Gericht: BGH 6. Zivilsenat, Datum: 17.03.1981, Az: VI ZR 191/79
Leitsatz
1. Ein Warenhersteller kann auch dann aus BGB § 823 Abs 1 schadensersatzpflichtig
werden, wenn sein zur Abwendung von Gefahren bestimmtes Produkt nicht gefährlich, sondern
nur wirkungslos ist, der Benutzer aber von der Verwendung eines anderen wirksamen Produkts
im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Produkts absieht.
2. Stützt ein Produktgeschädigter seinen aus BGB § 823 Abs 1 hergeleiteten
Schadensersatzanspruch darauf, daß der Hersteller eine Warnung unterlassen hat
("Instruktionsfehler"), dann ist es in der Regel seine Sache, Tatsachen zu
beweisen, aus denen sich ergibt, daß der Hersteller zur Warnung verpflichtet war; erst
dann ist es dessen Sache, seine Schuldlosigkeit zu beweisen.
Fundstelle
BGHZ 80,186
WM IV 1981, 544-547 (LT1-2)
VersR 1981, 639-642 (LT1-2)
NJW 1981, 1603-1606 (LT1-2)
JZ 1981, 480-483 (LT1-2)
Tatbestand
Der Kläger, ein Obstbauer aus dem "Alten Land" an der Niederelbe, verlangt
von der Beklagten, der H.-AG in F., Schadensersatz, weil sich das von dieser hergestellte
und seit 1971 vertriebene neue Spritzmittel "Derosal" im Jahre 1974 bei der
Bekämpfung des Apfelschorfs als unwirksam erwiesen hat. Infolgedessen breitete sich der
den Apfelschorf hervorrufende Pilz Venturia inaequalis an den Apfelbäumen aus, so daß
der Kläger bei der Ernte erhebliche Ausfälle erlitt.
"Derosal" gehört zur Gruppe der Benzimidazole und ist ein sog systemisches
Fungizid mit breitem Anwendungsgebiet. Seit 1970 wurden auch im "Alten Land"
verschiedene Benzimidazole als Spritzmittel gegen den Apfelschorfpilz verwendet, wobei
sehr gute Erfolge erzielt wurden. Der entscheidende Wirkstoff dieser Fungizide ist das
Methylbenzimidazolcarbamat, das nicht, wie bei den früher ausschließlich verwendeten sog
Kontaktfungiziden, von der Oberfläche der Blätter und Früchte her den Zellkern der
Pilze abtötet, sondern deren Wachsen aus der Pflanze bzw den Früchten heraus abtötet.
Daher haben sie gegenüber den Kontaktfungiziden den Vorzug, nicht so häufig gespritzt
werden zu müssen; auch wird ihre Wirksamkeit nicht so stark durch Regen beeinträchtigt.
Der Kläger hatte 1971 bis 1973 noch das Benzimidazol "Benomyl" (hergestellt
von D. N. & Co/Inch in den USA) verwendet. Im Jahre 1974 entschloß er sich nach einem
von der Beklagten im März 1974 im "Alten Land" veranstalteten Informationsabend
zur Anwendung von "Derosal", mit dem er im April und Mai 1974 drei Spritzungen
durchführte. Einige Tage danach stellte er auf den Blättern der Apfelbäume Schorfbefall
fest. Trotz anschließend durchgeführter Spritzungen mit Kontaktfungiziden konnte er ein
Ausbreiten des Apfelschorfs nicht verhindern. Ebenso wie bei ihm kam es 1974 bei anderen
Obstbauern im "Alten Land" nach der Anwendung von Benzimidazolen (so von
"Benomyl" und von "Cercobin M", das von der B.-AG herausgebracht
worden war) zu erheblichen Schäden durch Schorfbefall. Dieser ist darauf
zurückzuführen, daß sich nach Anwendung dieser neuartigen systemischen Fungizide
resistente Stämme des Apfelschorf-Pilzes gebildet und ausgebreitet hatten. Auf diese
Gefahr hatte die Beklagte weder in den Gebrauchsanweisungen noch bei den
Informationsveranstaltungen hingewiesen. Inzwischen hat sie in ihre Gebrauchsanweisung
für "Derosal" einen Hinweis auf die Gefahr von Resistenzbildungen aufgenommen;
darin empfiehlt sie zur Vermeidung der Entstehung von Toleranzen eine alternierende
Spritzfolge mit "Derosal" und den herkömmlichen Kontaktfungiziden.
Der Kläger verlangt von der Beklagten den Ersatz seiner Ernteschäden, die er aufgrund
eines Gutachtens auf 26.115 DM errechnet.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben.
Mit der (zugelassenen) Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht stellt im Anschluß an das von ihm eingeholte Gutachten des
Sachverständigen Dr M. von der Biologischen Bundesanstalt für Landwirtschaft und
Forstwirtschaft (B.) fest, "Derosal" habe sich als zur Pilzbekämpfung durchaus
geeignet erwiesen und zeige ebenso wie die übrigen Benzimidazole bei ihrer Anwendung
deutliche Vorteile gegenüber den herkömmlichen Kontaktfungiziden. Die schnelle
Resistenzbildung bei einer Reihe von Pilzarten berechtige nicht schon dazu,
"Derosal" als Fehlentwicklung anzusehen. Allerdings habe sich aus der besonderen
punktuellen Wirkungsweise der Benzimidazole bei allen Pilzen eine erhöhte Resistenzgefahr
ihnen gegenüber ergeben. Diese generelle Gefahr habe sich durch die im Weinbau schon im
Jahre 1972/1973 beobachteten Resistenzen (des Pilzes Botrytis cinerea) verdichtet;
außerdem hätten Anfang 1974 eine Reihe von Veröffentlichungen über
Resistenzerscheinungen verschiedener Pilzgattungen gegenüber Benzimidazolen vorgelegen.
Wenn es auch noch keine Hinweise auf eine bereits zutage getretene oder unmittelbar
bevorstehende Resistenzbildung des Apfelschorf-Pilzes gegenüber Benzimidazolen im
Freiland gegeben habe, so habe jedoch eine schnelle Ausbreitung dieser Resistenz nicht
außerhalb der Wahrscheinlichkeit gelegen, sondern sei ohne weiteres möglich gewesen. Vor
allem im Anbaugebiet des "Alten Landes" habe sich infolge der mehrjährigen
intensiven Anwendung von Benzimidazolen eine besondere "Streßsituation" für
den Apfelschorfpilz ergeben, welche die Auslese resistenter Stämme begünstigt habe; auf
den dortigen großen zusammenhängenden Anbauflächen sei daher die Gefahr einer Resistenz
erheblich größer gewesen als auf kleineren Versuchsflächen. Dieser Gefahr hätte
zumindest weitgehend vorgebeugt werden können, wenn die systemischen Fungizide nicht
ausschließlich, sondern im Wechsel mit Kontaktfungiziden zur Anwendung gekommen wären.
In Würdigung dieses Sachverhalts hält das Berufungsgericht den Klageanspruch aus
§ 823 Abs 1 BGB für gerechtfertigt. Denn der Hersteller eines
Schädlingsbekämpfungsmittels sei verpflichtet, die Anwender auf die Grenzen der
Wirksamkeit solcher Mittel hinzuweisen. Diese Pflicht habe die Beklagte objektiv verletzt,
weil sie nicht auf die Resistenzgefahr hingewiesen und vor ausschließlicher Anwendung von
Benzimidazolen gewarnt habe. Die Beweislast dafür, daß ihr insoweit ein Verschulden
nicht vorgeworfen werden könne, treffe sie. Diesen Nachweis habe sie nicht erbracht. Nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei sogar davon auszugehen, daß sie ein Verschulden
treffe. Sie habe, wenn auch nach Erkennen der Unwirksamkeit der Benzimidazole gegen
Botrytis im Weinbau noch keine bestimmte Prognose für das Verhalten des
Apfelschorf-Pilzes hätte gestellt werden können, doch das Risiko, ob und in welchem
Umfang sich eine Resistenz beim Apfelschorfpilz entwickeln werde, nicht schweigend auf die
Anwender abwälzen dürfen.
II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Nicht zu beanstanden sind allerdings die Erwägungen des Berufungsgerichts, von
denen es zunächst ausgegangen ist.
a) Der Senat folgt vor allem dem Berufungsgericht in seiner Auffassung, daß auch im
Streitfall die Vorschrift des § 823 Abs 1 BGB eingreift. Sie scheidet entgegen der
Ansicht der Revision nicht schon deshalb als Haftungsgrundlage aus, weil
"Derosal", wie das Berufungsgericht insoweit unangegriffen feststellt, keinen
Schorfbefall hervorgerufen, sich vielmehr "nur" als unwirksam zur Bekämpfung
des schädlichen Pilzes erwiesen hat (aA offenbar LG Hamburg in Schmidt-Salzer,
Entscheidungssammlung Produkthaftung Bd II, 1979, Nr III 20 (S 526ff)).
Das Berufungsgericht konnte zwar nicht feststellen, daß "Derosal" die
Schorfbildung begünstigt hat, indem es etwa die natürlichen Antagonisten des Pilzes
vernichtete, so daß dieser sich ungehindert ausbreiten konnte. Es geht aber davon aus,
daß die zunächst gesund gebildeten Früchte von dem Pilz befallen worden sind, nachdem
dieser gegen "Derosal" resistent geworden ist. Bei dieser Sachlage hat die
Beklagte durch die Inverkehrgabe des Pflanzenschutzmittels "Derosal" zur
Verletzung des Eigentums des Klägers beigetragen, jedenfalls weil und soweit sie diesen
damit davon abgehalten hat, die Pilze auf wirksame Weise zu bekämpfen, sei es auf dem
herkömmlichen Weg mit Kontaktfungiziden, sei es durch einen - von der Beklagten indes zu
spät empfohlenen - Wechsel der Methode, der die Resistenz des Pilzes gegen
"Derosal" verhindert hätte. So gesehen beruht der von dem Kläger geltend
gemachte Schaden entgegen der Meinung der Revision nicht "einzig und allein" auf
der Wirkung des Schädlings, sondern auch darauf, daß die Beklagte ein
Schädlingsbekämpfungsmittel in den Verkehr gegeben hat, dessen erhoffte Wirkungen
ausgeblieben sind.
Einer deliktischen Einstandspflicht der Beklagten als Herstellerin des
Pflanzenschutzmittels steht auch nicht entgegen, daß es grundsätzlich der
Vertragshaftung vorbehalten bleiben muß, das Interesse des Verbrauchers oder Benutzers an
der Gebrauchstauglichkeit eines Produkts zu schützen, während es der Deliktshaftung in
erster Linie um das Integritätsinteresse geht (vgl Diederichsen, NJW 1978, 1281,
1285/1286). Pflichten zum Schutz vor gebrauchsuntauglichen Waren, hier vor gegenüber
Gefahren unwirksamen Mitteln, können dem Warenhersteller auch aus Deliktsrecht zum Schutz
von Integritätsinteressen des Verbrauchers oder Benutzers der Ware aufgegeben sein (so
offenbar auch Deutsch, VersR 1979, 685, 686 zur Haftbarkeit des Herstellers eines
wirkungslos gebliebenen Arzneimittels). Das gilt ua für Produkte, deren Verwendungszweck
- wie hier - es ist, das Eigentum des Verbrauchers oder Benutzers zu schützen. Dann
können die Gebrauchserwartungen, die der Hersteller mit der Inverkehrgabe seines Produkts
schafft, auch um dieses Schutzgutes willen nach allgemeinen deliktsrechtlichen
Grundsätzen zu sichern sein. Hält der Hersteller durch die von ihm geweckten
Gebrauchserwartungen und Sicherheitserwartungen den Benutzer davon ab, andere Maßnahmen
zum Schutz seines Eigentums zu ergreifen, dann hat er (in den Grenzen des Möglichen und
Zumutbaren) dafür zu sorgen, daß dem Verwender des Produkts hieraus keine Nachteile für
sein Eigentum entstehen (so schon zutreffend der 7. Zivilsenat des Berufungsgerichts in
seinem gleichliegenden Fall betr das systemische Fungizid "Benomyl" in VersR
1978, 1144, 1145). Voraussetzung dieser Haftung ist, daß der Betroffene den
Schadenseintritt auf anderem Weg hätte verhüten können und der Hersteller, weil er auf
die Gebrauchstauglichkeit des Produkts vertraut hat, ihn davon abgehalten hat. Diese
Voraussetzung war im Streitfall erfüllt: der Kläger hätte mit der Verwendung eines
Kontaktfungizids oder mit einer Spritzung des Mittels der Beklagten im Wechsel mit
Kontaktfungiziden den Schaden verhindern können, wenn die Beklagte ihn entsprechend
belehrt hätte. Grundlage solcher Deliktshaftung ist die durch das Produkt geweckte
Gebrauchserwartung und Sicherheitserwartung des Verkehrs in Bezug auf den
Integritätsschutz des der Ware ausgesetzten Schutzguts. Schon deshalb geht es nicht um
eine Erweiterung der vertraglichen Gewährleistungshaftung für Sachmängel, sondern nur
um die Haftung für Schadensfolgen, die aus dem gefahrschaffenden Tun des Herstellers dem
Verbraucher an seinen deliktisch geschützten Rechten und Gütern erwachsen.
b) Im Streitfall steht nur in Frage, ob die Beklagte sog Instruktionspflichten in der
Form von Warnpflichten gegenüber den Verwendern ihres Pflanzenschutzmittels verletzt hat
(vgl BGHZ 64, 46, 49; Senatsurteil vom 5. November 1955 - VI ZR 199/54 - VersR 1955, 765;
vgl auch Fischer DB 1977, 71, 75).
aa) Das Berufungsgericht kommt rechtlich einwandfrei zu dem Ergebnis, daß die Beklagte
nicht schon bei der Entwicklung von "Derosal" ihre Gefahrabwendungspflichten
(Konstruktionspflichten) verletzt hat, nachdem sich das Mittel durchaus als geeignet zur
Bekämpfung des den Apfelschorf hervorrufenden Pilzes erwiesen hat. Selbst wenn
"Derosal" die vom Berufungsgericht festgestellten Vorteile gegenüber den damals
gebräuchlichen Kontaktfungiziden nicht gehabt hätte, könnte man es nicht als
"Fehlkonstruktion" bezeichnen. Die Beklagte verletzte auch dadurch, daß sie das
Mittel trotz der, wie jetzt erkannt ist, bereits damals bestehenden abstrakten Gefahr
schneller Resistenzbildung zum Vertrieb freigab, noch keine Gefahrabwendungspflichten.
Ganz ebenso schied von vornherein eine fehlerhafte Herstellung, also die falsche
Zusammensetzung der einzelnen Charge des Pflanzenschutzmittels (Fabrikationsfehler), als
Schadensursache aus.
bb) Ein Hersteller kann allerdings seine Verkehrssicherungspflichten auch durch
unzureichende Beobachtung seines Produkts in der praktischen Verwendung verletzen. Das hat
der Senat in dem heute verkündeten Urteil in der Parallelsache VI ZR 286/78, in der es um
die Haftbarkeit der Firma D. N. & Co für das von ihr hergestellte systemische
Fungizid "Benomyl" geht, im einzelnen begründet; darauf wird Bezug genommen.
Zwischen den Parteien ist es jedoch unstreitig, daß die Beklagte ihre
Produktbeobachtungspflichten erfüllt hat; sie hat sich fortlaufend darum gekümmert, ob
"Derosal" wirksam blieb, vor allem nicht gar schädliche Wirkungen hervorrief.
Die Parteien streiten nur darum, ob die Beklagte aufgrund ihrer Produktbeobachtung und der
dabei gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere der Auswertung des erreichbaren und ihr
vorliegenden (ausländischen) Fachschrifttums und der allgemeinen wissenschaftlichen
Erfahrung über das Auftreten von Resistenzen bereits Anfang 1974 bestimmte Warnhinweise
bezüglich der Anwendung von "Derosal" geben mußte und wie diese
bejahendenfalls hätten gefaßt sein müssen.
c) Diese dem Hersteller obliegende Pflicht hat allerdings, wie das Berufungsgericht
zutreffend ausführt, Grenzen.
Nicht jede entfernt liegende Möglichkeit einer Gefahr läßt bereits
Sicherungspflichten und Warnpflichten entstehen; denn nicht jeder denkbaren Gefahr muß
durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden (Senatsurteil vom 2. Oktober 1979 - VI ZR
106/78 = VersR 1980, 67 mwNachw). Andererseits darf der Hersteller nicht abwarten, bis
erhebliche Schadensfälle eingetreten sind, bevor er Gegenmaßnahmen trifft. Eine Gefahr
muß, wenn sie Abwehrpflichten auslösen soll, nicht schon konkret greifbar sein. Inhalt
und Umfang einer Warnung und auch ihr Zeitpunkt werden wesentlich durch das jeweils
gefährdete Rechtsgut bestimmt und sind vor allem von der Größe der Gefahr abhängig
(Senatsurteile vom 26. Mai 1954 - VI ZR 4/53 = VersR 1954, 364, 365 und vom 12. Oktober
1965 - VI ZR 92/64 = VersR 1965, 1157, 1158 mwNachw). So muß ein Hersteller, wenn durch
sein Produkt die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit von Menschen - etwa gar
in zahlreichen Fällen - bedroht ist, schon dann eine Warnung aussprechen, wenn aufgrund
eines zwar nicht dringenden, aber ernst zu nehmenden Verdachts zu befürchten ist, daß
Gesundheitsschäden entstehen können (vgl LG Aachen in dem Einstellungsbeschluß des
Contergan-Strafverfahrens JZ 1971, 507, 516). Sind nur Sachschäden zu befürchten, so
werden die Anforderungen zeitlich und dem Umfang nach nicht in derselben Strenge zu
stellen sein. Dann kann in Betracht kommen, daß sich der Hersteller, wenn sich die Gefahr
zwar "verdichtet" hat, aber noch offen ist, ob und gegebenenfalls wann sie akut
wird, vor Herausgabe einer Warnung auf weitere Untersuchungen in Labors, Versuchsanlagen
usw und auf intensive Beobachtung der Bewährung seines Produktes in der Praxis
beschränkt, dies jedenfalls dann, wenn die begründete Erwartung besteht, daß er
gegebenenfalls noch hinreichend rechtzeitig eingreifen kann.
Im Streitfall waren jedoch zur kritischen Zeit allgemeine Warnungen vor einer
wahrscheinlich irgendwann eintretenden Resistenzgefahr, wie die Revision mit Recht geltend
macht, noch nicht geboten. Das ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts. Das Mittel war,
wie es feststellt, nach wie vor im Obstbau brauchbar und hätte seine Wirksamkeit nicht
verloren, wenn es im Wechsel mit Kontaktfungiziden gespritzt worden wäre. Ein Hinweis auf
die damals bloß als möglich angesehene (abstrakte) Resistenzgefahr hätte nichts
genutzt, hätte auch die Verbraucher verunsichern können, indem sie völlig auf
systemische Fungizide verzichtet, möglicherweise bei ausschließlichem Gebrauch von
Kontaktfungiziden sogar die Resistenz der Apfelschorferreger gegen diese Mittel
beschleunigt hätten. Auch diese Überlegung macht deutlich, daß der Zeitpunkt, in
welchem der Hersteller, trotz seines Interesses am Absatz seines Produkts, zum Schutz der
Verbraucher eine Warnung herausgeben muß, nur mit Zurückhaltung bestimmt werden kann.
2. Die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts sind jedoch rechtlich nicht
haltbar.
a) Rechtsfehlerhaft geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, die Frage, ob und
inwieweit für die Beklagte eine Warnpflicht entstanden war, sei, soweit es um die
Prüfung eines objektiven Pflichtenverstoßes geht, nach der im Zeitpunkt seiner letzten
mündlichen Verhandlung vorhandenen Sicht zu beantworten, also nach dem neueren Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnis. Der Umfang der erforderlichen Sicherungspflicht bestimmt
sich nach dem (objektiven) Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs 1 S 2 BGB; dabei ist
darauf abzustellen, ob und in welchem Maß für ein sachkundiges Urteil im Zeitpunkt des
zu beurteilenden Verhaltens die naheliegende Möglichkeit bestand, daß Rechtsgüter
anderer gefährdet werden konnten, wenn Sicherungsmaßnahmen unterblieben (vgl
Senatsurteil vom 16. September 1975 - VI ZR 156/74 = VersR 1976, 149, 150). Maßgebend
können also nur die Erkenntnisse sein, die zu der Zeit bestanden, als eine
Schadensabwendung in Betracht kam (BGH, Urteil vom 21. Januar 1965 - III ZR 217/63 - VersR
1965, 475, 476; so mit Recht schon Weitnauer, NJW 1968, 1593, 1594; Schmidt-Salzer,
Entscheidungssammlung Produkthaftung, Bd II, Anm zu Nr II 68, S 475 und in BB 1979, 395).
b) Das Berufungsgericht nimmt aufgrund der Bekundungen des Sachverständigen Dr M.
(Biologische Bundesanstalt für Landwirtschaft und Forstwirtschaft) an, durch die 1972 und
1973 im Weinbau beobachteten Resistenzen des Pilzes Botrytis cinerea gegen Benzimidazole
habe sich Anfang 1974 die generelle Gefahr einer Resistenzbildung bei der Anwendung
systemischer Fungizide überhaupt verdichtet gehabt. Vor allem auf den großen,
zusammenhängenden Anbauflächen des "Alten Landes" habe sich infolge der
mehrjährigen intensiven Anwendung von Benzimidazolen eine besondere
"Streßsituation" für den Apfelschorf ergeben, welche die Auslese resistenter
Stämme von Venturia inaequalis begünstigt habe, so daß dort die Gefahr einer Resistenz
erheblich größer gewesen sei als auf kleineren Flächen. Bereits dies habe eine
Warnpflicht der Beklagten ausgelöst.
Die Revision rügt mit Recht, daß diese Begründung des Berufungsgerichts mit den
getroffenen Feststellungen nicht in Einklang steht.
Das Berufungsgericht hat selbst festgestellt, daß zwar Anfang 1974 bereits eine Reihe
von Veröffentlichungen über Resistenzerscheinungen bei verschiedenen Pilzgattungen
vorgelegen hätten, es aber noch keine Hinweise auf eine bereits bestehende oder
unmittelbar bevorstehende Resistenzbildung des Apfelschorferregers gegenüber
Benzimidazolen im Freiland gegeben habe, und daß auch die Veröffentlichung der
russischen Forscher Abelentsev und Golyshin über deren Laborversuche nicht auf eine
bevorstehende Unwirksamkeit unter Freilandbedingungen hingewiesen habe (nach den
Ausführung des Sachverständigen war es überhaupt fraglich, ob der von diesen Forschern
bei den Laborversuchen beobachtete geringe Verlust der Sensibilität des Pilzes gegenüber
dem Wirkstoff als echte Resistenz gedeutet werden darf, oder ob dieser nur dafür sprach,
daß sich der Pilz lediglich den steigenden Dosierungen anpaßte). Außerdem räumt das
Berufungsgericht ein, daß trotz der zwischen dem Botrytis-Pilz und Venturia inaequalis
bestehenden Parallelen beide Pilze verschieden strukturiert sind, und daß bei ersterem
wegen der Vielkernigkeit der Zellen eine besondere Resistenzanfälligkeit bestand, so daß
die Ähnlichkeit "wohl nicht ausreichte, um nach der Unwirksamkeit bei Botrytis
bereits eine bestimmte Prognose für das Verhalten von Venturia inaequalis zu
stellen" (so BU S 14). Im übrigen hat das Berufungsgericht aus dem Auge verloren,
daß es zu dem Ergebnis gekommen war, Anfang 1974 sei noch nicht vorherzusehen gewesen, ob
überhaupt und ggf wann und in welchem Umfang sich eine Unwirksamkeit von
"Derosal" bei der Bekämpfung des Apfelschorfs ergeben würde.
Trotz dieser Feststellungen bejaht das Berufungsgericht die Warnpflicht der Beklagten
deshalb, weil der Sachverständige ausgeführt habe, die generelle Gefahr der
Resistenzbildung habe sich durch die bereits im Weinbau beobachteten Resistenzen für die
Anwendung von systemischen Fungiziden allgemein "verdichtet". Indes übersieht
es dabei, daß der Sachverständige hinzugefügt hat, er könne sich nicht dazu äußern,
in welcher Art sich diese Gefahr für andere Pilze verdichtet, wenn sie sich bei einem
Pilz herausbildet. Dann aber hatte sich jedenfalls Anfang 1974 die Wahrscheinlichkeit
einer Resistenzbildung beim Apfelschorf, auf die es - wie oben ausgeführt - allein
ankommt, auch für den Bereich des "Alten Landes" nach den damaligen
Erkenntnissen entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts noch nicht so verdichtet, daß
die Beklagte damals schon für verpflichtet angesehen werden mußte, vorsorglich die
Verwender von "Derosal" zu warnen. Die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse
gaben neben der sonstigen Produktbeobachtung wohl Veranlassung, jedes Zeichen
nachlassender Wirkung sorgfältig zu registrieren, um rechtzeitig eingreifen zu können
(so schon Kessel, Zeitschrift "Obstbau und Weinbau" 1973, 93f). Das hat die
Beklagte aber getan. Daß sie damals schon zu mehr verpflichtet gewesen wäre, läßt sich
nicht feststellen.
3. Die vom Berufungsgericht für die Verurteilung der Beklagten gegebene Begründung
trägt daher seine Entscheidung nicht. Sie kann auch nicht mit anderer Begründung
aufrecht erhalten werden.
a) Es ist zwar möglich, daß es rechtzeitig vor Beginn der Spritzperiode 1974 andere
wissenschaftliche Erkenntnisse gab, aus denen die Beklagte zumindest Hinweis auf eine
unmittelbar bevorstehende Resistenz des Apfelschorfpilzes gegen Benzimidazole entnehmen
konnte, insbesondere weitere Veröffentlichungen, zu denen sie Zugang haben konnte und
mußte, also Erkenntnisse, die ihr unter Umständen auch Veranlassung zu einer Warnung der
Landwirte hätten geben müssen. Die Verurteilung der Beklagten könnte aber nur bestehen
bleiben, wenn sie die Beweislast dafür träfe, daß sie im Frühjahr 1974 objektiv ihre
Warnpflicht nicht verletzt hat. Das ist nicht der Fall.
aa) Allerdings hat der erkennende Senat in seinem Urteil BGHZ 51, 91
("Hühnerpest") ausgesprochen, der Hersteller müsse, wenn eine Person oder eine
Sache dadurch geschädigt worden sei, daß sein Produkt fehlerhaft hergestellt war,
beweisen, daß ihn dieserhalb kein Verschulden trifft; der Geschädigte brauche nur
nachzuweisen, daß sein Schaden im Organisationsbereich und Gefahrenbereich des
Herstellers durch einen objektiven Mangel oder Zustand der Verkehrswidrigkeit ausgelöst
wurde (vgl auch BGHZ 59, 303, 309). Spätere Entscheidungen des VIII. Zivilsenats haben
diese Grundsätze auch auf Konstruktionsfehler ausgedehnt (BGHZ 67, 359, 362; BGH, Urt v
28. September 1970 - VIII ZR 166/68 = VersR 1971, 80, 82); dem stimmt der erkennende Senat
zu.
Im Schrifttum besteht teilweise Unklarheit darüber, wie weit in diesen Fällen die
Beweislastumkehr reicht, insbesondere, was der Kläger außer seiner Rechtsgutverletzung
und einem Fehler des Produkts im Zeitpunkt der Inverkehrgabe sowie dem dazwischen
bestehenden Ursachenzusammenhang beweisen muß. Larenz (Festschrift für Hauß, S 225,
227) glaubt, der Bundesgerichtshof beziehe die Umkehr der Beweislast nur auf die
"subjektive" Seite des Gesamttatbestandes, so daß, soweit streitig, der Kläger
immer noch den gesamten "objektiven" Tatbestand, also auch das pflichtwidrige
Verhalten des Herstellers beweisen müsse (vgl auch Deutsch, JZ 1969, 391, 393; Lieb, JZ
1976, 526; Feldmann, Europäische Produkthaftung und die Verteilung des
Haftpflichtschadens, S 28). Das beruht jedoch auf einem Mißverständnis. Zwar heißt es
in BGHZ 51, 105f, die schutzwürdigen Interessen des Produzenten erlaubten es, von ihm den
Nachweis seiner "Schuldlosigkeit" zu verlangen bzw, es sei sachgerecht und
zumutbar, daß ihn das Risiko der Nichterweislichkeit seiner "Schuldlosigkeit"
trifft. Der Senat hat aber die Beweisnot des Geschädigten, die ihn zur
"Umkehrung" der Beweislast geführt hat, darin gesehen, daß dieser, müßte er
das Verschulden des Produzenten beweisen, auch den "objektiven Geschehensablauf in
seinen Einzelheiten aufklären" müßte, was für ihn besonders schwierig sei (aaO S
104), und weiter darin, daß er dem Richter den Sachverhalt nicht in solcher Weise
darzulegen vermöge, daß dieser zuverlässig beurteilen kann, ob einerseits der
Betriebsleitung ein Versäumnis vorzuwerfen ist oder ob es sich um einen von einem
Arbeiter verschuldeten Fabrikationsfehler handele, oder ob es sich andererseits (vgl
Weitnauer, VersR 1970, 585, 597) um einen der immer wieder einmal vorkommenden
"Ausreißer" oder gar um einen "Entwicklungsfehler", der nach dem
damaligen Stand der Technik und Wissenschaft unvorhersehbar war, gehandelt hat (aaO S
105). Diese Sätze des Urteils zeigen, daß die Beweislastumkehr in dem erwähnten Umfang
auch die sogenannte "äußere" Sorgfalt und damit bereits den objektiven
Pflichtenverstoß umfassen sollte.
bb) Im Streitfall geht es aber nicht um einen der Fehler in der Produktion, wie dies
der Senat in BGHZ 51, 91 erörtert hat, sondern um einen "Instruktionsfehler".
Das Schrifttum geht weitgehend davon aus, die durch BGHZ 51, 91, 104ff geschaffene
Beweisregel gelte auch für derartige Fehler (von Marschall in: Deutsche zivilrechtliche,
kollisionsrechtliche und wirtschaftsrechtliche Beiträge zum X. Internationalen Kongreß
für Rechtsvergleichung in Budapest 1978, S 27, 40; Stoll, AcP 176, 145, 170; von
Westphalen, BB 1971, 152, 154; Gottwald, Jura 1980, 303, 305; so wohl auch Lorenz, AcP
170, 367, 391). Der Bundesgerichtshof hat zu dieser Frage bisher noch nicht Stellung
genommen; zu Unrecht meinen Esser/Weyers (Schuldrecht, Bd II, Teilband 2, 5. Aufl,
§ 55 V 3c (Fn 1227) und Leßmann (JuS 1978, 433, 434), der Senat habe im Urteil vom
11. Juli 1972 - VI ZR 194/70 - Estil - VersR 1972, 1075 - diese Grundsätze auch auf
Instruktionsfehler angewendet.
Der erkennende Senat sieht keine zureichenden Sachgründe, generell den Geschädigten,
der nachgewiesen hat, daß eine aus nachträglicher Sicht unzulängliche Instruktion des
Herstellers bei ihm zu einem Schaden geführt hat, von der Beweisführung zu entlasten,
daß diese "fehlerhafte" Instruktion auf einer Pflichtwidrigkeit des Herstellers
beruht. Es mag zwar Fälle geben, in denen sich ein derart Geschädigter in ähnlicher
Beweisnot befindet wie bei einer Schädigung durch Konstruktionsfehler oder
Fabrikationsfehler; zuweilen kann dieser Grund, der den Senat in BGHZ 51, 91 zur
Überbürdung der Beweislast auf den Hersteller veranlaßt hat, auch bei Schädigung durch
einen Instruktionsfehler gegeben sein. Daß der Senat dem Geschädigten die Beweislast
abgenommen hat, beruht jedoch wesentlich auf dem Gedanken, daß er Vorgänge aufklären
müßte, die sich bei der Herstellung des Produkts im Betriebe des Produzenten abgespielt
haben, wie sich das am deutlichsten bei Fabrikationsfehlern zeigt. Geht es aber - wie im
Streitfall - darum, ob der Hersteller nach Inverkehrbringen seines Produkts durch
allgemein zugängliche Veröffentlichungen und durch Erfahrungen, die dessen Benutzer mit
dem Produkt inzwischen gemacht haben und die er kennen mußte, Anlaß zu Warnungen hatte,
so läßt sich in aller Regel nicht sagen, der Geschädigte hätte Vorgänge aufzuklären,
die sich in einem Bereich zugetragen haben, der allein dem Produzenten, nicht aber dem
Benutzer zugänglich war. Infolgedessen fehlt es an einem ausreichenden Grund, die
Benutzer einer Ware gegenüber deren Herstellern entgegen der nach dem Gesetz
grundsätzlich geltenden Beweisregel besser zu stellen. Selbst bei Ersatzansprüchen, die
aus positiver Vertragsverletzung hergeleitet werden, muß der Anspruchsteller zunächst
beweisen, daß der Inanspruchgenommene den objektiven Tatbestand einer Pflichtverletzung
verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 13. Februar 1969 - VII ZR 14/67 - VersR 1969, 471; s
auch Senatsurteil vom 1. Juli 1980 - VI ZR 112/79 - VersR 1980, 1027). Das aber muß erst
recht im Streitfall gelten: Es ist Sache des Klägers, zunächst den Beweis dafür zu
erbringen, daß die Beklagte schon im Frühjahr 1974 nach dem damals geltenden
Wissensstand die Pflicht hatte, Warnungen herauszugeben. Ein Produktgeschädigter muß,
wenn er dem Hersteller lediglich einen erst nach neueren Erkenntnissen aufgedeckten
"Instruktionsfehler" vorwerfen kann, den Nachweis führen, daß dieser objektiv
seine Instruktionspflicht verletzt hat, muß also dem Hersteller nachweisen, daß nach dem
für dessen Handeln maßgebenden Stand der Wissenschaft, der Technik usw die Gefahr
erkennbar war und zumutbare Möglichkeiten der Gefahrenabwehr vorhanden waren (so mit
Recht Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung Bd II, Anm zu Nr II 68 (S 480);
7. Zivilsenat des Berufungsgerichts in VersR 1978, 1144, 1145). Hat der Geschädigte
diesen Beweis geführt, dann kann er, soweit es um die Verletzung der "inneren"
Sorgfalt geht, für diesen Nachweis, also für die Frage, ob dieser Hersteller die
entsprechenden Erkenntnismöglichkeiten hatte oder sich hätte verschaffen müssen, von
der weiteren Beweisführung entlastet werden.
b) Andere Anspruchsgrundlagen für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch sind
nicht ersichtlich. Insbesondere kann er seinen Anspruch nicht aus § 823 Abs 2 BGB in
Verbindung mit § 12 Abs 1 Nr 5 des Pflanzenschutzgesetzes vom 10. Mai 1968 in der
Fassung vom 27. Mai 1971 (BGBl I S 1161) herleiten. Dies hat der Senat in dem heute
verkündeten Urteil im Parallelverfahren - VI ZR 286/78 - ("Benomyl") im
einzelnen dargelegt. Hierauf wird Bezug genommen.