Gericht: BGH 6. Zivilsenat, Datum: 26.11.1968, Az: VI ZR 212/66
Leitsatz
1. Wird bei bestimmungsgemäßer Verwendung eines Industrieerzeugnisses eine Person
oder eine Sache dadurch geschädigt, daß das Produkt fehlerhaft hergestellt war, so muß
der Hersteller beweisen, daß ihn hinsichtlich des Fehlers kein Verschulden trifft.
2. Erbringt der Hersteller diesen Beweis nicht, so haftet er nach Deliktsgrundsätzen.
Ein Zwischenerwerber kann den bei einem Dritten eingetretenen Schaden nicht nach
Vertragsrecht liquidieren.
Fundstelle
BGHZ 51, 91-108 (LT1-2)
Zum Sachverhalt (vereinfacht)
Die Klägerin, die eine Hühnerfarm betreibt, ließ ihre Hühner durch einen Tierarzt
gegen Hühnerpest impfen. Der Tierarzt verwendete hierfür einen Impfstoff, den er von der
beklagten Herstellerfirma bezogen hatte. Einige Tage danach brach jedoch die Hühnerpest
aus. Mehr als 4.000 Hühner verendeten.
Fest steht, daß der von dem Tierarzt verwendete Impfstoff infolge eines
Fabrikationsfehlers bakterielle Verunreinigungen enthielt und daß der Ausbruch der
Hühnerpest auf die fehlerhafte Beschaffenheit des Impfstoffs zurückzuführen ist. Wie es
zu der Verunreinigung kam, insbesondere, ob bei der Herstellung sorgfaltswidrig gehandelt
wurde, ist ungeklärt.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Ersatz ihrer Schäden in Anspruch.
Landgericht und Oberlandesgericht haben den Klageanspruch dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
I. 1. Die Grundsätze über die Drittschadensliquidation können im vorliegenden Falle
nicht angewendet werden.
Grundsätzlich kann auf Grund eines Vertrages nur der den Ersatz eines Schadens
verlangen, bei dem der Schaden tatsächlich eingetreten ist und dem er rechtlich zur Last
fällt. Tritt der Schaden bei einem Dritten ein, so haftet ihm der Schädiger - von
besonderen Ausnahmen abgesehen (vgl
§ 618 Abs 3 mit
§§ 844, 845 BGB) - nur
nach Deliktsrecht. Diese Unterscheidung zwischen begünstigter Vertragshaftung und
begrenzter Deliktshaftung gehört zum System des geltenden Haftungsrechts und ist nicht
nur ein theoretisches Dogma. Nur in besonderen Fällen hat die Rechtsprechung Ausnahmen
zugelassen, nämlich dann, wenn das durch den Vertrag geschützte Interesse infolge
besonderer Rechtsbeziehungen zwischen dem aus dem Vertrag berechtigten Gläubiger und dem
Träger des Interesses dergestalt auf den Dritten "verlagert" ist, daß der
Schaden rechtlich ihn und nicht den Gläubiger trifft. Daraus darf der Schädiger keinen
Vorteil zum Nachteil des Dritten ziehen: er muß dem Gläubiger den Drittschaden ersetzen.
Das gilt - von den seltenen Fällen einer "Gefahrenentlastung" abgesehen (BGHZ
40, 91, 100) - dann, wenn der Gläubiger für Rechnung des Dritten kontrahiert hatte (BGHZ
25, 250, 258) oder wenn die Sache, deren Obhut der Schuldner versprochen hatte, nicht dem
Gläubiger, sondern dem Dritten gehörte (BGHZ 15, 224).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. [...] Zudem setzt
Drittschadensliquidation voraus, daß nur ein Schaden entstanden ist, der sich, wäre
nicht "zufällig" ein Dritter Träger des geschützten Rechtsgutes, bei dem
Gläubiger ausgewirkt hätte. Von einer solchen "Verlagerung" des Schadens kann
hier nicht gesprochen werden. Dieser ist hier sowohl tatsächlich wie rechtlich bei der
Klägerin eingetreten, während er bei einer echten Schadensverlagerung tatsächlich, wenn
auch nicht rechtlich, beim Gläubiger eintritt. Er konnte nicht ebensogut beim Tierarzt
wie bei den Hühnerhaltern eintreten, sondern nur bei diesen und nicht, worauf es
entscheidend ankommt, statt beim Tierarzt bei ihnen.
Die Grundsätze über die Drittschadensliquidation können im vorliegenden Falle nicht
angewendet werden.
2. Der Klägerin [steht auch kein] Ersatzanspruch aus einem Vertrag [zwischen Tierarzt
und Produzent] mit Schutzwirkung zugunsten Dritter [zu].
a) Der Bundesgerichtshof hat zwar unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt unter
bestimmten Umständen auch einem am Vertrag nicht beteiligten Dritten Ersatzansprüche
zugebilligt (BGHZ 33, 247, 249 und 49, 350, 351 mit Nachweisen). Diese Grundsätze können
hier jedoch nicht herangezogen werden. Keineswegs kann schon jeder, der infolge einer
Sorgfaltsverletzung des Schuldners Schaden erlitten hat, einen eigenen Ersatzanspruch aus
dem Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner ableiten (Senatsurteil vom 30. April 1968 VI
ZR 29/67 -, NJW 1968, 1323). Der Senat hat in seinem Urteil vom 18. Juni 1968 (VI ZR
120/67, NJW 1968, 1929) erneut darauf hingewiesen, daß das Gesetz zwischen unmittelbar
und mittelbar Geschädigten unterscheidet und daß die Haftung aus einem Vertrag
grundsätzlich an das Band geknüpft ist, das den Schuldner mit seinem Partner verbindet
(vgl auch BGH Urt v 9. Oktober 1968 VIII ZR 173/66 -, WM 1968, 1354). Andernfalls besteht
die Gefahr, daß der Schuldner das Risiko, das er bei Abschluß eines Vertrages eingeht,
nicht mehr einkalkulieren kann. Daher wäre es nicht mehr mit den Grundsätzen von Treu
und Glauben, aus denen der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gerade entwickelt
worden ist, zu vereinbaren, wenn der Schuldner für so weitgehende Folgen seiner
Vertragsverletzung haften müßte. Das kann nur dann angenommen werden, wenn der
Gläubiger sozusagen für das Wohl und Wehe des Dritten mitverantwortlich ist, weil dessen
Schädigung auch ihn trifft, indem er ihm gegenüber zu Schutz und Fürsorge verpflichtet
ist. Dieses Innenverhältnis zwischen dem Gläubiger und einem Dritten, durchweg
gekennzeichnet durch einen personenrechtlichen Einschlag, führt zur Schutzwirkung
zugunsten des Dritten, nicht das Verhältnis zwischen dem Gläubiger und seinem
Vertragspartner. Ein solches Verhältnis liegt bei einem Kauf- oder einem Werkvertrag in
aller Regel nicht vor (vgl Larenz, Schuldrecht 9. Aufl II § 37 IV).
b) Auch im vorliegenden Fall fehlt es an solchen engen Beziehungen zwischen dem
Gläubiger (Tierarzt) und seinen Auftraggebern. (Wird ausgeführt).
II. [...] a) Der Klageanspruch würde ohne weiteres zuzusprechen sein, wenn der von
Diederichsen (Die Haftung des Warenherstellers, 1967) vertretenen Ansicht gefolgt werden
könnte, daß der Hersteller für jede Art von Fehlern des Produkts ohne Rücksicht auf
Verschulden, also wie bei einer Gefährdungs- oder gar Erfolgshaftung ("strict
liability"), einstehen müsse. Diederichsen glaubt, dies aus
"rechtssoziologischen und rechtstheoretischen Überlegungen" dem geltenden Recht
entnehmen zu können. Es kann jedoch schon zweifelhaft sein, ob sein Standpunkt
rechtspolitisch zu befürworten wäre. Jedenfalls läßt sich eine Haftung ohne
Verschulden mit den Grundsätzen des geltenden Haftungsrechts nicht vereinbaren. Die in
einzelnen Gesetzen angeordnete Gefährdungshaftung meist zudem bis zu unterschiedlichen
Höchstgrenzen - auch auf die Produzentenhaftung auszudehnen, ist dem Richter verwehrt.
Vielmehr muß der Gesetzgeber entscheiden, ob und inwieweit dem Hersteller eine stärker
objektivierte Haftung aufzuerlegen ist (vgl die Begründung des Referentenentwurfs eines
Gesetzes über Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, 1967, S
102).
b) Ebensowenig ist es - von besonders gelagerten Fällen abgesehen (vgl Lukes, JuS
1968, 347) - rechtlich möglich, dem Endabnehmer dadurch einen direkten Ersatzanspruch zu
gewähren, daß ein zwischen ihm und dem Produzenten unmittelbar, wenn auch
stillschweigend, abgeschlossener Garantievertrag angenommen wird (so Müller, AcP 1965,
311). Darin, daß der Produzent seine Ware unter Benennung seiner Urheberschaft, nämlich
mit seinem Etikett, in Originalverpackungen, unter seinem Warenzeichen oder der von ihm
geprägten Bezeichnung (Markenwaren) usw vertreiben läßt, liegt im allgemeinen noch
keine Willenserklärung in dem Sinne, daß er dem Verbraucher für sorgfältige
Herstellung einstehen wolle (vgl RGZ 87, 1; Schlegelberger/Hefermehl, HGB 4. Aufl Bem 51
vor § 373; Simitis, Gutachten zum DJT 1968 S 24 mit weiteren Nachweisen). In aller
Regel läßt sich sogar in der Werbung für Markenwaren, die den Endabnehmer in besonders
eindringlicher Weise anspricht, noch keine Zusage finden, für etwaige Mängel der Ware
haften zu wollen (BGHZ 48, 118, 122/123). Das kann auch dann nicht angenommen werden, wenn
es um die, zudem erheblich weitergehende Frage geht, ob der Hersteller auch einem
Endabnehmer seines Produkts direkt haften wolle (vgl Rehbinder, ZHR 1967, 173; Weitnauer,
NJW 1968, 1597).
c) Außer Frage steht auch, daß dem Endabnehmer ein Ersatzanspruch nicht schon aus
Verletzung der aus "sozialem Kontakt" angeblich folgenden Schutzpflichten
gewährt werden kann (vgl Lorenz in der Festschrift für Nattorp, 1961 S 83;
Soergel/Schmidt aaO Bem 5 vor § 275). Zwischen Hersteller und Abnehmer bestehen
keine geschäftlichen Beziehungen; sie sollen auch nicht angebahnt und demnächst
abgeschlossen werden. Die soziologisch gewiß vorhandenen Beziehungen haben rechtlich
nicht das Gewicht, daß aus ihnen Haftungsansprüche kraft rechtlicher Sonderbeziehungen
folgten. Das gilt auch für den Versuch von Weimar, die Haftung des Produzenten aus der
Generalklausel des § 242 BGB anzuleiten (Untersuchungen zum Problem der
Produktenhaftung, Basler Studien zur Rechtswissenschaft Heft 79 S 69ff, und DRiZ 1968,
266).
2. Besondere Überlegung verdient der Gedanke, eine auf dem Gesetz beruhende, aus dem
Vertrauensgedanken entwickelte quasikontraktliche Sonderrechtsbeziehung zwischen
Hersteller und Verbraucher anzuerkennen. In der Tat dürften die Beziehungen, die zwischen
dem Käufer eines schadenstiftenden Produktes und dessen Hersteller vor Eintritt des
Schadens bestanden haben, von engerer Art sein als die, die den Hersteller mit
"jedermann" dann - und erst dann - in Verbindung bringen, wenn dieser durch sein
Produkt zu Schaden kommt. Diesen "Jedermann" auf deliktische Ansprüche zu
verweisen, ist gerecht. Hinsichtlich der Ersatzansprüche eines Käufers dagegen könnte
erwogen werden, sie auch dann aus Vertragsrecht abzuleiten, wenn er die Ware nicht beim
Hersteller direkt, sondern über einen Händler gekauft hat.
a) Von derartigen Sonderrechtsbeziehungen zwischen Hersteller und Abnehmer der Ware
ausgehend hatte zunächst Lorenz (auf dem Karlsruher Forum 1963) die Ansicht vertreten,
der Hersteller müsse für das Vertrauen, das er mit einem Produkt, verstärkt durch die
Werbung, beim Verbraucher erweckt habe, entsprechend § 122 BGB einstehen. Diesen
Gedanken hat der VIII Zivilsenat des Bundesgerichtshofs am Schluß seines Urteils vom 13.
Juli 1963 (BGHZ 40, 91, 108) erwähnt. Er hat damit aber keine Stellung nehmen wollen. In
seinem Urteil BGHZ 48, 118 hat er es abgelehnt, der Werbung haftungsbegründende Kraft
zuzulegen. Daß sie im Ringen um den "König Kunde" immer umfangreicher und,
betriebswirtschaftlich gesehen, immer bedeutungsvoller geworden ist, besagt noch nicht,
daß ihr rechtlich die Bedeutung einer Haftungszusage zukäme. so versteht sie ein
verständiger Verbraucher auch nicht. Lorenz hat denn auch seinen Gedanken - den vor allem
Markert (BB 1964, 319ff) und Rehbinder (ZHR 1967, 180ff) aufgenommen hatten - nicht
weiterverfolgt (s Kieler Tagung für Rechtsvergleichung 1965, Heft 28 der Schriftenreihe
für Rechtsvergleichung S 51/52).
b) Auf dem Grundgedanken von Lorenz bauen die Lösungsversuche auf, die Haftung des
Herstellers aus einem Einstehen für in Anspruch genommenes und vom Verbraucher gewährtes
Vertrauen, entsprechend den für culpa in contrahendo entwickelten Rechtssätzen,
abzuleiten (vgl Rehbinder, BB 1965, 439 und ZHR 1967, 176; Steffen, JR 1968, 287 und vor
allem Canaris, JZ 1968, 494).
Es ist indes zweifelhaft, ob diese Überlegungen tragfähig sein könnten, im Wege
einer Fortbildung des Rechts dem Verbraucher einen Ersatzanspruch zu gewähren, der, so
wie der deliktische Anspruch, nicht ohne weiteres abbedungen werden könnte, andererseits
nicht vom Entlastungsbeweis des
§ 831 BGB bedroht wäre. Der Senat hat sich schon in
seinem Urteil vom 21. März 1967 (VI ZR 164/65, LM BGB § 276 (Ha) Nr 4) gegen die
Versuche gewandt, die Haftung eines außerhalb des Vertrages stehenden Dritten aus in
Anspruch genommenen Vertrauen zu begründen, und betont, daß damit die durch den Vertrag
gezogene Abgrenzung zwischen schuldrechtlichem und deliktischem Haftungsbereich in
folgenschwerer Weise durchbrochen würde. Ob die dort gegen eine Haftungsausdehnung bei
positiver Vertragsverletzung ausgesprochenen Bedenken auch gegen die Einbeziehung des
Produzenten in eine vertragsähnliche Haftung sprechen, braucht im vorliegenden Fall nicht
abschließend entschieden zu werden. Auch braucht der Frage nicht nachgegangen zu werden,
wie einem durch das Produkt Geschädigten ein solcher quasikontraktlicher Anspruch
zugesprochen werden soll, wenn er das Produkt nicht gekauft hatte, sondern bei dessen
Benutzung durch ihn selbst oder durch andere zu Schaden gekommen war. Im vorliegend zu
entscheidenden Fall handelt es sich nicht um hintereinander geschaltete, rechtlich
selbständige Kaufverträge in einer "Absatzkette", bei der der Verkäufer in
der Tat oft der bloße "Verteiler" des Herstellers geworden ist, ein
"Durchgriff" daher naheliegt. Hier stand vielmehr zwischen der Klägerin und der
Beklagten ein Tierarzt, der allein zu entscheiden hatte, welchen Impfstoff er benutzte.
Ihm und nicht einer etwaigen Werbung der Beklagten hatte die Klägerin ihr Vertrauen
gewährt. Sie wäre nicht imstande gewesen, selbst den Impfstoff bei der Beklagten
unmittelbar oder im Handel zukaufen: die Beklagte durfte ihn nur an den Tierarzt abgeben
und nur dieser durfte in anwenden (§ 87 Der Ausführungsvorschriften zum
Viehseuchengesetz idF v 1. März 1958, BAnz Nr 45 v 6. März 1958, BGBl III 7831-1-1).
Schon deshalb scheidet hier der Gedanke aus, zwischen den Parteien hätten
vertragsähnliche Beziehungen bestanden. Die Klägerin war nicht "Verbraucherin"
des Impfstoffes, auch nicht dessen "Benutzerin", sondern, rechtlich gesehen,
"nur" die Geschädigte. als solche ist sie aber auf deliktische Ersatzansprüche
beschränkt.
III. Nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt sind die Voraussetzungen
des
§ 823 BGB erfüllt. Der von der Beklagten gelieferte Impfstoff war fehlerhaft
und die Ursache für die Erkrankung der Hühner. Auch wenn hier, wie oben ausgeführt, die
Regeln des Vertragsrechts nicht anwendbar sind, so muß dennoch davon ausgegangen werden,
daß der Beklagten ein eigenes Verschulden zur Last fällt. Wird jemand bei
bestimmungsgemäßer Verwendung eines Industrieerzeugnisses dadurch an einem der in
§ 823 Abs 1 BGB geschützten Rechtsgüter geschädigt, daß dieses Produkt
fehlerhaft hergestellt war, so ist es Sache des Herstellers, die Vorgänge aufzuklären,
die den Fehler verursacht haben, und dabei darzutun, daß ihn hieran kein Verschulden
trifft.
1. Nicht in Frage steht, daß auch bei der "Produzentenhaftung" der
Geschädigte nachzuweisen hat, daß der Schaden durch einen Fehler des Produktes
verursacht ist. Die Klägerin hatte daher zu beweisen, daß die Geflügelpest bei ihren
Hühnern ausgebrochen ist, weil der Impfstoff von der Beklagten stammte und bei seiner
Auslieferung aktive Viren enthielt.
Diesen Beweis hat das Berufungsgericht als erbracht angesehen. (Wird ausgeführt.)
2. [...] 3. Die Revision greift diese Würdigung des Berufungsgerichts an. Ihre Rügen
haben keinen Erfolg.
Richtig ist zwar, daß das Berufungsgericht kein Verschulden der Beklagten selbst als
bewiesen angesehen hat. Vielmehr hat es lediglich angenommen, daß wahrscheinlich eine
Hilfsperson den Schaden verschuldet habe. Eine Haftung der Beklagten gemäß
§ 278
BGB läßt sich indessen, wie oben dargetan, nicht aus der Anwendung des Vertragsrechts
ableiten. Das nötigt aber nicht dazu, den Rechtsstreit an den Tatrichter
zurückzuverweisen. Denn es war auch dann Sache der Beklagten, sich zu entlasten, wenn die
Klägerin sich nur auf
§ 823 BGB stützen kann.
aa) Dies ergibt sich schon daraus, daß der Ersatzanspruch der Klägerin auch aus
§ 823 Abs 2 BGB folgt. Denn die Beklagte hat durch die Auslieferung der
gefährlichen Flaschen mit Impfstoff gegen ein Schutzgesetz verstoßen. Dieser Impfstoff,
ein Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes vom 16. Mai 1961 (§ 3 Abs 3 AMG),
war geeignet, bei den Hühnern schädliche, ja tödliche Wirkungen hervorzurufen.
§ 6 AMG verbietet es, derartigen Impfstoff in den Verkehr zu bringen. Diese
Vorschrift stellt - nicht anders als der für gesundheitsschädliche Lebensmittel geltende § 3 LebMG (vgl RGZ 170, 155, 156 zu § 4 LebMG) - ein Gesetz zum Schutz der
gefährdeten Menschen oder Tiere dar. Ist aber ein Verstoß gegen ein Schutzgesetz
bewiesen, so spricht eine Vermutung dafür, daß dies schuldhaft geschehen ist. Der das
Schutzgesetz Übertretende muß daher Umstände dartun und beweisen, die geeignet sind,
die Annahme seines Verschuldens auszuräumen (Senatsurteil vom 12. März 1968 - VI ZR
178/66 -, NJW 1968, 1279). Diesen Beweis hat ein Betriebsinhaber nicht geführt, wenn eine
mögliche Ursache ungeklärt geblieben ist, die in der Sphäre seiner Verantwortlichkeit
liegt und ein schadensursächliches Verschulden enthalten würde (Senatsurteile vom 3.
Januar 1961 - VI ZR 67/60 -, VersR 1961, 231, und vom 4. April 1967 - VI ZR 98/65 -, VersR
1967, 685).
bb) Diese Beweislastregelung würde aber auch dann gelten, wenn die Klägerin ihren
Ersatzanspruch allein auf Absatz 1 des
§ 823 BGB stützen könnte. Auch dann war es
Sache der Beklagten, sich zu entlasten.
Zwar hat in aller Regel der Geschädigte, der sich auf
§ 823 Abs 1 BGB stützt,
nicht nur die Kausalität zwischen seinem Schaden und dem Verhalten des Schädigers
darzutun und notfalls zu beweisen, sondern auch dessen Verschulden (BGHZ 24, 21, 29).
Jedoch hängt die Möglichkeit dieses Nachweises der subjektiven Voraussetzungen erheblich
davon ab, inwieweit der Geschädigte den objektiven Geschehensablauf in seinen
Einzelheiten aufklären kann. Das aber ist vor allem dann mit besonderen Schwierigkeiten
verknüpft, wenn es um Vorgänge geht, die sich bei der Herstellung des Produkts im
Betriebe abgespielt haben. Die Rechtsprechung ist daher seit langem dem Geschädigten
dadurch zu Hilfe gekommen, daß sie sich mit dem Nachweis einer Kausalkette begnügt hat,
die nach der Lebenserfahrung zunächst für ein "Organisationsverschulden" des
Herstellers spricht. Hierbei kann jedoch für Schadensersatzansprüche aus
"Produzentenhaftung" nicht stehengeblieben werden. Allzuoft wird der
Betriebsinhaber die Möglichkeit dartun, daß der Fehler des Produkts auch auf eine Weise
verursacht worden sein kann, die den Schluß auf sein Verschulden nicht zuläßt - ein
Nachweis, der zumeist wiederum auf Vorgängen im Betriebe des Schädigers beruht, daher
vom Geschädigten schwer zu widerlegen ist. Infolgedessen kann der Hersteller dann, wenn
es um Schäden geht, die aus dem Gefahrenbereich seines Betriebes erwachsen sind, noch
nicht dadurch als entlastet angesehen werden, daß er Möglichkeiten aufzeigt, nach denen
der Fehler des Produkts auch ohne ein in seinem Organisationsbereich liegendes Verschulden
entstanden sein kann. Dies gebieten in den Fällen der Produzentenhaftung die
schutzbedürftigen Interessen des Geschädigten - gleich ob Endabnehmer, Benutzer oder
Dritter; andererseits erlauben es die schutzwürdigen Interessen des Produzenten, von ihm
den Nachweis seiner Schuldlosigkeit zu verlangen.
Diese Beweisregel greift freilich erst ein, wenn der Geschädigte nachgewiesen hat,
daß sein Schaden im Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers, und zwar durch
einen objektiven Mangel oder Zustand der Verkehrswidrigkeit ausgelöst worden ist. Dieser
Beweis wird vom Geschädigten sogar dann verlangt, wenn er den Schädiger wegen Verletzung
vertraglicher oder vorvertraglicher Schutz- und Nebenpflichten in Anspruch nimmt
(Senatsurteile vom 26. September 1961 - VI ZR 92/61 -, LM BGB § 276 (Fa) Nr 13 = NJW
1962, 31 und vom 18. Januar 1966 - VI ZR 184/64 -, MDR 1966, 491). Nichts anderes gilt,
wenn er den Produzenten wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch nimmt.
Hat er aber diesen Beweis geführt, so ist der Produzent "näher daran", den
Sachverhalt aufzuklären und die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen. Er überblickt die
Produktionssphäre, bestimmt und organisiert den Herstellungsprozeß und die
Auslieferungskontrolle der fertigen Produkte. Oft machen die Größe des Betriebes, seine
komplizierte, verschachtelte, auf Arbeitsteilung beruhende Organisation, verwickelte
technische, chemische oder biologische Vorgänge und dergleichen es dem Geschädigten
praktisch unmöglich, die Ursache des schadenstiftenden Fehlers aufzuklären. Er vermag
daher dem Richter den Sachverhalt nicht in solcher Weise darzulegen, daß dieser
zuverlässig beurteilen kann, ob der Betriebsleitung ein Versäumnis vorzuwerfen ist oder
ob es sich um einen von einem Arbeiter verschuldeten Fabrikationsfehler, um einen der
immer wieder einmal vorkommenden "Ausreißer" oder gar um einen
"Entwicklungsfehler" gehandelt hat, der nach dem damaligen Stand der Technik und
Wissenschaft unvorhersehbar war. Liegt so aber die Ursache der Unaufklärbarkeit im
Bereich des Produzenten, so gehört sie auch zu seiner Risikosphäre. Dann ist es
sachgerecht und zumutbar, daß ihn das Risiko der Nichterweislichkeit seiner
Schuldlosigkeit trifft.
Von solcher Beweisregel ist die Rechtsprechung schon immer bei vertraglichen oder
quasivertraglichen Sonderrechtsbeziehungen zwischen Geschädigtem (Gläubiger) und
Schädiger (Schuldner) ausgegangen (BGHZ 48, 310, 312; BGH LM BGB § 536 Nr 6a = NJW
1964, 34; BGH NJW 1968, 2240). Es ist kein durchgreifender Grund ersichtlich, warum diese
Beweisregel nicht dann für nach Deliktsrecht zu entscheidende Haftungsfälle ebenso
gelten soll, wenn die ihr zugrunde liegenden Erwägungen auch hier zutreffen. Schon
§ 831 BGB erlegt dem Geschäftsherrn in bestimmten Beziehungen einen
Entlastungsbeweis auf; ähnliches gilt in den Haftungsfällen der
§§ 832, 833, 834
BGB. Vor allem gilt dies in den Fällen der
§§ 836ff BGB. Hier verlangt das Gesetz
zwar von dem durch den Einsturz eines Gebäudes Geschädigten den Beweis, daß sein
Schaden "die Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung" des
Gebäudes war, erlegt aber dem Besitzer usw den Beweis dafür auf, daß er alles getan
hat, um die Gefahren, die von seinem Gebäude ausgehen konnten, abzuwenden. Die in diesen
Vorschriften angeordnete Umkehr der Behauptungs- und Beweislast geht nicht immer davon
aus, das Verschulden des Schädigers sei zu vermuten. Vielmehr beruht sie überwiegend auf
dem Gedanken, daß der Schädiger eher als der Geschädigte in der Lage ist, die für den
Vorwurf der Fahrlässigkeit maßgebenden Vorgänge aufzuklären, daß es daher gerecht
sei, ihn das Risiko einer Unaufklärbarkeit tragen zu lassen. Der Senat hat schon in
seinem Urteil vom 1. April 1953 (VI ZR 77/52, LM ZPO § 286 (C) Nr 12) darauf
hingewiesen, vom Kläger könne nicht der für ihn gewöhnlich fast unmögliche Nachweis
verlangt werden, daß die schadenstiftende Sache durch ein Verschulden des
Geschäftsinhabers oder seiner Angestellten in den Betrieb gekommen sei. Vor allem hat der
Senat bereits in seinem Urteil vom 17. Oktober 1967 (VI ZR 70/66, NJW 1968, 247)
ausgesprochen, es sei Sache des Produzenten, sich zu entlasten, wenn der Geschädigte
keine Angaben darüber machen könne, in welchen Einzelpunkten schuldhafte
Pflichtverletzungen der Unternehmensleitung vorgelegen hätten. Die moderne Entwicklung
der Warenproduktion, an der oft nachträglich nur schwer zu ermittelnde Personen oder
Maschinen beteiligt sind und die auf nur noch vom Fachmann zu durchschauenden und zu
kontrollierenden Fertigungsprozessen beruht, verlangt eine Fortbildung des Beweisrechts in
der Richtung, wie sie das Gesetz in
§ 836 BGB vorgezeichnet hat (vgl Simitis,
Gutachten zum DJT 1968 S 92ff; Stoll in Festschrift für von Hippel, 1967, S 557).
Dabei wird es allerdings - so wie bei der für positive Vertragsverletzungen
anerkannten Umkehrung der Beweislast - stets auf die in der jeweiligen Fallgruppe gegebene
Interessenlage ankommen. Die Frage, ob auch dem Inhaber eines kleineren Betriebes, dessen
Herstellungsverfahren überschaubar und durchsichtig ist (Familien- und Einmannbetriebe,
landwirtschaftliche Erzeuger und dergleichen), die Übernahme des Beweisrisikos zugemutet
werden kann, bedarf hier keiner Prüfung. In den Fällen der hier vorliegenden Art ist es
jedenfalls Sache des Herstellers, sich zu entlasten.
4. Diesen Entlastungsbeweis hat die Beklagte nicht erbracht.