Das Zustandekommen des Individualvertrages1. Das Modell des Vertragsschlusses durch Angebot und AnnahmeVerträge sind mehrseitige Rechtsgeschäfte. In der Regel handelt es sich um zweiseitige Rechtsgeschäfte, die aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen bestehen. Kennzeichnend für den Vertragsschluss ist, dass die Parteien Willenserklärungen abgeben, die sich inhaltlich "decken" und die besagen, dass eine bestimmte Regelung gelten solle. Eine bloße Willenseinigung ("meeting of the minds") genügt also nicht. Die Willensübereinstimmung muss sich auch darauf beziehen, dass der Abrede rechtliche Verbindlichkeit zukommen soll. Die Parteien können durch ihre übereinstimmenden Willenserklärungen ihre rechtlichen Beziehungen zueinander gestalten. Wesentliches Merkmal dieser "Rechtsgestaltung durch Vertrag" ist der Konsens der Parteien. Legt man das zu Grunde, was wir bereits über die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen gemäß §§ 133, 157 BGB gelernt haben, so ist klar, dass Konsens der Parteien nicht notwendigerweise auch bedeuten muss, dass der innere Wille der Parteien übereinstimmt. Vielmehr kommt es im Regelfall darauf an, dass die Willenserklärungen mit dem Inhalt, den sie bei einer Auslegung nach dem Empfängerhorizont auf objektiver Grundlage erfahren haben, übereinstimmen (so genannter "normativer Konsens"). Das BGB kennt keine allgemeine Bestimmung, in der geregelt ist, wie sich der Vertragsschluss technisch vollzieht. Allerdings hat es in den §§ 145 ff. einige mit dem Vertragsschluss zusammenhängende Probleme geregelt. Aus dieser Regelung kann man entnehmen, wie sich das BGB den Mechanismus des Vertragsschlusses vorstellt. Grundsätzlich kommt ein Vertrag danach durch Angebot und Annahme zu Stande, also durch einen rechtlich verbindlichen Vorschlag einer Partei, dem die andere Partei vorbehaltlos zustimmt ("Modell der sukzessiven Perfektion des Vertrages"). Allerdings kommen in der Rechtswirklichkeit Verträge auch abweichend von diesem Mechanismus zu Stande. So kann es vorkommen, dass die Parteien nach längerer, kontroverser Verhandlung gemeinsam einen Vertragstext formulieren, dem sie dann durch ihre Unterschrift zustimmen. Ebenso kommt es häufig vor, dass die Parteien einen Dritten (z.B. einen Notar) damit beauftragen, einen Vertragsentwurf vorzubereiten, dem sie dann anschließend zustimmen. Wollte man in diesen Fällen des Vertragsschlusses das "Angebot-Annahme-Schema" zu Grunde legen, so liefe das auf eine Fiktion hinaus: Jede Partei wäre dann Antragender und Annehmender zugleich. In diesen Fällen kommt es dann zum Vertragsschluss durch "Zustimmung der Parteien zu einem Vertragsentwurf". Daraus kann man ableiten, dass der Vertragsschluss zwar in der Regel durch Angebot und Annahme erfolgt, dass aber andererseits dieser Mechanismus nicht die einzig mögliche Form des Vertragsschlusses ist. Für das Zustandekommen eines Vertrages ist somit nicht ein bestimmter Mechanismus ausschlaggebend, sondern alleine, dass die Parteien zwei übereinstimmende Willenserklärungen abgegeben haben. |
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