Befreiende UnmöglichkeitDie gesetzliche GrundkonzeptionDas Schuldverhältnis im engeren Sinne erlischt entweder durch das Bewirken der geschuldeten Leistung (§ 362 Abs. 1 BGB) oder durch das Vorliegen eines Erfüllungssurrogates (§§ 378, 389 BGB). Die Erfüllung ist der regelmäßige Erlöschensgrund für ein Schuldverhältnis, nicht aber der einzig mögliche. Weitere Erlöschenstatbestände können sich aus Schwierigkeiten ergeben, die bei der Abwicklung des Schuldverhältnisses auftreten. Diese Abwicklungsschwierigkeiten werden heute allgemein mit dem Begriff "Leistungsstörungen" umschrieben. Schlüsselbegriff im Recht der Leistungsstörungen und wichtiger Erlöschenstatbestand ist die Unmöglichkeit. Das Gesetz erwähnt diesen Begriff zwar seit der Schuldrechtsmodernisierung nicht mehr in den Gesetzesüberschriften. Es enthält aber in § 275 Abs. 1 BGB eine Regelung über die schuldbefreiende Unmöglichkeit. Diese Regelung greift bei objektiver wie bei subjektiver Unmöglichkeit und bei nachträglicher wie bei anfänglicher Unmöglichkeit. Das Eingreifen bei anfänglicher Unmöglichkeit ist neu und wird in § 311a Abs. 1 BGB ausdrücklich angeordnet. Es kommt dann zu einem Schuldverhältnis, das sich von der ersten Sekunde an auf Sekundärpflichten des Leistungsstörungsrechts beschränkt. Was versteht nun aber das BGB unter Unmöglichkeit? Schon rein begrifflich ist eine Leistung erst dann (objektiv) unmöglich, wenn sie endgültig von niemandem, also weder vom Schuldner noch von einem Dritten, erbracht werden kann (endgültige Unerbringlichkeit der Leistung). Kann die Leistung zwar von irgend jemandem erbracht werden, nur vom Schuldner selbst nicht, so spricht man von subjektiver Unmöglichkeit oder Unvermögen. Dieses Unvermögen führt erst dann zur Schuldbefreiung, wenn es dem Schuldner nicht gelingt, das Unvermögen zu überwinden, weil etwa der Eigentümer einer geschuldeten Sache sich weigert, die Sache dem Schuldner zu übertragen. Ist es dem Schuldner nur nicht zumutbar, den vom Eigentümer geforderten Preis zu zahlen, liegt kein schuldbefreiendes Unvermögen vor, sondern eventuell eine Situation, bei der dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB eingeräumt wird. Die schuldbefreiende Unmöglichkeit begründet eine automatisch wirkende Einwendung, das Leistungsverweigerungsrecht eine vom Schuldner auszuübende Einrede. Man hat schon zum alten Recht im Wesentlichen die Fälle der naturgesetzlichen, der rechtlichen und der faktischen (oder praktischen) Unmöglichkeit sowie der Unmöglichkeit durch Zeitablauf unterschieden. Die Unterscheidung ist auch nach neuem Recht noch tragfähig. Von naturgesetzlicher Unmöglichkeit spricht man, wenn die Leistung nach Naturgesetzen oder nach dem gegenwärtigen Stand von Wissenschaft und Technik von niemandem erbracht werden kann. So liegt es etwa, wenn die geschuldete Sache zerstört wird oder jedenfalls so schwer beschädigt wird, dass es sich wirtschaftlich um einen anderen Gegenstand handelt. Ebenfalls hier einzuordnen sind die Fälle, in denen sich jemand vertraglich zu einem nach naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht erzielbaren Erfolg verpflichtet. Hierbei geht es häufig um den Einsatz "übersinnlicher Kräfte" oder sonstige wissenschaftlich nicht anerkannte Praktiken. In diesen Fällen geht die Rechtsprechung regelmäßig von Unmöglichkeit aus (vgl. die Zusammenstellung bei Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 6. Auflage 2005, § 3 II 1 b). Ein typisches Beispiel hierfür ist der vom LG Kassel in NJW 1985, 1642 in diesem Sinne entschiedene Fall, in dem sich eine Frau ihrer Vertragspartnerin gegenüber gegen Zahlung von 3.000 DM verpflichtet hatte, den ehemaligen Lebenspartner ihrer Kundin durch mentale Beeinflussung auf "parapsychologischer Grundlage" wieder zu ihr zurückzuführen. Von rechtlicher Unmöglichkeit spricht man, wenn eine Leistung aus rechtlichen Gründen von niemandem erbracht werden kann. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges, der bereits besteht. Dieser Fall kann etwa eintreten, wenn der bestohlene Eigentümer die gestohlene Sache unbedingt wieder haben will und sie daher dem Dieb "abkauft": Einen solchen Kaufvertrag - sollte er überhaupt vor § 138 Abs. 1 BGB Bestand haben - könnte der Dieb nicht erfüllen, da er das Eigentum an der Sache nicht auf sein Opfer, das ja noch Eigentümer ist, übertragen kann. Rechtliche Unmöglichkeit liegt weiterhin vor, wenn die Rechtsordnung den angestrebten Rechtserfolg nicht anerkennt. Dies greift z.B. dann ein, wenn ein Vertrag über die Leistung von Gegenständen geschlossen wird, die dem Geschäftsverkehr entzogen sind (z.B. amtliche Dokumente wie der Reisepass oder Betäubungsmittel, deren Handel nach dem BtMG unter Androhung von Strafe untersagt ist). Anders als die naturgesetzliche und die rechtliche Unmöglichkeit wird die faktische oder praktische Unmöglichkeit eigentlich nicht mehr vom Begriff der Unmöglichkeit erfasst. Denn unter faktischer Unmöglichkeit versteht man die "Fälle, in denen die Erbringung der Leistung zwar nicht schlechthin für jedermann unmöglich ist, aber doch jedem Menschen so erhebliche Schwierigkeiten bereitete, dass kein vernünftiger Mensch ohne besonderen Anlass auch nur auf die Idee käme, den Versuch einer Leistungserbringung zu wagen" (Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 2, 5). Demnach handelt es sich also bei der faktischen Unmöglichkeit um Fälle, bei denen die Leistungserbringung zwar theoretisch möglich wäre, bei denen jedoch die praktische Durchführung der Leistungserbringung auf derartige Schwierigkeiten stoßen würde, dass man sie aus Billigkeitsgründen den Fällen der naturgesetzlichen und der rechtlichen Unmöglichkeit gleichstellt. Als typische Beispiele für die faktische Unmöglichkeit werden immer wieder gerne das Aufsuchen eines Ringes, der auf den Meeresgrund gefallen ist, sowie die Hebung einer Münzsammlung, die sich unter dem Fundament eines Hochhauses befindet, angeführt. Schwierigkeiten bereitet die faktische Unmöglichkeit eigentlich nur deswegen, weil sie von der so genannten "wirtschaftlichen Unmöglichkeit" abzugrenzen ist, deren Subsumtion unter den Begriff Unmöglichkeit außerordentlich umstritten ist. Nach den vagen, in der Literatur vertretenen Ansichten muss man sich die wirtschaftliche Unmöglichkeit als ein quantitatives Minus zur faktischen Unmöglichkeit vorstellen: Die Leistungserbringung sei zwar weniger schwierig als bei der faktischen Unmöglichkeit, aber immerhin noch so schwierig, dass ihre Einforderung vom Schuldner die "Opfergrenze" überschritte und daher diesem nicht zugemutet werden könne. Man spricht dann auch von "übermäßiger Leistungserschwerung". Für diese Fälle bietet sich nach der Schuldrechtsmodernisierung die Vorschrift des § 275 Abs. 2 BGB an: Der Schuldner erhält ein Leistungsverweigerungsrecht. Für die automatische Schuldbefreiung besteht kein Bedürfnis. Schließlich kann die Unmöglichkeit der Leistungserbringung auch durch Zeitablauf eintreten. Grundsätzlich führt die Nichterbringung der Leistung zur vereinbarten Leistungszeit zum Verzug des Schuldners und nicht zur Unmöglichkeit der Leistung, da die Leistung weiterhin nachholbar und damit möglich ist. Allerdings kann die Leistungszeit nach dem Inhalt der vertraglichen Vereinbarung von solcher Wichtigkeit sein, dass die Leistung durch Zeitablauf unmöglich wird. Das wichtigste Beispiel hierfür ist das "absolute Fixgeschäft". Von einem absoluten Fixgeschäft spricht man, wenn die Leistungszeit nach der vertraglichen Vereinbarung von derart großer Bedeutung ist, dass nach Überschreitung des Erfüllungszeitraums das Leistungsinteresse des Gläubigers unter keinem Gesichtspunkt mehr befriedigt werden kann. Als Schulbeispiel für das absolute Fixgeschäft wird immer wieder gerne der Fall angeführt, dass ein Taxi zum Flughafen für eine bestimmte Uhrzeit bestellt wird, um einen Flug zu erreichen. Kommt das Taxi erst mit erheblicher Verspätung, so dass der Kunde absehbar den Flug nicht mehr erreichen kann, ist für ihn die gewünschte Taxifahrt sinnlos geworden. Zwar ist eine Fahrt zum Flughafen weiterhin physisch möglich, dennoch ist die Leistung nicht mehr nachholbar, weil nicht alleine die Fahrt zum Flughafen geschuldet war, sondern die Fahrt zum Flughafen innerhalb eines bestimmten, eng bemessenen Zeitraumes. Weitere charakteristische Beispiele für absolute Fixgeschäfte sind Verträge über ausgeprägte Saisonartikel, die für die beteiligten Kreise erkennbar nur innerhalb eines bestimmten Zeitraumes mit Gewinn absetzbar sind, wie z.B. Schokoladenostereier und -hasen, Weihnachtsbäume, Sommer- bzw. Winterkleidung mit den "Farben der Saison" etc. Werden diese Artikel erst nach Ablauf der Saison geliefert, dann haben sie den vertraglich vorausgesetzten Zweck eingebüßt und sind für den Abnehmer nutzlos geworden. So hat etwa ein Lebensmittelgeschäft, das beim Großhändler für das Ostergeschäft 30 Paletten Schokoladenosterhasen der Marke "X" bestellt hat, im Sommer keinerlei Verwendung mehr für eine dann erst eintreffende Lieferung; vielmehr ist mit Abschluss des Ostergeschäftes der Erfüllungszeitraum abgelaufen und die Leistung unmöglich geworden. Ebenso verhält es sich mit einigen Dauerschuldverhältnissen, bei denen im Hinblick auf den Vertragszweck die Leistungszeit eine wichtige Rolle spielt, so dass die einmal verlorene Zeit grundsätzlich nicht mehr nachgeholt werden kann. Ein praktisch wichtiges Beispiel hierfür ist der Arbeitsvertrag, bei dem bei Nichtleistung des Arbeitnehmers innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit grundsätzlich Unmöglichkeit eintritt, da der Arbeitnehmer die Leistung bei einem typischen Arbeitsvertrag nicht nach Feierabend erbringen kann. Auch am nächsten Arbeitstag kann er die Leistung nicht nachholen, da er dann die für diesen Tag geschuldete Arbeitsleistung erbringen muss (vgl. Heiderhoff, JuS 1998, 1087, 1089 m.w.N.). Ein weiteres wichtiges Beispiel für solche Dauerschuldverhältnisse ist der Raummietvertrag: Auch hier führt jeder verstrichene Tag, an dem dem Mieter die Mietwohnung nicht zur Verfügung stand, zur (Teil-)Unmöglichkeit (MüKo/Ernst, § 275 Rdnr. 48). Vom absoluten Fixgeschäft ist das relative Fixgeschäft zu unterscheiden. Das relative Fixgeschäft ist dadurch gekennzeichnet, dass auch bei ihm die Leistung nach der Vereinbarung der Parteien innerhalb eines bestimmten Erfüllungszeitraumes erfolgen soll, so dass das Geschäft mit der Einhaltung des Leistungszeitraumes "stehen oder fallen soll". Dabei kommt der Leistungszeit beim relativen Fixgeschäft jedoch kein derart die Leistung prägender Charakter zu, dass nach Ablauf des Erfüllungszeitraumes die Leistung nicht mehr nachholbar und damit unmöglich wird. Vielmehr räumt das Gesetz dem Gläubiger in § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB beim relativen Fixgeschäft ein Rücktrittsrecht für den Fall ein, dass der Schuldner den Erfüllungszeitraum überschreitet. Selbst wenn die Parteien kein absolutes Fixgeschäft vereinbart haben, kann durch ein auch nur vorübergehendes Leistungshindernis ausnahmsweise der Vertragszweck derartig beeinträchtigt werden, dass dem Gläubiger ein weiteres Zuwarten nicht mehr zugemutet werden kann. In derartigen Fällen, insbesondere wenn eine Beseitigung des Leistungshindernisses nicht absehbar war, hat die Rechtsprechung häufig die vorübergehende Leistungsverzögerung der dauernden Unmöglichkeit gleichgestellt (vgl. Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, § 4 III 3, IV mit zahlreichen Nachweisen). Dabei hat sie jedes Mal im Wege einer umfassenden Interessenabwägung auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abgestellt, so dass sich die Ergebnisse kaum verallgemeinern lassen. Jedenfalls kann man sagen, dass sie eine Gleichstellung mit der dauernden Unmöglichkeit tendenziell dann bejaht hat, wenn es sich bei den Gläubigern um Kaufleute handelte, die auf kurzfristige Dispositionen angewiesen waren, so dass ihnen ein längeres Zuwarten nicht zuzumuten war. Als Leistungshinderungsgründe, die für eine Gleichstellung mit der dauernden Unmöglichkeit in Betracht kommen, hat sie insbesondere den Ausbruch von Kriegen oder Revolutionen am Ort der Leistungserbringung in Betracht gezogen, da diese Ereignisse von unabsehbarer Dauer sein können (vgl. dazu die Rechtsprechungsanalyse bei: MüKo/Ernst, § 275 Rdnr. 139 ff.). Diese Rechtsprechung zur Gleichstellung vorübergehender Leistungshindernisse mit der dauernden Unmöglichkeit ist auf nachhaltige Kritik im Schrifttum gestoßen, das insbesondere darauf hinweist, dass es sich bei all diesen Fällen um typische Beispiele handele, die nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu lösen seien (vgl. hierzu: MüKo/Ernst, § 275 Rdnr. 143 ff). |
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