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Der Vertragsschluss im UN-KaufrechtDas UN-Kaufrecht ist Teil des nationalen deutschen Rechts. Es ersetzt die Regelungen des BGB und des HGB als lex specialis, wenn die Voraussetzungen seiner Anwendbarkeit gegeben sind: ein grenzüberschreitender Kaufvertrag über Waren zwischen Unternehmen mit Sitz in Staaten, die das Abkommen ratifiziert haben, oder bei Anwendung des deutschen Privatrechts nach den Regeln des Internationalen Privatrechts. Deutsch gehört nicht zu den offiziellen Sprachen, in denen das völkerrechtliche Übereinkommen Verbindlichkeit erlangt hat. Aus diesem Grunde halte ich eine dreisprachige Fassung des UN-Kaufrechts vor, in der man immer die Möglichkeit hat, die fragliche Norm auch in zwei der offiziellen Sprachen (Englisch und Französisch) zu studieren. Der Vertragsschluss ist im CISG in den Artikeln 14 bis 24 geregelt. Diese Regelung weist in ihren Grundstrukturen deutliche Parallelen zum BGB auf, obgleich im Detail einige Unterschiede bestehen. Im folgenden soll die Regelung des Vertragsschlusses im CISG kurz vorgestellt und dabei gezeigt werden, wo das CISG Berührungspunkte zum BGB aufweist und wo es von der Regelung des BGB abweicht.
Wie wir bereits bei der Erörterung des Vertragsschlusses nach dem Recht des BGB gesehen haben, geht das BGB wie fast alle Rechtsordnungen im Regelfall von dem Modell des Vertragsschlusses durch Angebot und Annahme aus. Auch das CISG hat diesen Weg beschritten. Dabei wurde sogar bei der Beratung des CISG erwogen, in einer eigenen Vorschrift klarzustellen, dass - nicht anders als z.B. im unvereinheitlichten deutschen Recht - auch ein auf anderem Wege als dem "Angebot-Annahme"-Schema erzielter Parteikonsens (z.B. die beiderseitige Zustimmung zu einem von einem Dritten erstellten Vertragsentwurf) für den Vertragsschluss ausreicht. Dies wurde dann wegen der "extreme difficulty of formulating an acceptable text" verworfen (Schlechtriem in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 4. Auflage 2004, Vor Artt. 14-24, Rdnr. 2). Dennoch geht man heute in der Literatur davon aus, dass alleine der Konsens für den Vertragsschluss entscheidend ist, ohne dass es auf die strenge Einhaltung des "Angebot-Annahme-Schemas" ankommt (Schlechtriem in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. Vor Artt. 14 Rdnr. 5 mwN.). Das BGB hat die materiellrechtlichen Anforderungen an ein Angebot nicht ausdrücklich normiert, sondern nimmt nur in einigen Vorschriften auf das nicht eigens geregelte Angebot, den Antrag, Bezug (vgl. §§ 145 bis 151 BGB). Demgegenüber hat das CISG in Art. 14 den Antrag in einer eigenen Vorschrift geregelt. Dabei verlangt Art. 14 Abs. 1 in Übereinstimmung mit dem BGB, dass ein wirksames Angebot mit Rechtsbindungswillen abgegeben wurde und auch die essentialia negotii regelt. Als essentialia negotii des Kaufvertrages nennt Art. 14 Abs. 1 Satz 2 die Ware, deren Menge und den Kaufpreis. Damit stellt sich auch nach dem CISG die in der Vorlesung bereits für das deutsche Recht erörterte Frage, ob die Parteien einen Kaufvertrag wirksam schließen können, obgleich sie den Kaufpreis noch offen lassen. Diese Frage war bei der Entstehung des CISG außerordentlich umstritten und ist es eigentlich bis heute geblieben. Der Streit drückt sich auch deutlich im CISG selbst aus: Nimmt man nämlich den Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 ernst, dann kann ein wirksames Angebot ohne Festlegung eines bestimmten Kaufpreises nicht zustande kommen, liest man dagegen Art. 55 CISG, dann muss man gerade vom Gegenteil ausgehen. Art. 55 bestimmt: "Ist ein Vertrag gültig geschlossen worden, ohne daß er den Kaufpreis ausdrücklich oder stillschweigend festsetzt oder dessen Festsetzung ermöglicht, so wird mangels gegenteiliger Anhaltspunkte vermutet, daß die Parteien sich stillschweigend auf den Kaufpreis bezogen haben, der bei Vertragsschluß allgemein für derartige Ware berechnet wurde, die in dem betreffenden Geschäftszweig unter vergleichbaren Umständen verkauft wurde". Der zwischen diesen Vorschriften liegende Widerspruch wird naturgemäß unterschiedlich aufgelöst: Während einige Autoren von einem generellen Vorrang des Art. 55 CISG ausgehen, vertreten andere einen absoluten Vorrang des Art. 14 Abs. 1 Satz 2. Daneben werden verschiedene differenzierende Ansätze vertreten (vgl. Schlechtriem in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 14 Rdnrn. 9-11; Reinhart, UN-Kaufrecht, 1991, Art. 14 Rdnr. 4). Im Ergebnis spricht insbesondere die systematische Auslegung dafür, dass Art. 55 CISG als speziellere Vorschrift Art. 14 Abs. 1 Satz 2 ergänzt. Art. 55 CISG führt dann nämlich bei konsequenter Anwendung dazu, dass, wenn seine Voraussetzungen vorliegen, eben der Kaufpreis doch als "stillschweigend" festgelegt gilt. Demnach würde Art. 55 CISG für das CISG die gleiche Funktion übernehmen wie die §§ 315, 316 BGB im Recht des BGB. Dabei erscheint jedoch die Lösung des CISG, die auf den Marktpreis als von den Parteien hypothetisch gewollten Preis abstellt, gegenüber der Lösung der §§ 315, 316 BGB, die ausgerechnet dem Gläubiger das Preisbestimmungsrecht zuweist, interessengerechter und insgesamt vorzugswürdig. Art. 14 Abs. 2 enthält die Auslegungsregel, dass ein an einen unbestimmten Personenkreis gerichtetes Angebot grundsätzlich nur eine invitatio ad offerendum darstellt, wenn nicht der Antragende das Gegenteil deutlich zum Ausdruck bringt. Eine solche Auslegungsregel kennt das BGB nicht. Allerdings wird die Auslegung von "Angeboten" an einen unbestimmten Personenkreis nach §§ 133, 157 BGB in der Regel auch nach deutschem Recht zum gleichen Ergebnis führen, wobei der Rechtsanwender mangels Auslegungsregel jedoch flexibler ist. Allerdings macht Art. 14 Abs. 2 im Umkehrschluss deutlich, dass auch das CISG die dem unvereinheitlichten deutschen Recht so geläufige Offerte ad incertas personas anerkennt.
Art. 15 Abs. 1 CISG entspricht der allgemeiner formulierten, für alle Willenserklärungen geltenden Vorschrift des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB. Auch Art. 15 Abs. 2 CISG entspricht weitgehend § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB. Es besteht allerdings insoweit ein terminologischer Unterschied zwischen beiden Vorschriften als im CISG von "Rücknahme" und im BGB von "Widerruf" die Rede ist. Dieser terminologische Unterschied liegt darin begründet, dass das CISG den Begriff "Widerruf" für den Fall der nachträglichen Beseitigung eines bereits wirksam gewordenen Angebots verwendet (vgl. Art. 16). Eine dem § 130 Abs. 2 BGB entsprechende Vorschrift fehlt im CISG. Da bei der Entstehung des CISG eine solche Vorschrift erwogen wurde, man dann aber auf sie verzichtet hat, kann man davon ausgehen, dass der Einfluss des Todes oder des Wegfalls der Geschäftsfähigkeit auf die Wirksamkeit einer Willenserklärung außerhalb des Regelungsbereiches des UN-Übereinkommens liegt (Schlechtriem in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 15 Rdnr. 8).
Art. 16 regelt das in § 145 BGB normierte Problem der Bindung des Antragenden an das Angebot. Dabei löst Art. 16 das Problem genau anders herum: Während im deutschen Zivilrecht, wie bereits erörtert, der Antragende nach § 145 BGB grundsätzlich an das Angebot gebunden ist, sobald es dem Adressaten zugegangen ist, kann das Angebot nach Art. 16 Abs. 1 so lange widerrufen werden, bis der Adressat eine Annahmeerklärung abgesandt hat. Damit haben sich in Art. 16 Abs. 1 die romanischen und angelsächsischen Vertragsstaaten, deren Rechtsordnungen eine dem deutschen Recht vergleichbare Bindung an das Angebot fremd ist, weitgehend durchgesetzt (Schlechtriem in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 16 Rdnr.1). Die Widerrufssperre nicht erst ab Vertragsschluss, sondern schon bei Absendung der Widerrufserklärung stammt aus dem Common Law (Schlechtriem in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 16 Rdnr. 4). Art. 16 Abs. 2 CISG, der für bestimmte Fälle Ausnahmen von der generellen Widerruflichkeit des Angebots vorsieht, stellt demgegenüber ein Zugeständnis an das deutsche Recht und andere kontinentaleuropäische Rechtsordnungen dar (Reinhart, UN-Kaufrecht, Art. 16 Rdnr. 3).
Art. 17 entspricht ohne weiteres der Vorschrift des § 146 1. Alt. BGB. Der in §§ 146 2. Alt., 148 BGB geregelte Erlöschensgrund des Ablaufs einer im Angebot gesetzten Annahmefrist ist im CISG nicht gesondert aufgeführt. Allerdings ergibt sich aus Art. 18 Abs. 2 Satz 2 mittelbar, dass auch nach dem CISG ein befristetes Angebot mit Fristablauf erlischt.
Ebenso wie auch im Falle des Antrages ist die Annahme im CISG anders als im BGB durch eine eigene Vorschrift geregelt. Dabei entspricht die Regelung in Art. 18 Abs. 1 CISG der Rechtslage im Recht des BGB: Die Annahme ist eine Willenserklärung, die die Zustimmung zum Angebot ausdrückt und die sowohl durch eine ausdrückliche Erklärung als auch durch konkludentes Verhalten erfolgen kann (Art. 18 Abs. 1 Satz 1 CISG). Interessant ist insbesondere die Vorschrift des Art. 18 Abs. 1 Satz 2 CISG, die das Problem behandelt, inwiefern das Schweigen auf ein Angebot als Annahme gewertet werden kann. Im BGB gibt es für diesen Problemkreis keine eigene Vorschrift. Daher wird das Problem im deutschen Zivilrecht durch Rückgriff auf die allgemeinen Regeln für die Auslegung von Willenserklärungen gelöst (§§ 133, 157 BGB). Die dabei mit dem BGB nach allgemeiner Auffassung erzielten Ergebnisse stimmen mit der Regelung des Art. 18 Abs. 1 Satz 2 CISG ohne weiteres überein: Schweigen oder Untätigkeit des Angebotsadressaten "allein" kann nicht als Annahmeerklärung gewertet werden. Selbstverständlich kann das Schweigen aber wie jedes andere Verhalten sowohl nach dem CISG als auch nach dem BGB eine Annahmeerklärung darstellen, wenn besondere Umstände des Einzelfalles (z.B. vorherige Parteivereinbarung, dass Schweigen als Willenserklärung behandelt werden soll) eine solche Wertung nahe legen. Nicht anders als im deutschen Privatrecht kann der Antragende daher auch bei Anwendbarkeit des CISG den Angebotsempfänger (z. B. durch Zusenden unbestellter Waren) nicht einseitig darauf festlegen, dass das Schweigen auf das Angebot als Annahme behandelt werden wird (Schlechtriem in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 18 Rdnr. 9). Art. 18 Abs. 2 Satz 1 CISG entspricht ebenso wie Art. 15 Abs. 1 CISG der Vorschrift des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB. Art. 18 Abs. 2 Satz 2 und 3 CISG stimmen mit §§ 147, 148 weitgehend überein. Selbst da, wo die soeben angeführten Regelungen im BGB und im CISG dem Wortlaut nach deutlich voneinander abweichen (vgl. z.B. Art. 18 Abs. 2 Satz 2 1. HS: "angemessene Frist" und § 147 Abs. 2 BGB: "Zeitpunkt, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf"), werden nahezu identische Ergebnisse erzielt (vgl. etwa: Schlechtriem in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 18 Rdnr. 15: "Im ganzen wird die "angemessene Frist" nicht nennenswert von dem abweichen, was dem deutschen Juristen in Anwendung des § 147 II BGB vertraut ist"). Art. 18 Abs. 3 CISG regelt den Fall der Entbehrlichkeit des Zugangs der Annahmeerklärung. Wenn die Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 3 CISG vorliegen, dann kommt ein Vertrag auch alleine durch die Abgabe der Annahmeerklärung in Form konkludenten Verhaltens zustande. Damit übernimmt Art. 18 Abs. 3 CISG die Funktion, die im unvereinheitlichten deutschen Recht § 151 BGB zukommt. Dabei sehen die beiden Vorschriften in der Sache (wenn auch nicht im Wortlaut) übereinstimmend vor, dass der Zugang der Annahmeerklärung für den Vertragsschluss dann entbehrlich ist, wenn eine entsprechende Verkehrssitte besteht oder wenn der Antragende in seinem Angebot auf den Zugang verzichtet hat. Darüber hinaus sieht Art. 18 Abs. 3 CISG - ohne Entsprechung in § 151 BGB - vor, dass der Zugang auch dann entbehrlich ist, wenn sich dies aus den "zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten ergibt". Im deutschen Zivilrecht wird man jedoch in einem solchen Fall fast immer einen konkludent erklärten Verzicht des Antragenden annehmen können, so dass sich aus dieser Abweichung des CISG im Ergebnis kaum Unterschiede zum BGB ergeben. Darüber hinaus weichen Art. 18 Abs. 3 CISG und § 151 BGB jedenfalls theoretisch insoweit voneinander ab, als Art. 18 Abs. 3 CISG seinem Wortlaut nach nur auf Annahmeerklärungen durch konkludentes Verhalten anwendbar ist. Daraus folgert auch die überaus h.M. zu Art. 18 Abs. 3 CISG, dass diese Vorschrift nicht auf verbale Annahmeerklärungen anwendbar sei ( vgl. nur: Schlechtriem in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 18 Rdnr. 19 m.w.N.). § 151 BGB ist demnach seinem Wortlaut auf alle möglichen Annahmeerklärungen anwendbar. Allerdings wird es sich schon vom geregelten Lebenssachverhalt her auch bei § 151 BGB fast immer nur um nichtverbale konkludente Annahmeerklärungen handeln (dementsprechend gliedert Kramer in: MüKo, § 151 Rdnr. 53 "die unter § 151 zu subsumierenden Fälle" nur in folgenden Fallgruppen: Erfüllungshandlungen und Aneignungs- und Gebrauchshandlungen).
Art. 19 Abs. 1 stimmt mit § 150 Abs. 2 BGB überein. Diese Übereinstimmung des CISG mit dem Recht des BGB wird jedoch durch Art. 19 Abs. 2 insoweit relativiert, als durch diese Vorschrift die Anwendbarkeit von Art. 19 Abs. 1 auf "unwesentliche Abweichungen" ausgeschlossen wird, wenn der Anbietende nicht die fehlende Übereinstimmung unverzüglich beanstandet. Art. 19 Abs. 2 ist dem Vorbild des amerikanischen Uniform Commercial Code nachgebildet (Reinhart, UN-Kaufrecht, Art. 19 Rdnr. 4).
Art. 20 enthält Auslegungsregeln für die Berechnung der Annahmefrist. Eine dem Art. 20 vergleichbare Vorschrift, die eigens die Annahmefrist regelt, gibt es im BGB nicht. Daher muss man zur Berechnung der Annahmefrist im unvereinheitlichten deutschen Recht auf die allgemeinen Vorschriften über "Fristen" in den §§ 186 ff. BGB zurückgreifen. Art. 20 Abs. 1 CISG enthält eine Auslegungsregel für die Bestimmung des Zeitpunktes, an dem eine Annahmefrist zu laufen beginnt, die der Antragende nicht kalendermäßig festgelegt hat. Dabei bestimmt die Vorschrift den Zeitpunkt des Fristbeginns danach, welches Kommunikationsmittel der Antragende verwendet hat. Eine solche nach Kommunikationsmitteln differenzierende Regelung gibt es in den §§ 186 ff. BGB nicht. Der Fristbeginn ist im BGB in § 187 geregelt. Allerdings enthält § 187 BGB keine Art. 20 Abs. 1 CISG entsprechende Vorschrift, die bestimmt, zu welchem Zeitpunkt eine nicht kalendermäßig bestimmte (Annahme-)Frist zu laufen beginnt. § 187 Abs. 2 BGB bestimmt lediglich, dass bei einer Frist wie der Annahmefrist, bei der der Beginn eines Tages der für den Fristbeginn maßgebende Zeitpunkt ist, der die Frist auslösende Tag bei der Berechnung der Frist mitgerechnet wird. Trotz des Fehlens einer Art. 20 Abs. 1 CISG entsprechenden Vorschrift geht die h.M. davon aus, dass auch im Recht des BGB eine nicht kalendermäßig bestimmte Frist entsprechend der Regelung in Art. 20 Abs. 1 Satz 1 CISG bereits mit dem Datum des Antrages und nicht erst mit dessen Zugang zu laufen beginnt (Palandt/Heinrichs, § 148 Rdnr. 5). Dementsprechend müsste man auch wie in Art. 20 Abs. 1 Satz 2 CISG bei telefonisch übermittelten Anträgen zweckmäßigerweise auf den Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung abstellen. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 CISG behandelt die Frage, ob gesetzliche Feiertage oder arbeitsfreie Tage, die in die Laufzeit der Annahmefrist fallen, bei der Fristberechnung mitgerechnet werden und bejaht sie. Der Sinn dieser Vorschrift liegt darin, Probleme zu vermeiden, die sich im grenzüberschreitenden Verkehr daraus ergeben können, dass gesetzliche Feiertage und arbeitsfreie Tage von Ort zu Ort sehr verschieden sein können (Schlechtriem in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 20 Rdnr. 5). Innerhalb Deutschlands stellt sich dieses Problem nicht mit der gleichen Schärfe, obgleich Feiertage hier auch von Bundesland zu Bundesland verschieden sein können. Daher enthält auch das BGB keine Art. 20 Abs. 2 Satz 2 CISG entsprechende Vorschrift. Dennoch wird aus § 193 BGB, der bestimmt, dass an die Stelle des letzten Tages einer Frist ein Werktag tritt, wenn dieser letzte Tag ein Samstag, Sonntag oder Feiertag ist, von der weitaus überwiegenden Meinung gefolgert, dass auch im deutschen Recht Sonn- und Feiertage, die innerhalb einer Annahmefrist liegen, bei der Fristberechnung mitgerechnet werden (MüKo, Grothe, § 193 Rdnr. 5; Soergel, Augustin, § 193 Rdnr. 2). Art. 20 Abs. 2 Satz 2 CISG entspricht wiederum weitgehend § 193 BGB. Die beiden Vorschriften unterscheiden sich aber z.B. darin, dass sich nach § 193 BGB die Frist automatisch verlängert, wenn der letzte Tag der Frist ein Sonn- oder Feiertag ist, während dies nach dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 CISG nur der Fall ist, wenn die Annahmeerklärung aus diesem Grunde nicht zugestellt werden kann. Dies wird man allerdings regelmäßig unterstellen können.
Art. 21 Abs. 1 findet im unvereinheitlichten deutschen Recht keine Entsprechung. Dort regeln vielmehr die §§ 146 2. Alt., 148 BGB, dass der Antrag nach Ablauf der Annahmefrist in jedem Falle erlischt und daher auch nicht mehr angenommen werden kann, selbst wenn der Antragende damit einverstanden wäre. Eine verspätete Annahme ist jedoch auch nach dem unvereinheitlichten deutschen Recht nicht unwirksam. Sie gilt vielmehr nach § 150 Abs. 1 BGB als neuer Antrag. Ist der Antragende mit der verspäteten Annahme einverstanden, dann kann demnach also doch noch ein Vertrag zustande kommen - nur ist der "verspätet Annehmende" dann konstruktiv betrachtet Antragender. Art. 21 Abs. 2 entspricht § 149 BGB.
Art. 22 stellt die Parallelvorschrift zu Art. 15 Abs. 2 CISG dar. Demnach können nach dem CISG Angebot und Annahme unter den gleichen Voraussetzungen zurückgenommen werden. Damit entspricht Art. 22 ebenso wie Art. 15 Abs. 2 CISG der Vorschrift des § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB, die allerdings anders als die beiden Normen des CISG auf alle Willenserklärungen anwendbar ist.
Liest man die bereits vorgestellten Vorschriften des CISG zum Vertragsschluss, insbesondere Art. 14 und Art. 18 Absätze 1 und 2, dann ist Art. 23 in der Tat eine "überflüssige Wiederholung" (Reinhart, UN-Kaufrecht, Art. 23 Rdnr. 2). Andererseits macht diese Wiederholung gerade auch für den Laien deutlich, dass das CISG grundsätzlich vom Vertragsschluss durch Angebot und Annahme ausgeht und wann nach diesem Modell ein Vertragsschluss zu bejahen ist. Art. 23 kommt somit in erster Linie klarstellende Bedeutung zu. Auf eine solche Vorschrift hat man deshalb Wert gelegt, weil in zahlreichen Bestimmungen des UN-Kaufrechts auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt wird (vgl. Artt. 1 Abs. 2, 16 Abs. 1 etc.). Da das BGB, wie man den §§ 145 ff. BGB entnehmen kann, ebenfalls regelmäßig von dem Modell des Vertragsschlusses durch Angebot und Annahme ausgeht, die "Technik" des Vertragsschlusses selbst aber nicht regelt, gibt es auch keine Art. 23 entsprechende Vorschrift im BGB.
Art. 24 definiert den Zugang. Eine solche Legaldefinition des Zugangs kennt das BGB nicht. Insbesondere § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB definiert den Begriff des Zugangs nicht, sondern setzt ihn lediglich voraus. Art. 24 stellt unterschiedliche Anforderungen an den Zugang je nachdem, ob die Willenserklärung dem Empfänger gegenüber "mündlich" abgegeben oder ob sie ihm auf "anderem Wege" zugestellt wird. Diese Differenzierung entspricht im wesentlichen der aus der Dogmatik der Willenserklärung bekannten und im Wortlaut des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB angelegten Differenzierung zwischen Willenserklärungen, die gegenüber Anwesenden und solchen, die gegenüber Abwesenden abgegeben werden. Es können lediglich deshalb geringfügige Unterschiede zwischen CISG und BGB auftreten, weil der Begriff des "Anwesenden" nur die Möglichkeit unmittelbarer, zeitnaher Kommunikation voraussetzt, während der Begriff "mündlich" diese unmittelbare Kommunikation auf das gesprochene Wort beschränkt und damit etwa durch Bildschirmtext übermittelte Erklärungen ausschließt (Schlechtriem in: Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 24 Rdnr. 4). Welche Anforderungen an den Zugang einer mündlich abgegebenen Erklärung gemacht werden, regelt Art. 24 nicht. Ebenso wenig enthält das BGB eine Vorschrift, die den Zugang einer gegenüber Anwesenden abgegebenen Erklärung regelt. Dabei wird sowohl für das BGB als auch für das CISG heute ganz überwiegend die bereits im Verlaufe der Vorlesung vorgestellte eingeschränkte (modifizierte) Vernehmungstheorie vertreten. Der Zugang einer "auf anderem Wege" zugestellten Willenserklärung setzt entweder voraus, dass diese Erklärung dem Empfänger persönlich übergeben wird oder dass sie ihm an seiner Niederlassung oder seiner Postanschrift zugestellt wird. Letzteres setzt nach ganz herrschender Auffassung wie bei § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB voraus, dass die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Ob darüber hinaus auch für Art. 24 ebenso wie im unvereinheitlichten deutschen Recht verlangt werden soll, dass der Empfänger die Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte, ist umstritten. Dies ist vor allem für die Frage relevant, wann eine außerhalb der Geschäftszeiten, an Feiertagen oder außerhalb verkehrsüblicher Zeiten zugestellte Erklärung ihrem Empfänger zugeht. Es spricht einiges dafür, insoweit Art. 24 in Anlehnung an den Rechtsgedanken des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 CISG anders als § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB auszulegen, da es bei einem Gesetz, das grenzüberschreitende Sachverhalte erfassen soll, Sinn macht, nationale Feiertage und lokale Verkehrs- und Geschäftssitten unberücksichtigt zu lassen. |
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