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Probleme der Differenzhypothese

Die wiederbelebte Differenzhypothese erlaubt es, Tendenzen entgegenzuwirken, die das zivilistische Schadensrecht anderen als Ausgleichsfunktionen dienstbar machen. Sie überführt das Schadensrecht allerdings nicht in ein problemloses und wertungsfreies Rechenexempel. Denn vor jeder Rechenoperation bedarf es einer Entscheidung darüber, welche Position zu welchem Wert in die Bilanzen zur Ermittlung des realen und des hypothetischen Vermögensstands einzustellen sind. Diese Entscheidung hängt von einer Verständigung über den Vermögensbegriff und von der Zurechnung der als Vermögenswert anerkannten Positionen zu dem haftungsbegründenden Ereignis ab. Sie führt in die Problembereiche der abstrakten oder konkreten Schadensberechnung, der Adäquanz- und Schutzbereichslehre, des Rechtswidrigkeitszusammenhangs, des Vorteilsausgleichs, der hypothetischen Kausalität und des für die Schadensberechnung maßgeblichen Zeitpunkts.

Entwicklung und Festlegung des Vermögensbegriffs

Bei der Verständigung über den Vermögensbegriff geht es um die Festsetzung der semantischen Regeln für "Vermögen" im Kontext des bürgerlich-rechtlichen Schadensrechts. In diesem Kontext wird ein Vermögensschaden am Parameter Geld gemessen. Was liegt da näher, als sich bei der Bestimmung des Vermögensbegriffs an den Nachbarwissenschaften zu orientieren, die mit eben diesem Parameter zu arbeiten pflegen?. Ein Blick in die Standardliteratur zum hier einschlägigen volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Rechnungswesen (Stobbe Volkswirtschaftliches Rechnungswesen, 3. Aufl. 1972; Wöhe Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 13. Aufl. 1978, S. 788 ff.) belehrt indessen schnell darüber, dass die Nachbarwissenschaften nicht fertige Ergebnisse bereithalten, die man einfach übernehmen könnte. Die Aufnahme als und die Bewertung von Vermögensposten in einer Bilanz hängt auch bei ihnen von Festsetzungen ab, die je nach den verfolgten Zwecken unterschiedlich ausfallen können. Man kommt deshalb nicht umhin, Vermögensbegriff und Bewertungsgrundsätze im Einklang mit den Zwecken des Schadensrechts selbst festzusetzen, und kann allenfalls hoffen, für im juristischen Bereich problematisch gewordene Teilfragen Argumentationshilfen aus der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion zu beziehen (vgl. Köndgen AcP 177 ( 1977), 16 ff.).

Geld und geldwerte Güter

Unproblematisch ist die Vermögenseigenschaft des Geldes selbst. Der effektive Geldabfluss bildet ebenso wie die Verhinderung eines Geldzuflusses einen ersatzfähigen Vermögensschaden. Unproblematisch ist auch noch die Vermögenseigenschaft von gegenständlichen Gütern , die im Verkehr gegen Geld getauscht werden, die einen "Marktwert" haben. Wird ein solches Gut beeinträchtigt oder dem Ersatzberechtigten entzogen oder sein Anfall beim Ersatzberechtigten verhindert, so stellt sein Tauschwert resp. seine Tauschwertminderung unabhängig von dem individuellen Gebrauchswert für den Ersatzberechtigten einen Vermögensschaden dar. Problematisch und umstritten ist hingegen die Vermögenseigenschaft solcher Güter, die weder Geld noch (Sach-)Gegenstände sind. Hierzu zählen Nutzungsmöglichkeiten geistigen wie gegenständlichen Eigentums, Arbeitskraft, Freizeit, Urlaub, Kunst- und sonstige Genüsse. Soll auch ihr Entzug bzw. ihr Ausbleiben beim Verletzten den Verletzer zur Kompensation in Geld verpflichten, weil sie "im rechtsgeschäftlichen Verkehr gegen Geld erworben werden" (Grunsky, Aktuelle Probleme zum Begriff des Vermögensschadens, 1968, S. 36, 58) können, so läuft man Gefahr, die gesetzliche Grenze zwischen Vermögensschäden und immateriellen Nachteilen zu beseitigen. Dieser Gefahr wegen mehren sich die Stimmen, die im Grundsatz jeglichen, "Kommerzialisierungstendenzen" über den geldlich-gegenständlichen Vermögensbereich hinaus die schadensrechtliche Anerkennung versagen wollen (Baur in: FS Raiser S. 119; Diederichsen in: FS Klingmüller S. 65; Keuk VersR 1976, 40 1; Tolk S. 94 ff.).

Keine Beschränkung auf den geldlich-gegenständlichen Bereich

Nach einer Begründung für die einseitige Bevorzugung des geldlich-gegenständlichen Vermögensbereichs sucht man vergeblich. Die Gefahr der Grenzverschiebung oder -beseitigung zwischen Vermögenswerten und immateriellen Werten trägt sie jedenfalls nicht. Wer sich auf sie zur pauschalen Abwehr von Kommerzialisierungstendenzen beruft, verkennt, dass auch er zu Zwecken der Geldkompensation im gegenständlichen Bereich auf nichts anderes als den Marktwert des Gegenstandes zurückgreifen kann und damit die über das Nachfrageverhalten in den Preis einfließenden Wertpräferenzen schadensrechtlich honoriert. Sie werden honoriert, weil es einen Preis für sie gibt, der als Rechnungsfaktor in die Schadensermittlungsbilanzen eingesetzt werden kann.

Der in Geldeinheiten ausdrückbare Tauschwert eines Gutes ist die differentia specifica zwischen materiellen und immateriellen Gütern. Diese Sichtweise hat der Trennung der Vermögens- von den Nichtvermögensschäden durch den Gesetzgeber zugrunde gelegen (Motive II S. 21 ff.). Mangels anderer Indikatoren für die Grenzziehung besteht auch heute kein Anlass, von ihr abzurücken.

Arbeitskraft

Die Frage nach der Vermögensqualität der Arbeitskraft schlechthin trägt nichts zur Lösung schadensrechtlicher Probleme (a.A. MünchKomm/Oetker, § 249 Rdnr. 80). Für den, der weder seine Arbeitskraft gegen Entgelt einsetzen noch für sich Güter produzieren kann, ist die Arbeitsfähigkeit (vermögens-)wertlos (BGH 69, 34). Ihre Beeinträchtigung führt bei ihm auch nicht zu einem Vermögensschaden. Anders stellt sich die Situation aus der Sicht dessen dar, dem Arbeit geleistet werden soll. Für ihn hat die Arbeitskraft (des anderen) den Vermögenswert, der in der Regel auf dem Markt für die Erlangung der Arbeitsleistung aufgebracht werden muss. Ihr Verlust fügt ihm allerdings nur dann einen ersatzfähigen Schaden zu, wenn die Bilanz nicht durch den Wegfall der Entgeltpflicht ausgeglichen wird. Der Träger der Arbeitskraft selbst erleidet einen Vermögensschaden, wenn er ohne das ihn zum Ersatz berechtigende Ereignis seine Arbeitskraft hätte für sich wertschöpfend oder gewinnbringend einsetzen können. Die wegen der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit nicht realisierten Werte machen den nach § 252 zu ersetzenden entgangenen Gewinn aus. Das Arbeitsmarktrisiko trägt somit der Verletzte  (im Ergebnis ähnlich MünchKomm/Oetker, § 249 Rdnr. 85, der darauf abstellt, ob der konkret Geschädigte mit seiner Ausbildung, seinem Lebensalter an seinem Wohnort usw. eine Anstellung hätte finden können). Dagegen ließe sich unter Sozialstaatsgesichtspunkten möglicherweise geltend machen, dass gerade in Zeiten verstärkter Arbeitslosigkeit dem Verletzten durch Gewährung einer Art Grundrente auch dann geholfen werden müsse, wenn er als Gesunder seine Arbeitskraft nicht hätte für sich wertschöpfend oder gewinnbringend einsetzen können. Man mag an den vom BGH der Prostituierten zugebilligten Anspruch in "Höhe eines existenzdeckenden Einkommens, das auch in einfachen Verhältnissen von jedem gesunden Menschen erfahrungsgemäß zu erreichen ist" (BGHZ 67, 119 ff., 128) denken, übersähe dabei aber, dass das Schadensrecht einerseits an die konkrete Vermögenslage des Verletzten im Istbestand mit seinen aktuellen Gewinnaussichten anknüpft und andererseits das Problem der Arbeitslosigkeit weder insgesamt bewältigen noch einen sinnvollen Teilbetrag zu seiner Bewältigung leisten kann. Dazu sind andere Systeme der sozialen Sicherung berufen. Wenn man deren Leistungen als unzulänglich empfindet, ist das kein Grund, unter den vielen Arbeitslosen diejenigen zu privilegieren, die zufällig Opfer eines Unfalls geworden sind. Die Kosten einer solchen Privilegierung trägt womöglich ein anderer Arbeitsloser, der den einen beim zeitvertreibenden Spiel verletzt hat! Beim zeitweisen Ausfall eines in einer Gesellschaft in unternehmerischer Funktion tätigen Verletzten, ist darauf zu achten, dass nur tätigkeitsbedingte Vergütungen ersetzt werden können (BGH NJW 1978, 40), wobei die Ersatzleistung der Gesellschaft zufließen muss, wenn diese die Vergütung weiter gezahlt hat (siehe J.III.3).

Haushaltsführung

Der von der Rechtsprechung der Trägerin der Arbeitskraft gewährte Ersatz für die Beeinträchtigung der Haushaltsführung (BGHZ 50, 304) fällt aus dem skizzierten Rahmen heraus. Der Einsatz der Frau im Haushalt ihrer Familie bringt ihr selbst keinen in Geld ausdrückbaren Gewinn, der infolge der Beeinträchtigung ihrer Arbeitskraft ausbleiben könnte. Einen Verlust erleidet die Familie; denn ihr entgeht die Arbeitsleistung, deren Wert man am Substitutionsmarkt der professionellen Haushaltskräfte messen mag. Die Familie hat indessen keinen Anspruch, da für sie in der Regel kein haftungsbegründender Tatbestand streitet. Diese missliche Situation ist durch den (im Übrigen begrüßenswerten) Wandel in der rechtlichen und sozialen Wertung der Hausfrauentätigkeit entstanden (BGHZ 50, 304). Solange man die Tätigkeit der Frau in der Familie als Dienstleistung an den Ehemann ansah, konnte der Schutzbedürftigkeit der Familie bei Verletzung der Frau durch den in § 845 vorgesehenen Anspruch des Ehemanns Rechnung getragen werden. Der Anschauungswandel ließ den Anspruch des Ehemanns aus § 845 nicht aber das durch ihn bislang befriedigte Schutzbedürfnis der Familie entfallen. Die entstandene Regelungslücke durfte die Rechtsprechung legitimerweise durch eine Anspruchsgewährung an die Ehefrau ausfüllen, wenn auch der Anspruch als eigener Schadensersatzanspruch der Frau quer zur Schadenssystematik steht. Problematisch ist an dieser Entwicklung allein der kurzschlüssige Durchgriff auf den normativen Schadensbegriff.

Die vorstehenden Ausführungen gelten heute selbstverständlich auch für die Verletzung des haushaltsführenden Ehemanns, auch wenn diese Konstellation bisher in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht aufgetaucht ist (warum nur?).

Nutzungsentgang

Auch für die schadensrechtlichen Probleme des Nutzungsentgangs (dazu auch Lange § 6 VII) ist mit der Frage nach der Vermögensqualität von Nutzungen schlechthin nichts gewonnen. Bei einer differenzierten Fragestellung können wie erwähnt zunächst die Fälle als unproblematisch ausgeschieden werden, in denen der Entzug der Nutzungsmöglichkeit die Realisierung eines Vermögenszuwachses vereitelt. Wie bei der unterbliebenen Nutzung der Arbeitskraft durch ihren Träger handelt es sich hier um den in § 252 vorgesehenen Ersatz entgangenen Gewinns. Unproblematisch ist auch die Kompensationsfähigkeit des Vermögensaufwands für eine Ersatznutzung. Sie knüpft an die Restitutionsmöglichkeit nach § 249 Abs. 2 an. Die Probleme liegen in den Fällen, in denen die Nutzungsmöglichkeit (zeitweise) ausgeschlossen ist, durch den Ausschluss keine Gewinnerzielung vereitelt wird und keine Kosten für eine Ersatznutzung aufgewendet werden. Nur hier stellt sich nämlich die Frage, ob die Nutzungsmöglichkeit als solche ein bilanzierungsfähiger Vermögensschadensposten ist. Selbst für diese Fälle kann die Frage nicht einfach mit dem Hinweis auf einen Markt für Nutzungen beantwortet werden. Entscheidend ist, in welcher Weise dem Betroffenen die Nutzungen vor und nach dem Schadensfall zugänglich sind. Ist nach einem zeitweiligen Nutzungsausschluss noch der gesamte Nutzungsvorrat in seinem Vermögen vorhanden, so kann der Betroffene über ihn wie vor dem Schadensereignis disponieren. Das ist insbesondere bei langlebigen Gütern der Fall, die im Eigentum des Betroffenen stehen. Mangels Vermögensdifferenz besteht kein Anlass, den zeitweiligen Nutzungsausfall in Geld zu kompensieren. Anders gestaltet sich die Sachlage, wenn dem Betroffenen nicht ein zeitlich unbegrenzter Nutzungsvorrat, sondern nur eine zeitlich beschränkte Nutzungsmöglichkeit zusteht und diese ohne Nachholmöglichkeit vereitelt wird. Der Vermögenswert der zeitlich beschränkten Nutzungsmöglichkeit liegt in dem Preis, den der Betroffene oder Dritte aufwenden müssen, um eine derartige Nutzungsmöglichkeit zu beschaffen. Allein hier wird die Frage relevant, ob es einen Markt für solche Nutzungen gibt. Gibt es ihn, so hat die zeitlich beschränkte Nutzungsmöglichkeit Vermögenswert. Ihr Entgang ist Vermögensschaden, der zum Marktpreis in die Schadensbilanz eingesetzt werden kann. Die zeitliche Beschränkung der Nutzungsmöglichkeit kann sich einmal aus der Kurzlebigkeit des in Frage stehenden Gutes und zum andern aus der Art ergeben, in der die Nutzungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt wird, etwa durch kurzfristige Miete, Pacht oder Leihe. Daraus erhellt, dass eine Differenzierung zwischen Sacheigentum einerseits und nicht auf Sacheigentum beruhenden Nutzungsmöglichkeiten andererseits ökonomisch wie schadensrechtlich irrelevant ist: Soweit für die Verschaffung der Nutzungsmöglichkeit Geld aufgewendet wird, bedeutet ihre endgültige Entziehung einen Vermögensschaden, gleich welcher Rechtsform man sich zur Verschaffung der Nutzungsmöglichkeit bedient. Auch die vereitelte Nutzungsmöglichkeit eines zinslosen Darlehens ist ein Vermögensschaden (im Ergebnis zutreffend, wenn auch mit zweifelhafter Begründung BGH 74, 231 = NJW 1979, 1494).  

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© Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann. 
Bei Fragen und Unklarheiten wenden sich meine Studenten bitte an:
Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann.
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