Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 373 Randnummer 6

C. Die Ergiebigkeit der Aussage

Nach der Ergiebigkeit einer Aussage muß der Richter als erstes fragen. Ist nämlich die Aussage unergiebig, so kann und soll er sich Überlegungen und vor allem Ausführungen darüber sparen, ob das, was in der Aussage geschildert worden ist, auf einem irrtumsfreien Erlebnis des Zeugen beruht. Allerdings können die Kriterien, nach denen man eine Aussage als ergiebig oder unergiebig beurteilt, durchaus unterschiedlich sein. Es kommen drei Möglichkeiten in Betracht. Die erste bezieht die Frage der Ergiebigkeit auf ein eng umrissenes Beweisthema, demzufolge der Zeuge etwas ganz Bestimmtes gesehen, gehört, gefühlt, gerochen oder geschmeckt haben soll. Die zweite bleibt ebenfalls noch dem Beweisthema verbunden, faßt es jedoch weiter und bezieht die Frage der Ergiebigkeit darauf, ob die Bekundung irgendetwas Relevantes für dieses Beweisthema enthält. Das können dann auch Erlebnisse sein, die nicht das Beweisthema sind, die aber unter Berücksichtigung des verfügbaren empirisch-theoretischen Wissens (Erfahrungssätze, vgl. vor § 402 RN 13 ff.) einen (positiven oder negativen) Schluß auf das Beweisthema zulassen (vgl. zu den Schlußregeln § 286 RN 4 ff.). Die dritte Möglichkeit geht auch darüber noch hinaus und nimmt die Frage der Ergiebigkeit in ihrem weitesten Sinne, ob nämlich die Bekundungen irgendetwas Relevantes für die Entscheidung des Rechtsstreits enthalten. In diesem Sinne unergiebig ist eine Aussage nur dann, wenn sie weder Bekundungen zum Beweisthema, noch Bekundungen zu Indizien, die über das Erfahrungswissen mit dem Beweisthema verknüpft sind, noch Bekundungen zu anderen Beweisthemen, zu tatsächlichen Voraussetzungen der einschlägigen Rechtsregeln oder Indizien enthält, die mit dem Erfahrungswissen einen Schluß auf Beweisthemen oder Tatbestandsmerkmale zulassen. Dieser dritten, dem Prüfschema der Relationstechnik am wenigsten entsprechenden Möglichkeit ist wegen des Gebots, auch den Zivilprozeß auf der Grundlage einer möglichst wirklichkeitsgerechten Sachverhaltsrekonstruktion zu entscheiden (vgl. vor § 138 RN 5 ff.; vor § 284 RN 3, 11 ff.; Stürner Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976, S. 29 ff.) der Vorzug zu geben. Kommt der Richter nun zu dem Ergebnis, daß das, was ein Zeuge bekundet hat, unter keinem Gesichtspunkt für die Entscheidung des Rechtsstreits relevant, das Bekundete also unergiebig ist, wäre es müßig, nach dem Erlebnisgehalt des Bekundeten zu fragen. Das einzige, was angesichts dieses Ergebnisses den Richter noch interessieren dürfte, wäre die Frage, ob der Zeuge möglicherweise etwas für die Entscheidung des Rechtsstreits Relevantes zurückhält. Da diese Frage bei allen Bekundungen (auch solchen, die ergiebig sind) auftritt, sollen die Gesichtspunkte für ihre Beantwortung später im Zusammenhang dargestellt werden (vgl. unten RN 51 ff.).


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