten, insbesondere die Verletzung vertraglicher Nebenpflichten, kann eine wesentliche Vertragsverletzung darstellen. Ob die Verletzung der Nebenpflicht eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt, hängt vor allem vom objektiven Gewicht der Vertragsverletzung und von der Bedeutung der Nebenpflicht ab (Müller-Chen, in: Schlechtriem, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 49 Rdnr. 12; Staudinger/Magnus, Art. 49 Rdnr. 18 f.). Allerdings erfasst der Begriff der "Vertragsverletzung" lediglich die Verletzung vertraglicher Pflichten und nicht auch die Verletzung von Sorgfaltspflichten aus einem vertragsähnlichen Vertrauensverhältnis, das nach dem Verständnis des internen deutschen Zivilrechts bei der Vertragsanbahnung entstehen kann. Das CISG regelt keine Haftung für culpa in contrahendo, da diese in den einzelnen Rechtsordnungen so verschiedenartig ausgestaltet ist, dass man auf keinen gemeinsamen Nenner kommen konnte (Stoll/Gruber, in: Schlechtriem, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht Art. 74 Rdnr. 11).

Auch im internen deutschen Zivilrecht kann die Verletzung von Nebenpflichten durch den Schuldner den Gläubiger zum Rücktritt  berechtigen. Dabei wird allerdings zwischen Pflichtverletzungen im Stadium der Vertragsanbahnung (§ 311 Abs. 2, 241 Abs. BGB) und Pflichtverletzungen nach Vertragsschluss unterschieden. Die Kontaktaufnahme im vorvertraglichen Stadium kann gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB ein Schuldverhältnis begründen. Eine Pflichtverletzung im Rahmen dieses Schuldverhältnisses kann allerdings kein Rücktrittsrecht aus § 323 Abs. 1 BGB begründen, da § 323 Abs. 1 BGB auf "gegenseitige Verträge" beschränkt ist und das Schuldverhältnis aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB kein solcher gegenseitiger Vertrag ist. Eine Pflichtverletzung im Rahmen der Vertragsverhandlungen (z.B. Verletzung einer Auskunfts-, Beratungs- oder Aufklärungspflicht) kann demgegenüber jedoch einen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB begründen. Der Schaden des Gläubigers wird bei diesen Fällen oft im Vertragsschluss liegen. Der Gläubiger hat dann einen auf Vertragsaufhebung gerichteten Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB (Grüneberg, in: Palandt, § 311 Rdnr. 57). Verletzungen von Nebenpflichten nach Vertragsschluss können indes ein Rücktrittsrecht aus § 323 Abs. 1 BGB begründen. Dies deshalb, weil § 323 Abs. 1 BGB zwar einen "gegenseitigen Vertrag" voraussetzt, nicht aber die Verletzung einer synallagmatischen Hauptleistungspflicht aus einem solchen Vertrag (BT-Drucks. 14/6040, S. 183). Dabei ist nach h.M. zwischen leistungsbezogenen Nebenpflichten (wie z.B. der Leistungstreuepflicht, der Pflicht zur ordnungsgemäßen Verpackung der Ware etc.) und nicht leistungsbezogenen, auf Wahrung des Integritätsinteresses ausgerichteten Nebenpflichten zu unterscheiden. Erstere fallen unter § 323 Abs. 1 BGB, Letztere unter § 324 BGB (Schulze, in: Handkommentar zum BGB, § 323 Rdnr. 3 f. und § 324 Rdnr. 1). Dies wiederum hat zur praktischen Konsequenz, dass der Rücktritt bei der Verletzung nicht leistungsbezogener Nebenpflichtverletzungen gegenüber dem Rücktritt wegen Verletzung von Leistungsnebenpflichten an die erschwerende Voraussetzung geknüpft ist, dass dem Gläubiger ein Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann. Im praktischen Ergebnis dürfte das beim Rücktrittsrecht aus Art. 49 Abs. 1 a CISG nicht anders sein, weil es für das Gewicht der Vertragsverletzung regelmäßig einen Unterschied macht, ob eine leistungs- oder nicht leistungsbezogene Nebenpflicht verletzt wird. Der Vorteil des BGB gegenüber dem CISG liegt darin, dass dem Rechtsanwender durch die in § 323 Abs. 1 und § 324 BGB vorweggenommen Unterscheidung diese Auslegungsprobleme erspart bleiben.

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© Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann. 
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